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Der Koalitionsvertrag 2013
25.08.2015 12:09 (3898 x gelesen)

Der Koalitionsvertrag 2013

Der Bundestagswahlkampf  2013 wurde von den beiden großen Parteien als „Wohlfühlkampagne“ inszeniert. Angela Merkel (CDU) warb mit der Mütterrente, besseren Pflegeleistungen, bezahlbarem Wohnraum und dem Verzicht auf Steuererhöhungen. Peer Steinbrück (SPD) versprach den Wählern eine Rente ab 63, den gesetzlichen Mindestlohn und eine Mietpreisbremse. Im Unterschied zu Merkel wollte er aber die Steuern erhöhen. Vorschläge für eine Verbesserung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen gab es in den Wahlprogrammen von Union und der SPD nicht.

Die Wirtschaftsverbände hatten zunächst die Hoffnung, dass die neue Regierung nicht alles umsetzen werde, was die Parteien den Wählern vor der Wahl versprochen hatten. Sehr schnell wurden sie aber eines Besseren belehrt. Union und SPD  verständigten sich darauf, dass alle Wahlversprechen  in den Koalitionsvertrag einfließen und schnell abgearbeitet werden sollten.

Der Koalitionsvertrag

Die Mütterrente und die Rente ab 63

Sofort nach Regierungsantritt ließ  Andrea Nahles (SPD), die  neue Ministerin für Arbeit und Soziales, sowohl die Mütterrente als auch die  Rente ab 63 Jahren verabschieden. „Zehn Millionen Menschen profitieren davon“, triumphierte sie  bei der Vorstellung der Rentengesetze. Ein solches Ausmaß an Leistungserhöhungen war in Deutschland noch nie beschlossen worden.

Begünstigt von der Mütterrente sind alle Mütter, deren Kinder vor 1992 geboren wurden. Diese ausgewählte Gruppe  bekommt bei der Rente  ein zusätzliches Jahr Kindererziehungszeiten angerechnet. Der Aufschlag bringt pro Kind etwa 28 Euro. Damit wollte die Union bei der Bundestagswahl vor allem die älteren Frauen für sich gewinnen. Die erhöhte Mütterrente wird mittlerweise  an rund 9,5 Millionen Rentnerinnen ausgezahlt. Sie belastet die Rentenversicherung zunächst mit rund 7,0 Milliarden Euro jährlich.
 
Mit der zusätzlichen Mütterrente sollen Kindererziehungszeiten angemessen honoriert werden. Da es sich hierbei um eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe handelt, müsste die Mütterrente aus Steuermitteln finanziert werden. Die Rentenversicherung wurde herangezogen, weil im Bundeshaushalt keine Mittel dafür vorgesehen waren. Verfassungsrechtliche Bedenken wurden beiseite geschoben. Herbert Rische, Präsident der Deutschen Rentenversicherung, monierte deshalb: „Schließlich kommen die Kindererziehungszeiten auch Personen zugute, die gar nicht in der gesetzlichen Rentenversicherung versichert sind, sondern beispielsweise in einem Versorgungswerk“.

Die abschlagsfreie Rente ab 63, die die SPD den Wählern versprochen hatte, ist ebenfalls mit hohen Belastungen für die Rentenversicherung verbunden. Begünstigt sind Arbeitnehmer, die 45 Beitragsjahre oder bestimmte Ersatzzeiten wie  Kurzarbeitslosigkeit nachweisen können. Im Gesetzentwurf hatte die Koalition bis 2018 Mehrkosten von 8,9 Milliarden sowie nicht bezifferte Mindereinnahmen durch wegfallende Beiträge der Frührentner vorhergesagt. Rentenpolitiker schätzten jedoch, dass die abschlagsfreie Rente ab 63 bis 2018 deutlich mehr als ursprünglich beziffert kosten wird, weil die Zahl der Frührentner unterschätzt wurde. .

Fatal ist insbesondere das Signal, das von der abschlagsfreien Rente ab 63 ausgeht. Denn sie bedeutet eine deutliche Abkehr vom bislang verfolgten Ziel, dass die Menschen angesichts der steigenden Lebenserwartung länger arbeiten müssen. Damit folgte die große Koalition einem Wunsch der Gewerkschaften, die seit jeher die Verkürzung der Lebensarbeitszeit fordern. Erstmals hatte die sozial-liberale Koalition unter Willy Brandt  im Jahr 1972 eine „flexiblen Altersgrenze“ eingeführt, die den Eintritt in den Ruhestand mit 63 Jahren ermöglichte.  Das Projekt war ein „voller Erfolg“: 70 % der Anspruchsberechtigten machten von dieser Möglichkeit Gebrauch. Die Vision der „späten Freiheit“ ohne Erwerbsarbeit und ohne materielle Not war damals so attraktiv wie heute. Dass  die jüngere Generation dafür zahlen muss, hat dieser Vision bisher nicht geschadet.

Andrea Nahles, Arbeits- und Sozialministerin in der großen Koalition, rechtfertigte die abschlagsfreie Rente ab 63 damit, dass damit eine „Gerechtigkeitslücke“ geschlossen würde. Tatsächlich handelte es sich jedoch um ein Wahlgeschenk an eine für die SPD wichtige Wählergruppe, die das Sonderrecht erhalten, vorzeitig ohne Abschläge in Rente zu gehen. Solche Sonderrechte nennt man üblicherweise „Privilegien“, die keine Gerechtigkeitslücken schließen, sondern einen Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz darstellen.

Zwei Jahre nach Einführung der Rente mit 63 und der Mütterrente bereitete Andrea Nahles ein weiteres Rentenpaket vor. Es zielte auf die Einführung einer Art Mindestrente, die als "solidarische Lebensleistungsrente" bezeichnet wurde. Sie soll die Ansprüche von Geringverdienern an die gesetzliche Rentenversicherung über den Wert ihrer Beitragszahlungen hinaus aufwerten. "Wir arbeiten daran und werden noch in diesem Jahr einen konkreten Vorschlag vorlegen", kündigte Nahles an. In der großen Koalition sei "klar vereinbart" diese Reform bis zum Jahr 2017 gemeinsam umzusetzen. Im Koalitionsvertrag heißt es dazu: "Wir wollen, dass sich Lebensleistung und langjährige Beitragszahlung in der Sozialversicherung auszahlen."

Die zusätzlichen Belastungen

Mit dem Rentenpaket, auf das sich die große Koalition verständigte, verabschiedeten sich  CDU/CSU und SPD von ihrem bisherigen Kurs, das Rentensystem durch Leistungskürzungen zu stabilisieren. Schon die Mütterrente und die abschlagsfreie Rente ab 63 bedeuten, dass die  Rentenversicherung zukünftig mit einer zweistelligen Milliardensumme pro Jahr zusätzlich belastet wird. Die versteckte Verschuldung des Bundes  ist nach Berechnungen der Stiftung Marktwirtschaft dadurch schlagartig um 443 Milliarden Euro gestiegen. Dass sich damit auch die Lasten künftiger Generationen weiter erhöhen, wurde bei der politischen Behandlung komplett ausgeblendet. Nur der Wirtschaftsrat der CDU kritisierte:  „Nachhaltige Haushaltspolitik sieht anders aus – und europaweit vorbildliche Reformpolitik auch“.  Die politischen Würfel waren aber  längst gefallen. Der kleine Parteitag der CDU verabschiedete den Koalitionsvertrag ohne Änderungen mit 165 Ja-Stimmen bei zwei Enthaltungen. Widerstand der Repräsentanten des Wirtschaftsflügels der Union gab es nicht mehr.

Bis zur nächsten Bundestagswahl im Jahr 2017 dürften die Reserven der Rentenkasse von 31 Milliarden Euro ausreichen, um die Mehrausgaben für die höhere Mütterrente und die abschlagsfreie Rente ab 63 zu finanzieren. Ursprünglich war jedoch vorgesehen, dass aus dieser Reserve  6 Milliarden Euro jährlich für eine Beitragssenkung verwendet werden sollten. Diese gesetzliche Bindung hob die große Koalition auf, weil sie die Gelder für das neue Rentenpaket benötigte. Dass hierdurch der Vertrauensschutz der Versicherten verletzt wurde,  wurde von den Koalitionspartnern nicht als Problem gesehen.

Das Rentenpaket der großen Koalition wird langfristig entweder zu höheren Sozialbeiträgen oder zu höheren Staatszuschüssen führen. Das Bundesfinanzministerium selbst geht von einem Anstieg der Sozialbeiträge um 3,4 Punkte bis 2017 aus. Dadurch steigen nicht nur die Arbeitskosten, sondern es wird sich auch die Generationenbilanz zulasten der Jüngeren weiter verschlechtern. Schon heute gilt für ein im Jahr 2000 geborenes Kind, dass es im Laufe seines Lebens durchschnittlich 77.000 Euro mehr Beiträge bezahlt, als es später an Rente ausbezahlt bekommt.

Ausweitung der Gesundheits- und Pflegeleistungen

Darüber hinaus vereinbarten Union und SPD umfangreiche und kostenintensive  Verbesserungen in der Gesundheitspolitik und Pflegeversicherung. Mit der Umsetzung dieser Pläne wurde Herrmann Gröhe (CDU) beauftragt, der den Wahlkampf 2013 für Angela Merkel organisiert hatte und dafür mit dem Posten des Gesundheitsministers belohnt wurde. Zu den Aufgaben, die er inzwischen weitgehend erledigt hat, gehören laut Koalitionsvertrag der Umbau der Krankenhausfinanzierung, die Ausweitung der ambulanten Versorgung und die Stärkung der Selbstverwaltung. Schon diese Maßnahmen sind mit erheblichen Mehrkosten verbunden und lassen auch die Rücklagen der Krankenkassen schnell dahin schmelzen. Darüber hinaus brachte Herrmann Gröhe den Ausbau der gesetzlichen Pflegeversicherung  auf den Weg: Dadurch wächst pünktlich zur Bundestagswahl 2017 der Kreis der Anspruchsberechtigten, vor allem durch Einbeziehung der Demenzkranken, um eine halbe Millionen. Zugleich steigen die Leistungen durch eine veränderte Eingruppierung der Pflegebedürftigen, allerdings mit einem Bestandsschutz für diejenigen, die schon Geld erhalten. Die Leistungen können also nur steigen, nicht sinken. Das alles verschlingt jährlich fünf Milliarden zusätzlich, finanziert zunächst aus den noch vorhandenen Reserven und dann durch höhere Beitragssätze. 

Gesundheitspolitische Fachleute sagten über die Ausgabenpolitik von Herrmann Gröhe: "Gröhe nutzt die Gunst hoher Überschüsse und Rücklagen und läßt den Ausgaben freien Lauf", oder "Das Thema nachhaltige, demografiefeste Finanzierung des Gesundheitssystems ist Gröhe überhaupt nicht angegangen", oder  "Gröhe ist vielleicht einer der teuersten Gesundheitsminister, den das Land je hatte". Eine solche Politik wird zwangsläufig zu höheren Kassen- und Pflegebeiträgen führen. Nach einer Studie des Gesundheitsökonomen Jürgen Wasem (Uni Duisburg-Essen) wird sich der sogenannte Zusatzbeitrag für die Versicherten bis 2020 mehr als verdoppeln - bis zu monatlich 59 Euro mehr für Gutverdiener. "Beitragsschock bei Krankenkassen" meldete die BILD-Zeitung in ihrer Ausgabe vom 16. August 2016. Der Vorsitzende des Gesundheitsausschusses im Bundestag, Edgar Franke (SPD) reagierte sofort: "Es kann nicht dabei bleiben, dass die Versicherten den Anstieg der Kassenbeiträge über ihre Zusatzbeiträge allein finanzieren müssen. Die Arbeitgeber müssen sich wieder zum gleichen Teil an den Kosten beteiligen." 

Mitte 2018 folgte der Offenbarungseid:  Herrmann Gröhe (CDU) war inzwischen durch den Bundestagsabgeordneten Jens Spahn (CDU) als Gesundheitsminister abgelöst worden. In der Pflegeversicherung war der Kreis der Bezugsberechtigten um mehrere hunderttausend auf  3,1 Millionen angewachsen. Um den dadurch bewirkten Anstieg der Ausgaben in den Griff zu bekommen, hatte Gröhe den Beitragsatz um ein Viertel heraufsetzen lassen. Den Beitragszahlern hatte Gröhe vor der Wahl treuherzig versichert, dass die Reform  durchfinanziert sei und die Beiträge bis 2022 stabil blieben. 

Ein Jahr nach der Wahl ist alles anders: Die Kosten sind viel höher, weil man sich verkalkuliert hat. Deshalb macht die Pflegekasse trotz Rekordeinnahmen wegen der guten Konjunktur 2018 ein Defizit von 3,1 Milliarden Euro. Damit schmelzen die Reserven weiter ab. Der neue Gesundheitsminister hat schon eine weitere Beitragserhöhung  angekündigt. Sie dient allein der Finanzierung der Folgekosten der von Gröhe durchgeführten „Reform“. Zusätzliche Kosten, die sich durch die notwendige Verbesserung der Lage der Pflegeberufe zwangsläufig ergeben, sind damit nicht abgedeckt.

Der gesetzliche Mindestlohn

Die zentrale Aufgabe von Andrea Nahles als Ministerin für Arbeit und Soziales war es,  die Vereinbarung der Koalitionsparteien über einen gesetzlichen Mindestlohn, der mit 8,50 Euro festgesetzt wurde, zügig umzusetzen. Dies war eine Zäsur für den deutschen Arbeitsmarkt. „Der Mindestlohn schließt eine Gerechtigkeitslücke und sorgt dafür, dass die Menschen einigermaßen anständig bezahlt werden“, erklärte der DGB-Vorsitzende Michael Sommer. Dabei hatten die Gewerkschaften den gesetzlichen Mindestlohn lange bekämpft, weil er das Eingeständnis von gewerkschaftlicher Schwäche bedeutete. Detlef Wetzel, damaliger Vizechef der IG-Metall, hatte noch 2013 gefragt: „Hoffen wir auf den Staat oder vertrauen wir auf die eigene Kraft?“ Verdi-Chef Frank Bsirske vertraute dem  Staat mehr als der eigenen Kraft und setzte sich damit im Gewerkschaftslager durch. Die SPD und die Union taten dann, was die Gewerkschaften von ihnen erwarteten.

Der Mindestlohn von 8,50 Euro trat am 1. Januar 2015 in Kraft. BA-Chef Frank-Jürgen Weise war positiv gestimmt: "Der Mindestlohn könnte für mehr Beschäftigung sorgen." Probleme sah er nur regional im Osten und in bestimmten Dienstleistungsbranchen. So sah es auch Frau Nahles: Der Mindestlohn beglückt die Arbeitnehmer und vernichtet keine Jobs. Aber schon im April musste die Bundesagentur für Arbeit berichten, dass die Zahl der Minijobber in Deutschland infolge des gesetzlichen Mindestlohns zurückgeht. Nach Zählungen der Bundesagentur hatten im Februar insgesamt 7,24 Millionen Menschen einen Minijob. Das waren 242.000 weniger als im Dezember 2014, wozu Andrea Nahles erklärte, die Minijobs seien überwiegend in sozialversicherungspflichtige Jobs umgewandelt worden. "Entgegen aller Schwarzmalerei" in Sachen Mindestlohn seien dies "gute Nachrichten zum 1. Mai", sagte sie. 

Diese Behauptung der Bundesministerin ist inzwischen durch Wissenschaftler der Uni Magdeburg und der FU Berlin widerlegt worden. Sie schreiben in der FAZ vom 26. März 2016: "Wie vorhergesagt, ist bei den Minijobs ein deutlicher Einbruch zu sehen. Schon Mitte 2014, bei Beschlussfassung zum Mindestlohngesetz, aber vor der Einführung, begann der Rückgang der Minijob-Beschäftigung. Von Juli 2014 bis Juli 2015 sind fast 200.000 der 5 Millionen Minijobs für ausschließlich geringfügig Beschäftigte weggefallen - und zwar, wie erwartet, vor allem in Ostdeutschland. ... Tatsächlich dürfte ein Teil der wegfallenden Minijobs in sozialversicherungspflichtige Beschäftigung umgewandelt worden sein. Allerdings wäre die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung auch ohne diese Übergänge angestiegen, schließlich hatten wir 2015 ein reales Wirtschaftswachstum von 1,7 Prozent."

Regulierung des Arbeits- und Mietmarktes

Die beiden großen Parteien folgten den Gewerkschaften auch bei der Umsetzung  weiterer Forderungen, vor allem zur Regulierung des Arbeitsmarktes. Im  Koalitionsvertrag vereinbarten sie Maßnahmen gegen den Missbrauch von Werkverträgen sowie die verschärfte Regulierung der Leiharbeit. In dem von Angela Nahles 2015 vorgelegten Gesetzentwurf zu missbräuchlichen Werkverträgen heißt es dazu: "Missbräuchlich sind Vertragskonstruktionen, die von den Vertragsparteien zwar als ´Werkvertrag´ bezeichnet werden, tatsächlich jedoch als Arbeitsverträge oder Arbeitnehmerüberlassungsverträge durchgeführt werden." Zur Abgrenzung nennt das Gesetz acht Kriterien, die in "wertender Gesamtbetrachtung" herangezogen werden sollen. Sind mehrere der Kriterien erfüllt, wird das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses vermutet, mit der Folge, dass der Auftraggeber Lohnsteuern und Sozialversicherungsbeiträge abführen muss.

Die unternehmerische Entscheidung darüber, etwas selbst zu tun oder als Dienstleistung bei spezialisierten Experten einzukaufen, wird so zum Vabanquespiel. Dass in Zukunft noch ein selbständiger Dienstleister die Betriebskantine betreibt oder externe IT-Experten mit der eigenen IT-Abteilung zusammenarbeiten, erscheint ausgeschlossen. Im Zeitalter der Spezialisierung und Arbeitsteilung ist dies eine rückwärtsgewandte Politik.  

Auch die Zeitarbeit soll laut Gesetzentwurf strenger reguliert werden: Zum einen sollen Zeitarbeiter nach neun Monaten gleich viel Lohn wie entsprechende Stammbeschäftigte erhalten ("Equal Pay"). Zum anderen dürfen sie in der Regel nur noch für bis zu 18 Monaten im selben Betrieb arbeiten. Ein Bedarf für eine solche Regelung besteht nicht, weil die organisierte Zeitarbeit in Deutschland - anders als im Ausland - eine normale sozialversicherungspflichtige Beschäftigung ist, die dem Arbeitsnehmer viele Vorteile bietet. Zudem ist Zeitarbeit für viele Geringqualifizierte oft der Ausweg aus der Beschäftigungslosigkeit. Gerade angesichts der Integration hundert Tausender Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt wird sie dringend gebraucht.

Im Oktober 2016 einigten sich die Koalitionsparteien schließlich auf ein Lohngleichheitsgesetz, dessen Ziel es ist, für mehr Lohngerechtigkeit zwischen Frauen und Männern zu sorgen. Wer wissen will, wie hoch die Gehälter seiner Kollegen sind, kann dies zukünftig mit einer Anfrage an seinen Arbeitgeber klären. Der Arbeitgeber muss dann mitteilen, wie hoch der Mittelwert der Gehälter von fünf Mitarbeitern des jeweils anderen Geschlechts ist, die gleichwertige Tätigkeiten ausüben. Lässt die Antwort auf ein rechtlich nicht begründbares Lohngefälle schließen, können die Betroffenen nicht nur für die Zukunft mehr Geld fordern, sondern auch entgangenen Lohn für zurückliegende Jahre. "Ich möchte, dass der Grundsatz ´gleicher Lohn für gleiche Arbeit´ Teil der Unternehmenskultur wird", sagte Frauenministerin Manuela Schwesig (SPD). Das Gesetz soll für Betrieb ab 200 Mitarbeitern gelten, obgleich der Koalitionsvertrag eine Grenze von 500 Mitarbeitern vorgibt.   

Lars P. Feld, Mitglied des Sachverständigenrats, hatte vor solchen ideologischen Fesseln gewarnt: „CDU/CSU und SPD schicken sich an, in die Vor-Agenda-Zeit zurückzufallen. Das Erreichte droht, verspielt zu werden. Die deutsche Politik hat offenbar vergessen, warum die rot-grünen Reformen der Regierung Schröder in der Steuer-, Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik nötig waren“. Die Repräsentanten des Wirtschaftsflügels der Union protestierten  gegen das  "Übermaß an bürokratischen Hürden", aber nicht gegen die Regulierungen als solche.

Der Koalitionsvertrag enthält zudem zahlreiche Vorschläge für eine strengere Regulierung des Mietmarktes, für den Bundesjustizminister Haiko Maas (SPD) verantwortlich ist. In einer ersten Welle verabschiedete der Deutsche Bundestag im April 2015 auf seine Initiative die "Mietpreisbremse" und das "Bestellerprinzip" für Maklerkosten. In einer zweiten Welle soll die Möglichkeit für Vermieter, Modernisierungskosten auf die Mieter umzulegen, deutlich eingeschränkt werden. Zudem sollen Mieterhöhungen bei laufenden Verträgen ebenso wie bei Neuvermietungen dadurch erschwert werden, dass der Beobachtungszeitraum von Mietspiegeln erheblich ausgeweitet werden. "Insbesondere ältere Neuvertragsmieten können durch die Verbreiterung des Bezugzeitraums besser abgebildet und gewichtet werden", heißt es zur Begründung.

Die Union kündigte zwar Widerstand an: "Das gefährdet dringend benötigte Investitionen in den  Neubau, den altersgerechten Umbau und die energetische Sanierung von Wohnungen", sagte ihr Mietrechtsexperte. Der Bundesjustizminister kann sich aber darauf berufen, dass seine Vorschläge der Verbesserung des Mieterschutzes dienen, die von beiden großen Parteien gewollt war.

Die Wohlfühlkanzlerin

Jahrelang hatte Angela Merkel auf europäischer Ebene die Renten- und Arbeitsmarktpolitik der Krisenstaaten kritisiert und eine größere Reformbereitschaft eingefordert. Jetzt erhöhte Deutschland plötzlich die Renten und führte einen gesetzlichen Mindestlohn ein, wie es für die Krisenländer, insbesondere für das kriselnde Frankreich typisch war.  Die deutsche Forderung nach größerer Reformbereitschaft in Europa verlor deshalb deutlich an Überzeugungskraft. Denn Handeln nach dem Motto „Wasser predigen und Wein trinken“ ist nicht glaubwürdig.

Wie üblich fand die erste Kabinettsklausur der neuen Regierung Anfang 2014 auf Schloss Meseberg statt. Über den Verlauf und das Ergebnis  berichtete die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung (FAS):

 „So schnell und harmonisch wie selten geht die neue Regierung an die Arbeit. Aber es sind nur Gabriel und seine SPD-Minister, die man dabei sieht. Der Parteichef selbst geht mit der Energiewende voran. Dicht dahinter folgt Arbeitsministerin Andrea Nahles mit ihren Rentenplänen und dem Mindestlohn. Zugleich erobert Außenminister Frank-Walter Steinmeier für sein Ressort Europa und die Weltbühne zurück. Derweil darf Merkels Parteifreund Wolfgang Schäuble bloß noch zusehen, wie er das Geld für die SPD heranschafft, ohne die Steuern zu erhöhen. Von der Kanzlerin selbst hört man sowieso fast nichts.“

Als Angela Merkel von Journalisten nach ihren eigenen Vorhaben gefragt wurde, verwies sie auf das neue Regierungsprojekt „Gutes Leben – Lebensqualität in Deutschland“, und betonte: „Dieses Thema Lebensqualität liegt mir sehr am Herzen. Insofern habe ich keine Sorge, dass ich nicht ausgelastet bin.“ Aus der Reformpolitikerin war endgültig eine Wohlfühlkanzlerin geworden.

post scriptum:

Drei Jahre später verabschiedete das Bundeskabinett zum Projekt der Kanzlerin einen 240 Seiten starken Bericht zur Lebensqualität in Deutschland. Basierend aus mehr als 200 Dialogforen mit Bürgern kommt der Bericht zu dem Ergebnis, dass den Deutschen Frieden im eigenen Land und der Einsatz für diesen in der Welt besonders wichtig sind, ebenso die Höhe ihres Einkommens sowie persönliche Freiheit. Die FAZ kommentierte diese wenig überraschenden Ergebnisse mit dem Satz "Sag bloß!".


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