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Europäische Krisen : Merkels neue Europawende
28.05.2020 20:15 (1293 x gelesen)

Merkels neue Europawende

Es hat alle überrascht, was Bundeskanzlerin Angela Merkel am 18. Mai 2020 gemeinsam mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron per Video-Pressekonferenz ankündigte: 500 Milliarden Euro wollen sie über einen „Fonds zur wirtschaftlichen Erholung auf EU-Ebene für Solidarität und Wachstum“  ausgeben, um den von der Corona-Pandemie besonders betroffenen Regionen wirtschaftlich wieder auf die  Beine zu helfen.

Das Geld, und das ist das grundsätzlich Neue, soll den Mitgliedstaaten nicht als Kredit, sondern als verlorener Zuschuss gegeben werden. Die Finanzierung soll durch Anleihen der EU-Kommission auf den Finanzmärkten erfolgen. Für diese Schulden sollen die Mitgliedstaaten einstehen, wofür laut Merkel „der normale Haushaltsschlüssel der Mitgliedstaaten“ gelten soll.

Damit hat die Kanzlerin wieder einmal eine spektakuläre Kehrtwende hingelegt. Jahrzehntelang wehrte sich die CDU dagegen, dass sich die EU als Gemeinschaft verschuldet. Die Warnung vor einer „Schuldenunion“ fehlte auf keinem Parteitag. In der Finanzkrise und danach wurden Wolfgang Schäuble und Angela Merkel nicht müde, ihr kategorisches „Nein“ zu gemeinschaftlichen Anleihen, den sogenannten Euro-Bonds, zu verteidigen. Das alles ist nun Schnee von gestern.

Finanzminister Olaf Scholz (SPD) hat dem Merkel-Macron-Plan bereits zugestimmt. Scholz sieht darin wie Merkel einen wichtigen Schritt auf dem Weg zu einer immer engeren Europäischen Union. Merkel sagte bei ihrem Auftritt mit Macron den bemerkenswerten Satz: „Der Nationalstaat alleine hat keine Zukunft.“ Scholz antwortete auf die Frage, ob er darin einen Schritt zu den „Vereinigten Staaten von Europa“ sehe, dieses Ziel habe die SPD schon 1925 in ihrem Programm gehabt.

Der Plan der EU-Kommission

Am 27. Mai 2020 war dann die EU-Kommission an der Reihe, die wochenlang gerechnet und sich eng mit Angela Merkel und Emmanuel Macron abgestimmt hatte. Die Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen verkündete dem Europäischen Parlament, dass die EU-Kommission  mit 750 Milliarden Euro den wirtschaftlichen Aufbau der EU nach der Corona-Krise unterstützen will.  Zwei Drittel davon sollen als nicht rückzahlbare Zuschüsse in die besonders von der Krise betroffenen Mitgliedstaaten fließen, ein Drittel als Kredite.

Die größten Profiteure sind Italien mit 172,7 Mrd. Euro und Spanien mit 140,4 Mrd. Euro. „Die EU hat die Wahl jetzt gemeinsam voranzuschreiten und einen Sprung nach vorn zu machen oder jeder macht allein weiter, wir lassen die Menschen, Regionen, ganze Länder zurück, und akzeptieren eine geteilte Union von Reich und Arm“, sagte von der Leyen bei der Vorstellung ihres Plans.

Die EU-Kommission will zur Finanzierung des Pakets ebenfalls Anleihen an den Finanzmärkten aufnehmen. Die sollen Laufzeiten von bis zu 30 Jahren haben. Dafür müssen die Mitgliedstaaten eine Garantie abgeben, dass sie für die ausgegebenen Anleihen zur Not geradestehen. Um die Schulden zurückzuzahlen, gibt es laut Kommission drei Optionen: Ausgabenkürzungen im EU-Haushalt, Erhöhung der nationalen Beiträge oder neue Einnahmequellen für die EU. Die Kommission setzt auf die dritte Option und macht dazu ein Bündel von Vorschlägen.    

Die Kommission glaubt, eine Rechtsgrundlage gefunden zu haben, um das Verschuldungsverbot für die EU umgehen zu können. Sie beruft sich dazu auf Vorschriften in den EU-Verträgen, wonach die Mitgliedstaaten oder der EU-Rat die Gemeinschaft  mit den erforderlichen Befugnissen und Mitteln auszustatten haben, wenn „ein Tätigwerden der Union erforderlich erscheint, um eines der Vertragsziele zu erreichen“ (so Artikel 352).

Ob das ausreicht, ist jedoch äußerst zweifelhaft. In Artikel 310 des EU-Vertrages ist geregelt, dass „der Haushaltsplan der EU in Einnahmen und Ausgaben auszugleichen ist“. Damit ist der EU eine Finanzierung ihrer Ausgaben durch Kredite oder Anleihen grundsätzlich verboten. Gegebenenfalls wird der Europäische Gerichtshof diese Frage klären müssen.

Merkels Wende

Noch Ende März hatte sich Merkel im EU-Rat, der per Videokonferenz stattfand, strikt gegen Corona-Bonds ausgesprochen, die neun Länder – darunter Italien, Frankreich und Spanien – gefordert hatten. Den italienischen Ministerpräsidenten Giuseppe Conte hatte sie angeherrscht, darauf könne er „lange warten“.  Aber der Gegenwind war scharf. Giuseppe Conte fauchte zurück: „Wie kann man nur glauben, dass man auf diesen symmetrischen Schock der Corona Krise mit Mitteln der Vergangenheit reagieren kann?“

Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron, der Wortführer der Südländer, setzte Merkel immer stärker unter Druck. Mitte Mai gab sie nach und verkündete zusammen mit Macron den deutsch-französischen Plan eines Wiederaufbauprogramms für Europa über 500 Milliarden Euro. Das Geld soll an Not leidende Staaten verschenkt werden. Dies war eine 180-Grad-Wende. Die Tageszeitung DIE WELT vom 27. Mai 2020 schrieb dazu: „Macron lächelte maliziös bei der Präsentation des Plans. Er war zufrieden.“

Doch Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz, der niederländische Ministerpräsident Marc Rute, die dänische Regierungschefin Mette Frederiksen und ihr schwedischer Kollege Stefan Lövfen – in Brüssel die „Sparsamen Vier“ genannt –  lehnten den deutsch-französischen Plan und „jegliche Vergemeinschaftung von Schulden“ ab. Man wolle keine „Schuldenunion durch die Hintertür“, sagte Sebastian Kurz im Deutschlandfunk.

Laut dem Gegenentwurf der „Sparsamen Vier“ soll die EU-Kommission das Geld für den Notfallfonds zwar auch an den Finanzmärkten aufnehmen dürfen, es dann aber als günstige Kredite an die Mitgliedstaaten weiterreichen. Die Kredite müssten zurückgezahlt werden und Reformauflagen vorsehen. Kurz sagte dazu WELT: „Wir wollen helfen, wir wollen solidarisch sein in Europa, aber wir sind auch den Menschen in unserem Land verpflichtet, die tagtäglich hart arbeiten, die diese Steuerleistungen erbringen, um deren Beitrag es hier am Ende ja geht. Es sind nicht die Politiker, die das bezahlen, sondern die hart arbeitenden Menschen.“

Wie Merkels heute zur Position der „Sparsamen Vier“ steht, ist nicht bekannt. Bis vor kurzem hat die Bundesregierung noch die gleiche Position vertreten, im Laufe Corona-Krise gab sie aber dem Druck aus dem Süden nach. Dahinter stehen handfeste wirtschaftliche Interessen, aber auch die Sorge um den Zusammenhalt der EU. Südländer wie Italien oder Spanien werfen Deutschland in der Corona-Krise mangelnde Solidarität vor – und dort lauern Rechtspopulisten nur auf eine Schwäche Europas.

Konjunkturprogramm der EU

Die EU-Kommission geht wegen der Corona-Krise von einem Einbruch der EU-Wirtschaftsleistung um 7,4 Prozent im laufenden Jahr aus. Dies ist die tiefste Rezession in der Geschichte der EU. Anders als Deutschland haben viele Mitgliedstaaten nur wenig Spielräume in ihren Haushalten, um mit nationalen Konjunkturprogrammen gegenzusteuern. Aus Sicht Brüssels droht deshalb ein wirtschaftliches Auseinanderdriften der EU-Länder, das die Union insgesamt in eine Schieflage bringen könnte.

Brüssel will insgesamt fast 2,4 Billionen Euro mobilisieren, um dem Konjunktureinbruch gegenzusteuern. "Aber wir müssen das so angehen, dass die nächste Generation morgen davon profitiert", sagte von der Leyen bei der Präsentation des Plans im Europaparlament. Die Krisenhilfen müssten dazu beitragen, dass die Europäische Union "klimaneutral, digital und sozial" ein starker Partner der Zukunft werde.

Sie rechnete dem Parlament vor, wie sich der Betrag von 2,4 Billionen Euro zusammensetzt:  500 Milliarden Euro aus dem deutsch-französischen Aufbauprogramm, 750 Milliarden Euro aus dem EU-Wiederaufbaupaket und 600 Milliarden Euro aus dem EU-Haushalt für die Jahre 2021 bis 2027 wären zusammen 1,85 Billionen Euro. Hinzu kämen 540 Milliarden Euro aus dem schon beschlossenen ersten „Corona-Sicherheitsnetz“ für Kurzarbeiter, Unternehmen und Gesundheitskosten der EU-Länder. 

Ein solches Konjunkturprogramm ist in der europäischen Geschichte ohne Beispiel. Es ist zu erwarten, dass es über die Aufbringung und Verteilung dieser Mittel zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen den Mitgliedstaaten kommen wird. Doch niemand stellt ein solches Programm grundsätzlich in Frage. Unter Verweis auf die Finanzkrise 2008 wird vielmehr unterstellt, dass die beabsichtigten Finanzhilfen notwendig sind, um die Wirtschaft wieder in Gang zu setzen.

Doch schon der Vergleich mit der Finanzkrise ist falsch, weil es dabei um die Rettung von Finanzinstituten ging, während in der Corona-Krise die Realwirtschaft betroffen ist. Hier haben sich keynesianische  Konjunkturprogramme weitgehend als Strohfeuer erwiesen. Zudem führten sie regelmäßig nicht nur zur Erhöhung der Staatsverschuldung, sondern auch zur Verkrustung der begünstigten Industriezweige und langfristig zu  Arbeitslosigkeit. Über solche Folgen ist in der laufenden Debatte jedoch wenig zu hören. 

Die neue Kanzlerinnenpartei

Die meisten Abgeordneten der CDU erfuhren vom Merkel-Macon-Vorschlag erst aus den Medien. Vorab informiert waren nur der Fraktionsvorsitzende Ralph Brinkhaus (CDU) und die CDU-Haushaltspolitiker Andreas Jung und Eckhardt Rehberg. Sie sprangen Merkel schon am Montag mit einer vorbereiteten Presseerklärung bei. Informiert war auch Alexander Dobrindt, Gruppenvorsitzender der CSU, der den Vorschlag billigte, aber „Vertragsveränderungen“ ausschloss.

Auch der CSU-Vorsitzende Markus Söder äußerte sich zustimmend, ebenfalls Armin Laschet und Friedrich Merz. Die interne Begründung lautete, dass damit echte Euro-Bonds auch in Form von Corona-Bonds vom Tisch seien. Natürlich meldete sich auch Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble  zu Wort: „Wenn Europa überhaupt noch eine Chance haben will, muss es sich jetzt als solidarisch und handlungsfähig bewähren“, sagte er der WamS.

Doch darüber hinaus findet in der CDU eine nennenswerte Debatte  nicht statt. Im Präsidium und Vorstand gab es eine breite Rückendeckung für den deutsch-französischen Vorschlag. CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer sprach davon, dass man in „historischen Zeiten“ lebe. Es gehe darum, Europa zusammenzuhalten. Dafür sei der Vorschlag von Merkel und Macron „sehr wichtig“. Man argumentierte damit, dass die  Maßnahmen einer gemeinsamen Schuldenaufnahme befristet seien und es sich dabei nicht um Eurobonds handele. 

Bisher hat die Union nie einen Unterschied gemacht zwischen einer dauerhaften Schuldenunion und einer zeitlich befristeten. Gemeinsame Schulden waren schlicht in jeglicher Form tabu, nicht nur in der Form von Eurobonds. Dass die EU-Kommission sie macht und Mitgliedstaaten sie abbezahlen müssen, die nicht direkt von den Geldern profitieren, war in der CDU bisher undenkbar.

Angesichts der Profilierungsdebatte in den letzten zwei Jahren ist erstaunlich, wie zaghaft und folgsam die CDU-Führungskräfte auf den deutsch-französischen Vorschlag reagiert haben. Annegret Kramp-Karrenbauer hatte bei ihrem Amtsantritt als CDU-Generalsekretärin gefordert, die Partei dürfe nicht mehr als „Büttel der Kanzlerin“ erscheinen, sondern müsse sich ein eigenes Profil erarbeiten. Auch die Anwärter auf den Parteivorsitz -  Friedich Merz,  Armin Laschet und Jens Spahn -  haben immer wieder betont, dass die CDU nicht nur Regierungspositionen wiedergeben dürfe, um sich so für die Führung der Partei zu empfehlen. Jens Spahn traute sich sogar zu fordern, dass die Partei „wieder laufen“ lernen müsste. Eine Formulierung, mit der Merkel seinerzeit die Abnabelung von Helmut Kohl eingeleitet hatte.

Und jetzt stellten sich alle vorbehaltlos hinter den Merkel-Macron- Plan, der an das Selbstverständnis der CDU rührt. Doch die Partei fügt sich und erweist sich erneut als treue Kanzlerinnenpartei. Schon in der Corona-Krise ist sie als eigenständige Akteurin kaum mehr in Erscheinung getreten. Jetzt folgt sie ohne interne Debatte dem deutsch-französischen Schuldenplan. Damit hat die Partei eine Chance der Abgrenzung und Profilierung verpasst.

Was man hätte machen können, haben die sogenannten „Sparsamen Vier“ vorgemacht. Statt einer „Vergemeinschaftung von Schulden“ schlagen sie vor, dass keine Zuschüsse, sondern nur Kredite vergeben werden, die mit Auflagen verbunden und von den Schuldnerstaaten zurückgezahlt werden. Den notleidenden Staaten würde geholfen, ohne dass die EU-Verträge gebrochen oder geändert werden müssten. Diesem Vorschlag sollte sich die CDU anschließen.
 


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