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Banken- und Finanzkrise : Die deutsche Banken- und Finanzkrise
28.08.2015 20:09 (3839 x gelesen)

Die deutsche Bankenkrise

Der Zusammenbruch der Investmentbank Lehman Brothers wurde in einigen deutschen Medien nicht als das Scheitern einer Bank, sondern als das Ereignis einer politischen  Zeitenwende interpretiert. So schrieb Hans-Ulrich Jörges im STERN:

„Das ist ein Epochenbruch: das Scheitern der neoliberalen Verheißung, das Ende des Glaubens an den selbstregulierenden, klugen, lernfähigen, Wohlstand schaffenden Markt, der Untergang des Investmentbanking als Renditemaschine. Und die Rückkehr des Staates als Hüter des Gemeinwohls, als politischer Regisseur auf der Bühne der Globalisierung“.

Mit dieser ideologisch gefärbten Deutung der Krise traf Hans-Ulrich Jörges den für Deutschland typischen Nerv. Man sah sich durch die Krise in dem Misstrauen in die Funktionsfähigkeit der Märkte bestätigt und setzte auf den Staat als Retter. Dass auch Staatsversagen die Krise verursacht haben konnte, wollte man nicht wahrhaben.

 Investmentbanker ohne Verantwortung

Traditionelle „Bankiers“ erkannten demgegenüber in der Krise das negative Wirkens von „Investmentbankern“. Ludwig Poullain, der frühere Chef der Westdeutschen Landesbank (West LB), etwa urteilte: „Die Krise kommt aus der Mitte der Gesellschaft. Sie ist die Folge unserer Ungezügeltheit. Die Krise kommt nicht aus dem Markt. Banker haben sich mit den Gewinnspannen aus den normalen Kreditgeschäften nicht zufrieden gegeben. Sie haben neue Finanzinstrumente benutzt und damit das ganze System in Gefahr gebracht. Sie wollten einfach zu viel Geld verdienen. Diese Gier hat einen neuen Beruf geschaffen: den des Investmentbankers. Das ist eine elitäre Klasse von Leuten, die nur auf Geld aus ist.“

Im gleichen Sinne schrieb Ehrhardt Bödecker, der frühere Chef-Bankier der renommierten Berliner Weberbank: „Der Scherbenhaufen hätte vermieden werden können, wenn die verantwortlichen Bankmanager seriöser gehandelt und sich an die alte deutsche Banktradition erinnert hätten.“ Und selbst der damalige Bankenverbands-Präsident Klaus-Peter Müller musste einräumen: „Keine Frage, wir haben Fehler gemacht, das gestehe ich freimütig ein. Wir hätten nicht zulassen dürfen, dass Finanzprodukte so kompliziert werden, dass der Kunde sie nicht mehr versteht.“

Hatten denn die Banker diese Produkte verstanden? Offensichtlich auch nicht. Denn dann hätten sie solche Finanzprodukte nicht ankaufen oder an ihre Kunden verkaufen dürfen.

Im Unterschied zur Deutung der Krise durch die Bankiers erkannte  Angela Merkel schon früh, dass die eigentlichen Krisenursachen in der Politik zu suchen waren. „Diese weltweite Krise ging vor allem von den USA aus. Neben nicht ausreichender Regeln für die Finanzmärkte war wegen einer falschen Zinspolitik zu viel Geld im Umlauf", sagte sie im November 2008.  Die Politik des „billigen Geldes“ und die „Deregulierung der Finanzmärkte“ waren in der Tat die tieferen Gründe, die zum Ausbruch der Finanzkrise geführt hatten.

Der staatliche Deregulierungswettbewerb

Der eigentliche Treiber für die Deregulierung der Finanzmärkte war der internationale Standortwettbewerb um die Finanzwirtschaft. Weil man darin eine  Wachstums- und Zukunftsbranche sah, waren alle großen Volkswirtschachten bemüht, finanzwirtschaftliche Aktivitäten ins Land zu holen. Um den jeweiligen Finanzplatz attraktiv zu machen, wurden Regulierungen abgebaut, traditionelle Märkte für Wettbewerber geöffnet und Steuererleichterungen für Finanzmarktgeschäfte beschlossen.  Dieser Versuchung erlagen schließlich auch deutsche Banker und Politiker, die sich um die Entwicklung des Frankfurter Finanzplatzes im Verhältnis zu London und New York sorgten.  „Ein kräftiger Schuss mehr Liberalisierung beziehungsweise Deregulierung wäre der Wettbewerbsfähigkeit des Finanzplatzes förderlich“, empfahl deshalb Ulrich Schröder von der Deutschen Bank im Jahr 1995.

Die deutsche Regierung unter Helmut Kohl griff diese Anregung unverzüglich auf und begann zu deregulieren. Bereits im Juli 1996 kündigte Finanzstaatsekretär Jürgen Stark eine gesetzliche Initiative zur Stärkung von Investmentfonds an. Finanzinnovationen sollten künftig an jedermann in großem Stil verkauft werden können. Der damalige Finanzminister Theo Waigel war begeistert. Warnungen vor solchen Produkten waren damals nicht zeitgemäß und blieben unbeachtet.

Auch unter der rot-grünen Schröder-Regierung  lief der Prozess der Deregulierung ungebremst weiter. Mit  diversen Gesetzen zur Förderung des Finanzmarktes wurde der Handel mit innovativen Finanzmarktprodukten erleichtert. Für forderungsbesicherte Wertpapiere (ABS) gab es zudem Steuererleichterungen. Parallel dazu startete Im Jahr 2003 die "Initiative Finanzstandort Deutschland (IFD)" als Lobbyeinrichtung. Der Anstoß ging von Siegmar Mosdorf (SPD) aus; ihr Sprecher wurde Josef Ackermann. Schon ein Jahr später beschloss der Deutsche Bundestag das Investmentmodernisierungsgesetz, mit dem auch Hedgefonds in Deutschland tätig werden konnten.

Im  Koalitionsvertrag vom 11. November 2005 kündigten Union und SPD weitere Schritte an: „Produktinnovationen und neue Vertriebsweg müssen nachdrücklich unterstützt werden. Dazu wollen wir die Rahmenbedingungen für neue Anlageklassen in Deutschland schaffen. Hierzu gehören der Ausbau von Verbriefungsmärkten sowie der Abbau überflüssiger Regulierungen.“ Das Ziel war eine Finanzmarktaufsicht „mit Augenmaß“, überflüssige Regulierungen sollten abgebaut werden. Peer Steinbrück sollte dies als Finanzminister der großen Koalition umsetzen. Doch schon im April 2007 begann die globale Finanzkrise in den USA mit dem Konkurs von New Century Financial.

An die Politik der Deregulierung will heute niemand mehr erinnert werden. Wolfgang Schäuble (CDU) kritisierte jüngst „die laxe Bankenregulierung der Vergangenheit unter SPD-Verantwortung“. Als Unions-Fraktionschef hatte er 1997 aber selbst gefordert, in Deutschland müsse sich eine „zukunftsorientierte globale Kapitalmarktkultur entwickeln“, die allen Beteiligten mehr Freiheiten und Wahlmöglichkeiten biete.

Angela Merkel beurteilte die Politik der SPD rückblickend gerechter: „Die Vorgängerregierung stand vor der Frage, ob sie einfach zusehen soll, wie eine große Bank nach der anderen abwandert, oder ob sie Deutschland als starken Finanzplatz erhalten kann. Deshalb nehme ich sie nicht pauschal in Haftung für das, was passiert ist.“ Aber dann gab sie den "Schwarzen Peter" an die Finanzwirtschaft weiter: „Die Finanzbranche trifft insofern eine Verantwortung, als sie sich gegen eine bessere Regulierung gewehrt hat. Da eine solche Regulierung nur international effektiv ist, hat die Branche darauf gesetzt und davon gelebt, dass sich immer irgendwo irgendjemand verweigert hat.“

Diese Schuldzuweisung verkennt, dass es sich bei dem „Deregulierungswettbewerb“ um einen politischen Standortwettbewerb handelte, über den nicht die Finanzbranche, sondern nur die Politik entscheiden konnte. An einer wirksamen Regulierung war trotz warnender Hinweise vor der Krise kein Politiker ernsthaft interessiert. Erst nach Ausbruch der Krise verständigte sich die internationale Staatengemeinschaft auf eine strengere Regulierung der Finanzmärkte. Erst dann forderte auch Angela Merkel: „Generell gilt: Es darf keine blinden Flecken mehr geben, in deren Schutz sich Risiken unbeobachtet aufbauen“.

Die Rettungspolitik der Bundesregierung

Als der Kollaps von Lehman Brothers im September 2008 eine globale Finanzkrise auslöste,  wurden davon auch europäische Banken erfasst. Dies betraf nicht nur Banken, die amerikanische Immobilienpapiere besaßen, sondern vor allem südeuropäische Banken, die viele faule Kredite in ihren Büchern hatten. Die Finanzkrise bekam dadurch eine europäische Dimension, was Veranlassung gab, über einen gemeinsamen Bankenrettungsfonds auf europäischer Ebene nachzudenken. Der Ministerpräsident aus den Niederlanden, Jan Peter Balkenende, ließ Ende September 2008 dazu ein Papier zirkulieren: „Die Niederlande schlagen vor, dass … alle Mitgliedstaaten einen fixen Beitrag von 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts bereitstellen. Der Fonds würde aus 27 separaten Fonds bestehen, die nur dem jeweiligen Mitgliedsstaat zur Verfügung stehen, die aber alle nach den gleichen Linien operieren.“

Die Staats- und Regierungschefs von Deutschland, Italien, Großbritannien und Frankreich sprachen über diesen Vorschlag bei ihrem Treffen in Paris am 4. Oktober 2008. Dabei sprach sich auch der französische Präsident Nicolas Sarkosy für einen europäischen Bankenrettungsfonds aus. Über die Antwort von Angela Merkel gibt es unterschiedliche Versionen. Laut Sarkosy soll sie - natürlich in deutsch - gesagt haben: „Chacun sa merde“. Ein Vertreter der deutschen Delegation bestätigte später eine dezentere Version der Kanzlerworte: „Ein jeder kehr´ vor seiner Tür, und rein ist jedes Stadtquartier.“ Klar war jedenfalls, dass Angela Merkel für die Bankenrettung nur nationale Lösungen wollte.

Als Angela Merkel aus Paris zurückkehrte, brannte in Berlin schon die Hütte. Der Hypo Real Estate (HRE) drohte die Pleite und beunruhigende Nachrichten gab es auch von anderen Banken. "Wir haben in den Abgrund geschaut", beschrieb Finanzminister Peer Steinbrück, dem die Rolle des Krisenmanagers zufiel, die damalige Situation. In aller Eile wurde für die Hypo Real Estate ein Rettungspaket geschnürt, das im Laufe der Verhandlungen immer größer wurde. Schließlich waren es 50 Mrd. Euro, die nötig waren, um die Bank vor der Insolvenz zu bewahren. 

Für öffentliches Aufsehen sorgte der plötzliche Presseauftritt von Angela Merkel und Peer Steinbrück am 5. Oktober 2005, in dem sie folgende Erklärung abgaben: „Wir sagen den Sparerinnen und Sparern, dass ihre Einlagen sicher sind. Auch dafür steht die Bundesregierung ein.“ Der Anlass waren Informationen aus Bankenkreisen, dass von Bankkunden zunehmend  500-Euro-Scheine nachgefragt wurden. Dies wurde als Zeichen dafür  gedeutet, dass die Bürger ihr Geld vor einem Zusammenbruch der Banken retten wollten. Mit der Garantie für die Spareinlagen sollte (angeblich) der Gefahr eines  "Bankensturms" vorgebeugt werden. Allen war aber klar, dass die Bundesregierung garnicht in der Lage war, die Garantie der Spareinlagen im Ernstfall zu erfüllen. Der Zweck der Übung bestand vornehmlich  darin, politische Handlungsfähigkeit zu zeigen..

Denn wirklich belastbate Anhaltspunkte für einen Sturm auf die Banken gab es jedenfalls nicht. Aus Bankenkreisen wurde sogar berichtet, dass erst aufgrund des öffentlichen Auftritts der Bundeskanzlerin und ihres Finanzministers bei den Kunden eine gewisse Unruhe entstanden sei. Um diese  ungewollte Wirkung  wieder aus der Welt zu schaffen, lud man die Chefs der wichtigsten Zeitungen ins Kanzleramt ein, um sie zu bitten, über den Ernst der Lage nicht zu berichten. Dies alles zeigte die große Nervosität, in der sich die Bundesregierung damals befand.  

Der eigentliche Grund dafür waren vertrauliche Hinweise, dass neben der HRE weitere Banken in Schwierigkeiten geraten könnten. Dies führte bei Peer Steinbrück und seinem Beraterkreis zu der Einsicht, dass ein allgemeiner Bankenrettungsfonds gegründet werden müsste, statt den Banken fallweise zu helfen. Nachdem diese Entscheidung gefallen war,  beauftragte Peer Steinbrück mit der Ausarbeitung der gesetzlichen Grundlagen nicht die dafür zuständige Abteilung des Finanzministeriums, sondern die Anwaltskanzlei Freshfields. Die Sache duldete keinen Aufschub. Bereits am 17. Oktober 2008  verabschiedete der Deutsche Bundestag das Finanzmarktstabilisierungsgesetz, so dass der Sonderfonds Finanzmarktstabilisierung (SoFFin) eingerichtet werden konnte.

Über die Notwendigkeit eines staatlichen Bankenrettungsschirms gab es große Übereinstimmung. Die Lage auf den Finanzmärkten war bedrohlich, und die Banken hatten den Staat um Hilfe gerufen. „Leider gibt es ohne den Staat keine Lösung“, hatte Josef Ackermann,  Chef der Deutschen Bank, der Bundesregierung mitgeteilt. Dies kam einer Kapitulation gleich: Die Banken sahen sich nicht in der Lage, die Finanzmarktkrise aus eigener Kraft zu lösen. Damit war der Staat gefordert. Angela Merkel stellte im Rückblick deshalb zutreffend fest: „Der Staat hat sich als die letzte Institution erwiesen, die handeln konnte, um den Bürgern und Unternehmen Sicherheit zu geben und Vertrauen zurückzugewinnen“.

Auch die MIT begrüßte das von der Bundesregierung beschlossene Rettungspaket. In einer Presseerklärung dazu sagte der Verfasser dieses Beitrages: „Es ist richtig, dass die aktuellen Liquiditäts- und Kapitalprobleme nicht fallweise, wie bei der Hypo Real Estate, sondern international abgestimmt für den gesamten Markt gelöste werden. Verschiedene Banken haben Liquiditätsprobleme, weil das Vertrauen im Inter-Banken-Verkehr verloren gegangen ist. Das Bürgschaftspaket des Bundes in Höhe von insgesamt 400 Mrd. Euro zugunsten Kredit gebender Banken ist ein geeignetes Instrument, dieses Vertrauen wieder herzustellen.“

Ausgestattet wurde der befristete Sonderfonds Finanzmarktstabilisierung (SoFFin)  mit einer Garantieermächtigung des Bundes bis zu 400 Mrd. Euro sowie einer Kreditermächtigung bis zu 100 Mrd. Euro. Damit konnte die SoFFin zur Rettung notleidender Banken Garantien übernehmen, den Banken Kapital zuführen oder befristet Risikopapiere ankaufen. Ergänzend dazu beschloss der Deutsche Bundestag Mitte 2009 das Bad-Bank-Gesetz, mit dem Banken ihre „toxischen“  Papiere auf  Zweckgesellschaften auslagern konnten.

Der Fonds zur Bankenrettung war Sondervermögens des Bundes, das nicht den üblichen Haushaltsregeln unterlag. Über die Hilfsanträge entschied ein Lenkungsausschuss, dem drei Vertreter von Bundesministerien und ein Vertreter  des Bundeskanzleramtes angehörten. Das Gesetz enthielt keine Vorgaben für die Auswahl der Banken, die zulässige Höhe oder die Art der Hilfen. Insoweit hatte der Lenkungsausschuss freie Hand. Ein Gremium von neun Mitgliedern des Deutschen Bundestages sollte den Fonds überwachen. Beschlüsse des Lenkungsausschusses ablehnen oder ändern konnten die Parlamentarier jedoch nicht. „Das ist die klassische Logik des Ausnahmezustandes“, schrieb dazu die Frankfurter Rundschau am 18. Oktober 2008.

Zu den Banken, die den Rettungsfonds in Anspruch nahmen, gehörten die Hypo Real Estate (HRE), die Commerzbank, die IKB Deutsche Industriebank sowie die Landesbanken HSH Nordbank, die WestLB und die Bayern LB. Die Leistungen bestanden in erster Linie aus Garantien (bis zu 182 Mrd. Euro) und  im Falle der HRE und der Commerzbank aus Kapitalzuführungen (9,8 Mrd. und 18,2 Mrd. Euro). Der Fonds machte von 2008 bis 2013 Verluste in Höhe von 21.5 Mrd. Euro, die zu 65 Prozent vom Bund und zu 35 Prozent von den Bundesländern (bis maximal 7,7 Mrd. Euro) auszugleichen waren. Der Bankenrettungssfonds Soffin beendete seine Tätigkeit zum 31. Dezember 2015. An seine Stelle trat die Europäische Abwicklungsbehörde mit Sitz in Brüssel. Die verbliebenen Beteiligungen wird die Finanzagentur des Bundes übernehmen. Die für den Soffin zuständige Bundesanstalt für Finanzmarktstabilisierung (FMSA) mit ihren gut 100 Mitarbeitern wird dem neuen europäischen Aufsichtsregime untergeordenet. 

Der offizielle Fehlbetrag des Soffin bei Beendigung ihrer Tätigkeit beläuft sich auf 21,9 Milliarden Euro. Dies ist aber nur ein Teil der Kosten für die Bankenrettung in Deutschland. Hinzu kommen die Nachschüsse der KfW von 10 Milliarden Euro in die IKB und die Kosten für den Zusammenbruch der WestLB in Höhe von 18 Milliarden. Außerdem sind die Beträge der Bundesländer hinzuzurechnen, die sie zur Rettung ihrer Landesbanken wie BayernLB, HSH Nordbank oder Landesbank Baden-Württemberg aufwenden mussten. Insgesamt hat die Bankenrettungen den Steuerzahler etwa 70 Milliarden Euro gekostet. Schon vor Jahren hatte der ehemalige Vorsitzende der FMSA, Christopher Pleister, gesagt: "Bankenrettung ist kein Geschäft." 

Ausschluss zukünftiger Krisen?

Über die Ursachen der Finanz- und Bankenkrise 2008 besteht weitgehend Übereinstimmung. Erstens neigen Kreditzyklen prinzipiell zur Übertreibung, sowohl im Aufschwung wie in Krisenzeiten. Die Zentralbanken können die Ausschläge ein Stück weit glätten, aber nicht zum Verschwinden bringen. Zweitens haben viele Banken und bankähnliche Finanzinstitutionen die einfachsten Bankregeln missachtet. Stattdessen zielte man auf eine aberteuerliche Maximierung der Eigenkapitalrendite. Drittens war die 2007/2008 bestehenede Regulierung alles andere als optimal. Die für Großbanken implizierte Staatsgarantie verführte zu Moral Hazard. Die Vermengung von Sozialpolitik und Bankenregulierung förderte die Kreditvergabe an Haushalte, die kreditunwürdig waren (sog. Ninjas: "no income-no job-no asset"). Das Schattenbankensystem und die Kreditversicherungen waren gänzlich unbeaufsichtigt (Tobias Straumann/Markus A. Will in FAZ vom 1. April 2017).

Inzwischen sind die Eigenkapitalquoten und Liquiditätsvorschriften für Banken durch das Regelwerk der Baseler Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (Basel III) deutlich verschärft worden. Viele Großbanken haben auch ihre Bilanzen reduziert und sich von riskanten Geschäftsbereichen getrennt. Man muss aber nicht Berufspessimist sein, um zu erkennen, dass die bisher erreichten Maßnahmen kaum ausreichen werden, um eine mögliche neue Finanzkrise zu verhindern. Dies aus folgenden Gründen:

  • Das europäische Bankensystem ist nach wie vor unterkapitalisiert, und in mehreren südeuropäischen Ländern kann ein Bankrott nur dank der außerordentlichen Maßnahmen der EZB verhindert werden.
  • Nach Basel III ist eine Regulierung im Sinne einer Begrenzung des Ankaufs einzelner Staatsanleihen nicht vorgesehen. Überdies fehlt auch eine Risikogewichtung solcher Staatsanleihen im Risikomanagement der Banken.
  • Auch mit Basel III bleiben die Eigenkapitalquoten aus historischer Sicht immer noch auf einem niedrigen Niveau von 5 %. Noch bis in die siebziger Jahre betrug das ausgewiesene Eigenkapital mehr als zehn Prozent.
  • Es mangelt weiterhin am Vertrauen in das Handeln der Banken. Vertrauen läßt sich nicht regeln, sondern muss erarbeitet werden.
  • Die Trump-Administration plant eine Deregulierung des amerikanischen Finanzsystems. Möglich ist insbesondere eine Schwächung der Volcker-Regel, die seit Juli 2015 eine Beschränkung des Eigenhandels vorsieht.

Aus diesen Gründen kommen Tobias Straumann/Markus A. Will zu folgendem Ergebnis:  "Anders als in den dreißiger Jahren fand im Anschluss an den Lehman-Schock kein Paradigmenwechsel statt.  Dafür ist der Mangel an herzhaften Eingriffen durch eine rekordhohe Regulierungsdichte kompensiert worden. In Tat und Wahrheit ist die Lage nur unübersichtlicher und nur begrenzt vertrauenswürdiger geworden. Das Finanzsystem ist gegen einen erneuten Sturm keineswegs gefeit."

Heute sind es die Zentralbanker und Politiker, die als Hauptakteure an einem gefährlichen Schuldenrad drehen. Dies ist der Unterschied zum Krisenjahr 2008, als die  „finanziellen Exzesse“ mancher Banker und Manager für die Krise verantwortlich waren. Damals konnte die Bundeskanzlerin Angela Merkel den Bürgern erklären: „Der Staat ist Hüter der Ordnung.“ Doch wie sieht die Ordnung aus, für die der Staat laut Merkel sorgt?

Die Wurzel der Weltfinanzkrise lag bekanntlich in der Geschäftspraxis der Banken, im großen Stil nicht kreditwürdigen Personen Hauskredite, sog. „Subprime credits“, zu gewähren. Hinzu kam die Niedrigzinspolitik der amerikanischen Notenbank, die den Immobilienboom gewaltig anheizte, bis 2007 die Spekulationsblase schließlich platzte.

Blick man auf das heutige Europa, so kann man deutliche Parallelen feststellen. So betreibt die Europäische Zentralbank (EZB) seit Jahren eine ultralockere Geldpolitik, die den Zins auf Null gedrückt hat. Nutznießer ist die Bundesregierung, weil ihr Schuldendienst günstiger geworden ist. Die schwarze Null, die der Bund seit fünf Jahren erreicht, ist vor allem den eingesparten Zinsausgaben zu verdanken. Überdies heizt das billige Geld die Konjunktur an, was wiederum die Steuereinnahmen auf immer neue Rekorde treibt.

Verlierer der Nullzins-Politik sind die konservativen Sparer einschließlich der Sparkassen und Versicherungen. Zudem hat die Geldschwemme zu einer zunehmenden Verschuldung und bedrohlichen Verwerfungen auf den Vermögensmärkten geführt. Das billige Geld treibt vor allem die Immobilienpreise und damit auch die Mietpreise in die Höhe. Experten sehen darin längst eine gefährliche Blase, von den sozialen Folgen ganz zu schweigen.

Überdies startete EZB-Chef Marion Draghi ein gewaltiges Kaufprogramm für Anleihen, mit dem die EZB nicht nur Staaten, sondern auch marode Banken und Unternehmen mit billigem Geld versorgt. Inzwischen hat die EZB über ihr Anleiheprogramm zwei Billionen Euro in den Markt gepumpt. Damit soll insbesondere das Schuldenproblem von Euro-Länder wie Italien gelöst werden. Infolgedessen hält die EZB einen wachsenden Bestand an „faulen Krediten“ in ihren Büchern, für den eines Tages die Euroländer eintreten müssen. Wie der Ausstieg aus dieser hoch riskanten Geldstrategie aussehen könnte, weiß derzeit niemand.

Ein weiteres Problem ist die Finanzierung der Außenhandelsdefizite und Fluchtgelder der südlichen Euro-Länder durch die EZB mit Hilfe der Target2-Salden, d.h. über zinslose Verrechungskkonten der nationalen Zentralbanken. Ende Juni 2018 beliefen sich die Target2-Forderungen der Deutschen Bundesbank gegen die EZB auf etwa 1 Billion Euro. Für den ehemaigen ifo-Präsidenten Hans-Werner Sinn stellt dieses Abrechnungssystem einen Selbstbedienungsladen dar, " in dem man nach Belieben anschreiben lassen kann, ohne dass der Ladeninhaber seine Forderungen fällig stellen kann". Dass die südlichen Euro-Länder davon auch Gebrauch machen, zeigen deren negative Verrechnungssalden.

Statt die gute Finanzlage zu nutzen, sich für schwierige Jahre besser zu rüsten, macht die große Koalition genau das Gegenteil. Trotz sinkender Arbeitslosigkeit wachsen die Sozialausgaben seit Jahren stärker als die Gesamtwirtschaft. Schon heute ist die in den Sozialsystemen versteckte Staatsverschuldung doppelt so groß wie die offiziell ausgewiesene. Die Politik unterstellt, dass die derzeitige Konjunktur auf ewig fortdauern wird. Doch die Blase wird eines Tages platzen. Dann werden die Bürger und Finanzmärkte ebenso fassungslos sein wie 2008, als die Bank Lehman Brothers pleite ging (Dorothea Siems in DIE WELT vom 13. September 2018).  

  


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