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Merkels Regierungszeit : Das Führungsdilemma der CDU
29.11.2019 14:48 (1645 x gelesen)

Das Führungsdilemma der CDU

Der Parteitag in Leipzig

Auf dem Leipziger Parteitag der CDU Ende November 2019 erlebten die Delegierten eine Angela Merkel, die eigentlich nichts mehr zu tun hatte. Nachdem sie ihr Grußwort gehalten hatte, saß sie auf dem Podium, meldete sich aber nicht mehr zu Wort. Sie wirkte, als ob sie das eigentlich alles nichts mehr anging.

Auch in den Reden der Delegierten auf dem Parteitag kam Angela Merkel kaum noch vor. Auffällig im Vergleich zu früheren Parteitagen war, wie spärlich das Lob der Delegierten für ihre langjährige Vorsitzende war. Es gab sogar kritische Äußerungen über ihre Art, die Dinge nüchtern und ohne eine Vision anzugehen.

Die jetzige CDU-Vorsitzende Kramp-Karrenbauer vermied zwar die  Konfrontation, sie machte aber immer wieder deutlich, was ihr an der Regierungspolitik nicht gefällt. Es war insbesondere die Sozialpolitik der vergangenen Merkel-Jahre, die sie infrage stellte. So kündigte Kramp-Karrenbauer an, die in der Ära Merkel stark angestiegenen Sozialleistungen auf den Prüfstand stellen zu wollen. „Der Sozialstaat kann nicht davon leben, dass wir immer mehr in ihn hineinschütten.“

Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus war es dann, der das Führungsdefizit in der CDU thematisierte, allerdings ohne Merkel direkt zu kritisieren. „Wir müssen den Anspruch haben als Union, den Anspruch als Bundesregierung, dieses Land auch zu führen. Zu führen heißt erst mal, die richtigen Themen zu setzen, das sind Zukunftsthemen“, sagte er. Nach dem Parteitag müsse man die Entscheidung treffen, wie man die nächsten eineinhalb Jahre gestalten wolle. „Die möchte ich nicht damit gestalten, noch mehr umzuverteilen.“ Zukunftsfest müsse man das Land machen, nach vorne denken. Die CDU habe immer eine große Erzählung gehabt, eine solche müsse man wieder entwickeln.

Gesundheitsminister Jens Spahn ging  noch einen Schritt weiter: Er lobte zwar die Leistung von Merkel, fügte aber hinzu: „Nun ist die Zeit für einen Aufbruch da. Unsere Partei muss wieder einmal laufen lernen.“ Dies war ein ziemlicher Affront, weil er damit auf den Beitrag in der FAZ Bezug nahm, mit dem Merkel den Rücktritt von Helmut Kohl eingefordert hatte. „Die Partei muss also laufen lernen, muss sich zutrauen, in Zukunft ohne ihr altes Schlachtross, wie Helmut Kohl sich oft selbst gerne genannt hat, den Kampf mit dem politischen Gegner aufzunehmen.“ Jetzt ist Merkel selbst das alte Schlachtross, was Jens Spahn unmissverständlich zum Ausdruck brachte.

Die Vertrauensfrage

Im Vorfeld des Parteitages hatte es erhebliche Unruhe gegeben. Der CDU-Bundestagsabgeordnete Armin Schuster hatte erklärt: „Meine Hoffnung war, das Doppel Kramp-Karrenbauer mit Merkel  würde uns als Partei stark nach vorne bringen.“ Dies habe jedoch „gar nicht funktioniert“.  Auch die baden-württembergische Kultusministerin Susanne Eisenmann klagte im „Spiegel“: „Die Handschrift der CDU ist nicht klar erkennbar. Da muss mehr Führung und Linie rein.“ Dazu konnte Friedrich Merz natürlich nicht schweigen: Er bezeichnete das Erscheinungsbild der Bundesregierung als „grottenschlecht“ und machte dafür vor allem Merkel verantwortlich.

In der CDU gab es nicht wenige, die die Führungsfrage in der CDU möglichst schnell geklärt wissen wollten. Die Junge Union forderte eine Urwahl des CDU-Kandidaten  für die Kanzlerschaft und kündigte dazu einen Antrag auf dem Parteitag an. Dies war ein direkter Angriff auf  Kramp-Karrenbauer, die als Parteichefin den ersten Zugriff auf die Kandidatur für sich beanspruchte.

Die Parteichefin konterte damit, dass sie den Parteitag in Leipzig zum „Arbeitsparteitag“ der CDU erklärte. „Es geht um die Sache, nicht um Personen“, lautete ihre Mahnung. Sie wollte damit Zeit gewinnen. Es war dann aber Kramp-Karrenbauer selbst, die überraschend die Vertrauensfrage stellte. Wenn die Partei nicht bereit sei, ihren Weg mitzugehen, solle sie das jetzt entscheiden, verlangte sie: „Dann lasst es uns heute aussprechen, dann lasst es uns heute auch beenden, hier und jetzt und heute.“

Die CDU-Chefin setzte damit alles auf eine Karte – und kam damit durch. Die aufgeschreckten Delegierten standen auf und klatschten minutenlang. Damit war schon vor dem Auftritt von Friedrich Merz klar, dass auf diesem Parteitag niemand mehr erfolgreich die Führungsfrage stellen konnte.

Merz reihte sich deshalb ein und leistete den Treueid: „Wir sind loyal zu unserer Vorsitzenden, zu unserer  Parteiführung und zur Bundesregierung“, sagte er in seiner Rede – und löste damit bei einigen Delegierten Gelächter aus. Es war noch keinen Monat her, dass Merz die Arbeit der Bundesregierung öffentlich als „grottenschlecht“ verurteilt hatte.

Mit ihrem Auftritt konnte sich Kramp-Karrenbauer zwar auf dem Parteitag  gegen ihre Kritiker durchsetzen. Die Zweifel an ihr sind dadurch aber nicht geringer  geworden. Auch nach dem Parteitag sehnt sich kaum einer in der CDU danach, mit ihr als Kanzlerkandidatin in den Wahlkampf zu ziehen. Die  Führungsfrage innerhalb der CDU bleibt deshalb eine offene Wunde.

Die Kanzlerpartei

Die CDU als Kanzlerpartei weiß aus Erfahrung, dass ein Programm noch so gut sein kann, aber keine Überzeugungskraft entfaltet, wenn es nicht von den richtigen Personen unters Volk gebracht wird. Vom Leipziger Parteitag ging aber weder das Eine noch das Andere aus: weder Aufbruchstimmung in der Sache noch die Selbstgewissheit, die richtigen Personen seien am richtigen Platz (Jasper von Altenbockum in FAZ vom 25. November 2019).

Auf nahezu allen Politikfeldern hätte es in Leipzig Gelegenheit zu einer offensiven Antwort gegeben: In der Klimapolitik, in der Rentenpolitik, in der Sozialpolitik, in der Digitalpolitik und in der Wirtschaftspolitik. Überall gibt es längst Beschlüsse und Ansätze, die zur Profilierung der Partei taugen. Aber kein Programmpunkt wurde so selbstbewusst und offensiv vorgetragen, dass von Leipzig der Ruf nach einer Wiederbelebung der Volkspartei ausgehen konnte. 

Der Grund liegt nahe: Allzu selbstbewusst und offensiv hieße ja, sich von der Regierungspolitik und der Ära Merkel ein ums andere  Mal zu distanzieren.  Dieses Dilemma hat Kramp-Karrenbauer in ihrer Rede selbst benannt, als sie den Delegierten die rhetorische Frage stellte: Will die Partei denn ernsthaft im Bundestagswahlkampf um Vertrauen werben, indem sie die Ära Merkel schlecht redet? Für das zu erwartende „Nein“ erntete Kramp-Karrenbauer stürmischen Applaus.

Das Dilemma lässt sich über eine noch so gute Programmatik nicht auflösen. Was soll in der Werkstatt, die Kramp-Karrenbauer jetzt eröffnet hat, denn  anderes entstehen als die bekannten Werkstücke, die durch übergroße Kompromisse mit der SPD bis zur Unkenntlichkeit zurecht geschliffen wurden. Zur Profilierung der Partei und zur Wiedererweckung der CDU als Volkspartei taugen sie deshalb nicht mehr.

Der Ausweg können nur Personen sein. Markus Söder, der CSU-Vorsitzende, machte es in Leipzig vor:  Mit ein paar Kernbotschaften – der Feind steht rechts, der Gegner sind die Grünen, die SPD verdient unser Mitleid – hatte er den Saal auf seiner Seite. Er erinnerte die CDU auch daran, dass sie keine Programmpartei ist, sondern immer ein Kanzlerwahlverein war, der regieren wollte.

Demgegenüber präsentiert sich die CDU derzeit als eine Partei mit einer gespaltenen Führung: Mit einer Parteivorsitzenden, die sich auf das Programmatische stützen muss, weil sie nicht Kanzlerin ist; und mit einer Kanzlerin, die das Programmatische für überflüssig hält, weil es ihr nur ums Regieren geht.  Mit einer solchen  Konstellation kann der notwendige Aufbruch nicht gelingen.


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