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Europäische Krisen : Wachsende Staatsverschuldung in Südeuropa
08.09.2015 22:18 (2978 x gelesen)

Wachsende Staatsverschuldung in Südeuropa

In den ersten Jahren der Euro-Währungsunion floss viel Geld zu günstigen Bedingungen von Banken und institutionellen Anlegern aus Länder wie Deutschland und den Niederlanden in die südlichen EU-Ländern wie Portugal oder Griechenland. Dort wurden die Gelder unter anderem für Immobilienfinanzierungen und für den Erwerb von Staatsanleihen verwendet. Diese Geldtransfers sorgten in Südeuropa nicht nur für ein kräftiges  Wirtschaftswachstum, sondern auch für eine starke Expansion des staatlichen Sektors.  Die Zahl  der Staatsbediensteten und Pensionäre wuchs ebenso wie die Höhe ihrer Gehälter und Pensionen. Zudem investierte der Staat großzügig in vielfach überdimensionierte Infrastrukturprojekte, vor allem in Autobahnen, Flugplätze und Ferienanlagen. Viele davon sind heute Investitionsruinen.

Die Exzesse der privaten und öffentlichen Verschuldung wurden durch regulatorische Fehlanreize begünstigt: Anleger und Banken verzichteten auf die üblichen Bonitätsprüfungen, weil  Staatsanleihen schon „aufsichtsrechtlich“ als risikolose Papiere galten. Außerdem blieben die in den EU-Verträgen vorgesehenen Verschuldensregeln weitgehend wirkungslos. Die Folgen dieses kreditfinanzierten Expansionskurses lässt sich an der Entwicklung der Staatsschuldenquoten (Schulden in Relation zum BIP) ablesen: Sie stieg für Griechenland von 97 Prozent 2003 auf 179 Prozent 2013, für Spanien von 49 Prozent 2003 auf 92 Prozent 2013 und für Portugal von 57 Prozent 2003 auf 129 Prozent 2013. Die zulässige Obergrenze nach dem Maastricht-Vertrag (Stabilitätspakt) liegt bei 60 Prozent.

Zweck des von der deutschen Regierung unter Helmut Kohl durchgesetzen Stabilitätspaktes war es, die kreditfinanzierte Wachstumspolitik im Süden Europa zu beenden und das gemeinsame Währungsgebiet zu einer Stabilitätszone zu machen. Die Bereitschaft der früheren Weichwährungsländer, die im Stabilitätspakt vereinbarten Defizit- und Verschuldensgrenzen einzuhalten, ließ jedoch nach ihrem Beitritt zur Euro-Zone deutlich nach. Sanktionen brauchten sie nicht zu befürchten, weil darüber der EU-Rat zu entscheiden hatte. also „Sünder über Sünder urteilten“.  Mit der Glaubwürdigkeit des Paktes war es endgültig vorbei, als im November 2003 eine Empfehlung der Kommission, den Defizit-Ländern Deutschland und Frankreich einen  „Blauen Brief“ zu schicken, im EU-Rat nicht die erforderliche  Mehrheit fand. Seitdem hatten die vereinbarten Defizit- und Schuldengrenzen keine Bedeutung mehr für die Schuldenpolitik der Mitgliedsländer.

Mit dem Ausbruch der globalen Finanzkrise im Jahr 2008 war es jedoch mit dem „Leben auf Pump“  plötzlich vorbei. Die Kapitalgeber aus dem Norden Europas stoppten nicht nur weitere Transfers in den Süden, sondern versuchten ihr bereits investiertes Kapital zurückzuholen. Dies setzte eine Abwärtsspirale in Gang: In Not geratene Banken verkauften in aller Eile und zu jedem Preis Kapitalanlagen und trieben damit deren Preise in den Keller. Dadurch wurden weitere Banken zu Notverkäufen gezwungen, so dass sich die Baisse an den Finanzmärkten immer mehr verstärkte.

Von diesem Strudel wurden schließlich auch die südeuropäischen Staaten und Regierungen erfasst: Auf der einen Seite mussten sie mit  Haftungsübernahmen und Kredithilfen strauchelnde  Banken und Unternehmen vor der Insolvenz retten, was einen weiteren Anstieg der Staatsverschuldung zur Folge hatte. Auf der anderen Seite drohte ihnen selbst die Insolvenz, weil Banken und Anleger nicht mehr bereit waren, Regierungen und Staaten zu den bisher üblichen Konditionen zu finanzieren.

Lange hatten die südeuropäischen EU-Mitglieder davon profitiert, dass Euro-Staatsanleihen auf den Finanzmärkten generell als „risikolose Papiere“ galten, weil sie von der  EZB bedenkenlos kreditiert und angekauft wurden. Davon profitierten auch Staaten mit zweifelhafter Bonität, so dass sich auch die GISP-Staaten (Griechenland-Italien-Spanien-Portugal) auf den Finanzmärkten relativ günstig finanzieren konnten. Zudem war der Ankauf von Staatsanleihen durch Banken auch deshalb vorteilhaft, weil sie "aufsichtsrechtlich" nicht mit Eigenkapital unterlegt werden mussten. 

Mit dem Ausbruch der Finanzkrise änderte sich diese Risikoeinschätzung radikal. Die Finanzmärkte erkannten plötzlich, dass für die Einlösung von solchen Staatsanleihen nicht die Europäische Union, sondern der jeweilige Schuldnerstaat einzustehen hatte. Diese Papiere waren also nicht risikolos, sondern besaßen je nach Schuldnerland ein unterschiedliches Ausfallrisiko. Die Folge war eine neue Risikoeinschätzung, die zu einer starken  Differenzierung  bei den Kursen und Zinsen von Staatsanleihen führte. Es waren vor allem die GISP-Länder, die plötzlich mit erheblichen Kursabschlägen bzw. Risikoaufschlägen konfrontiert  waren, weil sie im Verhältnis zur ihrer Wirtschaftskraft viel zu hoch verschuldet waren. Der bis dahin einheitliche Euro-Finanzmarkt für Staatsanleihen begann sich aufzulösen. Damit begann die so bezeichnete „Euro-Krise“.

Die Reaktion der Akteure auf den Finanzmärkten war marktwirtschaftlich konsequent und ordnungspolitisch sinnvoll. Sie "bestraften" solche Länder, die sich im Verhältnis zu ihrer Wirtschaftskraft zu hoch verschuldet hatten, mit Kursabschlägen und Risikoaufschlägen, um dem unterschiedlichen Ausfallrisiko der Staatsanleihen Rechnung zu tragen. Der ordnungspolitische Sinn bestand darin, die übermäßig verschuldeten Staaten zu veranlassen, ihre Schulden abzubauen und die Wirtschaft durch Reformen zu stärken.

Die maßgeblichen Politiker in den GISP-Staaten und bei der EU-Kommission in Brüssel reagierten jedoch mit Unverständnis und Protesten. Den Akteuren auf den Finanzmärkten wurde Gier und Verantwortungslosigkeit vorgeworfen. Gleichzeitig begann die Suche nach einer „politischen Lösung“, wobei sich schnell diejenigen durchsetzten, die den südeuropäischen Krisenstaaten aus Gründen der „europäischen Solidarität“ helfen wollten.  Griechenland war das erste Land, das solche Hilfen erhielt. 

Griechenland ist auch ein Beispiel dafür, wie mit geschönten Zahlen versucht wurde, den Zustand der Überschuldung zu verschleiern. Im August 2010 wurde der in den Vereinigten Staaten ausgebildete griechische Ökonom Andreas Georgiou zum Chef der neuen, unabhängigen griechischen Statistikamtes Elstat berufen. Ein Jahr vor seiner Ernennung, im Herbst 2009, hatte der damalige griechische Ministerpräsident Giorgios Papandreou einen Offenbarungseid leisten müssen: Das Haushaltsdefizit werden nicht in der Größenordnung von drei Prozent liegen, sondern rund drei- bis viermal so hoch. Das Defizit für 2009 wurde dann zunächst auf 13,6 Prozent des BIP geschätzt. Nachdem Giorgiou die Führung des Statistikamtes übernommen hatte, wurde der Betrag des Defizits noch einmal nach oben korrigiert, auf 15,4 Prozent.

Wegen dieser Korrektur um 1,8 Prozentpunkte stand  Andreas Georgio in Griechenland vor Gericht. Die griechische Generalstaatsanwältin warf ihm vor, er habe mit einem übertriebenen Defizitwert die Interessen seines Landes verraten. Nur deswegen seien die Reformauflagen der Gläubiger so hart gewesen. Dem hielt der Chefstatistiker entgegen: "Als ich ankam, sagte man mir, dass über kritische Daten wie das Haushaltsdefizit abgestimmt werden muss. Doch über Zahlen gibt es keine Abstimmung, sie sind entweder richtig oder falsch". Seine Gegner in der Tsipras-Regierung und die Generalstaatsanwältin sahen dies jedoch anders.


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