Der europäische Emissionshandel
In die energiepolitische Debatte kommt Bewegung. Wirtschaftsminister Peter Altmaier hat angekündigt, die Subventionierung der erneuerbaren Energien im Stromsektor in vier bis fünf Jahren zu beenden. Damit rückt der europäische Emissionshandel als zentrales Instrument der Energiewende in den Mittelpunkt der Debatte.
Das Funktionsprinzip des Emissionshandels beruht auf einer simplen Idee namens "cap and trade". Der zulässige Ausstoß schädlicher Gase wie Kohlendioxid wird durch politische Entscheidung global nach oben begrenzt ("cap"). Gleichzeitig gibt man den Produzenten Emissionszertifikate, die gehandelt werden können, um die Emissionen dort zu reduzieren, wo dies am günstigsten ist ("trade").
Der europäische Emissionshandel
Die Europäische Union (EU) hat einen solchen Handel mit Emissionszertifikaten für die Stromkonzerne und Industrie für das Gebiet der EU bereits eingerichtet. Seit 2005 legt sie durch die Ausgabe von Zertifikaten die Höchstgrenze für erlaubte Emissionen global fest. Mit einem Zertifikat kaufen sich Unternehmen das Recht, für einen bestimmten Preis eine Tonne CO2 in die Atmosphäre zu blasen. Die Höchstgrenze wird seit 2013 jedes Jahr um 1,74 Prozent gesenkt.
Wie und wo Kohlendioxid gespart wird, überläßt die EU den Unternehmen. Durch den Handel mit den Zertifikaten entsteht ein Preis für Kohlendioxid, anhand dessen die Unternehmen ihre Investitionsentscheidungen treffen können. Seit der Einführung des Emissionshandels im Jahr 2005 beträgt der Preis zwischen fünf und neun Euro je Tonne Kohlendioxid. Spart ein Unternehmen CO2 ein, indem es seine Anlagen modernisiert, kann es seine Zertifikate an Unternehmen verkaufen, die mehr ausstoßen, als ihre Zertifikate ihnen erlauben. Wer mehr Treibhausgase in die Luft abgibt, riskiert hohe Strafen.
Die EU hat mit dem Emissionshandel inzwischen viel erreicht. Ihr Ziel ist es, mit diesem Instrument bis 2030 gegenüber 1990 kosteneffizient 40 Prozent weniger CO2 im Emissionshndelssektor auszustoßen. Dieses Ziel wird sie voraussichtlich erreichen, weil bis 2017 schon 25 Prozent eingespart wurden. Die Emissionen sind sogar stärker gesunken, als es durch die Festlegung der Obergrenze (den Cap) und deren planmäßige Absenkung vorgegeben war.
Eine wichtige Rolle dürfte dabei spielen, dass Vermeidungsmaßnahmen in Unternehmen nicht graduell, sondern sprunghaft erfolgen. Stellt beispielsweise ein Unternehmen eine Großfeuerungsanlage von Schweröl auf Gas um, führt das zu einer sprunghaften CO2-Reduktion. In Erwartung zukünftig steigender CO2-Preise haben sehr viele Unternehmen solche Maßnahmen eingeleitet, wodurch sie in der Summe mehr CO2 eingesparten, als sie hätten müssen Joachim Weimann in FAZ vom 23. Juli 2018).
Im November 2017 verkündete der Vertreter Estlands in seiner Eigenschaft als EU-Ratsvorsitzender, dass man sich in der EU über die Weiterentwicklung des Emissionshandels geeinigt habe. Die Menge, die Fabriken und Kraftwerke an Treibhausgasen in die Luft blasen dürfen, soll zwischen 2021 und 2030 jährlich um 2,2 statt um 1,7 Prozent sinken. Die Anforderungen zur CO2-Einsparung werden damit im Zeitraum 2020 bis 2030 um rund ein Viertel verschärft. Gleichzeitig werden Verschmutzungsrechte vom Markt genommen, um das Angebot zu verknappen.
Dies soll dazu beitragen, dass die rund 11.000 beteiligten Anlagen in Europa bis 2030 mindestens 43 Prozent weniger Kohlendioxid und andere Klimagase ausstoßen als 2005, damit die EU ihre Zusagen im Pariser Weltklimapakt einhalten kann. "Das Ergebnis stärkt den Emissionshandel erheblich, unterstützt Innovation und Modernisierungim Energiesektor und geht das Problem der CO2-Abwanderung an", erläuterte die estnische Ratspräsidentschaft das Ergebnis. Gemeint war die Verlagerung von energieintensiven Fabriken in Länder mit weniger Klimaauflagen.
Förderung ohne Wirkung
Der europäische Emissionshandel gilt auch für das deutsche Staatsgebiet. Zusätzlich fördert Deutschland mit dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) den Ausbau von Erzeugeranlagen für erneuerbare Energien, um den Ausstoß von CO2 zu vermindern. Dieser Alleingang in der Klimapolitik ist aber hinsichtlich der CO2-Emisiionen vollständig wirkungslos.Wird in Deutschland CO2 durch Windkraft eingespart, brauchen die fossil betrieben Kraftwerke weniger Emissionsrechte.Die Rechte, die überzählig sind, werden verkauft, und die in Deutschland eingesparten CO2-Emisiionen finden beim Käufer der Rechte statt.
Deutsche Klimapolitiker ignorieren diesen Effekt, seitdem es den Emissionshandel gibt - also seit immerhin 13 Jahren. Hans-Werner Sinn schreibt dazu: „Wenn in Deutschland die Kraftwerke abgeschaltet werden, werden sie anderswo in Betrieb genommen, und zwar in einem Umfang, dass dort exakt so viel zusätzliches Kohlendioxyd in die Luft geblasen wird, wie wir einsparen“. Die Förderung erneuerbarer Energien bewirkt also nur eine regionale Verlagerung oder Umverteilung des Ausstoßes von Klimagasen, ohne an der Gesamtmenge in Europa etwas zu ändern. Per Saldo ist der Beitrag des EEG für den Klimaschutz deshalb gleich null und damit überflüssig.
Darauf wird auch im jüngsten Klimaschutzbericht der Vereinten Nationen (IPCC) vom 14. April 2014 aufmerksam gemacht: „In einem Emissionshandelssystem mit einer hinreichend strengen Deckelung haben andere Maßnahmen wie die Subventionierung erneuerbarer Energien keinen weiteren Einfluss auf den gesamten CO2-Ausstoß.“ Aus dem gleichen Grund hat die vom Deutschen Bundestag eingesetzte Expertenkommission „Forschung und Innovation“ der Bundesregierung empfohlen, das EEG komplett abzuschaffen, weil es weder ein kosteneffizientes Instrument für den Klimaschutz ist noch eine messbare Innovationswirkung entfaltet. Die Experten begründen dies damit, dass die Kohlendioxidemissionen für energieintensive Branchen in der EU durch das Emissionshandelssystem nach oben begrenzt sind.
In der von der Bundesregierung dominierten deutschen Klima- und Energiedebatte wurden der Klimaschutzbericht der UNO und die Empfehlung der Expertenkommission jedoch nicht zur Kenntnis genommen, weil sie der regierungsamtlichen Energiepolitik widersprechen. Dabei sind die Aussagen eindeutig: Unter dem System des europäischen Emissionshandels mit seiner exakten Menge an Verschmutzungsrechten führen Ökostrom-Subventionen nicht zu einer weiteren Minderung der CO2-Emissionen.
Darüber hinaus hat das EEG sogar den negativen Effekt, dass es den europäischen Emissionshandel in seiner Wirkung beeinträchtigt: Denn Zweck der Emissionszertifikate ist es, den Ausstoß von CO2 zu verteuern. Mit dem steigenden Anteil der erneuerbaren Energien geht jedoch der Bedarf an solchen Zertifikaten zurück, so dass der Preis für die Zertifikate sinkt. Infolgedessen vermindert sich der mit dem Zertifikatehandel beabsichtigte Anreiz, den CO2-Ausstoß zu reduzieren.
Die Bundesregierung hat für 2020 das Ziel ausgegeben, den CO2-Ausstoß gegenüber 1990 um 40 Prozent zu senken. Dieses Ziel wird sie mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit verfehlen. Kritiker des Emissionshandels fordern deshalb, den Handel mit Zertifikaten durch Mindetspreise zu regulieren. Der Klimawissenschafter Ottmar Edelhofer (MCC) glaubt, dass erst ein CO2-Mindestpreis "dem Klimaschutzplan der Bundesregierung scharfe Zähne verleiht".
Auch die Bundesregierung spricht in ihrem Klimaschutzplan 2050 von notwendigen Schritten zur "Stärkung der Preissignale des Emissionshandels". Damit soll insbesondere die Stromerzeugung aus Braun- und Steinkohlekraftwerken verteuert werden, damit sich die Marktchancen für die vergleichsweise teuren, aber sauberen Gaskraftwerke verbessern. Auf diesem Wege will man dem in Paris gefassten Ziel der "Dekarbonisierung" der Energiegewinnung näher kommen. Eine europäische Preisuntergrenze sei "die Grundvoraussetzung für einen gelungenen Kohleausstieg", argumentiert Ottmar Edelhofer.
Entgegen einer weit verbreiteten Auffassung ist der Emissionshandel jedoch kein Preis-Instrument, sondern ein Mengen-Instrument. Seine ökologische Wirkung entsteht nicht über den Preis, sondern über die Obergrenze an Emissionen, die politisch festgelegt und jedes Jahr gesenkt wird. Der Handel selbst sorgt dann nicht für noch weniger Emissionen, sondern lediglich dafür, dass Kohlendioxid dort eingespart wird, wo es wirtschaftlich sinnvoll ist (Anna Steiner in FAS vom 12. November 2017).
Emissionshandel statt Subventionen
Die Förderung regenerativer Energien durch das EEG ist ein teures und ineffizientes Förderinstrument. Die Stromverbraucher zahlen inzwischen über die EEG-Umlage jährlich mehr als 25 Milliarden Euro Subventionen an die Betreiber von Ökostromanlagen. Die Kosten der Energiewende werden auf insgesamt zwei bis drei Billionen Euro geschätzt.
Die Energiewende wird mit einem planwirtschaftlichen System betrieben. Der Ökostrom wird vorrangig eingespeist und zu garantierten Preisen vergütet. Die Produzenten von Ökostrom müssen sich um Reservekapazitäten nicht kümmern, wenn die Sonne nicht scheint oder der Wind nicht weht. Sie werden auch nicht an negativen Preisen beteiligt, wenn der produzierte Strom keine Abnehmer findet.
Trotz hoher Kosten leistet das EEG jedoch nur einen geringen Beitrag zur Reduktion der Treibhausgase. Der Anteil von Wind und Sonne am Primärenergieverbrauch beträgt lediglich drei Prozent. Das EEG-System erfasst nur die Stromerzeugung, der Energieverbrauch im Wärme- und Verkehrsektor sowie in der Industrie und Landwirtschaft bleiben draußen vor. Nur einige Ideologen glauben noch, dass die Energiewende mit dem EEG gelingen kann.
Eine Alternative zum EEG-System ist der Emissionshandel, weil er für alle energieabhängigen Sektoren (Strom, Wärme, Verkehr, Industrie, Landwirtschaft) einen einheitlichen Preis für CO2-Emissionen festsetzt. Aus ökonomischer Sicht ist der Emissionshandel das Vernünftigste, was aktuell an Ideen im Gespräch ist. Für den Klimawandel ist es egal, ob Emissionen durch den Ausbau von Solaranlagen oder durch beliebige andere Technologien reduziert werden. Ökonomisch sollte die Technik zur Emissionsvermeidung zum Einsatz kommen, die die jeweils geringsten Kosten aufweist.
Ein einheitlicher CO2-Preis beendet auch den politischen Zielkonflikt zwischen der Förderung der verschiedenen Energiearten und die damit verbundenen Verteilungsprobleme. Die Politik sollte auf das dezentrale Wissen aller Akteure vertrauen. Wo, wann und in welchem Umfang Emissionen am besten eingespart werden, sollten die Emittenten entscheiden. Mit einem einheitlichen Preis für Emissionen ist eine solche Delegation vieler einzelner Entscheidungen möglich.
Dazu in Widerspruch steht ein Vorgehen, das für den Umbau bestimmter Industrien feste Pfade verbindlich vorgibt. Dies gilt insbesondere für den aktuell diskutierten Kohleausstieg, für die laut Koalitionsvertrag eine „Kohlekommission“ bis Ende des Jahres einen Zeitplan ausarbeiten soll.
Das Beste, was die Kommission tun könnte, wäre auf die Einhaltung der CO2-Zertifikatspreise im Emissionshandel zu setzen. Damit würde der Kohleausstieg wirtschaftlich vernünftig und effizient umgesetzt. Ein von der Kohlekommission festgelegter Ausstiegspfad, den sich die Politik vorstellt, würde dagegen die volkswirtschaftlichen Kosten erhöhen. Auch hier gilt, dass „ein schneller Strukturwandel angesichts unseres gut funktionierenden Sozialstaats besser ist, als durch üppige Subventionen abgefedert ganz den Anschluss zu verlieren" (Christoph M. Schmidt in DIE WELT vom 15. Mai 2018).