Merkel zu Besuch in Harvard
Als der amerikanische Präsident Donald Trump im Frühjahr 2019 wegen des Migrationskonflikts mit Mexiko und des Handelsstreits mit China innenpolitisch erheblich unter Druck geriet, besuchte die deutsche Kanzlerin Angela Merkel die Universität Harvard bei Boston. Man hatte sie eingeladen, um dort bei der zentralen Abschlussfeier für die Absolventen – Bachelors, Masters und Doktoren aller Fakultäten – die große Rede zu halten.
Der Besuch in Harvard war für Angela Merkel ein Heimspiel, das ihr laut Medienberichten Freude gemacht hat. Ihr wurde nicht nur die Ehrendoktorwürde verliehen, sondern sie war auch durch den Einmarsch der Graduierten in ihren Talaren, die Redebeiträge und das Singen der Hymnen beeindruckt. Als der Kanzler der Universität ihr die Urkunde überreichte und sie als „the scientist who became a world leader“ vorstellte, strahlte sie über das ganze Gesicht.
Die Historisierung von Angela Merkel hat bereits begonnen. Harvard war dafür kein zufällig ausgesuchter Ort. Das linksliberale Milieu auf dem Campus von Harvard verehrt Angela Merkel als Heldin und schämt sich für den eigenen Präsidenten Donald Trump.
Zwei Drittel der Absolventen des letzten Jahres definieren sich als liberal, was nach deutschen Vorstellungen links bedeutet. Über 70 Prozent der Absolventen sehen die USA unter Trump auf dem Weg in eine falsche Richtung. Nur drei Prozent rechnen sich zu den Unterstützern von Trump. „Harvard sieht sich in der aufklärerischen Tradition und bezieht sich auf alteuropäische Universitäten“, sagte der Wirtschaftswissenschaftler Hans-Helmut Kotz, der seit zehn Jahren an der Harvard University lehrt. Es gehe vor allem um überprüfbare Argumente und die Entwicklung kritischen Urteilsvermögens – „kein emotionales Verkürzen“.
Genau deshalb gibt es derzeit keine Gesprächsbasis zwischen Trump und dem akademischen Amerika, speziell den Elite-Universitäten. Für den Präsidenten passen die Studenten und Ehemaligen solcher Einrichtungen perfekt in das Feindbild, mit denen er seine Anhänger mobilisiert. Er hält sie für weltfremd und in einer linksliberalen Blase gefangen, die die realen Probleme aus den Augen verloren hat.
Bestätigt sieht sich Trump dabei durch die personellen Veränderungen solcher Institutionen, insbesondere auch von Harvard. So stammen die Absolventen des Jahres 2019 laut FAZ aus allen Weltgegenden, aus allen Ethnien und Religionsgruppen. „Als am Nachmittag die alten Jahrgänge, die Graduierten der vierziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts, unter Blasmusik einmaschieren, beziehungsweise im Rollstuhl zu ihren Plätzen gefahren werden, wird der Wandel offensichtlich: Es sind die grau gewordenen Vertreter der weißen, protestantischen Ostküsten-Elite, die nun ihren Nachfolgern zujubeln.“
Angela Merkel war gebeten worden, eine persönliche Rede zu halten. Sie begann deshalb mit ihren persönlichen Lebensstationen: Physikstudium, Kalter Krieg und DDR-Diktatur. Jeden Tag habe sie angesichts der Mauer gedacht: „Das halte ich nicht aus. Das war wirklich frustrierend. Aber dort, wo früher eine dunkle – war die Mauer eher betonhell? – Wand war, öffnete sich plötzlich eine Tür ins Offene.“ Das Auditorium war begeistert.
Dann nutzte sie diese Gelegenheit jedoch auch zu einer Botschaft, die ein Gegenentwurf zu allem war, wofür Donald Trump steht. Zu diesem Zweck war sie von der Universität auch eingeladen worden. Die Frage, wie sich ein solcher Beitrag auf das deutsch-amerikanische Verhältnis auswirken würde, wurde dabei von keiner Seite thematisiert.
Merkel sprach in diesem Zusammenhang über Protektionismus und Handelskonflikte, die den freien Welthandel gefährden. Sie erwähnte die politische Notwendigkeit, den Klimawandel in den Griff zu bekommen. Selbstverständlich bekräftigte sie ihr Plädoyer für den Multilateralismus und sagte in Verkehrung von Trumps Bekenntnis, ein „Nationalist“ und „Antiglobalist“ zu sein: Mehr denn je müsse man „global statt national“ handeln und „weltoffen statt isolationistisch“. Die Menschen applaudierten begeistert.
Dann appellierte Merkel an das Ethos der jungen Wissenschaftler: Es bedürfe der Wahrhaftigkeit; Wahrheiten dürften nicht Lügen genannt werden und Lügen nicht Wahrheiten. Der Name Trump musste gar nicht fallen; denn jeder wusste, wer gemeint war. Die Absolventen sprangen hierzu von ihren Sitzen auf und jubelten.
Schließlich sprach Merkel von den „unveräußerlichen Werten“ und davon, dass man nicht immer den „ersten Impulsen“ folgen sollte, sondern zwischendurch einen Moment innehalten, schweigen, nachdenken und Pause machen sollte. Das Publikum lachte, natürlich über seinen Präsidenten in Washington. Eine solche Reaktion war vorherzusehen.
In Harvard hat sich Angela Merkel als Vorbild für ein linksliberales Amerika feiern lassen. Die Präsidentin der Ehemaligen-Vereinigung lobte sie als Kanzlerin, die in Deutschland den Mindestlohn sowie die gleichgeschlechtliche Ehe eingeführt und das „Land einer Million Flüchtlinge aus dem nahen Osten geöffnet“ habe. Natürlich diente dieser Vergleich dazu, die Politik von Trump schlecht aussehen zu lassen.
Angela Merkel hat mit ihrem Auftritt in Harvard gegen die deutschen Interessen gehandelt. Denn unabhängig von der persönlichen Einschätzung des derzeitigen amerikanischen Präsidenten ist ein gutes Verhältnis zu den USA und seiner Regierung für Deutschland von essentieller Bedeutung. Diesem Verhältnis dient es nicht, wenn sich Merkel in den USA gegen Trump instrumentalisieren läßt.