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Wirtschaftspolitik : Corona-Pandemie
05.04.2020 22:59 (1660 x gelesen)

Corona-Pandemie

Was sind die Aufgaben eines Staates? Die Antwort lautet: Zu allererst die allgemeine Gefahrenabwehr, egal woher die Gefahr kommt. Das kann auch eine Virus-Epidemie (Pandemie) sein.

Überraschenderweise war es Bill Gates, der dieses Thema im Jahr 2017 auf der Münchener Sicherheitskonferenz als erster zur Sprache brachte. „Wir müssen uns auf Epidemien vorbereiten, wie sich das Militär auf den Krieg vorbereitet. Das bedeutet nicht nur, dass das Militär seine medizinischen und logistischen Kapazitäten in den Dienst der Virus-Bekämpfung stellen muss, sondern dass die Öffentlichkeit für den Ernstfall einer Pandemie probt und die Verhaltensregeln einübt.“

Bill Gates machte dazu den Vorschlag, eine sogenannte Impfstoff-Plattform zu etablieren. „Sie soll Wissenschaftlern dabei helfen, einen universell anwendbaren Impfstoff zu finden, der durch geringfügige Änderungen gegen verschiedene Krankheiten eingesetzt werden kann. Grundlagen-Forschung hierzu gibt es bereits, allerdings fehlen finanzielle Mittel.“

Außerdem forderte er, das Gesundheitssystem in den weniger entwickelten Ländern zu unterstützen, nicht etwa um die weltweite Ungleichheit zu bekämpfen, sondern vielmehr, weil das im Interesse aller Staaten liegt: „Nur so kann eine globale Pandemie verhindert werden.“

Fehlendes Problembewusstsein

„Es war schwer vorhersehbar, wann und ob das Virus Europa erreicht“, sagte Gesundheitsminister Jens Spahn Ende März 2020. Auch dass man sich auf dem Weltmarkt um Schutzmasken streiten würde, „hat so niemand erwartet“. Spahn wollte damit sagen, dass niemand mit der Corona-Krise rechnen konnte und er als Krisenmanager notgedrungen improvisieren musste. Mit seinen Äußerungen hat er jedoch den Verdacht genährt, dass er das Risiko einer Pandemie falsch eingeschätzt und deshalb keine Vorsorge getroffen hat.

Möglicherweise waren ihm die Warnungen von Bill Gates nicht bekannt, oder er hat sie nicht ernst genommen. Dabei war der Appell von Gates gut begründetet und forderte die Politik auf, sich auf eine solche Pandemie vorzubereiten. Dem Deutschlandfunk sagte Gates: „Ich würde sagen, die höchste Wahrscheinlichkeit, in den kommenden Jahrzehnten Dutzende von zusätzlichen Millionen Toten zu erleben, würde von einer Epidemie herkommen. Wissen Sie, unter den drei Albträumen, die mich besorgt stimmen, Atomkrieg, Pandemie und Klimawandel, ist es die Pandemie, auf die wir uns am wenigsten vorbereitet haben. Also ist das ein echtes Problem.“

Und auf die Frage, warum die Regierungen auf eine Pandemie nicht viel besser vorbereitet waren als vor 100 Jahren bei der Spanischen Grippe, sagte Gates: „Nun, was das Ganze noch schlimmer macht, ist, dass die Menschen weltweit umherreisen, mehr als je zuvor. So hat etwa im Jahr 1918 die Spanische Grippe mehr Menschen das Leben gekostet als der Erste Weltkrieg, teilweise auch deshalb, weil die Leute aus dem Krieg zurückkehrten. Sollte jetzt hier auch eine Grippe ausbrechen, dann würde die sich sehr viel schneller als 1918 ausbreiten. Wir hatten also bisher eigentlich nur Glück.“

Jens Spahn war möglicherweise auch nicht bekannt, dass Experten des Robert-Koch-Instututs bereits im Jahr 2012 für die Bundesregierung ein Szenario untersuchten, in dem sich in Deutschland eine Pandemie wie derzeit mit dem Coronavirus ausbreitet. Der Bericht mit dem Aktenzeichen „17/12051“ ging an alle Abgeordneten des Bundestages, an die Landesregierungen und die Ministerien. Journalisten konnten ihn auf der  Internetseite des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz heruntergeladen. Das hat aber wohl niemand getan.

Das Bundesgesundheitsministerium rechtfertigt seine Untätigkeit heute damit, dass es auf „die Zuständigkeit der Bundesländer“ verweist. Diese hätten ihre Pandemiepläne anpassen und das Szenario praktisch umsetzen müssen. Natürlich musste dem Ministerium bekannt sein, dass sie das nicht taten. Offensichtlich haben Politik und Öffentlichkeit das Pandemierisiko, vor dem Bill Gates und das Robert-Koch-Institut eindringlich gewarnt hatte, nicht ernst genommen. Hier liegt die eigentliche Ursache für den Streit um Schutzmasken, den Mangel an Schutzkleidung, um fehlende Beatmungsgeräte und für die berechtigten Sorgen um die Gesundheit des Krankenhauspersonals.

Doch am Anfang der Krise beherrschte Jens Spahn die Schlagzeilen, weil er angeblich als einziges Regierungsmitglied die Tragweite des Geschehens erfasst hatte. Er warnte in eindringlichen Worten vor der Pandemie, klärte auf und sagte noch im Februar öffentlich, man sei gut vorbereitet. Dafür wurde er von der Bundeskanzlerin Angela Merkel mehrfach gelobt: "Spahn macht einen tollen Job." Seine Umfragewerte gingen steil nach oben. Schutzmasken waren aber Mangelware.

Diese mussten sich die Krankenhäuser selbst besorgen, wie der Chefarzt Thomas Voshaar der FAZ berichtete: "Als wir im Januar die Berichte über China gelesen haben, war allen Pneumologen klar: Das Virus wird bald hier sein. Zum Glück hatten wir als Lehre aus der ersten Sars-Pandemie 2004 medizinisches Verbrauchsmaterial eingelagert. Ende Januar haben wir systematisch mit Vorbereitungen begonnen. Es wäre besser gewesen, wenn die Bundesregierung das zu diesem Zeitpunkt auch zügig getan hätte. Noch im Februar hat Bundesgesundheitsminister Jens Spahn öfentlich gesagt, man sei gut vorbereitet. Wir haben diese Aussage nicht verstanden."

Realistische Warnungen

Die Autoren des Pandemie-Berichts zeigten sich über diese Entwicklung nicht sonderlich überrascht. „Leider wurde dieser Bericht wie so einige andere nicht in der wünschenswerten Tiefe diskutiert. Die letzten, sehr wichtigen Schritte im sogenannten Risikomanagementprozess fehlten in der Tat“, sagte der Präsident des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz, Christoph Unger, der FAS. Er hätte sich gewünscht, dass sich Innen- und Gesundheitsausschuss zusammensetzen und überlegen, was zu tun ist. „Nur wer weiß, was ihm drohen kann, kann sich entsprechend gut darauf vorbereiten“, sagte er. „Meist sind diese Risiken aber für die Politik zunächst weit weg und werden durch aktuelle Probleme nach hinten verdrängt.“

Dabei kam das Katastrophenszenario der Experten der derzeitigen Corona-Realität erstaunlich nahe: „Der bei Wildtieren vorkommende Erreger stammt aus Südostasien, wo er über Märkte auf den Menschen übertragen wurde.“ Das Modell-Virus war gefährlicher als das derzeitige Coronavirus. Es breitete sich global aus, „hauptsächlich Asien, Nordamerika, Europa“. Nach Deutschland kam es „wenige Wochen“, nachdem es entdeckt worden war. „Die Symptome sind Fieber und trockener Husten, die Mehrzahl der Patienten hat Atemnot.“ Die Folgen der Pandemie laut Modell waren Engpässe bei der medizinischen Ausrüstung, beim Personal und bei der Lebensmittelversorgung. Schließlich brach die medizinische Versorgung „bundesweit zusammen“.

Angesichts dieser deutlichen Warnungen vor einer katastrophalen Epidemie war politische Untätigkeit keine verantwortbare Alternative, auch wenn die Wahrscheinlichkeit ihres Eintritts von den Experten nur als gering eingeschätzt wurde. Damit stellt sich die Frage nach der politischen Verantwortung. Diese dürfte vor allem bei den damaligen Gesundheitsministern liegen. Als die Drucksache „17/12051“  im Januar 2013 verteilt wurde, hieß der FDP-Gesundheitsminister Daniel Bahr. Ihm folgten nach der Bundestagswahl 2013 Herrmann Gröhe  (CDU) und 2017 Jens Spahn (CDU). Keiner von ihnen hat für den Eintritt einer Pandemie die erforderliche Vorsorge getroffen.

Aber ist auch Angela Merkel als Bundeskanzlerin für die Corona-Krise zumindest mitverantwortlich? In ihren aktuellen Verlautbarungen stellt sie sich als verantwortliche Politikerin vor, die sich darum bemüht, die gesundheitlichen und wirtschaftlichen Schäden der Pandemie für das Land so gering wie möglich zu halten. Dafür verdient sie Unterstützung. Zu einer verantwortungsvollen Krisenbewältigung gehört jedoch auch, dass rechtzeitig die erforderlichen Vorkehrungen getroffen werden, um die Verbreitung der Virusinfektion zu verhindern oder einzudämmen. Nicht nur Bill Gates und das Robert-Koch-Institut haben auf die Dringlichkeit einer solchen Vorsorge hingewiesen, sondern eine Pandemie als "systemisches Riko" wird auch im Weißbuch der Regierung von 2016 beschrieben. Außerdem heißt es in einer strategischen Vorschau der Bundeswehruniversität München (Metis) von Juli 2019, dass "das Pandemierisiko aktuell so hoch (ist) wie selten zuvor".

Das Bundeskanzleramt wusste also, dass eine Virus-Epedemie jederzeit ausbrechen konnte. Sie hätte das Gesundheitswesen deshalb rechtzeitig auf die damit verbundenen Herausforderungen vorbereiten müssen. Dazu gehören insbesondere die ausreichende Ausstattung mit Personal und Geräten sowie das Vorhalten von Reserven. Solches trotz dringender Warnungen versäumt zu haben, muss Angela Merkel zum Vorwurf gemacht werden.

Angela Merkel befindet sich damit in guter Gesellschaft mit Donald Trump, der Warnungen von Experten ebenfalls unbeachtet gelassen hat. Bei der Übergabe der Amtsgeschäfte an Donald Trump führte die Obama-Administration mit dem neuen Kabinett ein Meeting durch, bei dem es bezeichnenderweise darum ging, wie die neue Regierung auf eine Pandemie reagieren müsste. Trumps Kabinett aber schenkte dem kaum Aufmerksamkeit. Das damalige Szenario entsprach nahezu exakt jener Entwicklungen, die wir zurzeit in den USA erleben.


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