Das System Merkel
(2012)
In den folgenden Ausführungen berichte ich über meine Tätigkeit und politischen Erlebnisse in den Jahren 2012.
Standortbestimmung der MIT
Nach der Wahl zum MIT-Vorsitzenden für zwei weitere Jahre stellte ich mir die Frage, wie sich die MIT zukünftig politisch aufstellen sollte. Auf der Klausurtagung des Bundesvorstandes am 20./21. April 2012 in Fulda wollte ich mit dem Vorstand darüber diskutieren.
Die Rahmenbedingungen für unsere politische Arbeit hatten sich gegenüber 2009 deutlich verschlechtert: Die CDU hatte wichtige Landtagswahlen verloren. Die Mehrheit im Bundesrat war verloren gegangen. Die FDP war dramatisch abgestürzt. Und die Union regierte auf Sicht ohne Kompass.
Nach den damaligen Umfragen gab es in Deutschland auch keine bürgerliche Mehrheit mehr. Daraus zog die Parteiführung die Konsequenz, dass das sozialpolitische Profil der Union geschärft werden musste. Im Übrigen vertraute man auf die Wahlkampftaktik der „asymmetrischen Demobilisierung“. Mit dem Verzicht auf eigenes Profil und als rot-grüne Kopie hoffte man, das gegnerische Wählerpotential einschläfern zu können.
Schwarz-gelbes Scheitern
(2011-2012)
In den folgenden Ausführungen berichte ich über meine Tätigkeit und politischen Erlebnisse im Jahr 2011-2012:
Gespräch mit Angela Merkel
Am 6. April 2011 traf sich das MIT-Präsidium mit Angela Merkel zu einem längeren Gespräch im Adenauer-Haus. Das Treffen ging auf eine Anregung von Frau Merkel während des CDU-Parteitages 2010 zurück, bei dem die Anträge der MIT auf erheblichen Widerstand gestoßen waren. Um die Wogen zu glätten, hatte sie mir das Angebot für ein persönliches Gespräch gemacht, das ich angenommen hatte.
Angela Merkel erschien zu dem Gespräch wegen eines Unfalls mit zwei Gehhilfen, denen man in politischer Hinsicht eine gewisse Symbolik nicht absprechen konnte. Persönlich machte sie aber einen frischen und munteren Eindruck, der für eine starke Vitalität sprach. Wir trafen in dem Gespräch auf eine Bundeskanzlerin, die informiert war und kritischen Themen offen gegenüberstand. Merkel selbst bezeichnete das Gespräch später als „kontrovers, aber konstruktiv“.
Energiewende und Rettungsschirm
(2011)
In den folgenden Ausführungen berichte ich über meine Tätigkeit und politischen Erlebnisse im Jahr 2011.
Merkels Energiewende
Ende März 2011 standen in Baden-Württemberg Landtagswahlen an. Im Wahlkampf stand die nach der Landtagswahl 2006 gebildete Koalition aus CDU und FDP unter erheblichem Druck, weil die oppositionellen Grünen bei den Umfragen deutlich zulegten. Stefan Mappus (CDU) hatte erst 2010 das Amt des Ministerpräsidenten von Günter Oettinger übernommen
Am Freitag, dem 11. März 2011, erschütterte um 14.46 Uhr Ortszeit ein Beben der Stärke 9,0 den Nordosten von Japan. Das Kernkraftwerk Fukushima schaltete sich automatisch ab, und Dieselgeneratoren übernahmen die Notkühlung der Generatoren. Doch dann kam ein gewaltiger Tsunami und spülte die Dieselgeneratoren ins Meer. Ohne Kühlung waren die heißen Brennstäbe sich selbst überlassen, so dass sich im Reaktorgebäude explosiver Wasserstoff sammelte. Der Betreiber Tepco versuchte vergeblich, durch Ablassen der Gase eine drohende Explosion zu verhindern. Nacheinander kam es in mehreren Blöcken des Kraftwerks zu Wasserstoffexplosionen und zur Freisetzung radioaktiver Substanzen. Damit nahm die Katastrophe ihren Lauf.
Die politische Führung in Berlin reagierte auf die Katastrophe mit hektischer Betriebsamkeit. Umweltminister Robert Röttgen (CDU) setzte noch am selben Tag einen Krisenstab ein. „Alles hat sich radikal geändert“, sagte er. Am selben Abend gab es ein Treffen im Kanzleramt, um die Frage zu erörtern, wie man auf die Katastrophe „politisch“ reagieren müsse. In Baden-Württemberg befanden sich die Grünen im Aufwind. Man war sich im Kanzleramt einig, dass die Katastrophe ein „Umdenken“ erforderte und schnell etwas gegen die Verunsicherung der Bevölkerung, von der die Wahlkämpfer berichteten, getan werden müsste.
Schwarz-gelbe Enttäuschung
(2010-2011))
In den folgenden Ausführungen berichte ich über meine Tätigkeit und politischen Erlebnisse im Jahr 2010 bis 2011.
Politischer Fehlstart
In der Politik gibt es Wörter, die sich schnell verbrauchen. Dazu gehörte das Wort „Neustart“, den die schwarz-gelbe Koalition den Wählern im November 2009 versprochen hatte. Nach acht Monaten Regierungszeit sprach niemand mehr davon. Die Bundesregierung befand sich in einer tiefen Akzeptanzkrise. Mehr als die Hälfte der befragten Wähler waren mit Merkel unzufrieden. Nur noch 32 % der Wähler wollten die CDU wählen. Laut einer Umfrage der Curt L. Schmitt Informationsdienste sagten 91,2 % der mittelständischen Leser, dass sie ihre politische Heimat nicht mehr bei Union und Liberalen sahen.
Gleichzeitig schrieb das Meinungsforschungsinstituts Emnid in BILD am SONNTAG, dass sich jeder fünfte Deutsche eine „bürgerlich-konservative Partei rechts von der CDU“ vorstellen konnte. Dies war für die Union eine alarmierende Nachricht. Besonders beunruhigend war die Aussage der Meinungsforscher: „Ausgerechnet die treuesten Unions-Wähler strömen derzeit in Scharen zu den Nichtwählern: Christlich geprägte Wertkonservative, die Wirtschaft mit Werten verbinden wollen, aber auf immer mehr Sozialdemokratisierung in der eigenen Partei treffen. Bereits die Vorstellung, sich für SPD oder Grüne zu entscheiden, ist für sie ein Graus. Stattdessen werden sie politisch heimatlos.“
Zeiten der Krise
(2009-2010)
In den folgenden Ausführungen berichte ich über meine Tätigkeit und politischen Erlebnisse im Jahr 2009-2010.
Kursbestimmung in Zeiten der Krise
Nach Bildung der neuen Bundesregierung fand in Berlin am 6.-7. November 2009 der Bundesdelegiertentag der MIT statt. Ort und Zeitpunkt waren so gewählt worden, damit wir uns unmittelbar nach dem Regierungswechsel zu Wort melden konnten. Die Stimmung unter den Delegierten war optimistisch. Angela Merkel hatte sich zu dem Kongress angemeldet, diesmal als Chefin einer schwarz-gelben Bundesregierung. Außerdem stand die Neuwahl des gesamten Vorstandes der MIT an.
Auch für mich als MIT-Vorsitzenden war das Jahr 2009 gut gelaufen: In den Debatten über den richtigen Weg in der Finanz- und Wirtschaftskrise waren wir ein wichtiger Impulsgeber gewesen. Durch unser Engagement im Bundestagswahlkampf hatte sich auch das Verhältnis zur Parteiführung entspannt. Zudem hatten wir uns mit wichtigen Positionen im Koalitionsvertrag durchsetzen können.
Es gab also etwas zu feiern. Hierzu hatte Dieter Lehnen am Vorabend des Kongresses im Berliner MARITIM-Hotel anlässlich meines siebzigsten Geburtstages und des Geburtstages von Peter Jungen, dem MIT-Schatzmeister, einen Empfang organisiert. Über 200 Gäste kamen, um zu gratulieren. Es wurden Ansprachen gehalten. Der aus Rheinland-Pfalz stammende Musiker Gerhard Dell unterhielt die Gäste auf dem Flügel. Der Beginn des Kongresses hätte nicht harmonischer sein können.
"Nationale Industriestrategie"
Die Anfang Februar 2019 von Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) der Öffentlichkeit vorgestellte „Nationale Industriestrategie“ hat eine heftige Debatte über die Richtung der deutschen Wirtschaftspolitik ausgelöst. Umstritten sind insbesondere folgende Ziele und Maßnahmen:
• Die Bundesregierung will die deutsche Industrie vor dem chinesischen Expansionstreben „schützen“, soweit politische Interessen Deutschlands tangiert sind. Hierzu sollen das Außenhandelsgesetz verschärft und die Möglichkeit von Staatsbeteiligungen erweitert werden.
• Die Bundesregierung will auf nationaler und europäischer Ebene die Bildung von „nationalen Champions“ erleichtern, um die Unternehmen robuster und wettbewerbsfähiger zu machen. Dementsprechend sollen Zusammenschlüsse von Unternehmen durch eine Änderung des Wettbewerbsrechts erleichtert werden.
• Die Bundesregierung erwartet von der deutschen Industrie, dass sie den Rückstand bei „zukunftsfähigen Technologien“ wie der Elektromobilität, dem Internet und der Künstlichen Intelligenz durch zusätzliche Investitionen beseitigt. Die Bundesregierung will solche Investitionen mit Finanzhilfen und Beteiligungen fördern.
Mit seinen industriepolitischen Vorschlägen bekennt sich der Wirtschaftsminister offen zu einer Wirtschaftspolitik des Merkantilismus, bei der die Regierung steuernd in die wirtschaftlichen Prozesse eingreift, um politische Ziele zu erreichen. Auf die Soziale Marktwirtschaft im Sinne von Ludwig Erhard kann sich Altmaier nicht berufen, weil dessen Verständnis von Wirtschaftspolitik darin bestand, der Wirtschaft einen Ordnungsrahmen vorzugeben, in dem sie sich frei bewegen kann. Zudem war es für Erhard undenkbar, dass sich Politiker anmaßen „konkrete Technologien oder Unternehmen benennen zu können, die eine ´strategische´ Bedeutung für die Volkswirtschaft haben.“ So sieht es auch die Mehrheit im Sachverständigenrat.
Politisierte Naturwissenschaften
Jeder Besitzer eines Autos mit Dieselmotor wird die Zahl kennen: Auf den Straßen dürfen im Jahresmittel nicht mehr als 40 Mikrogramm Stickstoffdioxid (NOx) pro Kubikmeter Luft gemessen werden, ansonsten drohen Fahrverbote. Kaum bekannt ist jedoch, wie es zu diesem Wert kam und welche Politiker ihn festgesetzt haben. Gleichwohl ist er die Grundlage für viele Maßnahmen der Luftreinhaltung und steht in zahlreichen Gerichtsurteilen. Denn mit dem Grenzwert sollen Menschen vor Gesundheitsschäden geschützt werde.
Wenn politische Entscheidungen auf naturwissenschaftliche Erkenntnisse gestützt werden, sollten diese wissenschaftlichen Maßstäben standhalten. Es gibt aber gute Gründe für die Annahme, dass dies bei dem Grenzwert von 40 Mikrogramm Stickstoffdioxid (NOx) pro Kubikmeter Luft nicht der Fall ist.
Der Wutanfall der Kanzlerin
(2009)
In den folgenden Ausführungen berichte ich über meine Tätigkeit und politischen Erlebnisse im Jahr 2009.
Bankenrettung
Der Zusammenbruch von Banken als Folge der Finanzkrise kam für die Berliner Politik überraschend. Zeit für langes Nachdenken und kritische Debatten gab es nicht. Angela Merkel und ihr Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) mussten schnell und effektiv handeln. Die Krise war die Stunde der Exekutive, nicht der Legislative. Dies bedeutete aber nicht, dass ordnungspolitische Grundsätze bedenkenlos über Bord geworfen werden durften.
Da von der Finanzkrise vor allem südeuropäische Banken betroffen waren, stellte sich als erstes die Frage, ob auf europäischer Ebene ein gemeinsamer Bankenrettungsfonds organisiert werden sollte. Ein solcher Vorschlag stand bei dem Treffen der wichtigsten Staats- und Regierungschefs der Euro-Staaten am 4. Oktober 2008 in Paris auf der Tagesordnung. Der Vorschlag scheiterte aber am deutschen Widerspruch, weil Angela Merkel die Risiken zu groß erschienen. „Chacun sa merde“, soll Angela Merkel zur Begründung gesagt haben. Ein Vertreter der deutschen Delegation bestätigte diesen Sachverhalt später in folgender Version: „Ein jeder kehr´ vor seiner Tür, und rein ist jedes Stadtquartier.“
Als die deutsche Delegation aus Paris zurückkehrte, brannte in Berlin die Hütte lichterloh. Der Hypo Real Estate (HRE) drohte die Pleite, und beunruhigende Nachrichten gab es auch von anderen Banken. In aller Eile musste deshalb an einer „nationalen Rettung“ gearbeitet werden. Der Bankensektor sah sich nicht in der Lage, die notwendigen Mittel aufzubringen, um kollabierende Institute zu retten. „Leider gibt es ohne den Staat keine Lösung“, hatte Josef Ackermann, Chef der Deutschen Bank, der Bundesregierung mitgeteilt. Dies kam einer Kapitulation gleich, und der Staat war gefordert.
"Ein bürgerlicher Rebell"
(2008)
In den folgenden Ausführungen berichte ich über meine Tätigkeit und politischen Erlebnisse im Jahr 2008.
Cadenabbia Italien
Im Mai 2008 reiste der gesamte Bundesvorstand der MIT nach Cadenabbia, um in der ehemaligen Sommerresidenz von Konrad Adenauer die jährliche Klausurtagung abzuhalten. Die historische Villa La Collina und die moderne Accademia mit den Tagungsräumen gehören heute zur Konrad-Adenauer-Stiftung und liegen in einem großen Park an einer der schönsten Stellen des Comer Sees. Meine Frau und ich wohnten in der Villa La Collina, die Konrad Adenauer viele Jahre als Feriendomizil und als „Ersatzkanzleramt“ gedient hatten. Das Haus, das isoliert auf einem Hügel liegt, war wie zu Adenauers Zeiten eingerichtet. Sich in diesen Räumen aufhalten zu dürfen, war ein besonderes Erlebnis.
Auf der Klausurtagung wollten wir uns zur Mitte der Legislaturperiode mit der großen Koalition und der Strategie der MIT beschäftigen. Hierzu hatten wir ein Papier „Deutsche Parteienlandschaft im Umbruch“ vorbereitet, in dem die Lage der Union als äußerst kritisch beurteilt wurde:
„Zur Bundestagswahl 2005 war die Union mit einem beachtlichen Reformprogramm angetreten. Eckpunkte waren ein gerechtes Steuersystem, eine Reform der gesetzlichen Krankenversicherung, ein dereguliertes Arbeitsrecht und eine Reform der gesetzlichen Altersversorgung. Diese Eckpunkte wurden aber nicht umgesetzt. Stattdessen brachte die große Koalition in den vergangenen zweieinhalb Jahren die größte Steuererhöhung in der Geschichte der Bundesrepublik, die Einigung auf den planwirtschaftlichen Gesundheitsfonds, einen Systembruch in der Rentenpolitik und die Einführung von Mindestlöhnen. Dies führte zur Verunsicherung über den Kurs der Union und einem Bild der Beliebigkeit und mangelnder Glaubwürdigkeit.“
Sozialdemokratisierung der CDU
(2007)
In den folgenden Ausführungen berichte ich über meine Tätigkeit und politischen Erlebnisse im Jahr 2007.
EU-Ratspräsidentschaft
Vm 1. Januar 2007 übernahm Angela Merkel bis Mitte des Jahres 2007 die EU-Ratspräsidentschaft. Dazu hielt sie am 17. Januar 2007 eine vielbeachtete Rede vor dem Europäischen Parlament in Straßburg. Sie bekannte sich zu einem Europa, das sich auf die europäischen Kernaufgaben konzentriert, und versprach, den Abbau überflüssiger Bürokratieals eine ihrer Hauptaufgaben aufzugreifen. Außerdem wollte sie sich im Interesse der Wettbewerbsfähigkeit Europas für den Abbau von Handelsbarrieren etwa beim Patentrecht oder bei Industriestandards einsetzen.
Namens des MIT Bundesvorstandes dankte ich Angela Merkel für ihre visionäre Rede und bot ihr insbesondere bei dem Vorhaben „Better Regulation“ unsere Unterstützung an. Außerdem übersandte ich ihr den Beschluss des Bundesvorstandes vom 17. November 2006 zur Fortentwicklung von Europa mit folgenden Forderungen der MIT:
• Ein Schwerpunkt der deutschen EU-Ratspräsidentschaft sollte es sein, die Rahmenbedingungen für die Wettbewerbsfähigkeit des Mittelstandes zu verbessern. Ein weiteres Anliegen war der verbesserte Zugang mittelständischer Unternehmen zu Forschungsmitteln.
• Zudem forderten wir, das Gemeinschaftsrecht zu vereinfachen und überflüssige Regeln abzuschaffen. Hierzu schlugen wir die Schaffung eines Normenkontrollrates und eine regelmäßige Überprüfung anhängiger Regulierungsvorhaben vor.
• Außerdem forderten wir eine europäische Energiepolitik, um die Abhängigkeit von Energieimporten zu verringern. Diese sollte aus einem breiten Energiemix aus Erdöl, Stein- und Braunkohle, Gas und Flüssiggas sowie Kernenergie und erneuerbare Energien bestehen.
Hidden Agenda
(2006)
In den folgenden Ausführungen berichte ich über meine politische Tätigkeit und Erlebnisse im Jahr 2006.Schrittweise Kursänderung
Nach Bildung der großen Koalition stand die MIT vor einem grundsätzlichen Problem: Die Union stellte die Kanzlerin, aber die Ministerien für die Kernanliegen der MIT waren bei der SPD. Damit drängten sich zwei Fragen auf: War die große Koalition überhaupt willens und in der Lage, auf die politischen Forderungen der MIT einzugehen? Und wie sollten wir reagieren, wenn dies nicht der Fall war, womit ich rechnete?
Das Dilemma für Angela Merkel und den neuen Generalsekretär Ronald Pofalla war, dass die Leipziger Reformbeschlüsse und der mit der SPD abgeschlossene Koalitionsvertrag nicht zusammen passten. Als Kanzlerin der großen Koalition war Angela Merkel an den Koalitionsvertrag gebunden, der in weiten Teilen die Handschrift der SPD trug. Als Vorsitzende der CDU konnte sie aber die von ihr initiierten Leipziger Beschlüsse nicht einfach über Bord werfen, wenn sie glaubwürdig bleiben wollte. Was sollte sie also tun, um diesen Konflikt zu lösen?
Ihre Lösung bestand darin, alles im Ungefähren zu lassen und über die Widersprüche nicht zu sprechen. So konnte sie hoffen, dass die Leipziger Beschlüsse allmählich in Vergessenheit geraten würden. Zudem der Sozialflügel der Partei ein großes Interesse daran hatte, dieses „neoliberale“ Machwerk verschwinden zu lassen und durch mehr „soziales“ Profil zu ersetzen. In einer ähnlichen Lage befand sich die SPD, wo der linke Flügen gegen Schröders „neoliberale“ Agenda 2010 zu Felde zog.
Große Koalition 2005
In den folgenden Ausführungen berichte ich über die Wirtschaftspolitik im Jahr 2005.
Bundestagswahl 2005
Der September 2005 wird mir immer in Erinnerung bleiben.
Am 18. September fanden vorgezogene Wahlen zum Bundestag statt, die Angela Merkel den Weg ins Kanzleramt ebnen sollten. Gerhard Schröder war wegen der „Agenda 2010“ in seiner Partei unter Druck geraten und hatte die Vertrauensfrage gestellt. Nach Auflösung des Bundestages wurden Neuwahlen angesetzt.
Die demoskopische Ausgangslage für die Union war günstig: Eine große Mehrheit war mit Rot-Grün unzufrieden. Es gab eine klar ausgeprägte Wechselstimmung. Und in der Sonntagsfrage hatte die Union einen deutlichen Vorsprung. Angela Merkel führte anfangs sogar in der Kanzlerfrage.
.Leipziger Reformparteitag
(2001 - 2004)
Die Wirtschaftspolitik von Angela Merkel (CDU) habe ich als Landes- und Bundesvorsitzender der Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung der CDU/CSU (MIT) aus der Nähe verfolgen können. Darauf beruhen die nachfolgenden Berichte für die Jahre 2001 bis 2013.
Aufbruchszeit
Mit dem Bundesverband der MIT kam ich erstmals bei der Bundesdelegiertenversammlung am 26. und 27. Oktober 2001 in Weimar in Kontakt. Ich hatte kein Mandat, sondern vertrat dort den Landesverband der MIT Niedersachsen als dessen Vorsitzender.
Der Weimarer Kongress der MIT fand zu einer Zeit statt, als die CDU dabei war, sich personell und inhaltlich neu aufzustellen. Die Spendenaffäre um Helmut Kohl hatte die Partei tief erschüttert. Anfang 2000 fasste der CDU-Vorstand den Beschluss, den Ehrenvorsitz von Helmut Kohl „ruhen“ zu lassen. Wenige Wochen später wurde auch Wolfgang Schäuble (CDU) von der Affäre erfasst und trat als Partei- und Fraktionsvorsitzender zurück. Doch dann berappelte sich die Partei mit neuen Gesichtern: Am 29. Februar 2000 wurde Friedrich Merz zum Nachfolger Schäubles im Fraktionsvorsitz der CDU/CSU gewählt. Und sechs Wochen später wählten die Delegierten Angela Merkel auf dem CDU-Parteitag in Essen mit 96 Prozent der Stimmen zur neuen CDU-Vorsitzenden. Sie war damit die erste Frau in Deutschland an der Spitze einer Volkspartei.
Krise in Italien
In Italien droht möglicherweise die nächste Eurokrise. Die wirtschaftliche Lage Italiens ist seit Langem schlecht: Das Land ist hoch verschuldet, die Wirtschaft wächst nur schwach und in den Bilanzen vieler Banken schlummern massenweise faule Kredite. Auf den Finanzmärkten geht die Angst um, dass mit der neuen Regierung, die sich explizit nicht mehr an die Regeln der Eurozone halten will, womöglich die Unterstützung der Europäischen Zentralbank wegfällt. Die Furcht vor einem Staatsbankrott hat die Zinsen für italienische Staatsanleihen sprunghaft ansteigen lassen.
Italien ist nach Deutschland und Frankreich die drittgrößte Volkswirtschaft des Eurogebiets. Wie der jüngste Landesbericht der EU-Kommission zeigt, sind die strukturellen Defizite des Landes bedrohlich: unter anderem ein dramatischer Rückgang der Investitionen, hohe Arbeitslosigkeit, ein ständiger Rückgang der Produktivität, hohe öffentliche Schulden und ein angeschlagener Bankensektor mit einem hohen Anteil "fauler" Kredite. Italien hat seit der letzten Krise 2008 neun Prozent seiner Wirtschaftsleistung und 25 Prozent seiner Produktion verloren. Davon wurde bisher kaum etwas aufgeholt.
Merkels Abschied in Raten
Am 29. Oktober 2018, einem Montagmorgen, teilte Angela Merkel dem Präsidium und Bundesvorstand der CDU folgendes mit:
Erstens: Auf dem nächsten Bundesparteitag der CDU im Dezember in Hamburg werde ich nicht wieder für das Amt der Vorsitzenden der CDU Deutschland kandidieren.
Zweitens: Diese vierte Amtszeit ist meine letzte als Bundeskanzlerin der Bundesrepublik Deutschland. Bei der Bundestagswahl 2021 werde ich nicht wieder als Kanzlerkandidatin der Union antreten.
Drittens: Für den Rest der Legislaturperiode bin ich bereit, weiter als Bundeskanzlerin zu arbeiten.
Die Ankündigung von Merkel, nicht mehr für das Amt der Vorsitzenden der CDU kandidieren zu wollen, kam für die Präsidiums- und Vorstandsmitglieder überraschend. Nur ihrer Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer hatte sie kurz zuvor gesagt, dass sie nicht mehr für den Parteivorsitz kandidieren werde.
Der plötzlicher Rückzieher hatte einen Grund: Es gab konkrete Hinweis, dass Friedrich Merz (CDU) sich auf dem Parteitag der CDU mit Unterstützung von Wolfgang Schäuble für den Parteivorsitz bewerben wollte. Einem solchen Wettbewerb mit ihrem früheren Intimfeind wollte sich Merkel auf keinen Fall stellen.
Manipulierte Dieselgrenzwerte
Seit Verwaltungsgerichte landauf, landab auf Antrag der „Deutschen Umwelthilfe“ für ältere Diesel-Fahrzeuge Fahrverbote anordnen, rückt der Grenzwert für Stickstoffdioxit ("NO2“) verstärkt in den politischen Fokus. Für Empörung sorgte insbesondere die gerichtliche Anordnung einer Diesel-Verbotszone auf der Autobahn A 40 in Essen. Die Straße ist eine der meist befahrenen Autobahnen Deutschlands und wird in der Region auch als „Lebensader des Reviers“ bezeichnet.
Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) warnte in einem Interview: „Urteile wie diese gefährden die Mobilität von Hunderttausenden Bürgerinnen und Bürgern. Niemand versteht diese selbstzerstörerische Debatte.“ Das Urteil des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen bezeichnete er als „unverhältnismäßig“.
Deutschland kapituliert
In Fragen der Wirtschafts- und Finanzpolitik bestehen zwischen Deutschland einerseits und Frankreich sowie Italien andererseits nicht zu übersehende Unterschiede. Die Gründe dafür ergeben sich aus den jeweiligen Wirtschaftskulturen. Ludwig Erhard verstand unter Wirtschaftspolitik in erster Linie Ordnungspolitik, d.h. die Schaffung von geeigneten Rahmenbedingungen für die Wirtschaft. Der Grundsatz der Haftung spielt dabei eine zentrale Rolle. Demgegenüber standen der Staat und seine Gestaltungsmacht in Frankreich immer im Vordergrund der Wirtschaftspolitik. Wichtige Anliegen sind vor allem die Handlungsfähigkeit und Flexibilität einer starken Exekutive.
Aus solchen Unterschieden ergeben sich in der Geld- und Wirtschaftspolitik gegensätzliche Handlungsempfehlungen: Für die deutsche Notenbank war die Stabilität der Währung oberstes Gebot. Damit sollte Sparen und solides Haushalten belohnt werden. Demgegenüber sehen französische Politiker in der Währung ein Mittel, um Wachstum und Beschäftigung zu fördern. Schulden von Banken oder Staaten interpretieren sie eher als ein Liquiditätsproblem, das sich mit staatlicher Hilfe lösen lässt.
Die südlichen Länder in Europa folgen weitgehend der französischen Denkweise, während der Norden eher den deutschen Positionen zuneigt. Mehr und mehr hat sich aber in den europäischen Institutionen die französische Sichtweise durchgesetzt, weil die Bundesregierung in der Währungsunion ständig Zugeständnisse machte und gegenüber den südeuropäischen Ländern kapitulierte. Der Deutsche Bundestag leistete dagegen kaum Widerstand, weil man die Bundeskanzlerin nicht brüskieren wollte.
Die Warnung der Autoindustrie
Während Angela Merkel in Berlin mit der Bildung einer Jamaika-Koalition beschäftigt war, sah die deutsche Automobilindustrie mit großer Sorge den neuen CO2-Auflagen entgegen, welche die EU-Kommission Anfang November 2017 präsentieren wollte. Es ging um die Frage, wie stark die zulässigen Kohlendioxidgrenzwerte für neu zugelassene Fahrzeuge in Europa bis zum Jahr 2030 gesenkt werden sollen. Die Industrie befürchtete, dass die Kommission nach dem Dieselskandal künftig sehr viel strengere Umweltmaßstäbe anlegen würde. Es war bereits die Rede vom Schicksalstag der europäischen Automobilindustrie.
Hinter den Kulissen wurde intensiv verhandelt und gefeilscht. Die deutschen Autobauer hatten die Hoffnung, eine drohende 40-Prozentgrenze verhindern zu können. Mit der Unterstützung der Bundeskanzlerin konnten sie diesmal nicht rechnen, obwohl sie Merkels Hilfe dringender denn je brauchten. Stattdessen appellierte Sigmar Gabriel (SPD) an Brüssel, die Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit der Branche nicht zu überfordern. Auch EU-Haushaltskommissar Günther Oettinger sprang für die Hersteller in die Bresche. Er warnte vor Planwirtschaft und unrealistischen Klimazielen: „Einige Politiker sind zu blauäugig und glauben, die Autoindustrie schafft jede Vorgabe.“
Der Target2-Skandal
Der Target2-Skandal besteht darin, dass die Target2-Forderungen der Bundesbank gegen die Europäische Zentralbank (EZB), die per Ende Juni 2018 auf den Rekordwert von 976 Milliarden Euro geklettert sind, faktisch uneinbringlich sind. In dem für Target2 geltenden Regelwerk ist festgelegt, dass Target2-Forderungen weder fällig gestellt werden können noch zu besichern sind. Umgekehrt sind Target2-Verbindlichkeiten zu keinem Zeitpunkt auszugleichen. Die derzeit gültige Regelung stammt aus dem Jahr 2007, als Axel A. Weber Präsident der Deutschen Bundesbank war.
In seiner Wirkung kommt das Target-System damit einem Kontokorrentverhältnis gleich, aus dem sich die europäischen Schuldnerländer jederzeit in unbegrenzter Höhe zu einem derzeitigen Zinssatz von 0,0 Prozent finanzieren können. Davon machen vor allem Italien und Spanien Gebrauch, wie an den Target-Verbindlichkeiten dieser Länder zu erkennen ist. Die Verbindlichkeiten von Italien belaufen sich inzwischen auf 481 Milliarden Euro und die von Spanien auf 398 Milliarden Euro.
Die wachsenden Target-Salden bringen die EZB in Erklärungsnot. Ihr Präsident Mario Draghi weicht Fragen zur Tilgung oder Besicherung der Salden aus. Frühere EZB-Mitarbeiter wie der DIW-Präsident Marcel Fratzscher und der Ökonom Martin Hellwig verteidigen sich mit dem Argument, es handele sich doch nur um belanglose Salden.
Britischer EU-Austritt
Mehr als zwei Jahre nachdem die Briten für den Austritt aus der EU gestimmt haben, hat Premierministerin Theresa May zum ersten Mal einen detaillierten Plan vorgelegt, wie sie sich die künftigen Beziehungen zur EU vorstellt.
Der Plan der Regierung in London ist hoch umstritten. Außenminister Boris Johnson, Befürworter eines harten Brexit, ist aus Protest zurückgetreten. Der amerikanische Präsident Donald Trump droht damit, auf ein Handelsabkommen mit Großbritannien zu verzichten, wenn May ihren Plan weiter verfolgt.
Zudem sind die vorgeschlagenen Zollregeln sehr kompliziert. Klarer Verlierer ist die Finanzbranche in Großbritannien. Ob der Finanzplatz Deutschland davon profitiert, ist angesichts französischer Akquisitionsbemühungen keineswegs sicher.
Die Kohlekommission
Nach dem jüngsten Klimaschutzbericht der Bundesregierung wird Deutschland seine Ziele zu Senkung der Kohlendioxidemissionen deutlich verfehlen. Im Jahr 2020 wird der Ausstoß an Treibhausgasen nur um 32 Prozent unter dem Niveau von 1990 liegen, statt wie geplant um 40 Prozent.
Die tatsächlichen Effekte der deutschen Klimapolitik sind noch erheblich geringer: Denn der Löwenanteil des Rückgangs beruht auf dem Zusammenbruch der DDR-Wirtschaft nach der deutschen Einheit. Die DDR deckte zwei Drittel ihres gesamten Energiebedarfs mit Braunkohle. Zudem werden die Klimagewinne aus dem Ausbau der erneuerbaren Energien durch den Ausstieg aus der Kernenergie weitgehend konterkariert. Auch in den Sektoren des Energieverbrauchs jenseits der Stromerzeugung, wie Verkehr oder Gebäude, sind praktisch keine Fortschritte zu verzeichnen.
Die Energiewende der Bundesregierung ist bisher alles andere als ein Erfolg. Aus diesem Grund hat die Bundesregierung eine Kohlekommission eingerichtet, um der Politik einen Ausweg aus der Sackgasse aufzuzeigen.
Ende der EZB-Anleihekäufe
Ist nach Jahren ein Ende der ultralockeren Geldpolitik in Sicht?
In erstaunlicher Deutlichkeit hat EZB-Präsident Mario angekündigt, was der Rat der Europäischen Zentralbank in Zukunft zu tun gedenkt:
Trotz gestiegener wirtschaftlicher und politischer Risiken wird die EZB das billionenschwere Anleihekaufprogramm beenden. Ab Oktober werden die derzeitigen EZB-Käufe von monatlich 30 Milliarden Euro auf 15 Milliarden Euro verringert. Ende Dezember sollen die Zukäufe auf null sinken.
Diese Entscheidung habe der EZB-Rat einstimmig getroffen, sagte Draghi nach der Sitzung des Zentralbankrates am 14. Juni 2018 in Riga. Die EZB werde allerdings den Bestand von dann rund 2,6 Billionen Euro durch Reinvestitionen auslaufender Papieren aufrecht erhalten. „Das Wertpapierkaufprogramm bleibt bestehen“, betonte Draghi. Es werde auch künftig als „normales Instrument“ für eventuelle Fälle einsatzbereit sein.
Die Leitzinsen werden nach dem Beschluss bis mindestens „den Sommer 2019 hindurch“ auf dem derzeitigen niedrigen Niveau bleiben, kündigte Draghi an. Ob während des Sommers 2019 oder erst danach eine erste Zinsanhebung denkbar sei, wollte er nicht präzisieren. Doch danach könnten die Zinsen steigen. Draghis Amtszeit läuft im Oktober 2019 ab.
"Tit for Tat"
Wer wird den Handelskrieg zwischen den USA und Deutschland gewinnen?
Der ehemalige griechische Finanzminister Yanis Varoufakis sagte der WELT am Rande eines Vortrags am Münchener Ifo-Institut: „Europa hat den Handelskrieg schon verloren, es gibt nichts, was Deutschland oder Europa tun können, um ihn zu gewinnen.“ Er begründete diese Aussage damit, dass Europa mehr Güter in die USA exportiere als umgekehrt und deshalb einen Außenhandelsüberschuss habe. Damit habe die EU bei einer Auseinandersetzung mit Strafzöllen und Gegenmaßnahmen immer mehr zu verlieren.
Widerspruch kam vom Leiter des Ifo-Instituts Clemens Fuest, der die Einschätzung von Varoufakis, dass die USA den Handelskonflikt gegen Europa nur gewinnen könnte, nicht teilen wollte. „Es gibt keinen Leistungsbilanzüberschuss der Europäer gegenüber den US-Amerikanern“, sagte Fuest. Wer das behaupte, berücksichtige nur den Güterhandel, vergesse aber die Dienstleistungen und die Gewinne amerikanischer Tochterunternehmen in Europa. „Wenn Trump glaubt, dass er in der besseren Position ist, irrt er“, sagte Fuest.
Abschied von der Energiewende
Peter Altmaier (CDU) verfügt über das Talent, gelegentlich Unbotmäßiges über die Energiewende zu sagen, ohne sie grundsätzlich in Frage zu stellen. Schon als Umweltminister hat er die Ökoszene gegen sich mit seiner Forderung nach einer „Strompreis-Bremse“ und der Warnung vor „Billionen-Kosten“ aufgebracht. „Sie dürfen die Leute nicht mit Horrorzahlen auf die Bäume jagen“, musste er sich von Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann sagen lassen.
Entsprechend groß war die Spannung, als Altmaier Mitte April 2018 vor der internationalen Energiewende-Konferenz in Berlin eine energiepolitische Grundsatzrede zu halten hatte, diesmal als Bundeswirtschaftsminister. Insgesamt waren mehr als 2000 Botschafter, Politiker, Manager und Klimaaktivisten aus 90 Ländern zum „Berlin Energy Transition Dialogue“ zusammengekommen.
Spalterische EU-Reformen
Die Debatte um die Reform der Europäischen Union (EU) geht in die entscheidende Runde. Ende Juni 2018 kommen die europäischen Staats- und Regierungschefs zusammen, um über die verschiedenen Vorschläge zu beraten. Der französische Präsident Emmanuel Macron, der im Herbst 2017 in seiner Sorbonne-Rede zu dieser Debatte aufgefordert hat, ist ungeduldig. In direkter Ansprache zur Bundeskanzlerin sagte er Anfang Mai bei der Verleihung des Karlspreises in Aachen: „Ich warte auf eine deutsche Antwort. Lassen Sie uns endlich handeln“.
Nur wenig später kam die Antwort von 154 deutschen Wirtschaftsprofessoren in Form eines in der FAZ vom 22. Mai 2018 erschienenen öffentlichen Aufrufs: „Wir - 154 Wirtschaftsprofessoren – warnen davor, die europäische Währungs- und Bankenunion noch weiter zu einer Haftungsunion auszubauen. Die in der Berliner Koalitionsvereinbarung erwähnten Vorschläge des französischen Präsidenten Macron und des EU-Kommissionschefs Juncker bergen hohe Risiken für den europäischen Bürger.“
Der Aufruf wirft ein Schlaglicht darauf, wie problematisch und umstritten die aus Brüssel und Paris stammenden Reformvorschläge sind. Die 154 Ökonomen kritisieren in erster Linie, dass die Vorschläge allesamt das Haftungsprinzip innerhalb der Eurozone weiter schwächen, wodurch Anreize für wirtschaftliches Fehlverhalten (moral hazard) entstehen und die Interessengegensätze innerhalb der Eurozone noch stärker werden. Den Vorwurf aus Brüssel, die deutsche Seite sage zu jedem Reformvorschlag nur „nein“, kontern die 154 Ökonomen mit konkreten Gegenvorschlägen.
Die verdruckste Migrationsdebatte
Nach der Wiedervereinigung war Deutschland zweimal das Ziel großer Ströme von Flüchtlingen: In den neunziger Jahren kamen Jugoslawen nach Deutschland, weil sie dem Bürgerkrieg in Jugoslawien entfliehen wollten oder für sich eine bessere Zukunft erhofften. Sie kamen in so hoher Zahl, dass sogar geeignete öffentliche Gebäude zu Flüchtlingsheimen umfunktioniert wurden. Damals wurde der Asylartikel 16 des Grundgesetzes durch restriktive Bestimmungen (Art. 16a) geändert. Mit dem Ende des Bürgerkrieges kehrten viele nach Jugoslawien zurück.
Dann kam es 2014 infolge des Bürgerkrieges in Syrien wieder zu einer anschwellenden Migrationswelle, vorwiegend aus den islamischen Ländern Syrien, Afghanistan und Nordafrika. 2015/2016 erreichte diese Massenzuwanderung über die Balkanroute und das Mittelmeer ihren Höhepunkt. Bedenken dagegen waren in der Öffentlichkeit zunächst nicht zu hören. Auch im Bundestag wurde darüber nicht geredet. Die praktizierte „Willkommenskultur“ wurde von der Bundeskanzlerin ins Leben gerufen („Unser Asylrecht kennt keine Obergrenze“ oder „Wir können die Grenzen nicht schließen“ oder „Wir schaffen das!“).
Das sahen allerdings nicht alle in Deutschland so. In Dresden entstand die „Pegida“ („Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“) als Widerstandsbewegung. Außerdem nahm sich die „AfD“ („Alternative für Deutschland“), die ursprünglich als eine Professorenpartei gegen den Euro gegründet worden war, des Themas der Migration an. Als Gegnerin der regierungsamtlichen Einwanderungspolitik zog sie zunächst in verschiedene Landtage ein. Seit September 2017 sitzt sie als stärkste Oppositionspartei auch im Deutschen Bundestag.
Die Entfremdung von Politik und Wirtschaft
Es ist paradox: Einerseits steht die deutsche Wirtschaft voll im Saft. Das Land nähert sich der Vollbeschäftigung, auf dem Arbeitsmarkt sind kaum Fachkräfte zu finden. Die Maschinen laufen bis ans Limit.
Andererseits kritisiert die Wirtschaft die neue Bundesregierung massiv. Wirtschaftsverbände und Experten übertreffen sich insbesondere gegenseitig mit vernichtenden Bewertungen des Koalitionsvertrages. „Eine klare Schieflage in Richtung Umverteilung anstatt Zukunftssicherung“, bemängelt BDI-Chef Dieter Kempf.
Wie erklärt sich dieser Widerspruch? Zugespitzt: Sind Wirtschaft und Politik Partner oder Gegner? Dazu einige Überlegungen:
Koalitionsverhandlungen 2018
Als Martin Schulz (SPD) am 7. Februar 2018 vor die Presse in Berlin trat, sprach er davon, dass der Koalitionsvertrag „in einem großen Maß sozialdemokratische Handschrift“ trägt. Diese Aussage war zureffend, wie eine Auswertung des unabhängigen Karlsruher Unternehmens „Thingsthinking“ inzwischen ergeben hat. Rund 70 Prozent im Koalitionspapier gehen auf das Parteiprogramm der SPD zurück. Nur 30 Prozent können der Union zugerechnet werden.
Nicht nur, dass die Sozialdemokraten viele ihrer Forderungen im Koalitionsvertrag durchsetzen konnten. Sie sicherten sich zudem drei wichtige Schlüsselministerien: neben dem Ministerium für Arbeit und Soziales auch das Außenministerium und das Finanzministerium. Die CSU erhält das wichtige Innenministerium. Für die CDU bleiben nur vergleichsweise unbedeutende Ressorts übrig: das Wirtschaftsministerium, das bei kaum einem Gesetz federführend ist; das Verteidigungsministerium, das mit vielen Problemen zu kämpfen hat; daneben ein paar Ministerien, die der frühere Bundeskanzler Gerhard Schröder als „Gedöns“ bezeichnet hat.
Das Ergebnis der Koalitionsverhandlungen ist deshalb in CDU-Kreisen auf Unverständnis und Proteste gestoßen
Aktuelle Sondierungsergebnisse
Bei den Sondierungsgespräche von CDU, CSU und SPD einigten sich die Verhandlungspartner auf ein 28-seitiges Papier, das der Öffentlichkeit am 12. Januar 2018 vorgestellt wurde. Bevor formelle Koalitionsverhandlungen aufgenommen werden können, müssen die Gremien der beteiligten Parteien das Papier genehmigen.
Die Ergebnisse der Sondierung lassen bereits erkennen, wie die zukünftige Politik der nächsten (nur noch kleinen) großen Koalition aussehen wird, wenn es zur Regierungsbildung kommt:
In der Europapolitik wird die Bundesregierung auf Treiben Frankreichs, der EU-Kommission und der SPD weitere Schritte in Richtung Transferunion gehen. In der Energiepolitik wird man zwar nach neuen Wegen suchen, aber schließlich wieder bei planwirtschaftlichen Maßnahmen landen. Denn solange Angela Merkel Kanzlerin ist, wird man an den unrealistiechen Klimazielen festhalten. In der Asylpolitik wird die Regierung versuchen, den Zuzug von Asylanten auf 200.000 Personen zu begrenzen.
In der Sozialpolitik werden beide Parteien versuchen, mit gezielten Wohltaten Wähler zurückzugewinnen. Die Finanzierung der zusätzlichen Leistungen erfolgt kurzfristig aus den Rücklagen und langfristig aus höheren Beiträgen und Steuern. Eine Unternehmenssteuerreform zur Verbesserung der wirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit wird es nicht geben. Von einer Aufhebung des Solidaritätszuschlag werden nur kleine und mittlere Einkommensbezieher profitieren.
Die Union - eine Partei mit Zukunft ?!
Die Bundestagswahl im September 2017 löste einen politischen Erdrutsch aus.
Die Union (CDU/CSU) verlor knapp neun Prozentpunkte im Vergleich zur letzten Wahl und kam nur auf rund 33 Prozent der Stimmen. Damit fuhr sie ihr zweitschlechtestes Ergebnis seit 1949 ein. Der SPD erging es nicht viel besser. Sie verlor rund 5 Prozentpunkte und erzielte nur noch 20,5 Prozent der Stimmen. Wenn Union und SPD demnächst eine neue Regierung bilden, werden sie also nur noch 53,5 aller abgegeben Stimmen repräsentieren. Dies wäre eine große Koalition der Verlierer.
AfD und FDP waren die Gewinner der Bundestagswahl 2017: Nachdem die AfD im Jahre 2013 knapp die Fünf-Prozent-Hürde verpasst hatte, wurde sie nun mit fast 13 Prozent der Zweitstimmen drittstärkste Kraft. Der FDP gelang es, mit fast 11 Prozent (+6,0 Punkte) als viertstärkste Partei in den Bundestag einzuziehen.
Was bedeutet dieses Wahlergebnis für die Union? Welche Fehler sind gemacht worden? Und was muss die Union tun, um stärkste politische Kraft zu bleiben? Darum geht es in diesem Artikel!