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Banken- und Finanzkrise : Die Europäische Zentralbank als Retter letzter Instanz
09.09.2015 12:16 (3617 x gelesen)

Die Europäische Zentralbank als Retter letzter Instanz

Die europäische Bankenkrise begann bereits im Sommer 2007, also weit vor dem Zusammenbruch von Lehman Brothers im September 2008. Um notleidende Banken mit Liquidität zu versorgen, sah sich die Europäische Zentralbank  (EZB) schon damals gezwungen, die Geldschleusen zu öffnen. Dies geschah unbemerkt von der Öffentlichkeit, nur einige Regierungen wurden darüber informiert.  Der damalige EZB-Präsident Jean-Claude Trichet sagte der FAS am 29. Dezember 2013  in einem Interview:  "Eine weitere sehr bedeutende Entscheidung fiel im August 2007, als die Krise begann und der Geldmarkt zusammenbrach. Damals haben wir zum ersten Mal beschlossen, den Banken so viel Geld zu geben, wie sie haben wollten, ohne Grenze. Das war eine schwierige Entscheidung, weil sie völlig unkonventionell war und weil wir sie in kürzester Zeit treffen mussten, innerhalb weniger Stunden.“

Ob die EZB dafür ein Mandat hatte, ließ Jean-Claude Trichet offen. Er rechtfertigte sich damit, dass diese Maßnahme nur „für eine Übergangszeit“ gelten sollte, um den Regierungen Zeit zu geben, die Bankenrettung in Angriff zu nehmen. Er erkannte aber die damit verbundenen langfristigen Risiken: „Das größte Risiko ist, dass Regierungen, Banken und Märkte sich nicht verändern. Wenn das passiert, werden wir irgendwann große Probleme haben. Das können Blasen sein, die entstehen, aber auch Inflation. Und paradoxerweise könnte es auch Deflation sein“.

Was Jean-Claude Trichet befürchtet hatte, trat tatsächlich ein: Die "Regierungen, Banken und Märkte änderten sich nicht", bis die Immobilienblase in den USA platzte und daraufhin die Wirtschaft  abstürzte. Aus den "für eine Übergangszeit" geplanten Maßnahmen der Europäischen Zentralbank (EZB) wurden dadurch "dauerhafte Rettungsmaßnahmen". Zunächst senkte sie den Leitzins im Euroraum auf nahezu null Prozent ab. Dann griff sie den Geschäftsbanken um die Jahreswende 2011 mit Krediten zu Mini-Zinsen und Laufzeiten von drei Jahren unter die Arme. Zusätzlich kaufte sie von Mai 2010 bis Anfang 2012 Staatsanleihen im freien Handel im Volumen von etwa 210 Milliarden Euro auf. Mit diesen Maßnahmen sollte der Finanzsektor stabilisiert und die Kreditvergabe der Banken angeregt werden, um die Wirtschaft in den Krisenländern zu beleben.

Die Bemühungen waren jedoch nicht besonders erfolgreich. Zur Jahresmitte 2012 eskalierte die Finanzkrise erneut. Im März 2012 hatte man die griechischen Staatsschulden neu geordnet. Die überwiegend privaten Gläubiger von griechischen Staatsanleihen waren genötigt worden, einen „freiwilligen“  Schuldenschnitt von 53,5 Prozent des Nennwerts ihrer Forderungen zu akzeptieren. Insgesamt wurden griechische Staatsanleihen von annähernd 200 Milliarden Euro in neue Titel mit entsprechend geminderter Valuta, langen Laufzeiten und niedriger Verzinsung getauscht. Das war die größte Umschuldung eines Landes in der Nachkriegszeit.

Dieser rabiate Schuldenschnitt veranlasste die Gläubiger anderer europäischer Staaten, die Risiken ihrer Forderungen neu zu bewerten. Die Risikoaufschläge für italienische und spanische Anleihen stiegen daraufhin wieder an. Außerdem verschlechterte sich die Konjunktur in Südeuropa und ließ die Arbeitslosigkeit weiter steigen. Länder wie Italien, Spanien,  Griechenland und Portugal gerieten in eine schwere Rezession. Die Arbeitslosenquote für junge Menschen kletterte in Griechenland und Spanien auf über 50 Prozent. Besonders gefährlich war, dass sich die Wirtschaftskrise, die Staatsschuldenkrise und die Bankenkrise wechselseitig verstärkten.

Das OMT-Programm der EZB

In dieser Situation schauten alle auf die Europäische Zentralbank und den Italiener Mario Draghi, der im Oktober 2011 den Franzosen Jean-Claude Trichet als Präsident  der EZB abgelöst hatte. Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte auf die Besetzung dieses Postens mit einem Deutschen verzichtet, nachdem Axel Weber aus Protest vom Amt des Bundesbankpräsidenten zurückgetreten war. Mit dieser personalpolitischen Fehlentscheidung war vorprogrammiert, das sich die EZB endgültig von einer Stabilitätspolitik, wie sie von der Deutschen Bundesbank vorgelebt worden war, verabschieden werde.

Schon unter Jean-Claude Trichet hatte die EZB begonnen, zunächst griechische, später auch spanische und italienische Staatsanleihen aufzukaufen. Claude Trichet rechtfertigte diese Ankaufspolitik mit der „Gefährdung des Euro“ und stellte die rhetorische Frage: Wie sollte die Notenbank sich um die Stabilität des Geldwertes kümmern, wenn der Fortbestand der Währung selbst gefährdet ist? Er verstand die EZB nicht als neutrale Hüterin des Geldes, sondern nach französischer Tradition als eine politische Institution an der Seite der Regierung. Wenn nötig, kaufte sie auch Wertpapiere notleidender Staaten  und finanzierte klamme Banken. Die Finanzmarktstabilität wurde neben der Geldwertstabilität schon unter Jean-Claude Trichet das zweite Ziel der Zentralbank.
 
Was Jean-Claude Trichet begonnen hatte, vollendete Mario Draghi. Vor dem Hintergrund der sich zuspitzenden Lage auf den Finanzmärkten hielt er am 26. Juli 2012 in der Londoner City eine Rede, in der er - außerhalb des offiziellen Redemanuskriptes wie zufällig - sagte: „Innerhalb ihres Mandats ist die EZB bereit, alles zu tun, um den Euro zu retten. Und glauben Sie mir – es wird reichen“. Die Akteure auf den Finanzmärkten hatten ihn sofort verstanden:  Die EZB werde zukünftig alles tun, um  klamme Staaten zu retten, koste es was es wolle. Endlich hatte Draghi die „große Bazooka“ herausgeholt!

Draghis Ankündigung war keine spontane Äußerung, sondern von langer Hand vorbereitet und mit der deutschen und französischen Regierung abgestimmt. Vor seiner Rede in London hatte er sich  mit Kanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Staatspräsident Francois Hollande getroffen, die ihm den Rücken stärkten. Mario Draghi sollte die Aufgabe des Retters in Europa übernehmen, weil die europäischen Institutionen, insbesondere auch der ESM-Rettungsschirm, damit überfordert waren.

Sechs Wochen nach seiner Rede stellte  Mario Draghi das OMT-Programm vor, mit dem  unbegrenzt Staatsanleihen von Euroländern gekauft werden konnten. Bedingung war, dass sich die Staaten einem Sanierungsprogramm des ESM unterwarfen, die Anleihen eine Laufzeit von drei Jahren hatten und die Ankäufe auf dem Sekundärmarkt erfolgen konnten. Am 6. September 2012 präzisierte  die EZB  das Programm dahin, dass die EZB im Falle des OMT „keinen bevorzugten Gläubigerstatus“  haben werde, sondern „pari passu“ behandelt werden wollte. Dies bedeutete, dass die Zentralbank bei einem späteren Schuldenschnitt anders als im Falle Griechenlands keine vorrangige Befriedigung verlangen konnte, was die Finanzmärkte stark beeindruckte.

Die Wirkung des OMT-Programms war verblüffend. Die Risikoaufschläge für Staatspapiere der Krisenstaaten  gingen zurück,  und die Finanzmärkte beruhigten sich, ohne dass das von der EZB vorsorglich aufgelegte OMT-Programm zur Anwendung kommen musste. So fiel beispielsweise der Renditeabstand deutscher und spanischer Staatsanleihen, der Mitte 2012 bei etwa 5,5 Prozentpunkte lag, bis Ende 2014 auf nur noch 1,0 Prozentpunkte.

Was Mario Draghi der Öffentlichkeit jedoch nicht mitgeteilt hatte, waren schon getätigte Marktoperationen einiger nationaler Notenbanken nach dem geheimen "Anfa-Abkommen". Wie erst 2015 bekannt wurde, hatte unter Führung der Banca d´Italia und der Banque de France eine Handvoll Notenbanken auf der Grundlage dieses Abkommens insgeheim für rund 510 Milliarden Euro Wertpapiere aufgekauft. Bis Ende 2014 haben so nationale Notenbanken mehr als 720 Milliarden Euro zusätzliches Geld in die Märkte der Euro-Zone gepumpt, ohne Politik und Bevölkerung darüber zu informieren. "Das Schöne am Euro ist, dass man sich im eigenen Keller Geld drucken kann, das in anderen Ländern als gesetzliches Zahlungsmittel anerkannt ist", kommentierte Hans-Werner Sinn vom Ifo-Institut diesen Vorgang. Als Mario Draghi 2015 auf das heimliche Gelddrucken in Rom und Paris angesprochen wurde, reagierte er ungehalten: Die EZB habe damit nichts zu tun. Wer mehr wissen wolle, müsse die Notenbanken fragen. 

Im Juli 2012 jedenfalls gelang es Mario Draghi mit nur zwei Sätzen, was die diversen Rettungsschirme, insbesondere der ESM,  nicht vermocht hatten: Die Eurokrise verschwand von den Titelseiten der Medien. Sogleich verstummten auch die  Stimmen, die den Austritt Griechenlands aus dem Euro verlangt hatten. Der Euro-Club mit seinen 17 Mitgliedern schien (vorerst) gerettet. Der meiste Applaus kam aus den Bankhäusern. „Seither gehen die Finanzmärkte davon aus, dass das Risiko eines Euro-Zusammenbruchs vom Tisch ist“, lobte der Chef der französischen Großbank BPCE. Mario Draghi avancierte zum Superstar der Finanzmärkte.

Kritiker und Mahner

In Deutschland mochten aber  nicht alle mitjubeln. Thomas Mayer, Chefberater der Deutschen Bank, kritisierte: “Die EZB wird zum Ausputzer im Krisenfall und gleichzeitig zum Selbstbedienungsladen für die Staaten der Euro-Zone“. Denn die EZB habe jetzt nicht mehr ein, sondern faktisch vier Ziele: stabile Preise, stabile Banken, stabile Staatsfinanzen und die Förderung der Wirtschaftspolitik in Europa.

Auch Bundesbankchef Jens Weidmann warnte, dass „die EZB notfalls bereit ist, Solvenzrisiken zwischen den Euroländern unbegrenzt umzuverteilen. Eine saubere Trennung von Geld-  und Fiskalpolitik ist aber wichtig. Zudem ist die Ankündigung eine Art Versicherung durch die Notenbank –  aber die Versicherung macht das System noch nicht stabiler. Ich befürchte, dass der Reformeifer erlahmt, wenn immer wieder die Geldpolitik zur Problemlösung bereitsteht.“

Die Bundesregierung kommentierte das OMT-Programm nicht, angeblich weil die EZB unabhängig sei. Nur das Bundesverfassungsgericht  gab den Kritikern recht. In seinem Beschluss vom Februar 2014  stellt es fest: “Der OMT-Beschluss dürfte nicht vom Mandat der Europäischen Zentralbank gedeckt sein“. Nach Auffassung des Gerichtes darf die EZB nur Währungspolitik betreiben. Zur eigenständischen Wirtschaftspolitik ist sie nicht ermächtigt. Das OMT-Programm ist aber nach Meinung der Richter eine wirtschaftspolitische Maßnahme, weil damit das Ziel verfolgt wird, die Zinsaufschläge auf Staatsanleihen  einzelner Staaten zu neutralisieren. Das sei als Wirtschaftspolitik zu deuten, denn der Geldpolitik sei eine zwischen den Mitgliedsstaaten differenzierende Vorgehensweise fremd. Insofern wirke der OMT-Beschluss ähnlich wie der Euro-Rettungsfond ESM - allerdings ohne parlamentarische Legitimation und Kontrolle, urteilte das Gericht.

Wolfgang Schäuble ließ sich dadurch nicht beeindrucken und sagte  bei der mündlichen Verhandlung: „Wir haben keinen Zweifel daran, dass die EZB sich mit ihren Entscheidungen im Rahmen ihres Mandats hält.“ Das Bundesverfassungsgericht verwies den Rechtsstreit an den Europäischen Gerichtshof, da es sich um eine europarechtliche Streitfrage handelte. In diesem Verfahren ließ die Europäische Kommission vortragen: „Der Gerichtshof (sollte) der EZB weite Entscheidungsspielräume bei der Festlegung und Ausführung der Geldpolitik zubilligen und diese auch bei der Intensität der gerichtlichen Prüfung beachten.“

Noch weiter ging der juristische Dienst des Europäischen Parlaments: “Es ist mit der Unabhängigkeit der EZB unvereinbar, wollte ein Unionsorgan oder eine mitgliedstaatliche Institution der EZB Anweisungen erteilen.“ Dies  war ein bemerkenswerter Freibrief, den die europäischen Organe der EZB erteilen wollten. Die EZB erhielte damit eine Kompetenz, „wie sie nicht einmal der französische Staatspräsident hat und wie sie in der Geschichte nur für den souveränen Diktator der Römischen Republik vorgesehen war“, sagte Rechtsanwalt Markus C. Kerber, Klägervertreter in diesem Verfahren, zu der Rechtsauffassung der europäischen Institutionen.

Der Europäische Gerichtshof entschied im Juni 2015, dass die EZB zur Stabilisierung der Währungsunion grundsätzlich auch Staatsanleihen von kriselnden Euro-Ländern kaufen darf. Er folgte damit erwartungsgemäß der Empfehlung des Generalanwalts am EuGH, der die Befürchtungen der Beschwerdeführer unter zwei Voraussetzungen für gegenstandslos erklärt hatte: Die EZB müsse - falls sie das Programm nutzen wolle - ihre Schritte begründen und sich aus dem Reformprogramm des jeweiligen Staates heraushalten. "Daher muss die EZB, wenn sie Staatsanleihen an den Sekundärmärkten erwirbt, ihr Tätigwerden mit hinreichenden Garantien versehen, um sicherzustellen, dass es mit dem Verbot der monetären Finanzierung in Einklang steht", heißt es.

Welche Garantien das sein sollen, bleibt offen. Für die Beschwerdeführer war das Urteil enttäuschend. Sie werteten es als schwerwiegende Verletzung der staatlichen Souveränität. Gauweiler kritisierte, das Gericht "segnet damit die von der EZB bewirkte Vergemeinschaftung der Haftung für Staatsschulden ab, die es nach dem Willen der Vertragsstaaten nicht geben sollte." Für Karlsruhe sei das Urteil "eine Kriegserklärung", gegen die man vorgehen müsse. "Diplomatische  Proteste sind das Mindeste", wozu das Gericht die Bundesregierung verpflichten müsse.

Anfang Februar 2016 verhandelte das Bundesverfassungsgericht erneut über das umstrittene OMT-Programm. Die Kläger, darunter der CSU-Politiker Peter Gauweiler, kritisierten den Luxemburger Richterspruch als Affront. Sein Prozessbevollmächtigter Dietrich Murswiek monierte: "Die EZB überschreitet die ihr vom Vertrag gesetzten Kompetenzgrenzen und dringt in offenkundiger und dreister Weise weit in das Gebiet ein, für das nach dem Vertrag von Maastricht und dem heutigen AEUV (EU-Vertrag) allein die Mitgliedstaaten zuständig sind", gemeint ist die Wirtschaftspolitik. Das OMT-Anleiheprogramm diene " der Rettung insolvenzgefährdeter Eurostaaten, und es führt zur Umverteilung von Haushaltsrisiken in immenser Milliardenhöhe, zur Vergemeinschaftung von Staatsschulden", sagte Murswiek. "Aus der Währungsunion macht die EZB eine Haftungsunion."

Bundesbankpräsident Jens Weidmann bestätigte den Vortrag der Kläger. "Die Risiken werden nach den EZB-Kapitalquoten auf die einzelnen nationalen Notenbanken und damit auf die Steuerzahler verteilt", sagte er. Außerdem kritisierte er, dass es zu einer Vermischung von Geldpolitik und Fiskalpolitik der Finanzminister käme. Das EZB-Direktoriumsmitglied Yves Mersch hingegen verteidigte das OMT-Programm, das der Europäische Gerichtshof für europarechtskonform erklärt habe. Gleichzeitig stellte er, zur Überraschung des Gerichts, klar: "Eine Währungsunion ist eine Haftungsunion." Er argumentierte, jedes geldpolitische Instrument habe Ausfallrisiken. Der Verfassungsrichter Peter Müller wertete das als eine Aussage von entwaffnender Deutlichkeit.

Den Entscheidungstermin setzte das Verfassungsgericht für den 21. Juni 2016 an. "Die OMT-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ist von ganz entscheidender Bedeutung", sagte Kai Konrad, Finanzwissenschaftler am Max-Planck-Institut in München. "Wenn das Verfassungsgericht hier nicht klare Kante zeigt, dann haben künftige Klagen wegen QE oder dem Aufkauf von Unternehmensanleihen erst recht keine Chance." Mit QE oder "Quantitative Easing" war das von der EZB im März 2015 gestartete milliardenschwere EZB-Anleihekaufprogramm gemeint.

Das Bundesverfassungsgericht zeigte klare Kante, aber nicht im Sinne der Beschwerdeführer. Es wies die Beschwerden zurück und bestätigte die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs, wonach die EZB ihre Kompetenzen mit dem OMT-Programm nicht überschritten habe, wenn es bestimmte Bedingungen einhalte. Zweifelhaft sei zwar, ob es sich bei OMT um Geldpolitik handele, wie das europäische Gericht ohne kritisches Hinterfragen angenommen habe, solche Unzulänglichkeiten überstiegen aber nicht die "Fehlertoleranz", die man den Luxemburger Richtern zubilligen müsse. Im übrigen präzisierte das Bundesverfassungsgericht die Bedingungen für Anleihekäufe: Das Volumen müsse begrenzt werden. Es müsse eine Frist zwischen Emission einer Anleihe und Kauf durch die EZB liegen. Es dürften nur Anleihen von solchen Staaten gekauft werden, die Zugang zum Anleihemarkt haben.

Die der EZB gegenüber kritische Fachwelt zeigte sich über das Urteil des Bundesverfassungsgerichts tief enttäuscht. Der Präsident des ifo-Instituts, Clemens Fuest, sagte: "Die Richter haben gegenüber ihrem Vorlagebeschluss von 2014 eine Kehrtwende vollzogen und es nicht gewagt, die Europäische Zentralbank beim Kauf von Staatsanleihen stärker in die Schranken zu weisen als der Europäische Gerichtshof. Das ist schade, denn es ist offensichtlich, dass das OMT-Programm in erster Linie das fiskalische Ziel verfolgt, hochverschuldeten Staaten den Zugang zu Krediten zu erhalten." 

  Die EZB als Staatsfinanzierer

Die EZB sah sich durch die Urteile des Europäischen Gerichtshofes und des Bundesverfassungsgerichts in allen Punkten bestätigt. Schon ein halbes Jahr vor dem Urteil des Europäischen Gerichts beschloss der EZB-Rat das sogenannte "Quantitative Easing", kurz QE. Das Programm sieht vor, dass die Zentralbank von europäischen Banken monatlich für 60 Milliarden Euro Regierungsanleihen im Volumen von insgesamt 1,8 Billionen Euro ankauft. Mit dem QE-Programm ist das von Mario Draghi im Juli 2012 angekündigt OMT-Programm, das nur für Krisenstaaten bestimmt war,  gegenstandslos geworden. An seine Stelle ist der Kauf von Regierungsanleihen aller Eurostaaten getreten, darunter auch der Kauf von Bundesanleihen.

Bundesbankpräsident Jens Weidmann kritisiert, dass die EZB dadurch zum Hauptfinanzierer der hochverschuldeten Staaten wird: "Dass die Notenbanken zum größten Gläubiger ihrer Staaten werden, illustriert die zunehmende Verflechtung von Geld- und Fiskalpolitik. Das ist für mich ein zentrales Problem der Staatsanleihekäufe. Große Teile der Staatsschuld werden von der Marktentwicklung abgekoppelt, und schlechte Haushaltspolitik spiegelt sich nicht mehr in dem Maße in höheren Finanzierungskosten wider, wie es sonst der Fall wäre. Dies ist für die Finanzpolitik verlockend, kann aber gerade dadurch zu Druck auf die Geldpolitik führen, die Käufe möglichst lange fortzusetzen."

Durch das QE-Programm wird sich die Bilanzsumme der Zentralbank auf 3,6 Billionen Euro erhöhen. Das entspricht rund 36 Prozent der gesamten Wirtschaftsleistung der Eurozone und ist deutlich mehr, als selbst die US-Notenbank auf dem Höhepunkt der Krisenpolitik in den Büchern hatte. Für den Ankauf der Staatsanleihen gilt der Kapitalschlüssel der nationalen Notenbanken bei der EZB. Ein Fünftel der Käufe wird die EZB auf Gemeinschaftsrechnung kaufen, der Rest wird auf getrennte Rechnung der nationalen Notenbanken erworben. Es gibt also nur für einen kleinen Teil des Programms eine Gemeinschaftshaftung.

Das Eingreifen der EZB hat die Zinslasten für die hochverschuldeten Krisenländer in Europa deutlich gesenkt. Die Rede von EZB-Präsident im Sommer 2012 ("whatever it takes") markierte nach Ansicht vieler Beobachter den Wendepunkt. Seitdem sind die Risikoaufschläge und die Zinsen für die Krisenländer stark gesunken. Nach Berechnungen der DZ-Bank hat der "Draghi-Effekt" die Staatshaushalte in einem Jahrzehnt zulasten der Sparer und Anleger insgesamt mit mehr als eine Billion Euro entlastet. Während der deutsche Staat nur eine Entlastung durch Zinsersparnis von etwa 9.5 Milliarden Euro hatte, sind es im Falle Italiens etwa 53 Milliarden Euro. Und in den kommenden Jahren wird die Ersparnis stark zunehmen, wenn alte Anleihen mit höheren Zinsen auslaufen. Dann könnten sich die Zinsersparnisse nach der DZ-Studie bis zum Jahr 2022 für Italien auf 670 Milliarden Euro und für Spanien auf 300 Milliarden Euro summieren. Beide Länder könnte so ihre Schuldenquote reduzieren.

Die EZB ist ursprünglich mit dem Anspruch angetreten, die Deutsche Bundesbank zu beerben. Davon ist kaum noch etwas  geblieben. Die EZB sieht ihre zentrale Aufgabe nicht in der Wahrung einer stabilen Währung, sondern trotz Verbotes in der Finanzierung überschuldeter Staaten und Banken. Dazu bedient sie sich Finanzierungsinstrumente, von denen in den Statuten der EZB nicht die Rede ist. Erschwerend kommt hinzu, dass die EZB die Öffentlichkeit über wesentliche Finanzierungsaktivitäten nicht unterrichtet hat. Erst mit den Finanz- und Eurokrisen kamen diese Kanäle nach und nach ans Licht (Thomas Mayer in FAZ vom 11. Januar 2015).

Über das Interbankzahlungssystem Target2 stellt die EZB sicher, dass private Kapitalabflüsse aus Krisenländern durch Zuweisung von Zentralbankgeld ausgeglichen werden, und übernimmt dabei das Risiko für Kreditausfälle. Auf dem Höhepunkt der Krise beliefen sich die Target-Kredite auf mehr als 1.000 Milliarden Euro. Darauf wurde die Öffentlichkeit nicht durch die EZB, sondern durch die Arbeiten des Münchener Ökonomen Hans-Werner Sinn aufmerksam gemacht. Über ELA-Kredite  (Emergency Liquidity Assistance) können die nationalen Zentralbanken innerhalb des Euro-Systems Banken, die durch Kredite an überschuldete private oder öffentliche Schuldner in Schieflage geraten sind, über Wasser halten. Davon haben die Zentralbanken der Krisenländer reichlich Gebrauch gemacht.

Außerdem konnten die nationalen Zentralbanken das geheime "Agreement on Net Financial Assets" (Anfa) nutzen, um durch Ankauf von Staatsanleihen die staatlichen Kreditkosten zu verbilligen. Bis Ende 2014 sind so mehr als 720 Milliarden Euro zusätzliches Geld außerhalb der offiziellen Geldpolitik in die Märkte der Euro-Zone gepumpt worden, ohne Politik und Öffentlichkeit darüber zu informieren. Kritiker sahen darin ein Schlupfloch für die nationalen Notenbanken zur eigenständigen Geldschöpfung und auch zur verbotenen Staatsfinanzierung. Dieser Verdacht bestätigte sich, als die EZB das zuvor geheime Anfa-Abkommen im Februar 2016 offenlegte: Im Unterschied zur Bundesbank haben Banken wie die Banca d´Italia oder die Banque de France Anleihen in dreistelliger Milliardenhöhe gekauft, ohne dass Mario Draghi dafür eine Erklärung hatte. Aufsehen erregte insbesondere der Fall Irland: Auf dem Höhepunkt der Euro-Krise 2011 hatte die irische Regierung der neu gegründete Bad-Bank  Milliarden schwere Staatsgarantien gegeben, die 2013 fällig waren und das Land in den Staatsbankrott getrieben hätte. Um dies zu vermeiden, wurden die Zahlungsversprechen unter Beteiligung der EZB in lang laufende Staatsanleihen umgewandelt und im Rahmen des ANFA-Abkommens von der irischen Zentralbank angekauft.

Hans-Werner Sinn kommentierte solche Geheimoperationen der EZB ironisch: "Das Schöne am Euro ist, dass man sich im eigenen Keller Geld drucken kann, das in anderen Ländern als gesetzliches Zahlungsmittel anerkannt ist." 

  


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