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Klima und Energiewende : Umstrittenes "Klimaschutzprogramm 2030"
23.09.2019 14:31 (1656 x gelesen)

Umstrittenes "Klimaschutzprogramm 2030"

Der 20. September 2019 sollte nach der Ankündigung der Bundeskanzlerin der Tag werden, an dem die Bundesregierung in der Klimapolitik Handlungsfähigkeit beweisen wollte. Denn die Bundesrepublik wird ihre Ziele in der Klimapolitik deutlich verfehlen:  Für das kommende Jahr sollten die Emissionen von schädlichen Klimagasen im Vergleich zu 1990 um 40 Prozent sinken, nach offiziellen Schätzungen werden aber nur 32 Prozent erreicht. Damit wird auch das Erreichen des Ziels für das Jahr 2030 immer unwahrscheinlicher.

Die Bundesregierung steht also unter selbstgemachtem Handlungszwang. Zusätzlich sorgen die jüngsten Wahlerfolge der Grünen und die  Fridays-for Future-Bewegung für politischen Druck. Außerdem wollte die Kanzlerin zur  Ende September stattfindenden Klimakonferenz in New York nicht mit leeren Händen anreisen.

Pünktlich legte die Bundesregierung deshalb ein 22-seitiges Eckpunktepapier vor, in dem sie darlegt, wie Deutschland das Klimaschutzziel 2030 erreicht: 55 Prozent Treibhausgase weniger im Vergleich zu 1990. Damit will Angela Merkel in New York punkten und ihren Nimbus als Klimakanzlerin verteidigen.

Doch mit welchen Maßnahmen will die Bundesregierung dieses Ziel erreichen? Dazu verrät sie in dem Eckpunktepapier: Die Autofahrer und Hausbesitzer sollen für den Ausstoß von Kohlendioxid (CO2) künftig einen Preis bezahlen. Diesen wird die Politik festlegen. Dies ist der Kernbotschaft des Klimaschutzprogramms 2030.

I

CO2-Bepreisung

Herzstück des Klimaschutzprogramms ist die neue CO2-Bepreisung für die Sektoren Verkehr und Wärme ab 2021.  So wie es im Rahmen des europäischen Emissionshandels bereits für die Energiewirtschaft und die energieintensive Industrie gilt, wird CO2 nun auch in den Bereichen Verkehr und Gebäude auf nationaler Ebene einen Preis bekommen. Das ist – so die einhellige Meinung der Wissenschaft – der volkswirtschaftlich kosteneffizienteste Weg, um Emissionen zu reduzieren und die Klimaziele zu erreichen.

Das nationale Emissionshandelssystem (nEHS) startet 2021 mit einem Festpreissystem, das heißt, der Preis pro Tonne ist fix und vorab festgelegt. Dabei werden Zertifikate an die Unternehmen, die Heiz- und Kraftstoffe in Verkehr bringen, verkauft. Die Kosten für die Zertifikate wird der Brenn- und Kraftstoffhandel  dann über den Preis der Produkte an die Verbraucher weitergeben.

Der Festpreis startet mit 10 Euro pro Tonne (Vermittlungsausschuss: 25 Euro je Tonne) und steigt bis zum Jahr 2025 auf einen Festpreis von 35 Euro pro Tonne CO2 (Vermittlungsausschuss: 55 Euro je Tonne). Ab 2026 bildet sich der Preis am Markt, solange er sich zwischen einem festgelegten Mindest- und einem Höchstpreis bewegt (Vermittlungsausschuss: 55 Euro - 65 Euro je Tonne). Die Gesamtmenge an Zertifikaten, die deutschlandweit ausgegeben wird, soll dann den Erfordernissen der deutschen und europäischen Klimaziele entsprechen.

Die Bundesregierung verspricht, die Einnahmen aus der CO2-Bepreisung in Klimaschutzmaßnahmen zu investieren oder den Bürgern in Form von Entlastungen an anderer Stelle oder von Fördermaßnahmen zurückzugeben.

Bei Umweltschützern ist insbesondere der niedrige Einstiegspreis von 10 Euro pro Tonne CO2 auf Kritik gestoßen. Ein solcher Preis wird niemanden veranlassen, auf das Auto zu verzichten oder die Ölheizung gegen eine Gasheizung zu tauschen. Vielmehr wird ein Preis zwischen 35 und 60 Euro für erforderlich gehalten, damit nennenswerte Einsparungen beim CO2-Verbrauch  eintreten.

Die Bundeskanzlerin hat die niedrigen Einstiegspreise bei der Vorstellung des Programms damit gerechtfertigt, dass erst die Förderprogramme wirken sollen, bevor die CO2-Preise angehoben würden. Man wolle die Menschen mitnehmen, sagte Merkel. Es handele sich um einen Kompromiss, der trotzdem seine Langzeitwirkung entfalten werde.  

II
Klimaschutzmaßnahmen

Die von Merkel angesprochenen Förderprogramme machen in der Tat den Hauptteil des 22-seitigen Programmpapiers aus. Sie sollen dafür sorgen, „dass jede und jeder mit den neuen Gegebenheiten zurechtkommt“. Gemeint ist damit in erster Linie die künftige CO2-Bepreisung in den Sektoren Verkehr und Gebäude. Das Papier enthält aber auch Aussagen zu den Förderzielen in der Landwirtschaft, der Industrie und der Energiewirtschaft sowie in Forschung und Entwicklung.

Verkehr: 

Im Vergleich zu 1990 sollen sich die Emissionen im Verkehr bis 2030 um 40 bis 42 Prozent verringern. Mit einem Paket aus CO2-Bepreisung, Förderung der Elektromobilität und Stärkung der Bahn soll das erreicht werden.

Bis 2030 sollen 7 bis 10 Millionen Elektrofahrzeuge in Deutschland zugelassen sein. Dafür wird die Kaufprämie für PKW verlängert und für Autos unter 40 000 Euro angehoben. Elektrofahrzeuge werden bis zum 31. Dezember 2025 von der Kfz-Steuer befreit. Zudem will die Bundesregierung  die Batteriefertigung in Deutschland mit rund einer Milliarde Euro fördern.

Auch der Ausbau des Öffentlichen Nahverkehrs soll ab 2021 mit einer Milliarde Euro jährlich gefördert werden, ab 2025 mit 2 Milliarden Euro. Damit sollen zum Beispiel E-Busse angeschaftt werden.

Bis 2030 wollen der Bund und die deutsche Bahn 86 Milliarden Euro in das Schienennetz investieren. Die Bahn wird dafür vom Bund jährlich eine Milliarde Euro erhalten.

Die Mehrwertsteuer auf Bahnfahrkarten im Fernverkehr wird auf den ermäßigten Mehrwertsteuersatz von sieben Prozent gesenkt. Im Flugverkehr will die Bundesregierung die Luftverkehrsabgabe erhöhen und Dumpingpreise verhindern.

Die Bundesregierung will die Kfz-Steuer stärker an den CO2-Emissionen ausrichten. Fahrzeuge mit hohen Belastungen werden dann stärker besteuert.

Gebäudesektor:

14 Prozent der gesamten CO2-Emissionen (120 Millionen Tonnen) kommen aus dem Gebäudesektor. Im Jahr 2030 dürfen es in diesem Bereich nur noch 72 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr sein. Die Bundesregierung will auch diesen Sektor aus einem Mix von CO2-Bepreisung, verstärkter Förderung sowie durch ordnungsrechtliche Maßnahmen klimafreundlicher machen.

Der Umstieg von alten Öl- und Gasheizungen auf klimafreundliche Anlagen soll mit einer Austauschprämie von 40 Prozent  gefördert werden. Ab 2026 ist der Einbau von Ölheizungen nicht mehr erlaubt.  

Sonstige Bereiche:

Der Landwirtschaftssektor darf im Jahr noch höchstens 58 bis 61 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr emittieren. Schon mit den bestehenden Instrumenten sinken die Emissionen im Jahr 2030 auf rund 67 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr.

Die Industrie muss ihre Emissionen bis 2030 um rund die Hälfte im Vergleich zu 1990 mindern. Bis 2016 hat sie bereits eine erhebliche Reduktion erreicht. Mit der Förderung der Energieeffizienz und dem weiteren Ausbau der erneuerbaren Energien sollen weitere CO2-Einsparungen erreicht werden.

Im Energiesektor sollen die Emissionen bis 2030 auf 175 bis 183 Millionen Tonnen CO2 sinken. Auch hier gibt es nach Meinung der Bundesregierung schon seit Jahren erhebliche Einsparungen. Mit dem schrittweisen Ausstieg aus der Kohle , dem Ausbau erneuerbarer Energien und der Steigerung der Energieeffizienz soll diese positive Entwicklung fort geschrieben werden.

Die Bundesregierung hat das Ziel, im Jahr 2030 einen Anteil erneuerbarer Energien am Stromverbrauch von 65 Prozent zu erreichen. Dazu sollen die Abstandsregelungen für die Windkraft geändert werden. Das Ziel für den Ausbau der Windenergie auf See wird auf 20 Gigawatt im Jahr 2030 angehoben. Der bestehende Deckel von 52 Gigawatt für die Förderung des Ausbaus von Photovoltaik-Anlagen wird aufgehoben.

III
Vorgehensweise

Die Bundesregierung will die gesetzlichen Maßnahmen zur Umsetzung des Programms noch in diesem Jahr verabschieden. Die jährlichen Minderungsziele sollen gesetzlich festgeschrieben werden.

Die Bundesregierung will den Fortschritt im Klimaschutz durch einen Expertenrat begleiten lassen. Außerdem soll das Klimakabinett jährlich überprüfen, wie wirksam und zielgenau die Maßnahmen sind. Erfüllt ein Sektor seine Ziele nicht, legt das zuständige Ministerium unverzüglich ein Sofortprogramm zu Nachsteuerung vor.

Zur Finanzierung sieht das Eckpunktepapier vor, dass die Einnahmen aus dem Klimaschutzprogramm, insbesondere die Erlöse aus der Versteigerung der CO2-Zertifikate, für Klimaschutzmaßnahmen reinvestiert oder als Entlastung an die Bürger zurückgegeben werden.

Der Energie- und Klimafond, ein Nebenhaushalt der Bundesregierung, wird das zentrale Finanzierungsinstrument für die Energiewende. Zusammen mit Mitteln außerhalb des Fonds will die Bundesregierung bis 2030 für Energiewende und Klimaschutz einen dreistelligen Milliardenbetrag zur Verfügung stellen.

IV
Kritische Stimmen

Das Klimapaket der Bundesregierung geriet von vielen Seiten unter Beschuss:

Grundsätzlich wird beanstandet, dass das Klimaschutzprogramm 2030 zwei widersprüchliche Regelungssysteme miteinander verbindet. Das Programm tut so, als ob einzelne volkswirtschaftliche Bereiche (Verkehr, Gebäude, Landwirtschaft) für die Erreichung jeweils eigener CO2-Ziele verantwortlich wären. Das ist zwar die Lieblingsidee von Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD). Doch die passt noch nicht einmal mehr zur Realität der aktuellen deutschen Klimagesetzgebung, die längst einen gemeinsamen Emissionshandel für Wärme und Verkehr vorsieht.

Danach müssen CO2-Ziele, die sich in dem einen Bereich billiger erreichen lassen, von dem teureren Bereich nicht erbracht werden. Dieses durchaus sinnvolle Konzept hat mit den sektorspezifischen Einzelzielen des Klimaschutzprogramms 2030 nichts mehr gemeinsam. Praktisch alle Vordenker in Umweltkreisen halten deshalb die Ausweitung des Emissionshandels auf andere Sektoren und seine Europäisierung für unerlässlich. (Daniel Wetzel in DIE WELT vom 6. Dezember 2019).

Während die Einführung einer systematischen CO2-Bepreisung grundsätzlich befürwortet wird, kritisieren die Umweltverbände Nabu, Greenpeace und BUND, dass die Verteuerung  fossiler Brenn- und Treibstoffe im Klimaschutzprogramm 2030 nicht ausreicht. In einer gemeinsamen Stellungnahme heisst es: „Der homöopathische Einstieg in die CO2-Bepreisung von 10 Euro die Tonne CO2 wird keinerlei Lenkungswirkung entfalten.“

Tatsächlich liegen 10 Euro deutlich unter dem vom Sachverständigenrat der Bundesregierung empfohlenen Preis von 25 bis 50 Euro je Tonne CO2, die zum Erreichen des deutschen Klimaziels 2030 nötig wären. Folglich beurteilte ihr Vorsitzender Christoph Schmidt die Eckpunkte für das Klimaschutzprogramm ähnlich kritisch wie die Umweltverbände. Von einem „großen Wurf“ könne keine Rede sein, schließlich bemesse sich der Erfolg nicht an der Fülle der Einzelmaßnahmen – „sondern daran, ob das Paket dafür sorgt, dass die in Europa bis 2030 verbindlich zugesagte Emissionsreduktion wirksam und kosteneffizient erreicht wird“. Und da sei Skepsis angebracht, sagte Schmidt. 

Das Argument der Bundeskanzlerin, erst den Umstieg von Ölheizungen und Verbrennungsmotor hin zu klimafreundlicheren Alternativen zu fördern, ehe die Politik an der Preisschraube dreht, fand kaum Beachtung. Dies überrascht, weil  es Angela Merkel in dem zwanzigstündigen Sitzungsmarathon vor allem auf zwei systematische Veränderungen ankam: Die Ausweitung der CO2-Bepreisung und die jährliche Evaluation und Anpassung der Klimamaßnahmen, so wie sie in dem Eckpunktepapier vorgesehen sind.  

Damit hat Merkel die zwei wesentlichen Stellschrauben festgeschrieben, mit denen die Bundesregierung zukünftig  Autofahrer und Hausbesitzer unter Druck setzen kann, damit sie die politisch gewollten CO2-Einsparungen vornehmen. Die notwendigen Bundesgenossen werden sich dafür schnell finden lassen. Schon jetzt haben die Grünen angekündigt, in den bevorstehenden Gesetzgebungsverfahren für eine Verschärfung der Maßnahmen sorgen zu wollen.

Die in dem Eckpunktepapier vorgesehenen Sanktionen können politisch auf relativ einfachem Weg  „scharf gestellt werden – etwa wenn der öffentliche und mediale Druck hoch bleiben oder es politisch neue  Mehrheiten gibt“, so Robin Alexander in WamS vom 22. September 2019. Dies erfolgte bereits im Gesetzgebungsverfahren, indem der Vermittlungsausschuss den Einstiegspreis für eine Tonne CO2 von 10 Euro auf 25 Euro pro Tonne erhöhte. Man sollte sich deshalb von dem Sammelsurium von Fördermaßnahmen und dem Einstiegspreis nicht täuschen lassen. Mit dem  Klimaschutzprogramm 2030 verfolgt die Bundesregierung auch Ziele, die nicht unmittelbar dem Klima dienen.

Zunächt sollen die angekündigten Maßnahmen davon ablenken, dass die Verfehlung der klimapolitischen Ziele weitestgehend auf eklatanten Fehlentscheidungen der derzeitigen Bundesregierung beruht. Dazu gehört vor allem der panikartige und unnötige Ausstieg aus der CO2-freien Atomverstromung, wodurch die CO2-lastige Kohle als Energieträger unverzichtbar wurde.  

Außerdem will die Bundesregierung den Autofahrern und Hausbesitzern mit dem umfangreichen Förderprogramm signalisieren, dass sie die CO2-Bepreisung nicht fürchten müssen, wenn sie sich rechtzeitig umstellen. So ist auch die Äußerung von Merkel zu verstehen. Da der Kauf eines E-Autos und die Investition in eine umweltschonende Heizung jedoch nur teilweise subventioniert werden, bleibt der Begünstigte in jedem Fall belastet: entweder mit einem Teil der Investitionskosten oder mit dem späteren CO2-Preis. 

Klimaschutz hat seinen Preis:. Der Bürger darf von den Politikern erwarten, dass dieser Preis ehrlich und offen kommuniziert wird. Dies ist bei dem Klimaschutzprogramm 2030 jedoch nicht der Fall.


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