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Politische Reden : Politische Reden pp. 2010 - 2011
23.03.2016 11:16 (3385 x gelesen)

Politische Reden pp. 2010 - 2011

Der Inhaber dieser Website ist von 1998 bis 2013 in der Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung der CDU/CSU (MIT) auf Bundes- und Landesebene politisch aktiv gewesen. In dieser Zeit hat er sich in zahlreichen öffentlichen Reden, Interviews, Presseerklärungen und Schreiben zu aktuellen und grundsätzlichen Themen der Wirtschaftspolitik geäußert. In diesen Stellungnahmen wird deutlich, wie sich das wirtschaftspolitische Denken und Handeln seit der Jahrtausendwende verändert hat. Soweit die behandelten Themen heute noch von Interesse sind, werden sie nachfolgend in kurzen Ausschnitten dargestellt.

Schreiben an Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel

(14. April 2010)

Betr.: Koalitionsvertrag

Sehr geehrte Frau Dr. Merkel, sehr geehrter Herr Gröhe,

für die Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung der CDU/CSU ist die christlich-liberale Regierung eine politische Wunschkonstellation. Wir vertrauen ihr und unterstützen sie darin, dass sie Deutschland auf der Grundlage der Sozialen Marktwirtschaft gestärkt aus der wirtschaftlichen Krise herausführt.

Die MIT hat seinerzeit den Koalitionsvertrag ausdrücklich begrüßt. Dessen oberstes wirtschaftspolitisches Ziel es ist, "dass Bürger und Unternehmen ihre produktiven Kräfte entfalten können". Wir unterstützen ausdrücklich, dass dies durch eine "auf Stetigkeit, Solidität und Verlässlichkeit ausgerichtete Wirtschaftspolitik" erreicht werden soll, die auf drei zentralen Ansätzen beruht:

1. Stärkung der Angebotskräfte durch Steuersenkung, Bürokratieabbau und Förderung von Bildung, Forschung und neue Technologien.

2. Nachhaltiger Kurs der Sparsamkeit, der Transparenz und der verlässlichen Konsolidierung der öffentlichen Haushalte.

3.  Sicherung der Beschäftigung und der Unternehmensfinanzierung, wobei mit einer "Ausstiegs-Strategie" begonnen werden soll.

Die MIT erkennt an, dass mit dem Wachstumsbeschleunigungsgesetz ein erster Schritt zur Umsetzung gemacht worden ist. Wir sehen allerdings mit Sorge, wie die Bundesregierung den obigen Kurs - aus welchen Gründen auch immer - nicht konsequent weiter verfolgt oder sogar eine in Teilen entgegengesetzte Politik betreibt.

Unsere Sorge ergibt sich insbesondere aus den folgenden Sachverhalten:

Das Thema Steuerreform ist angesichts des Widerstandes der Opposition und der Bedenken starker Kräfte in der Union nahezu "politisch verbrannt". Vorherrschend ist die fiskalische Betrachtungsweise, wonach Steuersenkungen angesichts der öffentlichen Kassenlage unverantwortlich sind. Damit ist die Grundentscheidung im Koalitionsvertrag "Wir verstehen Steuerpolitik als Wachstumspolitik" weitgehend unglaubwürdig geworden. Die Bundesregierung würde dies bestätigen, wenn sie Steuersenkungen auf den Nimmerleinstag verschiebt. Wer mit Steuerpolitik Wachstum fördern will, muss dies unverzüglich und nachhaltig tun.

Besonders schwerwiegend erscheint uns, dass die neue Bundesregierung für 2010 nicht mit einem Sparhaushalt, sondern mit einer Rekordverschuldung von über 80 Mrd. Euro gestartet ist. Die Rechtfertigung dieses Defizits mit der konjunkturpolitisch unsicheren Lage übersieht, dass es sich dabei in erster Linie um einen strukturbedingten Ausgabenüberhang handelt. In wirtschaftspolitischer Hinsicht ist besonders negativ, dass die Bundesregierung offen lässt, welchen "Kurs der Sparsamkeit und der verlässlichen Konsolidierung" sie zukünftig fahren will. Planungssicherheit als unerlässliche Voraussetzung für wirtschaftliches Wachstum wird dadurch nicht geschaffen.

Wir sind auch davon überzeugt, dass "Beschäftigung sichern" mehr erfordert als die Verlängerung der Kurzarbeiterregelung. Was wir brauchen, ist vor allem eine nachhaltige Regelung für den Niedriglohnbereich. Der Koalitionsvertrag sieht hier unter anderem vor, die gesetzliche Regelung zum Mindestlohn bis Oktober 2011 zu evaluieren, um zu überprüfen, ob sie Arbeitsplätze gefährdet oder neuen Beschäftigungsverhältnissen entgegensteht. Die politische Absicht des Koalitionsvertrages wird unterlaufen, wenn auf der Grundlage der bestehenden Regelung vorab weitere Mindestlöhne beschlossen werden, wie dies für den Pflegebereich bereits geschehen ist.

Die Politik könnte einen wesentlichen Beitrag für die Beschäftigungssicherung leisten, wenn die Gesundheitskosten von den Lohnzusatzkosten "weitgehend entkoppelt" würden, wie es der Koalitionsvertrag vorsieht. Insoweit verdient der Gesundheitsminister politische Unterstützung, nicht aber bei seinem Vorhaben, die forschenden Arzneimittelunternehmen mit Preisdiktaten zu überziehen. Die Regierung sollte auch in der Gesundheitspolitik zum "Wettbewerb als ordnendes Prinzip" zurückkehren statt mit planwirtschaftlichen Methoden Kostendämpfung zu betreiben.

Wir sind der festen Überzeugung, dass wirtschaftliche Vernunft und soziale Verantwortung zwei Seiten einer Medaille sind und in eine ausgewogene Balance gebracht werden müssen. Diese Voraussetzung sehen wir durch den Koalitionsvertrag erfüllt. Wir betrachten allerdings mit großer Sorge, wie dieses Gleichgewicht bei der politisch-praktischen Umsetzung des Koalitionsvertrages schon nach wenigen Monaten in Gefahr gerät. Hier öffnet sich eine zunehmend größere Glaubwürdigkeitslücke zwischen politischer Absichtsbekundung und tatsächlichem Regierungshandeln. Das spüren die Menschen, und es schlägt sich auch in der Demoskopie nieder.

Zu leugnen oder die Augen davor zu verschließen, dass dieser, dem Koalitionsvertrag in wichtigen wirtschaftlichen Fragen diametral entgegenstehende Kurs der Bundesregierung, die Siegchancen von CDU und FDP in NRW beeinträchtigt, wäre leichtfertig und leichtsinnig. Dies sind der Grund und der Anlass für dieses Schreiben.

Mit freundlichen Grüßen 

Dr. Josef Schlarmann

FTD-Interview

(10. Mai 2010)

FTD:   Herr Schlarmann, Schwarz-Gelb in NRW ist abgewählt. Welchen Anteil an der Niederlage hat die Koalition in Berlin?

Schlarmann:   Die Koalition in Berlin hat in den ersten Monaten Stillstand praktiziert. Dahinter steckte die Strategie der Union, der Opposition keine Reizthemen zu liefern. Aber dadurch, dass sich die Union aus dem politischen Geschäft ausgeklinkt hat, ist sie in die Defensive geraten. Sie konnte nur noch reagieren, statt selbst Themen zu setzen. Die Strategie des Nichtstuns ist gescheitert.

FTD:   Aber es gab auch Streit. Wem hat das Gezänk genutzt?

Schlarmann:   Die Union hat sich immer weiter vom Koalitionsvertrag entfernt, zum Beispiel bei den Steuersenkungen. Der Streit darüber mit der FDP hat bürgerliche Wähler stark irritiert und der CDU geschadet. Es gab zu viele Widersprüche. Die Menschen haben den Eindruck, die Koalition läuft aus dem Ruder. Das konservativ-liberale Lager fühlt sich heimatlos.

FTD:   Welche Rolle hat Merkels Zickzackkurs bei der Milliardenhilfe für Griechenland gespielt?

Schlarmann:   In der Griechenland-Krise haben sich die Weichwährungsländer auf ganzer Linie durchgesetzt. Die Menschen sorgen sich, dass die Stabilität, die wir mit der D-Mark hatten, mit dem Euro nicht fortgesetzt werden kann. Das ist eine tief sitzende Angst gerade der bürgerlichen Wähler.

FTD:   Die schwarz-gelbe Mehrheit im Bundesrat ist verloren. Welche Chancen haben nun noch Reformprojekte der Bundesregierung?

Schlarmann:   Es besteht die Gefahr, dass wir in die Zeit der Großen Koalition zurückfallen. Das Christlich-Liberale wäre dann nur eine Episode gewesen. Steuererleichterungen sind damit für diese Wahlperiode ad acta gelegt. Alles wird sich nun um die Frage drehen, wie Steuern erhöht werden können, ohne das Wachstum zu gefährden.

Spiegel-Interview (Auszug): "Der Abstieg hat begonnen"         

(Der Spiegel 28/2010)

Spiegel:   Herr Schlarmann, Sie haben sich in den vergangenen Jahren eine gewisse Prominenz als Merkel-Kritiker erworben. Was genau stört Sie an ihr.

Schlarmann:   An erster Stelle steht ihr Regierungs- und Führungsstil. Im System Merkel werden Entscheidungen zentral getroffen, von oben nach unten, in der Managersprache würde man sagen "top-down", nicht "bottom-up". Das ist in einer Parteiendemokratie bedenklich. Die Verfassung weist den Parteien die Aufgabe zu, an der politischen Willensbildung mitzuwirken.

Spiegel:   Sie haben den Eindruck, Merkel mache alles mit sich selbst aus?

Schlarmann:   Nicht mit sich selbst. Sie regiert mit einem kleinen Team, das sie ausgewählt hat. Die Dinge werden dort beraten und entschieden. Die Partei erfährt dann meistens erst aus den Medien, was beschlossen worden ist. Unter Merkel wurde der Einfluss der Partei marginalisiert. Die Folgen sind nicht zu übersehen: Unsere Mitglieder sind unglücklich, viele völlig frustriert. Die CDU hat ein großes Problem.

Spiegel:   Es steht doch jedem Parteimitglied frei, sich einzubringen.

Schlarmann:   Eben nicht. Es hat bei der Bundespräsidentenwahl zwischen 40 und 60 Abweichler gegeben. Aus der Tatsache, dass alle anonym geblieben sind, können Sie erkennen, wie es um die Diskussionskultur in der Union bestellt ist. Man traut sich nur noch bei einer geheimen Wahl zu sagen, dass man mit dem Zustand unzufrieden ist.

Spiegel:   Spricht es nicht eher gegen die Leute, die im Stillen feige mosern, sich öffentlich aber nicht trauen?

Schlarmann:   Wie in allen Parteien gibt es auch in der Union die Fraktion der Anpassungsstrategen. Man lebt aus dem Amt, das die Partei einem zugewiesen hat. Deshalb ist die Bereitschaft, gegen die Führung zu opponieren nicht allzu groß. Aufgabe der Führung ist es also, für eine offene Diskussionskultur zu sorgen.

Spiegel:   Sie sind Mitglied des Parteivorstands. Was machen Sie da eigentlich?

Schlarmann:   Ich nehme an den Sitzungen teil, nehme entgegen, was Frau Merkel über die aktuelle Lage sagt, und melde mich bei bestimmten Themen zu Wort.

Spiegel:   Und, macht das einen Unterschied, was sie dort sagen?

Schlarmann:   Nein. Meine Beiträge und die der anderen Mitglieder haben nach meiner Wahrnehmung keinerlei Einfluss auf die Entscheidungsfindung.

Spiegel:   Bei ihrer Wahl zur Parteivorsitzenden vor zehn Jahren hat Angela Merkel gesagt: "Ich will eine CDU, deren Mitglieder in die Meinungsbildung einbezogen werden, die selbstbewusst sind und diskutieren."

Schlarmann:   Das klang prima, hatte aber nichts mit der Realität zu tun.

Spiegel:   Die Kanzlerin hat angekündigt, dass sie im Herbst Regionalkonferenzen abhalten will, um die Partei einzubinden. Freut Sie das?

Schlarmann:   Das löst das Problem nicht. Regionalkonferenzen gehören zu den klassischen Instrumenten des "top-down". Das hat mit Teilhabe, mit Gestaltung, mit Programmatik überhaupt nichts zu tun. Das sind Werbeveranstaltungen für die Führung.

Spiegel: Bislang waren Sie ja der Einzige in der Union, der sich traute, die Kanzlerin derart deutlich zu kritisieren. Haben Sie bis heute keine Gleichgesinnten gefunden?

Schlarmann:   Ich habe viele Gleichgesinnte! Die Frage ist nur, ob sich Gleichgesinnte auch äußern können und äußern wollen. Wenn Organisationen nicht mehr in der Lage sind, auf die Herausforderungen produktiv und kreativ zu antworten, dann haben sie ihren Höhepunkt überschritten. In der Parteipolitik ist es so: Wenn Sie nicht mehr die richtigen Antworten geben und durchsetzen, dann hat der Abstieg begonnen.

„Soziale Marktwirtschaft – ein gefährdetes Konzept“

(MIT-Regionalkonferenz in Fürth am 9. Oktober 2010)

Für Ludwig Erhard lag der Sinn der „Sozialen Marktwirtschaft“ darin, das Prinzip der Freiheit auf dem Markt mit dem Prinzip des sozialen Ausgleichs und der sittlichen Verantwortung jeden Einzelnen dem Ganzen gegenüber zu verbinden.

In dieser Definition spiegeln sich alle Grundströmungen wieder, die die Politik im Deutschland der Nachkriegszeit maßgeblich geprägt haben:

• Erstens der Liberalismus, der die Freiheit des Individuums in den Mittelpunkt der Politik gestellt hat.
• Zweitens das Sozialstaatsprinzip, wonach der Staat für die soziale Sicherheit seiner Bürger verantwortlich ist.
• Drittens die gesellschaftlich Akzeptanz sozialethischer und wertkonservativer Positionen.

Aus diesen Grundströmungen entwickelte sich auch die neue Parteienlandschaft in der Nachkriegszeit. Die programmatische Gewichtung der liberalen, sozialen und konservativen Elemente war aber unterschiedlich. CDU/CSU und FDP orientierten sich als „bürgerliche“ Parteien eher an liberalen und konservativen Einstellungen. Den Gegenpart bildeten die „linken“ Parteien SPD und KPD, die mit der progressiven Umsetzung sozialer Forderungen für sich warben.

Im Lauf der Jahrzehnte haben sich nicht nur die Parteien selbst verändert, sondern es verschoben sich auch die Gewichte zwischen den politischen Lagern. Während das liberal-konservative Lager die fünfziger und sechziger Jahre bestimmte, übernahmen seit den siebziger Jahren links-progressive Parteien die Meinungsführerschaft. Diese „Wende“ fällt nicht zufällig mit dem wachsenden Einfluss der 68er Generation in Gesellschaft und Politik zusammen.

Wie tiefgreifend sich gleichzeitig die „bürgerlichen“ Parteien gewandelt haben, lässt sich an der Entwicklung der CDU erkennen. Unter der Führung von Angela Merkel verabschiedete sich die Partei von vielen liberal-konservativen Positionen und näherte sich der Programmatik von  SPD und Grünen stark an. Im Zuge dieser „Modernisierung“ wurde auch das komplette Führungspersonal ausgetauscht. In der CDU gibt es heute keine  prominenten Personen mehr, die sich für liberal-konservative Positionen stark machen.

I

Der Rückzug liberal-konservativer Politiker und die Meinungsführerschaft progressiv-linker Gruppierungen haben sich insbesondere in der Sozial- und Wirtschaftspolitik ausgewirkt. Eine unmittelbare Folge dieser Entwicklung ist der generelle Verlust ordnungspolitischen Denkens in der Politik. Ordnungspolitische Hinweise werden selbst in der CDU bestenfalls noch zur Kenntnis genommen, in der konkreten Politik spielen sie aber so gut wie keine Rolle mehr.

Eine solche Haltung ist ein scharfer Bruch mit der von Ludwig Erhard begründeten Wirtschaftspolitik, deren Kernstück die Ordnungspolitik war. Er gefährdet die Soziale Marktwirtschaft, die sich von anderen Wirtschaftssystemen vor allem durch ordnungspolitische Grundsätze und Prinzipien auszeichnet. Ludwig Erhard hat die CDU deshalb schon auf ihrem 1. Bundesparteitag 1950 in Goslar gewarnt: „Die CDU würde sich selbst preisgeben und das deutsche Volk sozialistischen Experimenten überantworten, wenn …sie den Boden der Sozialen Marktwirtschaft verließe“.

Für Ludwig Erhard stand die Ordnungspolitik  im Mittelpunkt seiner Wirtschaftspolitik, weil sie der Garant für die Wahrung der wirtschaftlichen Freiheit war. Ihre Hauptaufgabe bestand darin, die Handlungsbereiche von Staat und Wirtschaft abzugrenzen, wozu Walter Eucken den folgenden staatspolitischen Grundsatz formuliert hat: „Die wirtschaftspolitische Tätigkeit des Staates sollte auf die Ordnungsformen der Wirtschaft gerichtet sein, nicht auf die Lenkung der Wirtschaftsprozesse.“ Kurz: In einer freien Wirtschaft macht und überwacht der Staat die Regeln, das Spiel selbst ist Sache der Wirtschaft. Dies ist die Kernbotschaft der Ordnungspolitik.

Die Alternative zur Ordnungspolitik ist der Interventionismus, der in der politischen Realität an die Stelle der Ordnungspolitik getreten ist. Darunter fallen staatliche Aktivitäten, mit denen die Politik steuernd und lenkend in die privaten Wirtschaftsprozesse eingreift und sie verändert. Die heutige Wirtschafts- und Sozialpolitik besteht weitgehend aus solchen Eingriffen, weil sie den Politikern die Möglichkeit geben, mit kurzfristigen Ergebnissen Handlungsfähigkeit unter Beweis zu stellen.

Der Interventionismus ist Gift für die Soziale Marktwirtschaft, weil er die Grenzen zwischen Staat und Wirtschaft verwischt. Privatwirtschaftliche Entscheidungen werden durch politische Beschlüsse modifiziert, verändert oder sogar ersetzt; dem entspricht zwangsläufig ein Weniger an Wirtschaftsfreiheit.
Außerdem verstoßen fallweise und kurzfristige Maßnahmen des Staates gegen das wirtschaftspolitische Konstanzgebot, ohne dass es keine Planungssicherheit geben kann.

Für Ludwig Erhard war die Soziale Marktwirtschaft das Modell einer freiheitlichen und gerechten Wirtschaftsordnung, nicht eine Methode zur Lenkung und Steuerung der Wirtschaft. Den heute üblichen Interventionismus lehnte er aus grundsätzlichen Gründen ab, weil das Primat der Politik mit der Sozialen Marktwirtschaft unverträglich ist.

II

Der Verlust liberal-konservativen Denkens und das Erstarken links-progressiver Kräfte in allen Parteien hat auch die Sozialpolitik in Deutschland verändert.

Für Ludwig Erhard war die Marktwirtschaft also solche sozial, weil sie „Wohlstand für alle“ brachte. Sie musste nicht sozial gemacht werden. Staatliche Hilfe sollte nur subsidiär als Hilfe zur Selbsthilfe hinzutreten. Vor dem Weg in den Versorgungsstaat hat Ludwig Erhard ausdrücklich gewarnt: „Solche Wohltaten muss das Volk immer teuer bezahlen, weil kein Staat seinen Bürgern mehr geben kann, als er ihnen vorher abgenommen hat – und das noch abzüglich der Kosten einer zwangläufig immer mehr zum Selbstzweck ausartenden Sozialbürokratie. Nichts ist darum in der Regel unsozialer als der sogenannte Wohlfahrtsstaat.“

Die Sozialpolitiker haben diese Warnungen in den Wind geschlagen und den Sozialstaat nach Kräften immer weiter ausgebaut. Der Versorgungsstaat ist längst Realität und stellt aus vielerlei Gründen eine reale Gefahr für die Soziale Marktwirtschaft dar:

• Dies betrifft  zunächst die Wirtschaftsgesinnung: Sie ist weniger leistungsorientiert und stärker verteilungsorientiert geworden.
• Dann geht es um das Verhältnis von Solidarität und Eigenverantwortung:  Das Subsidiaritätsprinzip spielt im Versorgungsstaat keine Rolle mehr. Zudem bleibt das Problem des „Moral Hasard“  ungelöst. Der Wohlfahrtsstaat sozialisiert die Lebensrisiken, belässt es aber bei der Privatisierung der Chancen.
• Schließlich ist ein neuer Korporatismus entstanden:  Organisierte Interessen beeinflussen und dirigieren die Wirtschafts-, Sozial- und Arbeitsmarktpolitik. Sonderinteressen treten damit an die Stelle des Gemeinwohls.

Kurt Biedenkopf hat in diesem Zusammenhang von einem Dualismus zwischen Wirtschafts- und Sozialpolitik gesprochen: „ Eine Gesamtordnung, deren Wirtschaft prinzipiell marktwirtschaftlich und deren Sozialordnung prinzipiell planwirtschaftlich gestaltet wird, ist nicht gleichgewichtsfähig.“ Biedenkopf  wollte mit dem fehlenden Gleichgewicht zum Ausdruck bringen, dass private Marktwirtschaft und staatliche Sozialpolitik zwei Regelwerke sind, die unterschiedlich funktionieren. Wenn diese Feststellung richtig ist, müsste die Politik das Gleichgewichts mit grundsätzlichen Reformen in Richtung Marktwirtschaft – im Sinne der Agenda 2010 - wiederherstellen.

Für das progressiv-linke Lager ist eine solche Strategie jedoch tabu. Stattdessen wird versucht, dem Problem mit einer nicht endenden Kette von sozialpolitischen Interventionen beizukommen. Dabei geht es  angeblich um die Würde des Menschen, tatsächlich stehen aber ganz unterschiedliche Menschenbilder dahinter. Die Progressiv-Linken sehen im Menschen eine hilfsbedürftige Kreatur, die erst durch den Staat und dessen Hilfe „frei“ wird. Dagegen halten die Liberal-Konservativen den Menschen für frei, weil er grundsätzlich in der Lage ist, sein eigenes Leben zu leben und sich aus Vernunft in einem Gemeinwesen zu organisieren.

III

Nach dem Verständnis von Ludwig Erhard gehört „die sittliche Verantwortung jeden Einzelnen dem Ganzen gegenüber“ neben den Prinzipien der Freiheit und des sozialen Ausgleichs zu den tragendes Elementen der Sozialen Marktwirtschaft. Die überzeugende  Begründung dafür hat  Wilhelm Röpke mit der Beschreibung des „homo homini lupus“ geliefert: „Freiheit ist unmöglich ohne moralische Bindungen allerhöchster Ordnung. Freiheit ohne Normen und Regeln, ohne moralische Selbstdisziplin des einzelnen ist die furchtbarste Unfreiheit für alle diejenigen, die dabei zertrampelt oder versklavt werden.“

Was Wilhelm Röpke zur Freiheit generell gesagt hat, gilt für die Soziale Marktwirtschaft als freiheitliche Wirtschaftordnung in besonderer Weise. Wie es sein bekanntestes Buch schon im Titel sagt, erhält die Wirtschaft ihre Legitimität erst von den Werten, die „jenseits von Angebot und Nachfrage“ existieren.

Dies bedeutet, dass die Soziale Marktwirtschaft eine Gesellschaft voraussetzt, in der bestimmte grundlegende Dinge respektiert werden. Dazu zählt Wilhelm Röpke individuelle Anstrengung und verantwortliches Handeln, unantastbare Normen und Werte, im Eigentum verankerte Unabhängigkeit, die Fähigkeiten des Rechnens und Sparens, selbstverantwortliche Lebensplanung, Familiensinn und vieles mehr. Mit einem Wort: Es sind die „bürgerlichen Tugenden“, die man mit wertkonservativen Personen verbindet.

Die Schöpfer der Sozialen Marktwirtschaft waren sich darüber im Klaren, dass sich das Wirtschaftsleben nicht in einem moralischen Vakuum abspielt. Markt, Wettbewerb und das Spiel von Angebot und Nachfrage allein erzeugen jene sittlichen Reserven aber nicht. Sie setzen sie vielmehr voraus und verbrauchen sie. Sie müssen sie von den Bereichen außerhalb des Marktes beziehen.

Vor diesem Hintergrund erschließt sich, welchen Einschnitt es für die Soziale Marktwirtschaft bedeutete, als unter dem Einfluss der 68er Generation „bürgerliche Tugenden“ generell als „Sekundärtugenden“ abgewertet wurden. Dass die gleiche Generation dann später in dem Verlust solcher Tugenden die entscheidende Ursache für die Finanzkrise 2007/2008 erkannte, gehört zur  Ironie der Geschichte.

Jedenfalls ist festzustellen, dass das Fundament der Sozialen Marktwirtschaft mit dem Verschwinden wertkonservativen Denkens im politischen Diskurs brüchiger geworden ist. Dass solches Denken in Teilen der Wirtschaft, vor allem bei den Familienunternehmen, noch vorhanden ist und auch gepflegt wird, ist allein kein beruhigender Umstand. Denn der politische Einfluss dieser gesellschaftlichen Gruppe reicht nicht aus, um sich gegenüber den progressiv-linken Strömungen in Gesellschaft und Politik durchzusetzen. 

Neujahrsempfang Kreishandwerkerschaft Mittelholstein
(5. Februar 2011)

Die Wirtschaft erholt sich kräftig – nicht nur wegen des Export-Booms, sondern auch weil die Nachfrage im Inland steigt. Kein Wunder, dass sich Rainer Brüderle als Wirtschaftsminister diesen „Aufschwung XL“ auf seine Fahne schreiben will. Es ist in der Wirtschaftspolitik wie im Leben. Erfolge kennen viele Väter, Misserfolge entstehen vaterlos. Doch bleiben wir bei den Tatsachen.

I

Es begann mit der Bankenkrise – wie wir uns erinnern. Amerikanische Banken hatten mit staatlicher Hilfe leichtfertig Kredite vergeben, um auch Menschen ohne Beruf, Einkommen oder Vermögen den Traum vom eigenen Haus zu ermöglichen. Als dieser Traum platzte, gingen nicht nur Banken pleite, sondern die Funktionsfähigkeit der internationalen Finanzmärkte stand plötzlich auf dem Prüfstand.

Was dies für die Realwirtschaft bedeuten konnte, war aus der Weltwirtschaftskrise der 30er Jahre bekannt. Die Politik hat deshalb sehr schnell reagiert und international abgestimmt riesige Rettungsschirme über den Bankensektor gespannt. Die Funktionsfähigkeit der Finanzmärkte konnte dadurch relativ schnell wieder hergestellt werden. 

Wir sollten dabei nicht vergessen, dass sich die Sparkassen und Volksbanken in der Bankenkrise als stabil erwiesen haben. Das Drei-Säulenmodell in Deutschland hat sich deshalb bewährt. Nur Landesbanken mussten mit staatlicher Hilfe gerettet werden.

Auf die Bankenkrise folgte die Konjunkturkrise 2009. Es waren vor allem die Unternehmen im Export- und Investitionssektor, die dramatische Umsatzeinbrüche erlebten. Die Wirtschaftsleistung 2009 ging insgesamt um 4,7 Prozent zurück. In der Krise ging es in vielen Unternehmen schlicht ums Überleben. Viele haben es geschafft, indem Kosten abgebaut, auf Entnahmen verzichtet und private Mittel eingelegt wurden. Es gibt aber auch viele Unternehmen, die trotz erheblicher Restrukturierungsbemühungen nicht überlebt haben.

Die Krisenbewältigung in den Unternehmen wäre nicht so erfolgreich gewesen, wenn die Mitarbeiter in den Betrieben nicht mitgemacht hätten. Zur Sicherung des Arbeitsplatzes wurde auf Lohn verzichtet und verkürzt gearbeitet. Auch das Modell der Sozialpartnerschaft hat sich in der Krise bewährt.

Man muss auch anerkennen, dass die Bundesregierung mit ihren Maßnahmen einen Beitrag zur Stabilisierung der Konjunktur geleistet hat. Unabhängig von der berechtigten Kritik an den Konjunkturpaketen stimme ich der Bundeskanzlerin zu, die im Hinblick auf die Bekämpfung der Konjunkturkrise von einem Gemeinschaftswerk gesprochen hat. Der konzertierten Aktion von Unternehmern, Mitarbeitern und Politikern ist es zu verdanken, dass es keinen dramatischen Beschäftigungsrückgang gegeben hat. Die Unternehmen haben ihre Stammbelegschaft nicht nach Hause geschickt, sondern Kurzarbeit eingeführt, die der Bund finanziell unterstützt hat.

II

Die deutsche Wirtschaft hat sich im Jahr 2010 überraschend schnell erholt. Rainer Brüderle freute sich: „Besser als bei uns lief es in keinem anderen großen Industrieland. Wir sind doppelt so schnell gewachsen, wie der Durchschnitt der Europäischen Union.“ Das Plus für 2010 beläuft sich auf insgesamt 3,6 Prozent. Hiervon entfällt knapp ein Drittel auf den Exportüberschuss, zwei Drittel auf die Binnennachfrage. Den größten Beitrag lieferten die Investitionen, die im Vorjahr eingebrochen waren. Auch vom Konsum kamen 2010 wieder positive Impulse.

Dieser Wirtschaftsaufschwung hat vor allem angebotsseitige Ursachen. Deutschland hat im internationalen Vergleich immer noch eine starke industrielle Basis. Unsere Produkte haben nicht nur einen guten Ruf, sondern passen auch zu dem Bedarf von Schwellenländern wie China, Indien oder Brasilien. Darüber hinaus sind unsere Unternehmen in der Krise deutlich wettbewerbsfähiger geworden. Sie haben die Krise für Kostensenkungen, Restrukturierungen und Innovationen genutzt. Für den Unternehmenssektor gilt deshalb, dass er aus der Krise gestärkt hervorgegangen ist, was sich im internationalen Wettbewerb zeigt.

Dieser Aufschwung geht deshalb in erster Linie auf das Konto der Unternehmen. Der angebotsseitige Beitrag der Regierung hält sich demgegenüber in Grenzen. Zwar enthält der Koalitionsvertrag aus dem Herbst 2009 ein wirtschaftsfreundliches „Programm für Wachstum und Beschäftigung“, hiervon hat sich die CDU-FDP-Regierung aber Anfang 2010 wieder verabschiedet. Seit der Staatschuldenkrise in Griechenland und der Zusage von Finanzhilfen für dieses Land hat die Konsolidierung des Haushalts für die Bundesregierung oberste Priorität. Als erstes wurde die im Koalitionsvertrag versprochene Steuersenkung von 24 Milliarden Euro einkassiert.

In der derzeitigen Konsolidierungsdebatte führt nicht der Wirtschaftsminister, sondern der Finanzminister die Debatte an. Auch wenn die Bundeskanzlerin öffentlich erklärt, die Steuern würden nicht erhöht, die Steuerschraube dreht sich weiter. Seit Beginn des Jahres erhebt der Bund eine ökologische  Luftverkehrsabgabe. Die Länder sind dabei, die Grunderwerbsteuer zu erhöhen. Gleiches machen die Kommunen bei der Grundsteuer. Im Rahmen der Sozialversicherung steigen die Beiträge zur Arbeitslosen- und Krankenversicherung. Ein wirtschaftsfreundliches Programm sieht anders aus.

Die schwarz-gelbe Koalitionsregierung hatte das Ziel, mit Hilfe von steuerlichen Erleichterungen Wirtschaftswachstum und Beschäftigung zu fördern, um über diesen Weg die öffentlichen Haushalt zu konsolidieren. Dieser wirtschaftspolitische Gedankengang ist völlig verloren gegangen. Stattdessen wird nur noch fiskalisch argumentiert: Die öffentlichen Haushalte sollen mit höheren Steuern saniert werden. Dass darunter Wachstum und Beschäftigung leiden, was sich wiederum negativ auf den Haushalt auswirkt, wird dabei ausgeblendet.

III

Es ist kurzsichtig, sich auf dem Wirtschaftsaufschwung 2010 auszuruhen. Der Aufschwung findet in einem internationalen Umfeld statt, das nicht ohne Risiken ist. Deutschland ist und bleibt eine Exportnation, die sich im Wettbewerb mit anderen Nationen behaupten muss. Um diese Herausforderung bestehen zu können, benötigen wir eine „wirtschaftspolitische Agenda“, die über die Konsolidierung der öffentlichen Haushalte hinausgeht.

Falsche Argumente zu Europa

(Mittelstands-Magazin August 2011)

1. Argument: "Europa ist eine Solidarunion."

Europa ist eine Wirtschafts- und Währungsunion, aber keine Haftungs- oder Transferunion. Einer Haftungs- und Transferunion steht das Bail-out-Verbot entgegen, demzufolge weder die Union noch die Mitgliedstaaten wechselseitig für ihre jeweiligen Verbindlichkeiten haften oder dafür eintreten. Dies ist Ausdruck des allgemeinen Gedankens, dass derjenige, der über die Aufnahme von Schulden entscheidet, diese auch zurückzahlen muss.

2. Argument: "Die Finanzhilfen der EU sind keine Transfers, sondern verzinsliche Darlehn."

Dies gilt für solide Schuldnerstaaten, nicht aber für überschuldete Länder. Kredite ohne Rückzahlungsperspektive sind Finanztransfers, auch wenn sie formell als Kredite gegeben werden.

3. Argument: "Griechenland hat ein Liquiditätsproblem, aber kein Solvenzproblem."

Griechenland hat sowohl ein Liquiditätsproblem als auch ein Solvenzproblem. Die Wirtschafts- und Steuerkraft reicht nicht aus, um den erforderlichen Schuldendienst dauerhaft leisten zu können. Der Grund ist die fehlende Wettbewerbsfähigkeit des Landes. Mit den Krediten der EU kann zwar die momentane Zahlungsfähigkeit wieder hergestellt werden, aber nicht die nachhaltige Schuldendienstfähigkeit.

4. Argument: "Griechenland kann mit Sparauflagen wieder wettbewerbsfähig gemacht werden."

Fiskalische Sparauflagen können zwar den Haushalt entlasten, wirken für die Wirtschaft aber restriktiv und vergrößern dadurch das Problem. Langfristig kann die Wettbewerbsfähigkeit Griechenlands als Mitglied der Eurozone nur durch eine "innere Abwertung", d.h. durch Senkung der Preise und Löhne, Einkommen und Renten, wieder hergestellt werden. Dies ist in einer klientelorientierten Parteiendemokratie politisch aber nicht durchsetzbar.

5. Argument: "Zu Hilfen für Griechenland gibt es keine Alternative."

Die Alternative ist die Aussetzung der Euro-Mitgliedschaft, ein realistischer Wechselkurs für die neue Währung und die Abwertung der Altschulden. Ein solches Programm ist eher durchzusetzen, als eine innere Abwertung, die Griechenland faktisch unter Kuratel der EU stellt.

6. Argument: "Eine Umschuldung Griechenlands gefährdet den Euro:"

Die wirtschaftliche Größe Griechenlands ist dafür viel zu gering, und die Gläubiger haben eine Abwertung ihrer Forderungen längst eingepreist. Die Restrisiken sind durchaus beherrschbar. Notleidenden systembedeutsamen Banken kann frisches Kapital gegeben werden. Dies ist allemal günstiger als dauerhafte Transfers ohne Aussicht auf ein gutes Ende.

7. Argument: "Der Euro fördert die europäische Integration."

Dies gilt für Länder mit vergleichbarer Wirtschafts- und Steuerkraft. Im Verhältnis zu Ländern, die nicht wettbewerbsfähig sind, hat der Euro eine desintegrierende Wirkung. Er überfordert die Geberländer und provoziert Widerstände in den Nehmerländern.

Wie viel Kraft hat die CDU für Deutschland und Europa?
(Residenzschlosses Ludwigsburg am 29. September 2011)

I

Zwei liberal-konservative Politiker der CDU, Konrad Adenauer und Ludwig Erhard, haben Deutschland in der frühen Nachkriegszeit entscheidend geprägt. Für Adenauer ging es um Europa, für Ludwig Erhard um die Soziale Marktwirtschaft. Beide Anliegen trafen  den Nerv der Zeit und machten die CDU zur Volkspartei.

Heute befinden sich sowohl Europa als auch die Soziale Marktwirtschaft in einer tiefen Krise. Die kombinierte Finanz-, Wirtschafts- und Staatsschuldenkrise in Europa rüttelt an den Grundfesten des europäischen Zusammenschlusses und stellt den derzeitigen Zustande der Europäischen Union infrage. Gleichzeitig schwindet die Zustimmung zur Sozialen Marktwirtschaft, die man für Fehlentwicklungen verantwortlich macht und der man die Eignung abspricht, die wirtschaftlichen Probleme lösen zu können.

Dabei ist auffällig, dass mit der Hinwendung der Politik zu staatwirtschaftlichen Lösungen in Deutschland und Europa ein zunehmender Kräfteverschleiß bei der CDU zu beobachten ist. Parallel zur europäischen Krise und zur Abkehr von marktwirtschaftlichen Grundsätzen ist auch die CDU als Volkspartei in die Krise geraten. Ich wage deshalb die These, dass die zukünftige Entwicklung der CDU entscheidend davon abhängt,  ob sie die europäische Krise staatswirtschaftlich oder auf der Grundlage marktwirtschaftlicher Ordnungsprinzipien lösen will.

II

1.) Die europäische Krise begann als Finanzkrise, die eine Wirtschaftskrise auslöste und sich zu einer Staatsschuldenkrise weiterentwickelte. Auslöser der Finanzkrise waren die Ausfälle bei sogenannten Subprime-Hypotheken in den USA. Die Verantwortlichen dafür wurden schnell identifiziert. Nach Meinung der Öffentlichkeit waren es zügellose Märkte und gierige Finanzmanager. Im Hintergrund blieb, dass die Subprime-Praxis von der US-Regierung gefördert und durch die von der Politik veranlasste Deregulierung der Finanzmärkte erst ermöglicht wurde. Beides waren Verstöße gegen marktwirtschaftliche Grundregeln.

Auch in einem marktwirtschaftlichen System darf sich der Staat nicht auf die völlige Selbstregulierung der Märkte verlassen. Wilhelm Röpke, einer der Väter der Sozialen Marktwirtschaft, hat dies klar postuliert: „Freiheit ohne Normen und Regeln, ohne moralisch Selbstdisziplin der Einzelnen ist die furchtbarste Unfreiheit für alle diejenigen, die dabei zertrampelt oder versklavt werden.“ Märkte benötigen deshalb Spielregeln und diese müssen überwacht werden, insbesondere wenn es auf dem Markt starke Interessengruppen gibt. Hiergegen ist massiv verstoßen worden, auch in Deutschland, als die Politik dem Drängen der Bankenlobby folgte, die Finanzmärkte zu deregulieren. Zum Staatsverständnis der Sozialen Marktwirtschaft gehört auch, dass der Staat schlank, aber stark genug ist, um sich gegen Interessengruppen durchzusetzen. Nur so kann er dem Gemeinwohl dienen.

2.) Auf die Finanzkrise folgte eine Wirtschaftskrise, in der riesige Konjunkturprogramme aufgelegt und sogenannte systemrelevante Banken und Unternehmen vor der Insolvenz gerettet wurden. Dies waren weitere Verstöße gegen die marktwirtschaftliche Ordnung, weil sie die unterschiedlichen Aufgaben von Staat und Wirtschaft verwischten. Nach dem von Walter Eucken geprägten staatspolitischen Grundsatz soll die Politik in der Marktwirtschaft „auf die Gestaltungsformen der Wirtschaft gerichtet sein, nicht auf die Lenkung des Wirtschaftsprozesses“. Selbstverständlich sind damit unterstützende und regulierende Eingriffe des Staates nicht ausgeschlossen, wenn die Märkte versagen oder gestört sind. Die Maßnahmen müssen sich aber an den Kriterien der Marktkonformität messen lassen.

Diese Kriterien mögen für das in der Wirtschaftskrise beschlossene Kurzarbeitergeld zutreffen, keinesfalls aber für die Abwrackprämie zur Stabilisierung des Kfz-Absatzes. Denn das Geld für den Kauf von Autos fehlte in anderen Branchen, wie z.B. der Möbelindustrie, die ebenfalls von der Krise betroffen war. Eine Ungleichbehandlung dank guter Lobbyarbeit des Automobilverbandes. Dem Gemeinwohl hat es nicht gedient.

Besonders problematisch war die Rettung großer Banken und Unternehmen durch Einsatz von Steuermitteln. Zu den tragenden Grundsätzen der Sozialen Marktwirtschaft gehört das „Haftungsprinzip“: Wer die Gewinnchance hat, muss auch das Verlustrisiko tragen. Die Privatisierung von Gewinnen bei gleichzeitiger Sozialisierung von Verlusten ist der Anfang vom Ende jeder marktwirtschaftlichen Ordnung. Dies weiß auch der Wähler, vor allem der bürgerlich Wähler.

Zur Marktwirtschaft gehört auch, dass Unternehmen, die sich im Markt nicht bewähren, ausscheiden müssen, um Besseren Platz zu machen. Für Mittelständler ist dies eine Selbstverständlichkeit. Es gibt keinen Grund, große Unternehmen von dieser Regel auszunehmen. Die Maxime „too big to fail“ ist keine Rechtfertigung für staatliche Rettungshilfen, sondern legt nur das Versäumnis einer effektiven Wettbewerbspolitik offen.

3.) Die Finanz- und Wirtschaftskrise hat sich inzwischen zu einer Staatsschuldenkrise weiter entwickelt. Viele Staaten haben über ihre Verhältnisse gelebt und finden für ihre Schulden keinen Finanzier mehr. Dies ist der eigentliche Grund für die Krise.

Zu den Fundamenten der Sozialen Marktwirtschaft gehören eine solide Finanzwirtschaft des Staates und stabiles Geld. Schon Lenin wusste, dass eine bürgerliche Gesellschaft am ehestens durch „eine Verwüstung des Geldwesens“ zerstört werden kann. Eine solide Finanzwirtschaft und eine stabile Währung sind deshalb eine Bringschuld der Politik an die Gesellschaft. Aus diesen Gründen wurde bei Einführung des Euro in die europäischen Verträge hineingeschrieben:

• Die Staaten müssen bestimmte Defizit- und Verschuldensgrenzen einhalten.
• Kein Staat haftet für die Schulden eines anderen Staates.
• Die Europäische Zentralbank ist ausschließlich dem Geldwert verpflichtet und darf  Regierungen nicht finanzieren.

Wir wissen heute, dass gegen alle Regeln nachhaltig verstoßen wurde und weiterhin verstoßen wird. Die Defizit- und Verschuldensgrenzen werden permanent missachtet, ohne dass die Schuldner zur Verantwortung gezogen werden. Mit den zur Rettung überschuldeter Staaten geschaffenen Rettungsschirmen wird der vertragliche Haftungsausschluss faktisch unterlaufen. Und die Europäische Zentralbank finanziert außerhalb ihres Mandats Staaten dadurch, dass sie massenhaft dubiose Staatsanleihen ankauft.

Die Menschen in Deutschland sind wegen dieser Entwicklung im höchsten Maß beunruhigt. Den politischen Schaden – ich wage diese Prognose – wird in erster Linie die CDU tragen.

III

Wie kann die CDU verloren gegangenes Vertrauen zurückgewinnen? Die aktuelle Politik der Bundesregierung leidet darunter, dass es ihr an überzeugenden Konzepten für die aktuellen und zukünftigen Herausforderungen fehlt. Es ist deshalb höchste Zeit, dass sich die CDU an die Grundsätze der Sozialen Marktwirtschaft erinnert und sie zur Grundlage ihrer Politik macht.
 
Hierzu gehört aktuell, dass die auf europäischer Ebene abgeschlossenen Verträge eingehalten und verschärft werden:

• Verstöße gegen den Stabilitätspakt müssen automatisch sanktioniert werden.
• Bei Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung von Staaten muss die Möglichkeit einer geordneten Insolvenz geschaffen werden.
• Die EZB muss den unbegrenzten Ankauf von Staatsanleihen sofort stoppen.

Nur mit einer solchen Politik könnte die CDU die Kraft für Deutschland und Europa zurückgewinnen, die alle schmerzlich vermissen.
 


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