"Tit for Tat"
Wer wird den Handelskrieg zwischen den USA und Deutschland gewinnen?
Der ehemalige griechische Finanzminister Yanis Varoufakis sagte der WELT am Rande eines Vortrags am Münchener Ifo-Institut: „Europa hat den Handelskrieg schon verloren, es gibt nichts, was Deutschland oder Europa tun können, um ihn zu gewinnen.“ Er begründete diese Aussage damit, dass Europa mehr Güter in die USA exportiere als umgekehrt und deshalb einen Außenhandelsüberschuss habe. Damit habe die EU bei einer Auseinandersetzung mit Strafzöllen und Gegenmaßnahmen immer mehr zu verlieren.
Widerspruch kam vom Leiter des Ifo-Instituts Clemens Fuest, der die Einschätzung von Varoufakis, dass die USA den Handelskonflikt gegen Europa nur gewinnen könnte, nicht teilen wollte. „Es gibt keinen Leistungsbilanzüberschuss der Europäer gegenüber den US-Amerikanern“, sagte Fuest. Wer das behaupte, berücksichtige nur den Güterhandel, vergesse aber die Dienstleistungen und die Gewinne amerikanischer Tochterunternehmen in Europa. „Wenn Trump glaubt, dass er in der besseren Position ist, irrt er“, sagte Fuest.
Trumps Wirtschaftspolitik
Kein politisches Ereignis hat 2016 Politiker, Wirtschaftsexperten und Journalisten in der westlichen Welt so überrascht und schockiert, wie die Wahl von Donald Trump zum neuen Präsidenten der USA. Mit Erklärungen war man schnell zur Hand: Eine Mehrheit von Ungebildeten und zu kurz Gekommenen, von Fremdenfeinden und Rassisten hat über die Vernünftigen und Aufgeklärten gesiegt und damit – verführt von einem Populisten – gegen die eigenen Interessen gehandelt.
Inzwischen hat Donald Trump seine politischen Absichten konkretisiert und damit weitere Unruhe gestiftet. Seine Programmpunkte lauten: Obamacare revidieren; die Regulierung der Finanzmärkte lockern; den Umweltschutz zurückführen; die Freihandelstradition beenden; Importzölle einführen; die Unternehmenssteuern senken; in die Infrastruktur investieren; die illegale Einwanderung beenden; die Verlagerung von Betrieben stoppen.
Schäuble´s Steuerkartell
Die britische Premierministerin Theresa May kündigte fünf Monate nach der Entscheidung über den Brexit an, sie werde die Unternehmenssteuern drastisch senken. Die Körperschaftssteuer in Großbritannien soll unter 15 Prozent gesenkt werden. Auch Forschung und Entwicklung sollen steuerlich stärker gefördert werden. May erklärte, sie wolle „die niedrigste Unternehmenssteuer in der G-20 haben.“
In Brüssel und Berlin stieß diese Ankündigung auf schroffe Ablehnung. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble warnte die Briten davor, mit der Absenkung bei Unternehmenssteuern einen Steuerwettbewerb in Europa in Gang zu setzen. „Noch ist Großbritannien Mitglied der Europäischen Union“, sagte der CDU-Politiker. „Also sind sie an europäisches Recht gebunden.“ Und auch dann, wenn Großbritannien ausscheiden sollte, widersprächen Steuersenkungen den Vereinbarungen, die die G-20-Staaten vor einem Jahr bei ihrem Gipfeltreffen in Antalya beschlossen hätten, mahnte der deutsche Finanzminister. „Sie sind an das gebunden, was sie beim G-20-Gipfel von Antalya versprochen haben.“
Gabriel in China
Anfang November 2016 besuchte Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) in Begleitung von 60 deutschen Wirtschaftsvertretern die Volksrepublik China. Es gab in den deutsch-chinesischen Wirtschaftsbeziehungen einiges zu besprechen und zu regeln.
Im Februar 2016 waren Stahlarbeiter aus Deutschland und anderen europäischen Ländern in Brüssel gegen die Billigkonkurrenz aus China auf die Straße gegangen. Gabriel hatte mit dafür gesorgt, dass die Europäische Union gegen China ein Antidumping-Verfahren durchführte und chinesische Stahlimporte mit Strafzöllen belegte. Schon dies empfand die chinesische Regierung als Affront.
Ende Oktober 2016 widerrief das Bundesministerium für Wirtschaft dann in Abstimmung mit dem Bundeskanzleramt seine kurz zuvor erteilte Unbedenklichkeitsbescheinigung für Aixtron, einen deutschen Maschinenbauer für die LED-Industrie, in Bezug auf die Übernahme durch ein chinesisches Unternehmen. Angeblich wegen US-amerikanischer Sicherheitsbedenken, was die Chinesen besonders empörte.
TTIP und Ceta
Das EU-Freihandelsabkommen Ceta mit Kanada (Comprehensive Economic and Trade Agreement) ist fertig und unterschriftsreif. Es dient als Blaupause für das geplante Abkommen TTIP mit den USA (Transatlantic Trade and Investment Partnership), das noch nicht endverhandelt ist.
Gegner der Freihandelsabkommen sehen in Ceta die „Hintertür für TTIP“ und rufen zu Protestdemonstrationen auf. Zu den Organisatoren gehörten unter anderem der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB), die Umweltschutzverbände BUND, Greenpeace, Nabu und WWF, der Deutsche Kulturrat und die Organisationen Brot für die Welt und Oxfam. Nach Ansicht der Veranstalter sind Ceta und TTIP eine Gefahr für Demokratie, Umwelt, Kultur und Arbeitnehmer. Stattdessen fordern sie einen “fairen Welthandel“.
Mittlerweise kommt Kritik an den Abkommen sogar aus den höchsten Regierungskreisen in Berlin. Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) befindet sich in einer Zwickmühle: Als Wirtschaftsminister muss er für Freihandel sein, doch in seiner Partei rumort es. Mit der Formel „TTIP ist de facto gescheitert - Ceta ist ein gutes Abkommen“ versucht er, den Kritikern und Gegnern der Abkommen eine Brücke zu bauen.
Internationales Steuerdumping
Die EU-Kommission ermittelt seit einigen Jahren gegen amerikanische Konzerne wegen „beihilferechtlich“ anfechtbarer Absprachen mit den Steuerbehörden („tax rulings“). Solche Absprachen erlauben Konzernen, ihre Geschäfte zwischen verschiedenen Konzernteilen steuerlich möglichst vorteilhaft zu gestalten. Ermittelt wird beispielsweise gegen Starbucks in den Niederlanden, Amazon und McDonald´s in Luxemburg sowie Apple in Irland. Pikanterweise soll der derzeitige Präsident der Kommission, Jean-Claude Juncker, als früherer luxemburgischer Premier über solche Steuerabsprachen in seinem Heimatland informiert worden sein.
In Sachen Apple soll die Entscheidung der EU-Kommission nach Medienberichten unmittelbar bevorstehen. Die beanstandeten Deals gehen auf das Jahr 1991 zurück und wurden 2007 erneuert. Nach Ansicht der Kommission hat Irland Apple durch sogenannte „Tax Rulings“ individuelle Steuervorteile eingeräumt, die anderen Unternehmen nicht gewährt worden sind. Dadurch soll die Steuerlast für 2014 auf 0,005 Prozent gedrückt worden sein. Aus Sicht der Brüsseler Behörde liegt darin eine wettbewerbswidrige Beihilfe.
Den Berichten zufolge will Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager auch eine Empfehlung für die Höhe der Nachzahlungen machen, die Irland von Apple einfordern müsste. Bisherige Expertenschätzungen gehen von einigen Hundert Millionen bis hin zu 19 Milliarden Euro aus. Apple könnte diesen Betrag leicht aus den rund 200 Milliarden Euro zahlen, die es in Irland angehäuft hat. Für Irland, das im vergangenen Jahr Steuereinnahmen von rund 21 Milliarden gehabt hat, wäre es ein Steuerplus von rund 20 Prozent.
Säkulare Stagnation
Ludwig Erhard hielt wirtschaftliche Wachstumsprogramme nicht nur für nutzlos, sondern auch für schädlich. Der Staat, so sein Credo, sollte für eine freie und gerechte Wirtschaftsordnung sorgen, er sollte aber nicht aktiv in den Wirtschaftskreislauf eingreifen - dieser Grundsatz war für seine Wirtschaftspolitik prägend. „In schwächeren Wachstumsraten sah er kein Malheur – weder ein Markt- noch ein Politikversagen“ (Horst Friedrich Wünsche). Nicht die Politiker, sondern die Akteure in der Wirtschaft sollten nach Erhards Überzeugung über Art und Höhe des Wachstums entscheiden.
In den wirtschaftspolitischen Debatten von heute kommen solche Ansichten nicht mehr vor. Wirtschaftliches Wachstum gehört vielmehr in allen Industrieländern und in den meisten Schwellen- und Entwicklungsländern zu den wichtigsten Zielen der Wirtschaftspolitik, weil sich damit viele gesellschaftliche Probleme von selbst lösen: Wirtschaftswachstum schafft Arbeitsplätze und mehr privaten Wohlstand; zudem kann der Staat seine Ausgaben erhöhen und den Sozialstaat weiter ausbauen. Demgegenüber verschärfen sich bei rückläufigem Wachstum die Verteilungskonflikte und die Risiken für die politische Elite.
Seit geraumer Zeit diskutieren Ökonomen und Politiker über die Gefahr einer länger anhaltenden Phase sehr schwachen wirtschaftlichen Wachstums. Tatsache ist, dass das Wachstum der Weltwirtschaft, insbesondere das wirtschaftliche Wachstum der westlichen Länder, hinter den Zuwachsraten vor der Krise zurückbleibt. Die Diskussion über die Ursachen und etwa zu ergreifenden Maßnahmen ist in vollem Gange. Dabei lassen sich zwei grundsätzlich verschiedene Argumentations- und Handlungsebenen ausmachen: Die einen meinen, dass der weltweit zu beobachtende Rückgang des Wirtschaftswachstum beruhe auf einer „Nachfragelücke“, die sich daraus ergebe, dass mehr gespart als investiert wird. Hier müsse die Politik ansetzen. Andere wiederum sehen die tieferen Ursachen für das globale Absinken der Wachstumsraten in langfristig wirkenden Veränderungen auf der Angebotsseite der Wirtschaft, so dass man möglicherweise von einer „säkularen Stagnation“ sprechen müsse. Höhere Wachstumsraten könne man deshalb nur durch mehr oder bessere Produktionsfaktoren erwarten.
Konjunkturpakete gegen die Wirtschaftskrise 2009
Auf die globale Finanzkrise im Jahr 2008 folgte im Jahr 2009 die Wirtschaftskrise: Die wirtschaftliche Konjunktur stürzte schlagartig ab. Schon zum Jahreswechsel schickten zahlreiche Industriebetriebe in Deutschland ihre Mitarbeiter in die verlängerten Weihnachtsferien. Im Januar 2009 ging die deutsche Industrieproduktion im Vergleich zum Vorjahr um 19,3 Prozent zurück. Die Bundesregierung prognostizierte für das Jahr 2009 einen Rückgang der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage um sechs Prozent. Betroffen waren insbesondere die Exportwirtschaft und die Investitionsgüterindustrie. Aufträge wurden über Nacht storniert, und die Umsätze gingen teilweise dramatisch zurück. Weil die Kosten aber weiter liefen, standen betroffene Unternehmen buchstäblich am Abgrund. Dabei konnte niemand sagen, wie lange die Krise andauern würde. Die Optimisten prophezeiten eine schnelle Erholung, die Pessimisten erwarteten eine längere Krise.
Die Angebotspolitik des Sachverständigenrates
Es war der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, der Mitte der 70er Jahre das Konzept einer angebotsorientierten Wirtschaftspolitik als Gegenstück zur keynesianischen Nachfragesteuerung entwickelte. Die Aufgaben der Angebotspolitik sah der Sachverständigenrat darin, „die Bedingungen für das Investieren und den Wandel der Produktionsstruktur so zu verbessern, dass mit angemessenem Wachstum und hohem Beschäftigungsstand gerechnet werden darf“ (Jahresgutachten 1976).
Das Scheitern der Konjunktursteuerung
Nach dem Rücktritt von Ludwig Erhard als Bundeskanzler im Jahr 1966 wurde Karl Schiller (SPD) Wirtschaftsminister in der unter Kurt Kiesinger gebildeten Bundesregierung. Kaum im Amt legte er zwei Konjunkturprogramme auf, um der damaligen Mini-Rezession der deutschen Wirtschaft zu begegnen. Der Ehrgeiz von Karl Schiller ging jedoch weiter: er wollte die antizyklische Konjunktursteuerung zu einem festen und dauerhaften Bestandteil der deutschen Wirtschaftspolitik machen. Zu diesem Zweck ließ er in seinem Ministerium das „Gesetz zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft (StabWG)“ erarbeiten, das der Deutsche Bundestag im Juni 1967 mit großer Mehrheit verabschiedete.
Ziel des Gesetzes was es, Bund und Länder auf eine Wirtschafts- und Finanzpolitik zu verpflichten, die „im Rahmen der marktwirtschaftlichen Ordnung gleichzeitig zur Stabilität des Preisniveaus, zu einem hohen Beschäftigungsstand und außenwirtschaftlichem Gleichgewicht bei stetigem und angemessenem Wirtschaftswachstum“ beitrug. Um die Umsetzung dieser vier Ziele, die als „magisches Viereck“ bezeichnet wurden, zu gewährleisten, wurden der Bundesregierung zwei Instrumente an die Hand gegeben: Einmal der Jahreswirtschaftsbericht mit konkreten Zielprojektionen und zum anderen die „konzertierte Aktion“.
Karl Schiller: Theorie und Praxis
Professor Karl Schiller (SPD) war von 1966 bis 1972 Bundesminister für Wirtschaft, zunächst im Kabinett von Kurt Georg Kiesinger und dann unter Willy Brandt. Er war Ende der 1960er Jahre der populärste deutsche Politiker. Niemals in der Geschichte der Bundesrepublik besaßen wissenschaftliche Expertise und die Nationalökonomie eine solche Reputation wie in dieser Zeit.
Karl Schiller war das Gegenbild zu Ludwig Erhard. Er verkörperte den politischen Technokraten, der sein Verständnis von der Nationalökonomie an den Natur- und Ingenieurwissenschaften orientierte. Er sah darin eine „exakte Wissenschaft“, die nicht auf Werturteilen beruht, sondern sich mit objektiven Wahrheiten beschäftigt. Er war zutiefst davon überzeugt, dass „die Politik bald zum Geschäft der kühlen Rechner und unpolitischen Experten“ werden würde. An diesen Rationalitätsethos hat er sein ganzes Leben lang geglaubt.