Geheimdiplomatie in der Klimapolitik
Bei den Bauerprotesten in Berlin hat die derzeitige Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) ihre umwelt- und klimapolitischen Maßnahmen unter anderem damit für notwendig erklärt, dass ansonsten Strafzahlungen der Bundesregierung gegenüber der Europäischen Union fällig würden bzw. teure CO2-Emissionszertifikate gekauft werden müssten.
Dieses Argument hat viele überrascht, weil solche Konsequenzen bisher in der seit Jahren geführten Klimadebatte nicht auftauchten. Es stellen sich deshalb mehrere Fragen:
(1) Wo ist geregelt, dass EU-Mitgliedsländern bei Verfehlung bestimmter Klimaziele Strafzahlungen oder Ankaufpflichten für CO2-Emissionszertifikate drohen?
(2) Wer trägt dafür auf europäischer oder nationaler Ebene die politische Verantwortung?
(3) Warum haben deutsche Politiker im Europäischen Parlament oder Bundestag solchen Konsequenzen nicht öffentlich widersprochen?
Zu (1):
Die Europäische Union beschloss im Jahr 2009 im Rahmen ihres Klima- und Energiepakets 2020, ihre Treibhausgasemissionen um 20 % gegenüber dem Stand 1990 zu senken. Wichtigstes Instrument hierzu sollte der EU-Emissionshandel sein. Der Emissionshandel (ETS) erfasste aber nur die Wirtschaftssektoren Energie und große Industrien und damit etwa die Hälfte der Emissionen.
Zu den nicht teilnehmenden Sektoren gehörten der Verkehr, die Immobilienwirtschaft und die Landwirtschaft. Für Treibhausgasemissionen in diesen Bereichen übernahmen die Mitgliedstaaten Minderungspflichten, die in der sogenannten „Lastenteilungsentscheidung“ zusammengefasst sind. Diese Entscheidung ist damit – neben dem Emissionshandel – ein zweiter wichtiger Pfeiler der EU-Klimapolitik.
Der Beschluss über die Lastenteilung wurde vom Europäischen Parlament und dem Europäischen Rat am 23. April 2009 im Mitentscheidungsverfahren gefasst und trat am 25. Juni 2009 in Kraft. Darin sind den einzelnen EU-Mitgliedstaaten konkrete Minderungsziele auferlegt worden. Deutschland verpflichtete sich zum Beispiel, seine Treibhausgasemissionen zwischen 2005 und 2020 in Wirtschaftssektoren, die nicht dem EU-Emissionshandel unterliegen, um 14 Prozent zu senken.
Dazu beschloss die Kommission am 26. März 2013 ergänzend die Emissionsmengen (Tonnen CO2), die Deutschland zwischen 2013 und 2020 in dem jeweiligen Jahr ausstoßen darf. Die nationalen Ziele basieren auf dem relativen Wohlstand der Mitgliedstaaten, der durch das Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Kopf ermittelt wird. Verbindliche Jahresziele der EU für die Reduzierung der Treibhausgasemissionen gibt es auch bereits für den Zeitraum 2021-2030.
Wie Deutschland diese Ziele erreichen will, bleibt ihm überlassen. Als mögliche Maßnahmenbereiche nennt die Kommission: Minderung des Kraftstoffverbrauchs im Verkehr, das Unterstützen von Gebäuderenovierung, Ausbau erneuerbarer Energien zum Heizen und/oder klimafreundlichere Landwirtschaftspraktiken.
Deutschland hinkt den verpflichtenden Zielvorgaben der EU hinterher. Die Lastenteilung sieht jedoch für diesen Fall eine gewisse Flexibilität vor: So ist es den Mitgliedsstaaten explizit erlaubt, Emissionsminderungen auf „die Bank zu legen“ oder aus Folgejahren vorwegzunehmen. Zudem dürfen die Mitgliedsstaaten Emissionsminderungen auf andere Staaten übertragen bzw. von diesen erwerben.
Für den Erwerb von Emissionszertifikaten hat die Bundesregierung im laufenden Bundeshaushalt 2020 bereits 100 Millionen Euro eingeplant. Nach Berechnungen der Denkfabrik „Agora Energiewende“ ist jedoch ein deutlich höherer Mitteleinsatz erforderlich, weil die Bundesregierung die Emissionsminderungen im Energiebereich in unzulässiger Weise mit den gestiegenen Emissionen im Verkehrssektor verrechnet hat.
Für den Zeitraum 2021 bis 2030 sieht man am Freiburger Öko-Institut dann sogar eine regelrechte Kostenlawine auf Deutschland zurollen, weil die Mehrzahl der EU-Länder nach derzeitigem Stand die deutlich schärferen Reduktionsziele für 2030 verfehlen wird. Infolgedessen rechnet das Institut damit, dass der Preis für die verbleibenden, überschüssigen Emissionsberechtigungen in zehn Jahren in die Höhe schnellen und eine Verfehlung des Reduktionsziels sehr kostspielig machen wird. „Das könnte eine teure Veranstaltung werden“, sagte Jakob Graichen vom Öko-Institut. Frühere Berechnungen seines Instituts kamen auf zweistellige Milliardenbeträge.
Das deckt sich mit einer Prognose von Agora Energiewende: „Bei Fortschreibung des aktuellen Trends verfehlt Deutschland sein ebenfalls rechtlich verbindliches Klimaschutzziel (gemäß Lastenteilungsentscheidung) für die Jahre 2021 bis 2030 um 616 Millionen Tonnen CO2, mit Kosten für den Bundeshaushalt von 30 bis 60 Milliarden Euro“, schrieben die Agora-Berater schon vor zwei Jahren. Ob die Bundesregierung dem mit dem jüngst beschlossenen „Klimaschutzprogramm 2030“ hinreichend entgegenwirkt, weiß in Berlin niemand, nicht einmal die Bundesregierung selbst.
Zu (2):
Die EU-Lastenteilungsentscheidung wurde am 23. April 2009 vom Europäischen Rat und dem Europäischen Parlament im Mitentscheidungsverfahren getroffen. Sigmar Gabriel (SPD) war damals als zuständiger Minister für Umwelt für die sich daraus ergebende Sachentscheidung verantwortlich. Verantwortung trägt auch die Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), die Deutschland im Europäischen Rat vertreten hat.
Da die Entscheidung im Mitentscheidungsverfahren getroffen wurde, ist auch das Europäische Parlament mitverantwortlich. Im Mitentscheidungsverfahren nimmt das Europäische Parlament nicht nur Stellung, sondern ist gleichberechtigt mit dem Rat an der Entscheidung beteiligt.
Zu (3):
Die Entscheidung über die Lastenteilungsentscheidung demonstriert beispielhaft, wie auf europäischer Ebene elementare Entscheidungen getroffen werden, ohne dass deren Folgen auf nationaler Ebene wahrgenommen werden.
Die Lastenteilungsentscheidung aus dem Jahr 2009 hat weder vor noch nach der Beschlussfassung in den deutschen oder europäischen Medien eine Rolle gespielt. Sie ist vielmehr von Bürokraten in der Kommission vorbreitet und mit den Regierungen der EU-Mitgliedsstaaten auf dem Dienstwege abgestimmt worden. Danach wurde der Beschluss vom EU-Rat verabschiedet und dem Europäischen Parlament übersandt, das den Entscheidungsvorschlag im zuständigen Ausschuss beraten und anschließend darüber entschieden hat. Dies alles ist ohne öffentliche Wahrnehmung geschehen. Erst als zehn Jahre später die Folgen dieser Entscheidung bekannt wurden, begann die öffentliche Debatte.
Im Ergebnis ist die Lastenteilungsentscheidung in einem Verfahren zustande gekommen, wie es in Bürokratien gern praktiziert wird: Ein kleiner Kreis von Beamten, Parlamentarier und Sachverständigen traf eine Entscheidung, die anschließend im Gesetzesblatt veröffentlicht wurde. Die davon betroffenen Personen und Verbände aus den Sektoren Verkehr, Gebäude und Landwirtschaft wurden weder gehört noch hatten sie eine realistische Chance, sich Gehör zu verschaffen. Auch das Europäische Parlament ließ den Entwurf passieren, ohne dass es dazu eine kritische Debatte gegeben hatte.
Es sind solche Methoden einer europäischen Geheimdiplomatie, die die Europäische Union zunehmend in Misskredit bringen.