"Nationale Industriestrategie"
Die Anfang Februar 2019 von Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) der Öffentlichkeit vorgestellte „Nationale Industriestrategie“ hat eine heftige Debatte über die Richtung der deutschen Wirtschaftspolitik ausgelöst. Umstritten sind insbesondere folgende Ziele und Maßnahmen:
• Die Bundesregierung will die deutsche Industrie vor dem chinesischen Expansionstreben „schützen“, soweit politische Interessen Deutschlands tangiert sind. Hierzu sollen das Außenhandelsgesetz verschärft und die Möglichkeit von Staatsbeteiligungen erweitert werden.
• Die Bundesregierung will auf nationaler und europäischer Ebene die Bildung von „nationalen Champions“ erleichtern, um die Unternehmen robuster und wettbewerbsfähiger zu machen. Dementsprechend sollen Zusammenschlüsse von Unternehmen durch eine Änderung des Wettbewerbsrechts erleichtert werden.
• Die Bundesregierung erwartet von der deutschen Industrie, dass sie den Rückstand bei „zukunftsfähigen Technologien“ wie der Elektromobilität, dem Internet und der Künstlichen Intelligenz durch zusätzliche Investitionen beseitigt. Die Bundesregierung will solche Investitionen mit Finanzhilfen und Beteiligungen fördern.
Mit seinen industriepolitischen Vorschlägen bekennt sich der Wirtschaftsminister offen zu einer Wirtschaftspolitik des Merkantilismus, bei der die Regierung steuernd in die wirtschaftlichen Prozesse eingreift, um politische Ziele zu erreichen. Auf die Soziale Marktwirtschaft im Sinne von Ludwig Erhard kann sich Altmaier nicht berufen, weil dessen Verständnis von Wirtschaftspolitik darin bestand, der Wirtschaft einen Ordnungsrahmen vorzugeben, in dem sie sich frei bewegen kann. Zudem war es für Erhard undenkbar, dass sich Politiker anmaßen „konkrete Technologien oder Unternehmen benennen zu können, die eine ´strategische´ Bedeutung für die Volkswirtschaft haben.“ So sieht es auch die Mehrheit im Sachverständigenrat.
I
Altmaiers Ideen
In dem Industriepapier von Altmaier heißt es, dass Deutschland im Bereich der Industrie eine „Führungsposition“ einnehmen muss. Der Anteil der Industrie an der gesamten Wirtschaft soll von 23 Prozent auf 25 Prozent anwachsen. Auch die mittelständischen Unternehmen sollen gestärkt und gestützt werden.
Die neue Industriestrategie soll auch „eine Antwort auf die wirtschaftspolitische Agenda Chinas und der USA“ sein. Sie wird für nötig gehalten, weil sich im Zuge der Digitalisierung Produktionsprozesse und Produkte grundlegend verändern. Europa und Deutschland drohten jedoch bei der Entwicklung von zukunftsfähigen Technologien, wie der künstlichen Intelligenz, superleistungsfähiger Batterien und den Plattformen für Verkehrs-, Verkaufs- oder Kommunikationsmodellen, abgehängt zu werden.
Dazu definiert das Industriepapier neun „industrielle Schlüsselbereiche“: Die Grundstoffindustrien (Stahl, Kupfer, Aluminium), die Chemie, der Anlagen- und Maschinenbau, die Automobilhersteller und Zulieferer, Medizingeräte, Green-Tec, Rüstungsgüter, die Luft- und Raumfahrt sowie der 3D-Druck. Betriebe aus solchen Bereichen sollen von „bezahlbarer Energie, stabilen Sozialabgaben, einem dauerhaft wettbewerbsfähigen Steuersystem und einem zeitgemäßen Wettbewerbsrecht“ profitieren, heißt es in dem Papier.
Die Unternehmen dieser Branchen sollen leichter fusionieren können und Übernahmen sollen erleichtert werden. Dabei sollen deutsche und europäische Champions entstehen, die im globalen Wettbewerb mithalten können. Altmaier will das deutsche und europäische Wettbewerbsrecht überprüfen und gegebenenfalls ändern, „damit für deutsche und europäische Unternehmen ein internationaler Wettbewerb auf ´Augenhöhe´ möglich bleibt“. Damit ist unausgesprochen die neue Wirtschaftsmacht China gemeint, der ein aggressiver Expansionsdrang unterstellt wird.
Ausdrücklich wird in dem Papier die Bedeutung nationaler Champions gewürdigt: „Größe zählt.“ Hierzu nennt Altmaier trotz ihrer internationalen Besitzverhältnisse auch Konzerne wie Siemens, Deutsche Bank, die Autoindustrie oder Thyssen-Krupp: „Der langfristige Erfolg und das Überleben solcher Unternehmen liegt im nationalen politischen und wirtschaftlichen Interesse, da sie erheblich zur Wertschöpfung beitragen und in vielen Fällen auch für das hervorragende Image deutscher Wirtschaft und Industrie weltweit mit verantwortlich sind.“ Der Satz wird in dem Papier eigens hervorgehoben.
Altmaier verwies bei der Vorstellung des Papiers auf den rasanten technischen Fortschritt etwa bei alternativen Antrieben oder der künstlichen Intelligenz. „Wer diese Technologien verpennt, der wird am Ende die verlängerte Werkbank von anderen sein“, sagte der Minister. Dass dies unterbleibe, sei nicht allein die Angelegenheit der Wirtschaft: „Wir sind gemeinsam im Führersitz, in der Verantwortung, in der Haftung.“ Bei neuen Technologien sah Altmaier „die Notwendigkeit zu aktivierender Unterstützung zum Beispiel bei Fusionen oder Bildung von Konsortien, bis hin zur direkten staatlichen Beteiligung am Aufbau von Schlüsselindustrien“.
Bei Übernahmeversuchen, „bei denen nicht in erster Linie das staatliche Sicherheitsinteresse, sondern vielmehr Technologie- und Innovationsführerschaft betroffen sind“, sei es „vorrangig Sache der privaten deutschen Wirtschaft und ihrer Akteure, derartige Übernahmen durch eigene Angebote zu verhindern“, sagte Altmaier. Der Staat könne in diesen Fällen ermutigen und unterstützen. Es müsse aber auch Alternativen geben für den Fall, dass sich kein privater Akteur findet, den „weißen Ritter“ (Altmaier) zu spielen.
Für solche Fälle schlug Altmaier eine „nationale Beteiligungsfazilität“ vor, d.h. die Möglichkeit, dass der Staat zugreift, wenn Sicherheitsinteressen tangiert sind oder es um eine kritische Infrastruktur geht. „In China sind Unternehmen mit Weltgeltung entstanden, ganze Industriebereiche könnten in den nächsten Jahren zum technologischen Monopol dieser Unternehmen werden“, heißt es in dem Papier. Folge sei dann, dass eine funktionierender „internationaler Wettbewerb nicht mehr möglich“ wäre. Mit einem „Industriebündnis“ sollte Deutschland laut Altmaier „vom passiven Beobachter wieder zum Akteur, zum Gestalter“ werden. „Eingriffe des Staates“ wollte Altmaier jedoch auf Fälle begrenzen, „bei denen es um die Wurst geht“. Je größer aber „der volkswirtschaftliche Schaden ist, der bei Nichthandeln droht, desto größer muss der Spielraum des Staates sein“.
In dem Konzept wird darauf hingewiesen, dass auch andere Länder auf Industriepolitik setzen: „Industriepolitische Strategien erleben in vielen Teilen der Welt eine Renaissance, es gibt kaum ein erfolgreiches Land, das zur Bewältigung der Aufgaben ausschließlich und ausnahmslos auf die Kräfte des Marktes setzt.“
Die Mehrheit im Sachverständigenrat hat Altmaier mit seinen Vorschlägen nicht überzeugt. Nach ihrer Einschätzung geht der „Strategiewechsel in die falsche Richtung“: Mit China in einen Wettlauf um Subventionierung, Regulierung, Protektionismus und Markteingriffe einzusteigen, erscheine wenig erfolgversprechend, schreiben die Ökonomieprofessoren Lars Feld, Isabel Schnabel, Christoph Schmidt und Volker Wieland. Im Zweifel werde man „damit nur eines erreichen: Die hierzulande unter Artenschutz gestellten Unternehmen werden noch weniger um stärkere Wettbewerbsfähigkeit ringen, weil sie nicht mehr so sehr dazu gezwungen sind.“
II
Konkrete Vorhaben
Das industriepolitische Strategiepapier von Altmaier beruht nicht auf grundsätzlichen Studien zur Wirtschaftspolitik, sondern ist aus aktuellen Fällen entstanden, die die Bundesregierung beschäftigen oder beschäftigt haben. Es geht dabei um folgende Fallkonstellationen:
Chinesischen Investoren:
Hierhin gehört der Fall des Augsburger Roboterherstellers Kuka, der durch ein chinesisches Unternehmen übernommen wurde. Der ehemalige Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel wollte dies mit einem „Weißen Ritter“ aus Deutschland verhindern, fand aber niemanden, der den geforderten Preis dafür zahlen wollte. Weder wollte der Maschinenbauer Voith seine Beteiligung an Kuka aufstocken, noch war Siemens bereit, sich bei Kuka zu engagieren.
Daraufhin verschärfte die Bundesregierung das Außenwirtschaftsgesetz: Künftig kann sie in sicherheitsrelevanten Bereichen den Einstieg eines Investors schon ab einer Beteiligung von 15 Prozent prüfen und gegebenenfalls verbieten. Eine solche Verschärfung nützt aber nichts, wenn sich wie im Fall Kuka kein inländischer Investor findet. Zukünftig wird der Bund möglicherweise solche Anteile kaufen.
So hat sie es im Fall des Stromnetzbetreiber 50Hertz auch bereits gemacht. Im Juli 2018 verhinderte die Bundesregierung, dass sich der chinesische Staatskonzern SGCC an 50Hertz beteiligt, indem sie die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) beauftragte, den Anteil von 20 Prozent an 50Hertz für sie zu erwerben. „Die Bundesregierung hat aus sicherheitspolitischen Erwägungen ein hohes Interesse am Schutz kritischer Energieinfrastrukturen“, hieß es in einer Mitteilung des Ministeriums. Der Erwerb der Anteile wurde als „Brückenlösung“ bezeichnet.
Unabhängig von solchen Einzelfällen, muss sich der Bundeswirtschaftsminister die Frage gefallen lassen, wie eine solche Industriepolitik zum allgemeinen Freihandel passt. Und stimmt es wirklich, dass Chinesen in Europa und insbesondere Deutschland ungehemmt auf Einkaufstour sind? Die Zahlen jedenfalls sprechen eine andere Sprache:
Nach den jüngsten Daten der Bundesbank haben hiesige Unternehmen für fast 80 Milliarden Euro Investitionen in China getätigt. Mehr als 2.000 deutsche Unternehmen, vor allem aus der Industrie, sind im Reich der Mitte als Investoren aktiv. Dagegen kommen die chinesischen Direktinvestitionen in Deutschland nur auf 2 Milliarden Euro. „Die öffentliche Debatte, dass die Chinesen in Deutschland immer mehr die Industrie aufkaufen, ist völlig überzogen“, sagte Stefan Kooths vom Institut für Wirtschaft (IfW) in Kiel.
Insgesamt übertreffen die deutschen Direktinvestitionen im Ausland mit mehr als 1,1 Billion Euro die ausländischen Investitionen in Deutschland bei weitem. Betrachtet man das gesamte deutsche Auslandsvermögen, wird ebenfalls deutlich, dass Deutsche viel mehr Vermögen im Ausland haben als umgekehrt. Ein wesentlicher Grund dafür sind die deutschen Außenhandelsüberschüsse, die im Ausland angelegt wurden. „Man wundert sich, dass Deutschland als größter Kapitalexporteur der Welt so eine Debatte führt, dass Chinesen hier angeblich zu viel aufkaufen oder sich die Industrieperlen herauspicken“, sagte IfW-Ökonom Koths.
Nationale Champions:
Auch der Vorschlag von Altmaier, die Bildung von „nationalen Champions“ wettbewerbsrechtlich zu erleichtern, hat einen konkreten Hintergrund: Derzeit führt die Bundesregierung intensive Gespräche mit der Deutschen Bank und der Commerzbank mit dem Ziel des Zusammenschlusses der beiden Banken. Ob eine solche Fusion zulässig ist, hängt nicht zuletzt vom Kartellamt ab, das zu prüfen hat, wie sich ein solcher Zusammenschluss auf dem deutschen Bankenmarkt auswirkt.
Im Übrigen ist keineswegs sicher, dass durch eine solche Fusion auch international ein wettbewerbsfähiges Finanzinstitut entstehen wird: Beide Banken sind angeschlagen und haben sich von der Finanzkrise noch nicht erholt. Abzulesen ist dies an den Aktienkursen, die seit Ende 2017 um beinahe 40 Prozent gefallen sind. Zudem werden beide Banken auch nach einer Fusion im internationalen Konzert der Banken nur eine untergeordnete Rolle spielen: Anfang 2018 hatte die Deutsche Bank nur noch einen Marktwert von 18 Milliarden Dollar, die Commerzbank von 9 Milliarden Dollar. Demgegenüber wurde die in den USA führende Bank JP Morgan mit 343 Milliarden Dollar bewertet, was etwa dem 13-fachen Marktwert der beiden deutschen Banken entspricht.
Einen herben Rückschlag bei dem Bemühen, die Industrie durch große Unternehmen zu stärken, musste Altmaier bereits hinnehmen: Die EU-Kommission verbot jüngst die Zusammenlegung der Schnellzugsparten von Siemens und Alstom, weil sie dem europäischen Wettbewerbsrecht nicht entspricht. Mit dem Zusammenschluss verbanden der deutsche ICE-Hersteller Siemens und der französische TGV-Produzent Alstom die Absicht, als „europäischer Champion“ dem chinesischen Weltmachtführer CRRC auf dem Markt für Schnellzüge Paroli zu bieten.
„Das Verbot sei im Interesse der Kunden und Verbraucher“, sagte die dänische EU-Wettbewerbskommissarin Margarethe Vestager zur Begründung ihrer Entscheidung. Nur durch Wettbewerb im Binnenmarkt und damit erzwungenen Innovationen wären die Unternehmen auch global konkurrenzfähig. Politiker aus Deutschland und Frankreich bezeichneten das Verbot der Fusion jedoch als schweren Fehler. Der französische Wirtschaftsminister sprach von „überholten Regeln, die neu geschrieben werden müssen“. Dazu wollte er mit Bundeswirtschaftsminister in Kürze Vorschläge machen.
Innovative Technologien:
Die Bundesregierung sieht sich auf vielen Gebieten als Förderer innovativer Technologien. Der wichtigste Bereich ist derzeit die Automobilindustrie, die sich zwar im Krisenmodus befindet, aber weiterhin eine Schlüsselbranche der deutschen Industrie ist. Dazu hat die Bundesregierung jüngst die „Nationale Plattform zur Zukunft der Mobilität“ geschaffen, um auch den Verkehrssektor auf die nationalen CO2-Einsparziele zu verpflichten. Für die deutsche Automobilindustrie sind damit tiefgreifende Änderungen des bisherigen Geschäftsmodells verbunden.
Das Industriekonzept von Peter Altmaier sieht unter anderem vor, dass für den Weg in die Elektromobilität die Bildung von Konsortien zur Herstellung von Batteriezellen geprüft werden soll. Dafür stellt das Papier staatliche Subventionen bis zu einer Milliarde Euro in Aussicht: „Sollte bei dem Automobil der Zukunft die digitale Plattform für autonomes Fahren mit Künstlicher Intelligenz aus den USA und die Batterie aus Asien kommen, hätte Deutschland und Europa mehr als 50 Prozent der Wertschöpfung in diesem Bereich verloren.“
Aber woher weiß die Politik, dass dies die Zukunftstechnik sein wird. Die meisten Fachleute zweifeln an dieser Idee: Zum einen könnte eine solche Fabrik in Deutschland wegen der hohen Energiekosten nicht rentabel betrieben werden. Zum anderen haben die Experten des Center Automotive Research (CAR) errechnet, dass nur fünf Prozent der Wertschöpfung auf die eigentliche Produktion entfällt, so dass es sinnvoller sei, sich auf die Herstellung der Komponenten für die Batterien zu konzentrieren, wie es die BASF bereits tue. Warum sollte die Politik es besser wissen?
Die Bundesregierung will auch den Bereich der Künstlichen Intelligenz in besonderer Weise fördern und unterstützen. Die Geschichte der Informatik in Deutschland zeigt jedoch, dass es im I+K-Bereich in erster Linie auf innovative Unternehmer ankommt, weniger auf neue Förderprogramme. Das ehemals führende Unternehmen Nixdorf endete im Jahr 1990, weil der Unternehmensgründer zu spät erkannte, dass sich Hard- und Software auf getrennten Märkten mit unterschiedlichen Geschäftsmodellen weiterentwickelten. Seine Nachfolger konnten den Niedergang des Unternehmens nicht mehr aufhalten. Jedoch im Jahr 1988, als Nixdorf schon verloren war, ging das Softwarehaus SAP aus Walldorf an die Börse. Heute ist es dort das bei weiten wertvollste Unternehmen in Deutschland. Für die Strategie der Künstlichen Intelligenz (KI), die sich die Bundesregierung auf ihre Fahnen geschrieben hat, besitzt es das größte Potential.
III
Handlungsbedarf
Standortranking:
Auf dem Gebiet der Wirtschafspolitik besteht in Deutschland dringender Handlungsbedarf. Das bestätigen Studien der Weltbank, des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) und des Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW).
Die meistbeachtete Studie der Weltbank ist das jährlich erscheinende Standortranking „Doing Business“. Darin analysieren die Ökonomen der Entwicklungsbank regelmäßig, wo sich am besten Unternehmen gründen und führen lassen. Die Rangliste wird seit Jahren von den skandinavischen und angelsächsisch geprägten Volkswirtschaften angeführt. In der jüngst veröffentlichten Liste registrieren die Autoren jedoch, dass seit dem Ausbruch der Finanzkrise weltweit ein Trend hin zu unternehmensfreundlicher Regulierung festzustellen ist.
Nur in Deutschland und Frankreich haben die Experten der Weltbank keine Reformerfolge feststellen können, so dass beide Länder in der Rangliste zurückgefallen sind: Deutschland auf den 24. Platz und Frankreich auf den 32. Platz. Auch wenn der Rückschritt nicht überbewertet werden sollte, ist er ein Warnsignal für die Bundesregierung, weil die Bundesrepublik bereits im vergangenen Jahr um drei Plätze nach unten gerutscht ist.
Zu dem gleichen Ergebnis kommt eine Studie, die das Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) alle zwei Jahre für die Stiftung Familienunternehmen durchführt. Darin wird untersucht, wie attraktiv die europäischen Länder als Standort für Familienunternehmen sind. Der Vergleich basiert auf einer Begutachtung von sechs Themenfeldern: Steuern, Arbeitskosten/Produktivität, Regulierung, Finanzierung, Infrastruktur und Institutionen sowie Energie.
Die neueste Analyse ist wenig schmeichelhaft für Deutschland. An der Spitze stehen wie schon vor zwei Jahren die Schweiz (1), Großbritannien (2) und die USA (3), das Schlusslicht bilden Italien (21), Spanien (20) und Frankreich (19). Deutschland ist aus dem Mittelfeld (11) vier Plätze nach unten gerutscht und steht nur noch auf Rang 16. „Deutschland hat im internationalen Vergleich insgesamt erheblich an Wettbewerbsfähigkeit eingebüßt, auch wenn das noch durch die gute Konjunktur verdeckt wird“, sagte Rainer Kirchdörfer, Vorstand der Stiftung Familienunternehmen.
Für die wirtschaftlichen Aussichten kommt es für Deutschland als Exportland, dessen Exporte nicht unerheblich über den Importen liegen, nicht zuletzt auch auf die Wettbewerbsfähigkeit gegenüber dem Ausland an. Teuer, aber gut und zuverlässig, das ist der Ruf, den deutsche Industrieprodukte im Ausland haben. Dies gilt nach einer Untersuchung des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) immer noch, aber der Vorsprung wird kleiner.
Deutschland gehört mit seinen Lohnkosten inzwischen zu den teuersten Industrieländern. „Lediglich in Norwegen, Belgien und Dänemark sind die Arbeitskosten höher als hierzulande“, sagte Michael Grömling vom IW. Daran ändert sich auch nichts, wenn die Lohnstückkosten, also das Verhältnis der Kosten zur Produktivität, als Maß für die preisliche Wettbewerbsfähigkeit zugrunde gelegt werden. Auch „das Lohnstückkostenniveau der deutschen Industrie ist hoch, obwohl ihre Produktivität klar über dem Durchschnitt der Industrieländer liegt“, heißt es in der IW-Studie. Produktiver sind Arbeitnehmer zum Beispiel in den skandinavischen Ländern sowie in den USA.
Angesichts der Tatsache, dass die deutschen Ausfuhren jüngst ins Stocken geraten sind, warnen die IW-Ökonomen: „Letztlich belegen die hohen deutschen Lohnstückkosten, dass das Produktivitätsniveau nicht groß genug ist, um den Nachteil der hohen Arbeitskosten auszugleichen.“ Zumal sich seit 2011 nach den Feststellungen des IW keine Lohnzurückhaltung beobachten lässt.
Politische Verantwortung:
Die Verschlechterung der wirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit ist hausgemacht.
Die erste von Angela Merkel geführte große Koalition startete im Jahr 2005 unter guten Rahmenbedingungen: Das Problem der Arbeitslosigkeit war zwar noch nicht gelöst, ihre Vorgänger im Amt hatten dafür aber gute Vorarbeit geleistet. Noch in der Regierungszeit von Helmut Kohl (CDU) waren die Wirtschaftsbereiche Energie, Verkehr und Kommunikation auf Initiative der Europäischen Kommission liberalisiert worden. Unter dem Nachfolger Gerhard Schröder (SPD) wurden die Steuern gesenkt und die Rentenversicherung nachhaltig stabilisiert. Außerdem reformierte Schröder den Arbeitsmarkt mit der Agenda 2010, so dass er wieder funktionsfähig wurde. Aus diesen Gründen ging die Arbeitslosigkeit schon im Jahr 2005 spürbar zurück.
Die liberale Reformphase der deutschen Politik endete mit dem Regierungsantritt von Angela Merkel im Jahr 2005: Als erstes erhöhte die große Koalition aus CDU und SPD die Mehrwertsteuer, um weitere Staatsausgaben finanzieren zu können. Die von den Vorgängern auf den Weg gebrachten Privatisierungsprojekte, wie die Privatisierung der Deutschen Bundesbahn, wurden abgeblasen. Stattdessen beschloss man für immer mehr Wirtschaftsbereiche Branchenmindestlöhne. Auch die Anzahl der Regulierungsprojekte stieg unter Angela Merkel deutlich an, vor allem in den Bereichen Klima, Umwelt und Gleichstellung. Man setzte wieder auf den Staat und weitete dessen Einfluss aus.
Mit der Finanz- und Wirtschaftskrise, die mit dem Kollaps von Lehman Brothers im Jahr 2008 begann, bekam die Wirtschaftspolitik der großen Koalition eine neue Qualität. Aus punktuellen Staatsinterventionen wurde eine sich überstürzende Krisenpolitik: Um die Funktionsfähigkeit der Finanzmärkte wieder herzustellen, wurden notleidende Banken mit staatlichen Garantien und Finanzhilfen gerettet oder abgewickelt. Weil die Konjunktur abzustürzen drohte, beschloss die Bundesregierung, der Wirtschaft mit kreditfinanzierten Konjunkturpaketen unter die Arme zu greifen. Und als sich die Krise dann zu einer Staatsschuldenkrise der südeuropäischen Eurostaaten weiterentwickelte, wurden auf europäischer Ebene Haftungs- und Kreditprogramme beschlossen, die die ursprünglichen Ziele der Währungsordnung auf den Kopf stellten.
Die Folge der Finanz- und Wirtschaftskrise war ein Paradigmenwechsel, der das Verhältnis der Politik zur Wirtschaft tiefgreifend veränderte. Die Märkte gerieten in den Ruf, krisenanfällig zu sein und sich nicht mehr selbst steuern zu können. Infolgedessen wuchs die öffentliche Bereitschaft, staatliche Eingriffe in die Wirtschaft als notwendig zu akzeptieren. Als dann Angela Merkel auch noch den „Primat der Politik“ zur Leitlinie ihrer Regierungspolitik machte, verschwanden ordnungspolitische Bedenken gegen Staatseingriffe nahezu vollständig aus der Berliner Politik.
So ist auch zu erklären, dass Politik und Öffentlichkeit Angela Merkel willig folgten, als sie ohne Beteiligung des Parlaments entschied, kurzfristig aus der Atomenergie auszusteigen und die drohende Energielücke mit alternativen Energien ausfüllen zu wollen. Selbst die damals mitregierende FDP leistete keinen Widerstand gegen die damit verbundene Enteignung der Kraftwerke und die planwirtschaftliche Umsetzung der Energiewende. Seitdem ist wirtschaftspolitisch in Deutschland alles möglich.
So verhalten sich auch die seit 2013 wieder regierenden großen Koalitionen aus CDU und SPD: Trotz zu erwartender Haushaltslücken wachsen die Sozialausgaben deutlich schneller als das Bruttosozialprodukt. Für den Arbeitsmarkt wurde ein allgemeiner gesetzlicher Mindestlohn beschlossen. In der Klimapolitik profiliert sich die große Koalition mit immer schärferen Grenzwerten und dem Ausstieg aus der Kohleenergie, ohne dass es eine nachvollziehbare Folgenabschätzung gibt. Demnächst soll auch der Verkehrssektor gezwungen werden, seinen Beitrag zu Reduktion von Klimagasen zu leisten.
Allen Maßnahmen ist gemeinsam, dass sie Deutschland als Wirtschaftsstandort weiter verschlechtern. Vermutlich glaubt Wirtschaftsminister Peter Altmaier, diese Entwicklung mit seiner Industriestrategie aufhalten zu können. Dabei verkennt er jedoch, dass die Lage viel bedrohlicher ist, als er denkt.