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Politische Reden : Leserbriefe
21.05.2019 21:48 (1537 x gelesen)

Leserbriefe

Leserbrief zum Verbraucherschutz (2014)

Der in der FAZ vom 9. Mai 2014 in gekürzter Fassung veröffentlichte Vortrag von Hans Jürgen Papier zum Verbraucherschutz zeigt in erschreckender Deutlichkeit, wie es um die Rechts- und Ordnungspolitik in Deutschland bestellt ist. Der neuerdings beim Bundesjustizministerium angesiedelte Verbraucherschutz hat sich zu einem in der Politik äußerst beliebten und wachsenden Betätigungsfeld entwickelt. Die Kompetenz dazu erklärt Hans-Jürgen Papier u.a. mit dem „deutschen Verfassungsverständnis“, d.h. der „Allzuständigkeit“  des Staates.  Wörtlich: „Danach gibt es keinen geschlossenen Kanon staatlicher Aufgaben; prinzipiell alle gesellschaftlichen Bereiche stehen dem Aufgabenzugriff des Gesetzgebers offen. Dieser Ausgangspunkt scheint mir nicht überholt zu sein. Eine strikte Grenzziehung zwischen staatlichen Aufgaben einerseits und gesellschaftlichen Aufgaben andererseits ist weder praktikabel noch überhaupt wünschenswert. Dem Staat und seinen demokratisch legitimierten Organen muss es möglich sein, flexibel und nach wechselnden politischen Erkenntnissen und Zweckmäßigkeiten gesellschaftsgestaltend tätig zu werden.“

Ein so formuliertes Verfassungsverständnis mag der heutigen politischen Praxis entsprechen, widerspricht aber fundamental dem liberalen Staatsverständnisses des Grundgesetzes vom 23. Mai 1949, dem es vor allem um die Sicherung der Freiheit geht. Im Mittelpunkt des Grundgesetzes stehen die individuellen Grundrechte, bei denen es sich um Abwehrrechte handelt, d.h. um einklagbare Ansprüche der Bürger zur Abwehr staatlicher Willkür und Bevormundung. Sie sind die Antwort des Verfassungsgebers auf die leidvollen Erfahrungen mit einem totalitären Staat, der sich die Bürger und die Gesellschaft untertan gemacht hatte. Die strikte Trennung zwischen staatlichen und gesellschaftlichen Aufgaben ist deshalb keine gedankliche Marotte, sondern dient der individuellen und gesellschaftlichen Freiheitssicherung. Ebenso wenig will das Grundgesetz den demokratisch legitimierten Organen  ermöglichen, flexibel und nach politischen Zweckmäßigkeiten „gesellschaftsgestaltend“ tätig zu sein. Um einer solchen „Tyrannei der Mehrheit“ (Alexis de Tocqueville) vorzubeugen, schrieb der Verfassungsgeber vielmehr das Rechtsstaatsgebot und die Gewaltenteilung in die Verfassung.

Ein Verfassungsverständnis, wie es von Hans-Jürgen Papier formuliert wird, ist im Übrigen gar nicht notwendig, um die Legitimität des Verbraucherschutzes zu begründen: Neben den individuellen Grundrechten enthält das Grundgesetz auch Staatszielbestimmungen,  wie z.B. das Sozialstaatsprinzip, die den lenkenden und gestaltenden Staat ermöglichen. Daraus können sich insbesondere Schutzpflichten des Staates zugunsten von Menschen ergeben, die im wirtschaftlichen Leben als die „Schwächeren“ gelten. Der Verbraucherschutz unterstellt generell eine solche Unterlegenheit der Verbraucher gegenüber den Produzenten und Vertreibern von Waren und Dienstleistungen. Damit handelt es sich beim Verbraucherschutz im Grundsatz um eine notwendige und legitime Staatsaufgabe, bei deren Wahrnehmung  der Verbraucherschutz gegen das Grundrecht der Berufs- und Gewerbefreiheit sowie die Eigentumsgarantie abzuwägen ist.

 Eines „allmächtigen“ Staates bedarf es zur Legitimation des Verbraucherschutzes  also gar nicht.  Schon Johann Wolfgang von Goethe wußte: „Die ich rief, die Geister, Werd´ ich nun nicht los.“


Leserbrief zum Strommarktgesetz (2015)

In der FAZ vom 5. November 2015 kritisiert Andreas Mihm Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel, der das von ihm eingebrachte Strommarktgesetz als die „größte Reform des Strommarktes seit der Liberalisierung in den neunziger Jahren“ lobt und meint, das Gesetz „schaffe einen konsequent marktwirtschaftlichen Ordnungsrahmen für den Strommarkt der Zukunft“. Diese Kritik verdient Zustimmung. Es muss aber irritieren, wenn Andreas Mihm gleichzeitig schreibt, dass es sich dabei um eine Reform handelt, „deren marktwirtschaftlichen Gedanken er (Gabriel) mit einigem Recht preist“ und dass der  „schmale Grat“, auf dem sich die Regierung bewegt, „es wert (ist),  auf Gangbarkeit ausgelotet zu werden“. Denn das geplante Strommarktgesetz ist kein Beitrag zu mehr Marktwirtschaft, sondern - im Gegensatz - ein weiterer Baustein, um den Energiemarkt in die Planwirtschaft zu führen.

Mit der Liberalisierung des Strommarktes, die von der Kohl- Regierung im Jahr 1998 auf den Weg gebracht wurde, ist das jetzige Gesetzesvorhaben in keiner Weise zu vergleichen.  Ziel der damaligen Liberalisierung war es, den Markt auf allen Wertschöpfungsstufen durch Entflechtung vertikal integrierter Energieunternehmen für neue Anbieter zu öffnen. Die Verbraucher konnten plötzlich zwischen mehreren Versorgern und unterschiedlichen Tarifen wählen. Die Strombörse wurde eingerichtet. Im Ergebnis wandelte sich der Strommarkt vom Angebots- zum Nachfragemarkt, und das wirkte sich dämpfend auf die Kosten der Erzeugung und den Strompreis aus.

Demgegenüber schafft das beabsichtige Strommarktgesetz neue Subventionstöpfe und mehr Regulierung. Es soll außerhalb des Strommarktes eine subventionierte Kapazitätsreserve eingerichtet werden, die bei Engpässen auf dem Markt zum Einsatz kommen soll. Außerdem werden Braunkohlekraftwerke in eine „Klimareserve“ überführt, um gegen Entschädigung schrittweise stillgelegt zu werden. Zudem werden die Regelungen zur kostenpflichtigen Netzreserve zeitlich verlängert, um Netzengpässe überbrücken zu können. Die mit diesen Maßnahmen verbundenen Kosten zahlt der Verbraucher als zusätzliches Netzentgelt mit der Stromrechnung.

Die Regierung verspricht zwar, in die Preisbildung nicht eingreifen zu wollen; sie macht es aber bereits massiv dadurch, dass sie den Ökostrom mit einem Einspeisevorrang und garantierten Vergütungen privilegiert. Durch das neue Strommarktgesetz wird sich daran nichts ändern. Außerdem sollen die Versorgungsunternehmen verpflichtet werden, ihre Nachfrage und das Angebot genauer aufeinander abzustimmen. Sonst drohen Strafzahlungen. Auch solche Regulierungen gehören nicht in einen „konsequent marktwirtschaftlichen Ordnungsrahmen“.

Andreas Mihm schrieb in der FAZ vom 6. Juni 2011 zur Energiewende: „Die Wende ist der Abschied von der Ende der neunziger Jahre begonnenen Liberalisierung des Strommarktes. Sie ist ein politisches Projekt, das den Energiemarkt in die Planwirtschaft führt.“ Diese Feststellung ist heute so richtig wie damals. Das geplante Strommarktgesetz ist nicht die Umkehr in Richtung Marktwirtschaft, sondern eine weitere Umdrehung der Interventionsspirale, ohne die Planwirtschaften nicht auskommen.


Leserbrief zur Hilfe für Griechenland (2017)

Zu dem Bericht „Schnellere Einigung zwischen Griechen“ in der FAZ vom 4. Dezember 2017 erlaube ich mir folgende Hinweise: Erstens: Der Deutsche Bundestag hat dem dritten Hilfspaket für Griechenland unter der Voraussetzung zugestimmt, dass der Internationale Währungsfonds (IWF) als Kreditgeber und Kontrolleur an Bord bleibt. Inzwischen hat der europäische  Krisenfonds ESM die Rolle des IWF übernommen, ohne dass der Bundestag seinen Beschluss geändert hat. Zweitens: Der ESM darf nach Artikel 136 AEU-Vertrag nur tätig werden, wenn dies unabdingbar ist, „um die Stabilität des Währungsraums insgesamt zu wahren“. Diese Voraussetzung ist spätestens mit dem Vorhaben der griechischen Regierung weggefallen, sich demnächst wieder direkt an den Finanzmärkten zu finanzieren. Drittens: Der europäische AEU-Vertrag sieht zudem vor, dass die Gewährung von Finanzhilfen an strenge Auflagen gebunden sein muss. Hierzu existiert ein konkreter Auflagenbeschluss der EU-Staats- und Regierungschefs, den die griechische Regierung allenfalls in Ansätzen umgesetzt hat. Gleichwohl hat der Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages in nicht öffentlicher Sitzung die Auszahlung von 8.5 Milliarden Euro beschlossen. Wolfgang Schäuble und Angela Merkel wollten das Thema rechtzeitig vor der Bundestagswahl aus der Welt schaffen. Viertens: Der offizielle Kommentar der Tsipras-Regierung lautete: „Griechenland hat erhalten, was es wollte.“ Zur Reformbereitschaft der griechischen Regierung sagte der Athener Wirtschaftsprofessor George Bitros: „Diese Regierung wird sich nicht um ihre Reformverpflichtungen kümmern … Von den geforderten Strukturreformen sind nur wenige umgesetzt worden. Was vom Parlament beschlossen wurde, blieb nur auf dem Papier.“


Leserbrief zur europäischen Haftungs- und Transferunion (2018)

Michael Hüther, Direktor des IW Köln, kritisiert in dem Gastbeitrag in der WELT vom 23. Mai 2018 die Warnung von 154 Wirtschaftsprofessoren, die europäische Währungs- und Bankenunion im Sinne der Vorschläge des französischen Präsidenten Macron und des EU-Kommissionschefs Juncker zu einer Haftungs- und Transferunion noch weiter auszubauen. Die Warnung bezieht sich auf fünf konkrete Vorhaben: die geplante Nachhaftung des ESM bei Bankensanierungen, die Überführung des ESM in einen „Europäischen Währungsfonds“, die Vergemeinschaftung der Einlagensicherung sowie die Einrichtung eines europäischen Investitionsfonds und die Berufung eines EU-Finanzministers mit Fiskalkapazität.

Ich hätte erwartet, dass Michael Hüther den Aufruf seiner ökonomischen Kollegen unterstützt. Denn allen Vorschlägen von Macron und Juncker ist gemeinsam, dass das  markwirtschaftliche Haftungsprinzip innerhalb der europäischen Währungsunion weiter geschwächt werden soll. Damit wachsen aber die Anreize für wirtschaftliches Fehlverhalten (moral hazard) mit der Folge, dass die Interessengegensätze der Euro-Zone noch stärker werden. Es ist deshalb ein Irrtum Hüthers, in den Vorschlägen einen Aufbruch für Europa zu sehen.

Michael Hüther vermisst in dem Aufruf seiner Kollegen eine „europäische Perspektive“ und wirft ihnen vor, „nur Nein zu sagen, ergänzt um das Lamento über eine irgendwie drohende Haftungsgemeinschaft“. Dabei unterschlägt er, dass der Aufruf zahlreiche Vorschläge für die Weiterentwicklung der Euro-Zone enthält, die sich vor allem durch ihre ordnungspolitische Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Sozialen Marktwirtschaft auszeichnen. Dazu gehören zum Beispiel die Vollendung der Kapitalmarktunion, bei der EZB die Verbindung der Stimmrechte mit der Haftung, die regelmäßige Begleichung der Target-Salden, die Beendigung der Ankäufe von Staatsanleihen sowie ein geordnetes Insolvenz- und Austrittsverfahren.  

Offensichtlich geht es Michael Hüther um etwas anderes, wie man seiner Frage „Und welchen Wert hat eine ökonomische Logik, die sich gegen das Politische immunisiert?“ und seiner Antwort „Keine“ entnehmen kann. Mit dieser Frage und seiner Antwort belehrt Hüther implizit seine Kollegen, dass sich ökonomische Ratschläge gefälligst an die politischen Vorgaben zu halten haben und mit dieser Auffassung steht Hüther heute leider nicht allein. Es geht um den „Primat der Politik“, der den Regierungsstil in Berlin seit der Finanzkrise prägt.

Den 154 Professoren ist zu danken, dass sie ihre Vorschläge nicht an diesem Dogma, sondern an den ordnungspolitischen Grundsätzen unserer Wirtschaftsordnung ausgerichtet haben.


Leserbrief zu den Target-Salden  (2019)

Laut Artikel in der FAZ vom 1. Mai 2019 „Bundesbank wirft Target-Kritikern Populismus vor“ beklagt Bundesbank-Vorstand Joachim Wuermeling, dass die von ihm als Populisten bezeichneten Kritiker über die Risiken aus den Target-2-Salden einen falschen Eindruck erwecken. Dies sei wirtschaftspolitisch höchst gefährlich.

Offensichtlich bringen die wachsenden Target-2-Salden nicht nur die EZB, sondern auch die Bundesbank in Erklärungsnot. Die derzeit gültige Regelung stammt aus dem Jahr 2007, als Axel A. Weber Präsident der Bundesbank war. In seiner Wirkung kommt das Target-System einem Kontokorrentverhältnis gleich, das Schuldnerländer jederzeit in unbegrenzter Höhe zinslos in Anspruch nehmen können. Ein Anspruch der EZB auf Besicherung oder Rückzahlung besteht (leider) nicht.

Es gibt auf der ganzen Welt kein Zahlungs- oder Clearingsystem, in dem negative Zahlungssalden nicht zu verzinsen, zu besichern oder auszugleichen sind. In den USA müssen die zwischenstaatlichen Salden aus dem Federal Reserve System regelmäßig und zeitnah ausgeglichen werden. In den früheren Bretton-Woods-System waren aufgelaufene Devisensalden durch den Umtausch in Dollar oder Gold auszugleichen. Auch das Target-2-System kennt einen Saldenausgleich für Zentralbanken außerhalb des Eurosystems und Geschäftsbanken, die am Target-2-System teilnehmen. Diese Banken müssen am Tagesende ausgeglichene oder positive Salden vorweisen.

Nur für die Zentralbanken innerhalb des Eurosystems gilt die Ausnahme, dass positive oder negative Target-2-Salden gegenüber der EZB nicht auszugleichen sind. Man wüsste gern, warum dies so ist und wer dies zu verantworten hat. EZB-Präsident Mario Draghi weicht Fragen zur Tilgung und Besicherung der Salden konsequent aus. Frühere EZB-Mitarbeiter wie DIW-Präsident Marcel Fratzscher und der Ökonom Martin Hellwig verteidigen sich mit dem Argument, es handele sich doch nur um belanglose Salden.

Das Target-2-Guthaben der Bundesbank stellt etwa die Hälfte des durch Leistungsbilanzüberschüsse aufgebauten deutschen Nettoauslandsvermögens dar. Hans-Werner Sinn fordert deshalb zu Recht, dass „sich die Politik der Sache annimmt und ihre Schweige- und Verharmlosungsstrategie beendet“.


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