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Wirtschaftspolitik : Ethikrat fordert Debatte über Corona-Exit
11.04.2020 19:05 (1478 x gelesen)

Ethikrat fordert Debatte über Corona-Exit

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) mahnt zur Geduld, Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) auch. Erst nach Ostern, darauf haben sich die Bundesregierung und die Länder verständigt, soll über mögliche Lockerungen des Lockdowns (Ausgangssperre) beraten werden. Der Ethikrat findet das falsch. Es sei "nie zu früh, über Kriterien für Öffnungen nachzudenken", sagte Vorsitzender Peter Dabrock vor Journalisten.

Was ist der Ethikrat? Der Ethikrat ist ein unabhängiges, von der Regierung eingesetztes Beratungsgremium. Ihm gehören 26 Mitglieder an, vor allem Mediziner, Juristen, Naturwissenschaftler und Theologen. Das Gremium hat den Auftrag, die Öffentlichkeit zu informieren, Diskussionen in der Gesellschaft zu fördern und die Bundesregierung sowie den Bundestag zu beraten. Vor allem geht es um ethische, gesellschaftliche, naturwissenschaftliche, medizinische und rechtliche Fragen und deren Folgen.

Im Rahmen dieses Auftrags hat sich der Ethikrat mit einer Ad-hoc-Empfehlung zur Corona-Krise zu Wort gemeldet. Darin wendet er sich gegen die oft geäußerte Meinung, Krisen seien „die Stunde der Exekutive“. Dies greift nach Meinung des Ethikrates zu kurz. „Die aktuell zu klärenden Fragen berühren die gesamte Gesellschaft; sie dürfen nicht an einzelne Personen oder Institutionen delegiert werden. Gerade schmerzhafte Entscheidungen müssen von den Organen getroffen werden, die hierfür durch das Volk mandatiert sind und dementsprechend auch in politischer Verantwortung stehen. Die Corona-Krise ist die Stunde der demokratisch legitimierten Politik.“

 Die wichtigsten Argumente des Ethikrates, warum die Diskussion darüber jetzt beginnen soll:

1. Es ist nie zu früh: Die Menschen brauchen Hoffnung
Nach Meinung des Ethikrates ist es „derzeit noch zu früh für Lockerungen, aber es ist nie zu früh für eine öffentliche Diskussion über Öffnungsperspektiven. Es stimmt nicht, dass man damit den Menschen falsche Hoffnungen machen würde. Hoffnung, Hoffnungsbilder brauchen Menschen genau dann, wenn sie in einer katastrophalen Situation wie der jetzigen sind. Das motiviert zum Durchhalten. "

2. Verhältnismäßig? Maßnahmen müssen immer wieder überprüft werden

Der Ethikrat kritisiert, dass „die Debatte über Öffnungsperspektiven primär über den Zeitaspekt geführt wird“.  Aus seiner Sicht ist es besser, „die sachlichen Notwendigkeiten des gegenwärtigen Lockdowns wie seine sozialen zum Teil gravierenden Nebenfolgen in den Vordergrund zu stellen. Das heißt konkret, immer wieder ehrlich und kritisch zu überprüfen, ob die Maßnahmen für alle oder einzelne Gruppen weiterhin geeignet, erforderlich, angemessen, kurzum, verhältnismäßig sind. Das lässt sich nicht abstrakt ein für alle Mal festlegen. Es setzt eine kontinuierliche, politisch moderierte, gesellschaftliche Debatte über die Bedeutung unterschiedlicher schutzwürdiger Güter und das Maß eines gesellschaftlich akzeptierten Risikos voraus. "

3. Leben gegen Wirtschaft? Es gibt jetzt schon Opfer des Lockdowns

Laut Ethikrat müssen insbesondere die ökonomischen Folgen bedacht werden: „Die Krise macht, worauf von verschiedener Seite zu Recht hingewiesen wird, nicht nur deutlich, dass in solchen Fällen mehr als lediglich ein handlungsfähiger Staat, nämlich mittel- bis langfristig auch eine funktionierende Marktwirtschaft für die Bewältigung der Situation gebraucht wird…Nicht zuletzt hängt die unmittelbare Versorgung medizinischer Einrichtungen mit der für die klinische Behandlung notwendigen Ausrüstung und Sicherung gebotener Hygienestandards von funktionierenden Versorgungsstrukturen ab. Vor allem zu befürchten ist aber ein Zusammenbruch des marktwirtschaftlichen Gesamtsystems, wenn in Deutschland zu viele Unternehmen der mittelständischen Industrie Insolvenz anmelden müssen.“

4. Es braucht eine Debatte aller: Zuhören schadet der Politik nicht

Der Ethikrat fordert in der Corona-Krise eine offene Debatte: "Wir müssen weg von einem Alles-oder-Nichts-Denken und -Handeln. Je länger die Krise dauert, je mehr Stimmen dürfen, ja müssen gehört werden. Wir sollen keine Angst haben, viele Menschen mit unterschiedlichen Kompetenzen, aber auch legitimen Interessen, zu Wort kommen zu lassen.“ Daran sollen sich auch „Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen, die nicht nur aus den einschlägigen medizinischen Disziplinen stammen müssen und von denen die Öffentlichkeit nicht erwarten sollte, dass sie die Wissenschaft repräsentieren“, beteiligen können.  Außerdem Vertreter von betroffenen Gruppen und schlicht mitdenkende Bürgerinnen und Bürger. Es darf, ja es muss einen Ideenwettbewerb der besten Vorschläge geben, fordert der Ethikrat. „Einer weithin notwendig entscheidungsstarken Politik schadet es nicht, zuzuhören, zu beteiligen und auch Grenzen der eigenen Kompetenz anzuerkennen und dies zu kommunizieren."

5. Einschränkung der Grundrechte? Die Demokratie hält das aus

"Die Demokratie kann das ab", sagte Ethikratsmitglied Steffen Augsberg von der Universität Gießen zu der Einschränkung von Grundrechten durch die Corona-Krise. In der Ad-hoc-Stellungnahme des Ethikrates heißt es dazu:
„Auf längere Sicht ist es selbst für eine gefestigte Demokratie problematisch, in einem Zustand zu verharren, in dem insbesondere die gerade als Korrektiv und Impulsgeber für die demokratischen Prozesse gedachten Grundrechtsgarantien weitgehend außer Kraft gesetzt sind, oder wenn etwa Wahlen verschoben werden oder auf Briefwahl gesetzt wird. Für den Rechtsstaat ist es zudem elementar wichtig, nicht in ein Denken in Kategorien des Ausnahmezustandes zu verfallen.“

6. Triage-Problem: Weder Ärzte noch Ältere im Stich lassen

Steffen Augsberg kritisierte in diesem Zusammenhang die Empfehlung von sieben medizinischen Fachgesellschaften, bei begrenztem Platz auf der Intensivstation die Patienten nach ihrer „Erfolgsaussicht“ zu sortieren. Negativ würden dann Vorerkrankungen ins Geicht fallen. „Wir wollen keine pauschale Ausgrenzung von Bevölkerungsgruppen“, sagte Augsberg.  "Wir wissen, dass die Beschäftigung mit solchen Triage-Szenarien ganz reale Ängste auslöst. Das betrifft nicht nur diejenigen, die die Zuteilung vornehmen müssen, also das medizinische Personal. Es betrifft auch und gerade diejenigen, die jetzt aktuell befürchten, von einer lebensrettenden Maßnahme von vorne herein ausgeschlossen zu sein. Beiden Gruppen gegenüber ist die Botschaft wichtig, dass unsere Gesellschaft ihre Nöte und Sorgen anerkennt und sie nicht im Stich lässt. So besteht auch in der Krise keine Veranlassung, Vertrauen in den Rechtsstaat oder unser Gesundheitssystem zu verlieren. "

7. Quarantäne für Risikogruppe? Existenz sichern

Bei der Notwendigkeit einer Quarantäne plädiert der Ethikrat für ein freiwillige Lösung: "Wenn man erwägt, es über Freiwilligkeit zu machen, dass es nicht über Zwang geht, das würde nach meinem Verständnis jedenfalls der grundrechtlichen verfassungsgemäßen Orientierung unseres Gemeinwesens am Gut der Freiheit entsprechen. Wenn man über die Isolierung der Gefährdeten nachdenkt, dann muss man auch in Erwägung ziehen, (…), dass wir auch den arbeitenden Teil der Bevölkerung haben, und viele, die zu Risikogruppen gehören.“ 


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