Von der Leyens "Green Deal"
Als die neue EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am 11. Dezember 2019 im Europäischen Parlament in Brüssel ihren „Green Deal“ zum europäischen Klimaschutz vorstellte, sagte sie: „Das ist Europas Mann-auf-dem-Mond-Moment“. Damit wollte sie auf die Bedeutung dieses Projektes für die Europäische Kommission aufmerksam machen.
Mit dem Green Deal setzt sich die Europäische Union (EU) das politische Ziel, Europa als Vorreiter im Klimaschutz bis 2050 zum ersten klimaneutralen Kontinent zu machen. Um der Welt dies zu erklären, war der Zeitpunkt kurz vor dem Ende des internationalen Klimagipfels in Madrid klug gewählt.
Vorerst sind es jedoch nur politische Absichtserklärungen, mit denen von der Leyen in ihrer Rede aufwartete. Die EU-Kommission hat sich damit aber in der durch „Greta Thunberg“ heiß gelaufenen Klimadebatte wieder Gehör verschaffen können. Naheliegend ist auch, dass sie sich damit bei den Grünen bedanken wollte, die sie bei ihrer Wahl unterstützten.
Mit dem "Green Deal" versucht die EU-Kommission, eine gemeinsame europäische Aufbruchsstimmung zu erzeugen, um die EU in der Art eines Befreiungsschlags aus ihrer inneren Misere herauszukatapultieren. Das vermeintlich über allen Gegensätzen und Querelen stehende Thema des Klimawandels scheint der EU-Führung für einen solchen Schub optimal geeignet. Doch angesichts der bedrohlichen Desintegrationstendenzen innerhalb der EU gleicht die Fokussierung auf das Klimathema eher einer Realitätsflucht: dem Versuch, durch einen Sprung ins Visionäre den wachsenden Konflikten zu entkommen, die die EU zu sprengen drohen.
I
Von der Leyen hat ihren „Green Deal“ vorab in FAZ vom 11. Dezember 2019 dargelegt. Darin begründete sie ihr schnelles Handeln mit einer angeblich unmittelbar bevorstehenden Klimakatastrophe: „Die Menschheit steht vor einer existenziellen Bedrohung – und die ganze Welt fängt an, das zu verstehen. In Deutschland bedrohen Trockenheit, Brände und der Borkenkäfer unsere Wälder, von Afrika bis Asien breiten sich die Wüsten aus. Der steigende Meeresspiegel bedroht europäische Städte und pazifische Inseln: Solche Phänomene hat die Menschheit zwar schon früher erlebt, aber noch nie in dieser Geschwindigkeit.“
Schon diese Darstellung der Kommissionspräsidentin ist angreifbar. Ein Netzwerk von 500 internationalen Wissenschaftler und Fachleuten hat im Jahr 2019 in einer „Europäischen Klimaerklärung“ dargelegt, dass es eine unmittelbar bevorstehende Klimakatastrophe nicht gibt, und vor unnötigem Alarmismus gewarnt. Denn die Erde erwärmt sich viel langsamer als vorhergesagt. Außerdem hat die globale Erwärmung nicht zu einer Verstärkung von Naturkatastrophen geführt. „Es gibt keine statistischen Belege dafür, dass durch die globale Erwärmung Hurrikane, Überschwemmungen, Dürren und ähnliche Naturkatastrophen verstärkt oder häufiger werden“, schreiben die 500 Wissenschaftler.
Doch auch von der Leyen beruft sich auf die Wissenschaft, die „uns sagt, dass wir diese Spirale noch aufhalten können, doch dafür müssen wir jetzt handeln“, schreibt sie in der FAZ. „Die neue Europäische Kommission will keine weitere Zeit verlieren. Heute, nur knapp zwei Wochen nach Beginn unserer Amtszeit, stellen wir unseren Fahrplan für einen europäischen Grünen Deal vor. Unser Ziel ist es, bis 2050 zum ersten klimaneutralen Kontinent zu werden, der die Erderwärmung verlangsamt und ihre Folgen lindert.“
Hinter dieser Eilbedürftigkeit steht die von den meisten Klimawissenschaftlern geteilte Annahme, dass der Klimawandel in erster Linie auf den durch Industrie, Verkehr und Landwirtschaft verursachten Ausstoß von CO2 zurückzuführen ist. Doch auch dieser Annahme widersprechen die 500 Klimawissenschaftler mit der These, dass die Erderwärmung sowohl von anthropogenen als auch von natürlichen Faktoren verursacht und sich das Erdklima bereits seit Bestehen des Planeten mit natürlichen Kälte- und Warmphasen verändert hat.
Zudem weisen sie darauf hin, dass die Wirkung von Treibhausgasen wie CO2 in den Klimamodellen höchstwahrscheinlich überzeichnet wird. Das Netzwerk der 500 Wissenschaftler kommt deshalb zu dem Ergebnis, dass es den behaupteten akuten Klimanotfall nicht gibt. Daher bestehe auch kein Anlass für Panik und Alarm. Sie empfehlen der Klimawissenschaft, weniger politisch zu sein, während sie der Klimapolitik raten, gegenüber der Wissenschaft kritischer zu sein.
II
Von der Leyen sieht in ihrem „Green Deal“ nicht nur ein Schutzprogramm für das Klima, sondern auch eine „neue Wachstumsstrategie“ für Europa. „Er wird die Emissionen senken und gleichzeitig Arbeitsplätze schaffen und unsere Lebensqualität verbessern. Er ist der grüne Faden, der sich durch all unsere Politikfelder ziehen wird – vom Verkehr bis zu den Steuern, von den Lebensmitteln bis zur Landwirtschaft, von der Industrie bis zur Landwirtschaft.“
Die neue Kommissionspräsidentin wertet damit den Klimaschutz zu einem Ziel auf, das nahezu alle staatlichen und gesellschaftlichen Bereiche erfasst und Priorität beansprucht. Damit greift sie im Ergebnis der in Deutschland erst begonnenen Diskussion vor, ob der Klimaschutz als Staatsziel in das Grundgesetz aufgenommen werden sollte. Dies fordern zwar die Grünen, dagegen gibt es aber begründete Widerstände bei der Union.
Für ihre Idee wirbt von der Leyen mit folgendem Argument: „Der europäische Grüne Deal ist nicht nur eine Notwendigkeit: Er wird eine treibende Kraft für neue wirtschaftliche Chancen sein. Viele europäische Unternehmen sind schon heute grün. Sie senken ihre CO2-Bilanz und entdecken saubere Technologien für sich. Sie verstehen, dass unser Planet Grenzen hat: Europas Unternehmen wissen, dass wir uns alle um unser gemeinsames Haus kümmern müssen. Und ihnen ist bewusst, dass es Vorteile bringt, wenn sie bei den nachhaltigen Lösungen von morgen unter den Pionieren sind.“
Was von der Leyen hier zum Ausdruck bringt, ist der klar definierte Anspruch, dass in Europa zukünftig Klima- und Umweltpolitiker maßgeblich über die wirtschaftlichen Chancen und Vorteile von Unternehmen, aber auch über deren Risiken und Nachteile mitentscheiden werden. Denn es geht schließlich darum, das für 2050 gesetzte Ziel der Klimaneutralität zu erreichen, was nur mit einer gemeinsamen Anstrengung möglich sein wird.
Ob sich dadurch die Lage der Unternehmen in Europa oder in einzelnen Ländern per Saldo verbessert oder verschlechtert, wird nicht zuletzt davon abhängen, wie die europäische Klimapolitik konkret aussehen wird. Dazu kündigte von der Leyen für das nächste Jahr ein europäisches Klimagesetz an, in dem das weitere Vorgehen unumkehrbar festgeschrieben werden soll. Denn die „Investoren, Innovatoren und Unternehmen brauchen klare Regeln, um Investitionen langfristig planen zu können“, sagte sie.
Darüber hinaus schlug von der Leyen vor, einen Fonds einzurichten, um für einen fairen Ausgleich beim Übergang zur Klimaneutralität zu sorgen. Damit sollen Investitionen in Höhe von 100 Milliarden Euro mobilisiert werden, um europäische Regionen und Unternehmen zu unterstützen, die besondere Anstrengungen für den Klimaschutz unternehmen müssen.
III
Die Ankündigung eines „Green Deal“ durch von der Leyen hat in der Wirtschaft keine Begeisterungsstürme ausgelöst. Vor allem ihre Aussage „wir müssen Klimaschutz und Wachstum versöhnen“ ist auf Skepsis gestoßen.
Die ständige Verschärfung von Klimazielen verunsichert Konsumenten und Unternehmen, sagte Dieter Kempf, der Präsident des Bundesverbandes der deutschen Industrie (BDI), dies sei „Gift für langlebige Investitionen“. Noch deutlicher wurde Volkmar Denner, Chef des Autozulieferers Bosch: „Was wir können, ist Strukturwandel. Was wir nicht können, ist Strukturbruch.“ Ein Veränderungsprozess brauche Zeit und gelinge mit der Industrie nicht, wenn er „dogmatisch übers Knie“ gebrochen werde.
Vertreter der Chemieindustrie stellten sich hingegen grundsätzlich hinter die Kommissionspläne. „Der Grüne Deal kann funktionieren, wenn Brüssel die Industrie als Partner und Lösungsanbieter für die großen Herausforderungen mit ins Boot holt“, sagte VCI-Hauptgeschäftsführer Wolfgang Große Entrup. Man erkenne darin einen „konstruktiven Gesamtansatz, um Wirtschaft, Gesellschaft und Politik in Europa nachhaltig auszurichten.“ Doch alles habe seinen Preis – komme nur „eine Flutwelle neuer Regulierungen, geht es schief“, sagte Große Entrup.
Auch der European Round Table (ERT), der die Interessen großer Konzerne wie Siemens, BP oder Renault vertritt, stellte sich hinter die Pläne der Kommission. Allerdings nur unter der Bedingung, dass die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie dadurch nicht gefährdet werden darf. Dahinter steht eine berechtigte Sorge: Wenn es für energieintensive Produzenten teurer wird, in Europa zu produzieren, könnten solche Unternehmen den Kontinent verlassen, um im Nicht-EU-Ländern kostengünstiger zu produzieren.
Dies ist ein besonders heikler Punkt im Klima-Deal: Von der Leyen glaubt jedoch, eine Lösung gefunden zu haben, mit der sie die Umweltschützer zufrieden stellen kann, ohne die Wettbewerbsfähigkeit europäischer Unternehmen zu gefährden. Sie will an den Außengrenzen der Europäischen Union (EU) einen „Ausgleichsmechanismus" einführen, um Importe, bei deren Produktion mehr CO2 ausgestoßen wird als bei europäischen Produkten, teurer zu machen.
Sollte der Rest der Welt dem Klimaschutzkurs der EU nicht folgen, „wird die Kommission einen CO2-Anpassungsmechanismus an den Grenzen für ausgewählte Sektoren vorschlagen, um das Risiko von CO2-Abwanderung zu reduzieren“, heißt es in der Veröffentlichung der Kommission mit den Details zum Green Deal. Solch ein Mechanismus würde sicherstellen, dass der Preis von Importen exakter ihren CO2-Gehalt widerspiegelt.
Doch ob es einen solchen Anpassungsmechanismus jemals geben wird, ist aus mehreren Gründen fraglich: Die Welthandelsorganisation WTO wird darin vermutlich ein Handelshemmnis sehen, das gegen geltende WTO-Regeln verstößt. Außerdem könnte ein solcher Schritt einen neuen Handelskrieg mit den USA entfachen, wenn US-Präsident Donald Trump darin eine europäische Reaktion auf seine Strafzölle sieht.
Im Übrigen muss ein solcher Anpassungsmechanismus konsequenterweise auch für Exporte gelten und diese verbilligen, um die Wettbewerbsfähigkeit der europäischer Unternehmen in Nicht-EU-Ländern nicht zu gefährden. Ansonsten bleibt es bei dem Anreiz für europäische Unternehmen, Produktionen in Länder außerhalb der EU zu verlagern. Mit einem Anpassungsmechanismus für Importe allein lässt sich eine CO2-Abwanderung nicht verhindern.
Offen ist zudem die Frage, mit welchen Kosten zu rechnen ist, um Europa klimaneutral zu machen. Bisher hat sich niemand dafür interessiert. Das einzige Land, das eine Kostenschätzung für die Klimaneutralität vorgenommen hat, ist bisher Neuseeland. Dortige Wissenschaftler haben im Auftrag der seeländischen Regierung errechet, dass es jährlich mindestens 5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) kosten würde, wenn die Emissionswerte von 1990 bis 2050 halbiert werden (siehe Björn Lomborg in FAZ vom 13. Dezember 2019).
Die Klimaneutralität ist also ein sehr kostspieliges Unterfangen. Der Grund dafür liegt auf der Hand: Die Umstellung einer Volkswirtschaft von fossilen Brennstoffen auf teurere, weniger effiziente Energieformen verringert Wachstum und Wohlstand. Im Falle Neuseeland sind diese Kosten vergleichbar mit den aktuellen Gesamtausgaben für das Bildungs- und Gesundheitswesen. Dabei wäre es klimapolitisch nur der halbe Weg zum Ziel.
Die entscheidende Frage für von der Leyen wird es sein, ob alle Mitglieder der EU unter solchen Bedingungen auf ihren Green Deal verpflichten werden können. Länder wie Polen, Ungarn und Tschechien, die auf dem Weg zur Klimaneutralität zu den Verlieren gehören dürften, haben bereits ihren Widerspruch angemeldet. Es ist deshalb nicht ausgeschlossen, dass von der Leyen mit ihrem anspruchsvollen Klimaschutzprogramm scheitert.