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Konjunktur und Außenhandel : Internationales Steuerdumping
04.09.2016 23:46 (3090 x gelesen)

Internationales Steuerdumping

Die EU-Kommission ermittelt seit einigen Jahren gegen amerikanische Konzerne wegen „beihilferechtlich“ anfechtbarer Absprachen mit den Steuerbehörden („tax rulings“). Solche Absprachen erlauben Konzernen, ihre Geschäfte zwischen verschiedenen Konzernteilen steuerlich möglichst vorteilhaft zu gestalten. Ermittelt wird beispielsweise gegen Starbucks in den Niederlanden, Amazon und McDonald´s in Luxemburg sowie Apple in Irland. Pikanterweise soll der derzeitige Präsident der Kommission, Jean-Claude Juncker, als früherer luxemburgischer Premier über solche Steuerabsprachen in seinem Heimatland informiert worden sein.

In Sachen Apple soll die Entscheidung der EU-Kommission nach Medienberichten unmittelbar bevorstehen. Die beanstandeten Deals gehen auf das Jahr 1991 zurück und wurden 2007 erneuert. Nach Ansicht der Kommission hat Irland Apple durch sogenannte „Tax Rulings“ individuelle Steuervorteile eingeräumt, die anderen Unternehmen nicht gewährt worden sind. Dadurch soll die Steuerlast für 2014 auf 0,005 Prozent gedrückt worden sein. Aus  Sicht der Brüsseler Behörde liegt darin eine wettbewerbswidrige Beihilfe. 

Den Berichten zufolge will Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager auch eine Empfehlung für die Höhe der Nachzahlungen machen, die Irland von Apple einfordern müsste. Bisherige Expertenschätzungen gehen von einigen Hundert Millionen bis hin zu 19 Milliarden Euro aus. Apple könnte diesen Betrag leicht aus den rund 200 Milliarden Euro zahlen, die es in Irland angehäuft hat. Für Irland, das im vergangenen Jahr Steuereinnahmen von rund 21 Milliarden gehabt hat, wäre es ein Steuerplus von rund 20 Prozent.

Apple´s Steuerdeal mit Irland

Die öffentlichen Sympathien in der Causa Apple gehörten der EU-Kommission. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble begrüßte die Entscheidung, den Konzern Apple zu Steuernachzahlungen in Milliardenhöhe zu verpflichten. "Vestager hat meine volle Unterstützung. Die EU-Kommission muss die Einhaltung der Wettbewerbsregeln in der EU durchsetzen. Wenn ein Staat einzelnen Unternehmen unzulässige Vorteile verschafft, ist es richtig, dass die Kommission konsequent dagegen vorgeht".

Gleiches Lob kam von Seiten einiger Wirtschaftswissenschaftler. Henning Klodt vom „Kieler Institut für Weltwirtschaft“ kritisierte, Steueroasen verteidigten Steuersubventionen als Maßnahme der Wirtschaftsförderung, in Wirklichkeit gehe es aber um Steuerflucht. Der amerikanische Nobelpreisträger Joseph Stiglitz warf der irischen Regierung vor, internationalen Konzernen aktiv bei der Steuervermeidung zu helfen. „Wir sollten uns nichts vormachen: Dafür, dass sie anderen Ländern auf der Welt Steuereinnahmen klauen, bekommen sie ein paar Jobs. Mit dieser Art von Aktivität muss endlich Schluss sein“.

Gegenüber solchen Vorwürfen beteuerte die irische Regierung, die  Tax Rulings mit Apple seien rechtens. Sie kündigte an, vor Gericht zu ziehen, wenn die EU-Kommission die Deals für unzulässig erklären sollte. Auch Apple schloss einen solchen Schritt nicht aus. Das US-Finanzministerium hatte jüngst das Brüsseler Vorgehen bei den Steuerermittlungen kritisiert und der Kommission vorgeworfen, als eine Art übernationale Steuerbehörde zu agieren und US-Firmen zu benachteiligen.

Die irische Regierung steht zum Apple-Konzern, der einen erheblichen Teil ihres weltweiten Geschäfts über Tochterunternehmen in Irland laufen lässt. So werden beispielsweise Geräte aus Asien in Europa über eine Tochter in Irland vertrieben. Außerdem übernehmen irische Apple-Firmen einen Teil der Entwicklungskosten und bekommen dafür Rechte an intellektuellem Eigentum übertragen. Dem entsprechend wird dorthin  auch ein Teil der Gewinne abgeführt. Die Struktur mit Töchtern in Irland wurde bereits 1980 eingeführt. Damals beschäftigte Apple in Irland 6o Mitarbeiter, heute sind es  6000. 

Nach Angaben der Europäischen Kommission soll der effektive Steuersatz von Apple im Jahr 2014 auf den kombinierten Gewinn in Europa 0,005 Prozent betragen haben. Dieser Behauptung widersprach Bruce Sewell, Chefjustiziar von Apple, in der FAZ vom 3. September: „Wir bezahlen Steuern in der gesetzlichen Höhe von 12,5 Prozent auf unsere Gewinne, die sich auf unsere Aktivitäten in Irland beziehen. Wir verstehen nicht, woher die Zahlen der Kommission kommen. Wir haben im Jahr 2014 insgesamt 400 Millionen Dollar Gewinnsteuern in Irland bezahlt. Zudem haben wir in unserer Bilanz auch mehrere Milliarden Dollar an amerikanischen Unternehmenssteuern zeitversetzt abgegrenzt.“

Diese Erklärung ist durchaus schlüssig. Denn nach amerikanischem Steuerrecht werden die Gewinne von US-Unternehmen im Ausland erst dann zur Steuer herangezogen, wenn die Gelder ins Heimatland transferiert werden. Da die Gewinnbesteuerung in den USA bei 35 bis 40 Prozent liegt, ist es zweckmäßig, diese Gelder zunächst im Ausland zu belassen. Dies ist der Grund, warum Apple zuletzt Geldreserven von gut 230 Milliarden Dollar hatte, die zu mehr als 90 Prozent außerhalb der USA lagerten.

In gleicher Weise verhalten sich viele amerikanische Unternehmen, die im Ausland tätig sind. "Wir brauchen dringend eine Steuerreform," sagte der Deutsch-Amerikaner Martin Richenhagen, Chef des Traktorherstellers AGCO in Georgia. "Momentan werden zum Beispiel unsere Gewinne aus Deutschland mit Fendt-Traktoren in den USA ein zweites Mal versteuert, wenn wir sie in die USA holen. Unser Unternehmen hat um die zwei Milliarden Dollar in Europa liegen, die wir darum in die USA nicht einsetzen können. Die Steuern sind generell zu hoch." Der neue amerikanische Präsident, Donald Trump, hat bereits angekündigt, dieses Steuerproblem lösen zu wollen.

Wolfgang Schön, Direktor am Max-Planck-Institut in München, schrieb hierzu in der FAZ vom 12. April 2013:  „Die amerikanische Gesetzgebung zu den beherrschten Auslandsgesellschaften ist seit Jahrzehnten darauf angelegt, amerikanischen Konzernen die Verlagerung von Steuersubstrat aus den Vereinigten Staaten in Steueroasen zu erschweren. Dieses Regelwerk hindert amerikanische Unternehmen aber in keiner Weise, Gewinne aus ihren europäischen Tochterfirmen steuergünstig auf solche Zwischengesellschaften zu verschieben: Diese Gewinnverlagerung stärkt die Wettbewerbsfähigkeit der amerikanischen Industrie und schadet nicht dem amerikanischen Fiskus – weshalb sollte die Regierung in Washington intervenieren?“

Auf den Vorwurf, dass Apple gemessen an den erzielten Gewinnen sehr niedrige Steuern zahlt, antwortete ihr Justitiar Bruce Sewell der Tageszeitung FAZ: „Nein das ist nicht wahr. Wir sind der größte Steuerzahler in Irland, der größte Steuerzahler in den Vereinigten Staaten und der größte Steuerzahler in der Welt. Wir zahlten im vergangenen Jahr 13 Milliarden Dollar Steuern. Unser Steuersatz, bezogen auf die gesamten Gewinne auf der Welt, lag bei 26,4 Prozent. Hier geht es also nicht um einen Streit darüber, wie viele Steuern wir zahlen, sondern wo wir sie bezahlen. Die Europäische Kommission scheint zu glauben, dass diese Gewinne in Irland zu besteuern sind, obwohl sie auf unseren Hauptsitz in Cupertino zurückzuführen sind und dort besteuert werden müssen.“

Auf  Nachfrage der FAZ räumte Bruce Sewell jedoch ein, dass es in Irland auch eine sogenannte gebietsfremde Gesellschaft nach irischem Recht gab, die faktisch keine Steuern zahlte. „Dieses Unternehmen war für unsere wertvollsten Vermögenswerte verantwortlich, einschließlich Forschung und Entwicklung, unser geistiges Eigentum und unsere Markenrechte außerhalb Amerikas. Dies sind alles Vermögenswerte, die sich aus der Tätigkeit an unserem Hauptsitz im kalifornischen Cupertino ableiten. Das Unternehmen hatte kein Büro oder Mitarbeiter in Irland, weil es kein operatives Geschäft zu betreuen hatte und seine Aufgaben nicht spezifisch auf Irland bezogen waren.“

Im Kern geht es bei der Auseinandersetzung zwischen der EU-Kommission und Apple um die Zuordnung und Versteuerung der von einem global tätigen Unternehmen erzielten Gewinne. Dies zu regeln ist Gegenstand der zwischenstaatlichen Doppelbesteuerungsabkommen und des internationalen Steuerrechts. Hier müssen die Staaten ansetzen, wenn sie die Steuerflucht und Steuervermeidung  bekämpfen wollen. Das europäische Beihilferecht ist dafür kein geeignetes und schlagkräftiges Instrument, weil es die Aufgabe hat, die Wettbewerbsverhältnisse zu ordnen und zu regeln.

Auch die frühere EU-Wettbewerbskommissarin Neelie Kroes kritisierte die Brüsseler Entscheidung gegen Apple. Nicht einzelne Steuervorbescheide nationaler Behörden seien die Ursache für die Steuervermeidung internationaler Konzern, schrieb sie im „Guardian“, sondern die Verschiedenheit des Steuerrechts in unterschiedlichen Ländern. Deshalb müssten nationale Steuerregeln möglichst global angeglichen werden. Das Beihilferecht tauge im Kampf gegen Steuervermeidung nicht und laufe den internationalen Harmonisierungsbestrebungen im Steuerrecht zuwider. Die EU-Kommission ändere mit der Apple-Entscheidung auch „ad hoc“ ihre Maßstäbe in der Beihilfekontrolle. „Das geht nicht“, schrieb Neelie Kroes, die als Wettbewerbskommissarin von 2004 bis 2010 für die Beihilfekontrolle zuständig war.

Die EU-Kommission durfte auch nicht davon ausgehen, dass die US-Regierung das Vorgehen der Wettbewerbskommissarin Margarethe Vestager gegen amerikanische Unternehmen unbeantwortet lassen würde. Der amerikanische Finanzminister Jacob Joseph Lew lancierte kurz vor der Apple-Entscheidung ein Papier, das diplomatisch formuliert ist, aber im Kern die Ankündigung einer Revanche enthält: "Setzt die EU-Kommission ihren Kurs fort, werden wir uns Antworten überlegen", heißt es in dem Dokument. Deutlicher wurde John Engler, Präsident des mächtigen Business Roundtable: "Wir erleben Akte der Aggression gegen amerikanische Unternehmen. Es ist ein neuer, gefährlicher Protektionismus zu beobachten."

Bahnt sich zwischen den USA und Europa ein Wirtschaftskrieg an? "Das Timing und die Höhe der Strafe gegen die Deutsche Bank muten wie eine Retourkutsche der US-Behörden an", sagte der CSU-Europaabgeordnete Markus Ferber, "daran ändert auch eine reduzierte Strafe nichts." Auch in deutschen Regierungskreisen heißt es: "Man kann schon den Eindruck bekommen, dass die Amerikaner mit neuer Härte gegen europäische Unternehmen vorgehen. Die Summen, die aufgerufen werden, machen nachdenklich." So forderte das amerikanische Justizministerium wegen sogenannter Subprime-Kredite 14 Milliarden Dollar von der Deutschen Bank. Volkswagen hat auf Grund eines gerichtlichen Vergleichs an geschädigte Käufer 14,7 Milliarden Dollar zu zahlen; Strafzahlungen in Milliardenhöhe kommen noch dazu. Und die Commerzbank zahlte im vergangenen Jahr wegen Verstoßes gegen das Iran-Embargo 1,5 Milliarden Dollar. 

Für die deutsche Wirtschaft ist es von größtem Interesse, dass die atlantische Partnerschaft zwischen Europa und den USA funktioniert und nicht infrage gestellt wird. Dazu gehört auch, dass den von amerikanischer Seite geltend gemachten Forderungen energisch widersprochen wird, wenn und soweit sie nicht berechtigt sind. Es war aber sicherlich keine kluge Entscheidung der EU-Kommission, gegen geltendes nationales Steuerrecht mit Hilfe des europäische Wettbewerbs- und Beihilferechts fiskalische Forderungen gegen amerikanische Unternehmen durchzusetzen.   

International faire Steuern

Es gibt ein Spannungsverhältnis zwischen Globalisierung und Besteuerung, das treffend mit der Aussage beschrieben wird: "Business goes global, taxes stay local". Während die Weltwirtschaft sich globalisiert und die nationalen Märkte sich immer stärker integrieren, bleibt die Besteuerung im engen Rahmen der nationalen Gesetzgebungen gefangen. Jeder Staat beharrt weiterhin hartnäckig auf seinem souveränen Recht, seine Steuergesetze nach eigenen Vorstellungen zu beschließen. Daraus folgt für global tätige Unternehmen, dass sie mit sehr unterschiedlichen Steuerrechtsordnungen konfrontiert sind und in einem gewissen Rahmen bestimmen können, welche Vorgänge in welchem Steuerraum verwirklicht werden.

Im Zuge der Globalisierung erhalten Steuern damit ein Element der Freiwilligkeit, das dem klassischen Steuerstaat an sich fremd ist. Zwar müssen auch globale Unternehmen auf ihre Gewinne Steuern zahlen, sie können sich aber aussuchen, in welchen Staaten sie dies tun und welcher effektiven Steuerbelastung sie damit unterliegen. Um dieser Entwicklung zu begegnen, lassen sich drei unterschiedliche Reaktionen beobachten:

  • Staaten verbessern die steuerliche Attraktivität für unternehmerisches Engagement, was als "Wettbewerb der Steuersysteme" bezeichnet wird.
  • Internationale Organisationen erarbeiten gemeinsame Standards und empfehlen den Staaten, ihre Steuerpolitik zu harmonisieren.
  • Die Staaten intensivieren ihre Bemühungen gegen eine ungerechtfertigte Ausnutzung des internationalen Steuergefälles.

Von der G-20 Gruppe der wichtigsten Industrie- und Schwellenländer wird seit Jahren gefordert, den Steuervermeidungsstrategien der multinational tätigen Unternehmen ein Ende zu bereiten. Im Dezember 2012 publizierte die Europäische Kommission erste Empfehlungen zum Kampf ihrer Mitgliedstaaten gegen „aggressive Steuerplanung“.  Auch Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble sagte der Steuervermeidung öffentlich den Kampf an.

Bisher ist auf diesem Gebiet einiges, aber nicht besonders viel geschehen. Den Grund dafür hat  Wolfgang Schön, Direktor am Max-Planck-Institut in München,  in der FAZ vom 12. April 2013 genannt: „Bevor man überhaupt ein Urteil darüber abgeben kann, ob ein Unternehmen einen angemessenen Teil seines Gewinns an einen Staat abliefert, muss – logisch vorrangig – geklärt werden, wie der Gesamtgewinn eines globalen Konzerns auf die vielen Staaten zu verteilen ist, in denen er tätig wird. Kein Staat hat das Recht, den gesamten Unternehmensgewinn voll zu erfassen; er muss sich diese Fiskalgewalt mit anderen souveränen Staaten teilen. Diese Abgrenzung ist eine zentrale Aufgabe internationaler Koordination. Sie wird geleistet durch ein weltweites System bilateraler Doppelbesteuerungsabkommen, aber auch zunehmend durch multinationale oder supranationale Regeln, etwa im Rahmen der Europäischen Union.“

Dabei sieht Wolfgang Schön das Verhalten der Regierungen durch zwei sich widersprechende Zielsetzungen bestimmt: Das „klassische“ Motiv ist auf die Mehrung staatlicher Einnahmen gerichtet, was für hohe Steuersätze auf Unternehmensgewinne spricht. Das „moderne“ Motiv ist demgegenüber auf die Mehrung inländischer Investitionen gerichtet, wozu günstige Steuerkonditionen notwendig sind – bis hin zur Nullbesteuerung. „Im globalen Wettbewerb wandeln Regierungen permanent auf dem schmalen Grad zwischen einer fiskalisch ergiebigen und einer wirtschaftlich attraktiven Steuerpolitik“.

Dies geschieht unter sich dynamisch verändernden Rahmenbedingungen, wozu Wolfgang Schön schreibt:  „Sowohl der Wettbewerb zwischen den Staaten als auch die Gestaltungsmöglichkeiten der Großunternehmen haben in den vergangenen Jahren eine neue Dimension erreicht. Dies lässt sich ganz wesentlich auf die gesteigerte Mobilität der wirtschaftlichen Werttreiber zurückführen, vor allem auf die nahezu unbeschränkte Möglichkeit, Finanzanlagen oder immaterielle Güter (Patente, Urheberrechte, Marken, Knowhow) in Niedrigsteuerländer zu verlagern. Unternehmen können dadurch die Erträge dieser Anlagen in ein steuerlich günstiges Umfeld verschieben, ohne die realwirtschaftliche Aktivität des Konzerns nennenswert zu beeinträchtigen.“

Bei dem Bestreben, mit Hilfe der Steuerpolitik Investitionen ins Land zu holen, bedienen sich die Staaten unterschiedlicher Instrumente. Dazu gehören nicht nur niedrige Steuersätze, sondern auch das Bankgeheimnis oder die Möglichkeit, Briefkastenfirmen zu gründen. Es sind also mehrere Typen des Steuerwettbewerbs zu beobachten:

  • Die Staaten nutzen niedrige Steuersätze, um Direktinvestitionen aus dem Ausland anzulocken.
  • Die Staaten erlauben internationalen Unternehmen, ihre Gewinne bei ihnen zu verbuchen, obwohl die eigentliche wirtschaftliche Aktivität ganz woanders stattfindet.
  • Die Staaten ermöglichen Privatpersonen, ihr Kapital anzulegen, ohne dass das zuständige Finanzamt am Wohnsitz des Steuerhinterziehers davon erfährt.

Alle Typen des Steuerwettbewerbs sind als problematisch anzusehen. Der erste Typ verzerrt die Investitionsbedingungen zwischen den Ländern, der zweite Typ verschiebt die Steuerkraft zwischen den Staaten und der dritte Typ verdirbt die Steuermoral aller Beteiligten. Hinzu kommen bei allen drei Typen negative Verteilungswirkungen, weil Kapital entlastet und die Steuerlast auf die weniger mobilen Faktoren wie Konsum und Arbeit verschoben wird. Andererseits schützt der Steuerwettbewerb Unternehmen und Bürger vor der Gefahr, übermäßig oder doppelt besteuert zu werden.

Lange zog die internationale Gemeinschaft im Kampf gegen Steuervermeidung nicht an einem Strang. Im vergangenen Jahr haben die G 20-Länder aber Beschlüsse gegen Gewinnkürzungen und Gewinnverlagerungen gefasst. Der Aktionsplan mit dem englischen Kürzel BEPS („base erosion and profit shifting“) will mit 15 Maßnahmen dafür sorgen, dass künftig keine weißen Flecken bei der Gewinnbesteuerung bleiben. Dazu gehört die neue Pflicht für internationale Unternehmen, länderbezogene Berichte den Finanzbehörden vorzulegen, damit diese sie austauschen können. Für Europa wurde im vergangenen Dezember zudem beschlossen, dass die Staaten künftig auch Informationen über sogenannte Tax Rulings austauschen.

Automatischer Informationsaustausch

Es ist vor allem Finanzminister Wolfgang Schäuble, der das Thema der internationalen Steuervermeidung auf die Tagesordnung der G 20-Gruppe setzen ließ.  Man lasse nicht locker, heißt es im Finanzministerium. „Unsere Hartnäckigkeit ist im Kreis der G 20 sprichwörtlich.“ Das Lieblingskind des Finanzministers ist das sogenannte Abkommen zum automatischen Informationsaustausch. Damit soll jeder Steuerbürger, ganz gleich, wo er sein Geld versteckt hat, „gläsern“ werden. 101 Länder haben das Abkommen mittlerweile unterschrieben. Bis September 2017 - und spätestens 2018 – wollen sie untereinander wichtige Steuerdaten austauschen. Doch bis heute fehlt es wie oft bei internationalen Projekten an der konsequenten Umsetzung.

Ob damit das Problem der Steuerhinterziehung gelöst ist, glaubt Rudolf Elmer, ehemaliger Manager der Bank Julius Bär,  nicht. „Es gibt fast 200 Länder. Nur eines von ihnen muss nicht mitspielen und sich am Markt als Steueroase andienen.“  Und er fügte hinzu: „Gerade Reiche werden Offshore-Konstrukte wie Stiftungen und Briefkastenfirmen noch stärker nutzen. In öffentlichen Registern werden sie als Besitzer verschleiert, so können sie ihr Vermögen weiterhin in Steueroasen halten. Aus Sicht der multinationalen Konzerne hat sich hingegen etwas geändert. Hier ist der politische Wille groß, sie stärker zur Rechenschaft zu ziehen,  wenn sie nur wenige Steuern zahlen.“

Skeptisch ist Elmer auch hinsichtlich des 2014 in Kraft gesetzten Fatca-Gesetzes, das Banken dazu zwingt, Daten von Kunden aus den USA offenzulegen. „Das sind alles nur Scheinmanöver. Solange die USA nicht mitspielen, wird das alles nicht funktionieren. Fatca ist zwar ein sehr interessantes Instrument, aber es findet kein Datenaustausch statt, die Banken müssen diese nur an die Amerikaner liefern. Die aber sind nicht verpflichtet, selbst Informationen rauszugeben. So kann es nicht funktionieren.“ Praktisch kann jeder, der in Amerika ist, die Offenlegungspflichten umgehen. Von Reziprozität kann keine Rede sein. Die Amerikaner melden ihren Partnerländern nichts, wenn die Konten von (Briefkasten-)Unternehmen oder Stiftungen statt von Privatpersonen gehalten werden oder wenn die Konten keine Erträge aus amerikanischen Quellen aufweisen (FAZ vom 14. Mai 2016).

In einigen Ländern sind die rechtlichen Grundlagen für den automatischen Datenaustausch zudem noch nicht vorhanden. Das gilt auch für Staaten der Europäischen Union, was für die Umsetzung ein Problem werden kann. Dies sorgt vor allem die Schweiz, die Standortnachteile befürchtet, wenn der Informationsaustausch unterschiedlich umgesetzt wird. „Wenn man einen einheitlichen internationalen Standard möchte, müssen ihn auch alle gleich umsetzen“, heißt es bei der Schweizerischen Bankiervereinigung.

Jahrelang wurde die Schweiz gedrängt, endlich das  Steuergeheimnis aufzuheben. Der frühere Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (SPD) drohte sogar mit der Kavallerie aus Fort Yuma, sollten die Eidgenossen Widerstand leisten. Außerdem machten die Amerikaner Druck auf die Schweizer Banken, so dass sich das Land gezwungen sah, auf das über Jahre gehütete Bankkundengeheimnis zu verzichten. Für die Schweiz war dies „eine krachende Niederlage“, schrieb die WamS am 24. Juli 2016. Es gehört zur Ironie dieser Geschichte, dass die Schweizerische Bankiervereinigung heute darauf besteht, dass sich alle an dem Datenaustausch beteiligen. „Es müssen möglichst viele Länder mitmachen, wir brauchen ein flächendeckendes Netz“, lautet ihre Forderung.

Die Bedenken sind nicht unbegründet, weil es sich bei dem Abkommen lediglich um einen Rahmenvertrag handelt, der die Art und Weise des Austauschs regelt und die Standards festlegt. Davon losgelöst ist die Frage, wer mit wem tatsächlich Informationen hin- und herschickt. Dies muss gesondert zwischen den Ländern vereinbart werden. „Nur da, wo sich beide Seiten bereit erklären, ist ein Austausch möglich“, sagte Markus Meinzer vom Tax Justice Network.

Klar ist schon heute, dass die Vereinigten Staaten sich höchstens eingeschränkt an dem Abkommen beteiligen. Ausländische Banken sollen zwar die Daten von US-Kunden offenlegen, umgekehrt sind die Vereinigten Staaten aber längst nicht so freizügig. Das Motiv liegt auf der Hand: Sie wollen ihre eigenen Steueroasen schützen, vor allem den für seine Steuervermeidung legendären
Bundesstaat Delaware.

Unabhängig davon haben die internationalen Aktivitäten zum  Informationsaustausch ihre Wirkung nicht verfehlt. „Der Offshore-Markt ist bis auf wenige Ausnahmen allein schon durch die Ankündigung des Informationsaustausches zerstört“, sagte der Schweizer Steueranwalt Christopher Steckel. Die Steuerumgehung scheitere häufig schon daran, dass Kunden keine Bank mehr finden, die das Geld an entlegene Ziele verschiebt. Zumindest in  der Schweiz sie dies mittlerweise der Fall. 

Ende 2017 haben die EU-Finanzminister in Brüssel eine "schwarze Liste" mit 17 Staaten veröffentlicht, die sich im globalem Kampf gegen Steuerbetrug und Steuerflucht "nicht kooperativ" verhalten. Weitere 46 Länder stehen unter Beobachtung, darunter auch die Schweiz.  Das Ziel besteht darin, bisherige Steueroasen durch das öffentliche Anprangern zu Gesetzesänderungen und mehr Steuertransparenz zu bewegen. Sanktionen sind mit dieser Liste bisher nicht verbunden. EU-Kommissar Pierre Moscovici forderte die Mitgliedsländer dehalb auf, sich "zügig auf abschreckende Sanktionen zu einigen". Kritik an der Liste kam auch aus dem Europaparlament, weil keine EU-Staaten auf der Liste stünden.     

"Panama Papers"

Auch deutsche Unternehmer versuchen, durch internationale Steuerplanung Steuern  zu vermeiden. Durch das Außensteuergesetz werden ihnen aber enge Grenzen gesetzt.

Deutschlands international aufgestellte Industrieunternehmen zahlen im Durchschnitt 25 bis 33 Prozent Ertragssteuer. Demgegenüber liegt die Steuerquote bei nur im Inland tätigen Unternehmen bei etwa 37 Prozent. Die niedrigere Steuerquote der international tätigen Konzerne liegt daran, dass ihre Wertschöpfung zu einem großen Teil im Ausland anfällt.

Das deutsche Außensteuerrecht regelt, dass Ertragsteuern dort anfallen, wo die wirtschaftliche Wertschöpfung stattfindet. Damit soll Gewinnverlagerungen ins Ausland ein Riegel vorgesetzt werden. So wird der Gewinn einer ausländischen Briefkastenfirma, die der Steuervermeidung dient, der deutschen Gesellschaft hinzugerechnet und im Inland versteuert. Hier liegt ein wesentlicher Unterschied zu den USA. Dort wird erst versteuert, wenn das Geld ins Land fließt.

Bei Produktionsunternehmen ist Ort der Wertschöpfung regelmäßig der Ort, an dem die Fabrik steht. Bei immateriellen Wirtschaftsgütern (Lizenz- und Patentrechte, Urheberrechte, Software etc.) ist dies zwar weniger eindeutig, das Steuerrecht geht aber davon aus, dass die ausländische Betriebsstätte der Ort der Besteuerung ist. Eine reine Briefkastengesellschaft reicht dafür nicht aus. Schädlich ist auch, wenn die Gesellschaft z.B. von Deutschland aus „ferngesteuert“ wird.

Anfang Juni 2016 trafen sich die Länderfinanzminister im brandenburgischen Neuruppin, um weitere Maßnahmen gegen die Ausnutzung von Steueroasen zur  Steuervermeidung zu beschließen. Die Finanzminister reagierten damit auf die  Veröffentlichung der sogenannten „Panama Papers“, aus denen sich ergab, dass Personen aus der ganzen Welt über 200.000 Briefkastenfirmen in Panama unterhielten, um angeblich ihr Geld vor dem Fiskus zu verstecken. Auf der Liste befanden sich auch einige Personen mit deutscher Staatsangehörigkeit.

Die Finanzminister nutzten die öffentliche Empörung und forderten in einem mit dem Bundesfinanzministerium abgestimmten Papier nicht weniger als 14 Gesetzesverschärfungen, die für mehr Transparenz bei Briefkastenfirmen sorgen sollen. Insbesondere ist geplant, die Abgabenordnung (AO) in folgenden Bereichen zu ändern:

• Die Mitwirkungspflichten der Steuerinländer beim Erwerb einer ausländischen Kapitalgesellschaft sollen auf alle Geschäftsbeziehungen zu ausländischen Domizilgesellschaften erweitert werden. Bei Verstößen sollen die Bußgelder von derzeit 5.000 € auf bis zu 25.000 € erhöht werden.
• Auch Banken haben neue Anzeigepflichten zu erfüllen: So sollen sie mitteilen, ob und welche Beteiligungen zu Domizilgesellschaften sie vermittelt oder hergestellt haben. Bei Verletzung der Anzeigepflicht drohen den Banken ein beträchtliches Bußgeld und die Haftung für Steuerschäden.
• Das steuerliche Bankgeheimnis soll aufgehoben werden. Dies bedeutet, dass Betriebsprüfer einer Bank sogenannte „Zufallsfunde“ innerhalb der Finanzverwaltung weiter geben können. Zugleich soll das automatisierte Kontenabrufverfahren auf die Ermittlung von Geschäftsbeziehungen zu Briefkastenfirmen ausgeweitet werden.
• Steuerhinterziehung durch verdeckte Beteiligungen soll zu den schweren Steuerhinterziehungen gerechnet werden, wodurch sich die Verjährungsfrist auf zehn Jahre verlängert.

„Die Finanzbehörden brauchen mehr Transparenz und Sanktionsmöglichkeiten, um Verschleierungen von dubiosen Geschäften zulasten der Allgemeinheit in Briefkastenfirmen aufzudecken“, sagte NRW-Finanzminister Norbert Walter-Borjans (SPD). Dabei gehe es nicht um übertriebene Kontrolle normaler Vermögen, sondern „um riesige Beträge, deren Herkunft, Eigentümer und Bestimmung systematisch verschleiert werden“, betonte der Minister.

Im Bundesfinanzministerium stießen die Vorschläge auf Zustimmung. „Bund und Länder ziehen an einem Strang, um Steuerhinterziehung über Offshore-Briefkastenfirmen wirksam zu bekämpfen“, sagte der Staatssekretär im Bundesfinanzministerium, Michael Meister (CDU). „Das Bundesfinanzministerium wird auf dieser Grundlage zügig einen Gesetzentwurf erarbeiten.“

„Paradies Papers“

Die Veröffentlichung der sogenannten Paradies Papers veranlasste das Finanzministerium, auf die verschiedenen Maßnahmen der Bundesregierung im Kampf gegen Steueroasen und Briefkastenfirmen hinzuweisen. Man wollte den Eindruck vermeiden, dass die Politik der legalen und illegalen Steuerflucht tatenlos zuschauen würde.  Zur Erfolgsbilanz der letzten zwei Legislaturperioden zählt das Finanzministerium insbesondere folgende Maßnahmen:

• Der von der OECD organisierte automatische Informationsaustausch, der am 30. September 2017 zwischen Deutschland und 49 Staaten in Kraft getreten ist. Ausgetauscht werden Informationen über Konten und Vermögensanlagen. „Das Verstecken von Einkünften wird damit nahezu unmöglich“, meinte das Bundesfinanzministerium.
• Das Steuerumgehungsbekämpfungsgesetz vom 23. Juni 2017: Ziel dieses Gesetzes ist es, die Möglichkeiten einer Steuerumgehung mit Hilfe von Briefkastenfirmen zu erschweren. Steuerpflichtige und Banken müssen die Finanzverwaltung darüber informieren. Bei Fehlverhalten drohen hohe Strafen und Haftungsrisiken.
• Das Gesetz vom 26. Juni 2017 zur Umsetzung der Vierten EU-Geldwäscherichtlinie, zur Ausführung der EU-Geldtransferverordnung und zur Neuorganisation der Zentralstelle für Finanztransaktionsuntersuchung: In diesem Gesetz finden sich die Vorschriften zum Transparenzregister, mit dem die Angaben über die wirtschaftlich Berechtigten hinter den juristischen Personen gesammelt und zugänglich gemacht werden. Die Mitteilungen haben erstmals bis zum 1. Oktober 2017 zu erfolgen.
• Gemeinsames Vorgehen der OECD-Staaten gegen Gewinnkürzung und Gewinnverlagerung. Die Staaten hatten sich im Jahr 2014 auf ein gemeinsames Vorgehen gegen internationale Konzerne geeinigt, die Lücken und Widersprüche im Steuerrecht zwischen den Staaten nutzen, um Steuern zu sparen. Die OECD hat hierzu 15 Maßnahmen vorgeschlagen.
• Das Gesetz vom 20. Dezember 2016 zur Umsetzung der Änderungen der EU-Amtshilferichtlinie und von weiteren Maßnahmen gegen Gewinnkürzungen und Gewinnverlagerungen: Es geht dabei zum einen um den automatischen Informationsaustausch über sogenannte Tax Rulings, also Vereinbarungen zwischen Staaten und Unternehmen über Steuerfragen. In der EU-Amtshilferichtlinie ist zudem ein einheitliches „Country-by-Country-Reporting“ vorgesehen.

An dieser Liste fällt auf, dass der weitaus größte Teil der Maßnahmen auf das Ende der Amtszeit von Wolfgang Schäuble fällt. Offensichtlich ist das Tempo der Gesetzgebung zur Vermeidung der legalen und illegalen Steuerflucht im Jahr 2017 erhöht worden, um seine äußerst magere Bilanz im der Steuerpolitik besser aussehen zu lassen. Wolfgang Schäuble hat sich in den acht Jahren seiner Tätigkeit als Bundesfinanzminister mit grundsätzlichen Fragen der Steuerpolitik kaum beschäftigt. Eine Ausnahme war die vom Bundesverfassungsgericht geforderte Novellierung des Erbschaftssteuergesetzes.

Im Übrigen hat Wolfgang Schäuble nie den Ehrgeiz verspürt, das Steuersystem nach dem Motto „einfach, niedrig und gerecht“ zu verändern. Er hat in Steuern auch kein Instrument gesehen, um die  Innovationstätigkeit der Wirtschaft oder private Investitionen zu fördern. Ihm ging es vielmehr nur um das fiskalische Interesse, die Steuerbasis zu verbreitern und die Steuereinnahmen zu erhöhen. Dem diente auch sein stetiger Kampf gegen Steueroasen, Briefkastenfirmen und Steuervermeidungsstrategien. Mit dieser Bilanz wird er deshalb auch in die neuere Geschichte der deutschen Steuerpolitik eingehen, als antiker Herakles im Kampf mit der neunköpfigen Hydra: „Sie schlagen Köpfe ab, und es wachsen neue Köpfe nach.“
 

  


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