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Merkels Regierungszeit : Merkels "Mitte-Links"-Politik
24.08.2015 22:55 (4941 x gelesen)

Merkels "Mitte-Links"-Politik

Angela Merkel (CDU)hat als Bundeskanzlerin die Wirtschafts- und Sozialpolitik in den Jahren 2005 bis 2013 entscheidend mitgeprägt. Die Erhöhung der Mehrwertsteuer zu Beginn ihrer Kanzlerschaft, die Finanzreform im Gesundheitswesen, das Antidiskriminierungsgesetz und die Frauenquote, die Laufzeitverlängerung für das Arbeitslosengeld I, der gesetzliche Mindestlohn, die staatlichen Ausgabenprogramme in der Wirtschaftskrise, die Euro-Rettungspolitik, die Energiewende und die Rentenerhöhungen waren politische Entscheidungen, an denen sie maßgeblich beteiligt war und bei denen sie das letzte Wort hatte.

Wie muss man diese Politik einordnen? Angela Merkel selbst sieht sich in die Reihe großer CDU-Politiker gestellt, darunter auch Ludwig Erhard. Diese Selbsteinschätzung kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass es zwischen beiden Politikern grundsätzliche Unterschiede im politischen Denken und Handeln gibt.  

Erhards Wirtschaftspolitik beruhte anders als Merkels Politik auf festen Anschauungen einer freiheitlichen Ordnung und vom Funktionieren der Wirtschaft. Sein Biograph Alfred Mierzejewski schreibt: "Im Zentrum seines Weltbildes stand der Einzelne. Individuen würden ein gutes, einträgliches Leben in Wohlstand führen, wenn sie an den freien Märkten teilhätten. Weil jedoch einige immer ihre Freiheit missbrauchten, war ein starker Staat vonnöten, der ihr Verhalten überwachte ..." Erhard war ein liberaler Wirtschaftsminister: Soziale Probleme wollte er durch Multiplikation des Sozialprodukts, nicht durch seine Division erreichen.

Angela Merkel handelt demgegenüber "als ausgeprägte Machtpolitikerin überwiegend nach pragmatischen und parteitaktischen Überlegungen. Erhards Formulierung, er mache seine Politik nicht, um Wahlen zu gewinnen, sondern für das ganze deutsche Volk, ist Merkels Sache nicht. Sie will, wie Helmut Kohl, Wahlen gewinnen und keinen Erhard-Preis. Sie folgt daher dem Zeitgeist; denn bei den Wählern wird seit Jahren pragmatisches Handeln mehr geschätzt als Prinzipientreue" (Jürgen Jeske In FAZ vom 14. Januar 2015).

Das Kennzeichnende an Merkels Politik ist, dass die ökonomische Vernunft und marktwirtschaftliches Denken meist auf der Strecke bleiben. Von den marktliberalen Thesen des Leipziger Parteitages von 2003 hat sie sich längst verabschiedet und die SPD links überholt. Das „Primat der Politik“ wurde die maßgebliche Richtschnur des Regierungshandelns von Angela Merkel. Es gibt ein grundsätzliches „Misstrauen in die Märkte“. Ordnungspolitische Überlegungen spielen so gut wie keine Rolle. Es wird reglementiert und interveniert, wenn und wie man dies politisch für zweckmäßig hält. Auf einen gemeinsamen Nenner gebracht: Es ist ein „antiliberaler Geist“, der die Wirtschafts- und Sozialpolitik von Angela Merkel prägt.

Damit befindet sich Angela Merkel durchaus  im Einklang mit dem herrschenden Zeitgeist. Ein großer Teil der Gesellschaft und der Medien steht der Marktwirtschaft mit einer kritischen Grundhaltung gegenüber. Die weit überwiegende Mehrheit in der Bevölkerung will den umfassend aktiven Interventions- und starken Versorgungsstaat. Dementsprechend schwach ist der öffentliche Widerstand, wenn der Staat den Unternehmen Vorschriften macht und die Wirtschaft lenkt. Schon Theodor Heuss beklagte den „unreflektierten Antiliberalismus der Deutschen“.

Grillos Appell

Die wirtschafts- und sozialpolitische Wende, die sich in der Regierungszeit von Angela Merkel vollzogen hatte, führte zu einer tiefen Vertrauenskrise zwischen Politik und Wirtschaft. Die Wirtschaft hatte sich nach der Bundestagswahl 2013 zwar für eine große Koalition ausgesprochen,  über den Inhalt des Koalitionsvertrages war sie aber maßlos enttäuscht. Ulrich Grillo, Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), zeigte sich über die vereinbarten  Eingriffrechte des Staates entsetzt: „Ob feste Frauenquote für Aufsichtsräte oder gesetzliche Vorgaben für die Managementvergütung, ob ein weit über internationale Gepflogenheiten hinausgehendes Unternehmensstrafrecht oder eine Verbraucherpolitik, die Verbraucherrechte einseitig zulasten der Produzenten ausweitet: Die deutsche Industrie ist zutiefst besorgt. Ordnungspolitische Fehlgriffe drohen, das Fundament unserer marktwirtschaftlichen Ordnung auszuhöhlen.“

Er bemängelte insbesondere das Fehlen von Lösungsvorschlägen für die eigentlichen Probleme: „Die Energiewende, die Investitionsschwäche, die Währungsunion. Gerade in diesen großen Fragen, die über Deutschlands Zukunft entscheiden, sehen wir kaum Erfolg versprechende Lösungsansätze“. Er kritisierte die Abkehr von der Agenda 2010: „Die geplanten Einschränkungen bei der Zeitarbeit und befristeten Beschäftigungsverhältnissen verteuern Arbeit. Sie reduzieren Flexibilität und Beschäftigung – das genaue Gegenteil von dem, was die Wirtschaft und die Menschen brauchen“. Den gesetzlichen  Mindestlohn lehnte er  als „einen schwerwiegenden Eingriff in die Tarifautonomie“ ab, der Hunderttausende von Arbeitsplätzen gefährdete. Er verurteilte vor allem das Verteilungsdenken in der Sozialpolitik: „Was alles neu eingeführt werden soll! Eine Mütterrente, eine Lebensleistungsrente, eine abschlagsfreie Rente für langjährig Versicherte. Das in seinen ökonomischen Wirkungen völlig verfehlte Betreuungsgeld soll bleiben. All das ist ein riskanter Griff in die Sozialkasse.“

Nach dieser Standpauke appellierte Ulrich Grillo an die neue Bundesregierung, statt einer rückwärtsgewandten Politik einen positiven Zukunftsentwurf vorzulegen: „Rückbesinnung auf die Ordnungsprinzipien der sozialen Marktwirtschaft, weniger statt mehr Einfluss des Staates im Wirtschaftsleben, Fortführung statt Rückabwicklung des Reformkurses am Arbeitsmarkt und in den Sozialsystemen, Steuervereinfachung statt Steuererhöhung und eine dauerhafte Investitionsoffensive. Rein verbale Bekenntnisse zu Marktwirtschaft und Industrie können unseren Erfolg nicht sichern. Die Betriebe brauchen handfeste investitions- und innovationsfreundliche Rahmenbedingungen.“

Mit diesem Appell machte Ulrich Grillo deutlich, dass die von der großen Koalition großzügig beschlossenen Wohltaten auch erwirtschaftet werden müssen. Der Staat kann langfristig nur verteilen, was er der Wirtschaft über Steuern und Abgaben abnimmt. Zu einem Sozialprogramm gehörte deshalb auch ein zukunftsfähiges Wirtschaftsprogramm, um die Produktivkräfte der Wirtschaft zu stärken. Diesen einfachen Zusammenhang hatte die große Koalition in ihrer Verteilungseuphorie vergessen. Der Appell von Ulrich Grillo legte dieses Versäumnis offen, worüber die Bundeskanzlerin „not amused“ war.

Das Urteil des Sachverständigenrat

Der Sachverständigenrat hielt der Bundesregierung  im November 2014 bei Übergabe ihres Jahresgutachtens  vor, sie mache keine  „marktwirtschaftliche Politik“.  Das Gutachten las sich in der Tat wie eine Anklage gegen wesentliche Teile der von der großen Koalition im Koalitionsvertrag vereinbarten Wirtschafts- und Sozialpolitik. Die Wirtschaftsweisen kritisierten den gesetzlichen Mindestlohn und plädierten für seine Rückabwicklung. Sie forderten eine Verlängerung des Renteneintrittsalters statt Rentenzahlungen ab 63 Jahren. Auch mit der Energiewende zeigten sie sich unzufrieden: Sie müsse in eine internationale Klimastrategie eingebettet werden. Auf die expansive Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) blickten die Weisen mit Skepsis, weil damit langfristige Gefahren für den Euroraum verbunden seien.

 Bei der Übergabe des Gutachtens an Angela Merkel forderte der Vorsitzende des Rates, Christoph Schmidt, die Bundesregierung dringend auf, „innezuhalten und die Wirtschaftspolitik neu auszurichten“. Vor allem beim Arbeitsmarkt müsse die Regierung „mehr nachdenken, bevor man ihn mit noch mehr Regulierung überzieht.“   „Eine Aufbruchsstimmung hat die Koalition jedenfalls nicht erzeugt“, hieß es kritisch in dem Gutachten.  Das Gutachten ließ sich auf den Nenner bringen: Die Bundesregierung sollte mehr auf die Marktkräfte und weniger auf Staatsinterventionen vertrauen.

Die Bundesregierung reagierte auf diese Vorhaltungen mit großer Gereiztheit. Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel konterte, er könne die Kritik des Rates  nicht nachvollziehen: Der Rat "muss aufpassen, dass manches statt zur Wirtschaftstheorie nicht zur Wirtschaftstheologie wird". Angela Merkel antwortete mit einer spöttischen Spitze. Mit Blick auf den Mindestlohn, der erst am 1. Januar 2015 an gelten sollte, sagte sie: „Es ist nicht ganz trivial zu verstehen, wie ein Beschluss, der noch nicht in Kraft ist, jetzt schon eine konjunkturelle Dämpfung hervorrufen kann.“

In der SPD selbst spielte man sogar mit dem Gedanken, den seit 1963 bestehenden Sachverständigenrat abzuschaffen. SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann sagte, die Professoren seien offensichtlich frustriert, weil „niemand mehr auf die neoliberalen Vorschläge hört“. Die Generalsekretärin der SPD, Yasmin Fahimi, meinte: „Das Gutachten versammelt auf 400 Seiten sehr plakative, teils sehr platte Wertungen – und viel zu wenig ökonomische Fakten. Die Analyse scheint mir in seiner ganzen Methodik nicht mehr auf der Höhe der Zeit zu sein.“ Die Fraktionsvorsitzende der Linken, Sarah Wagenknecht, sagte es deutlicher: „Wir brauchen  andere Wirtschaftsweise, die die Realität zur Kenntnis nehmen, statt Konzerninteressen als Wissenschaft zu verkaufen“.

 Bei dieser harschen Kritik am Sachverständigenrat ging es nicht um Zweifel an der wissenschaftlichen Kompetenz der fünf  Weisen. Der Vorwurf der Unwissenschaftlichkeit des Gutachtens  - erhoben von Nichtwissenschaftlern - entbehrte jeder Grundlage. Die Kritiker störte etwas anderes, nämlich, dass der Sachverständigenrat  „marktwirtschaftliche Positionen“ vertrat, die die große Koalition längst aufgegeben hatte. Christoph Schmidt brachte es auf den Punkt: „Die Position des Rates hat sich kaum verändert in den letzten drei Jahren, aber die Politik hat sich verändert. Nun fällt auf einmal auf, dass wir in unseren Abwägungen häufig Alternativen aufzeigen, die marktwirtschaftlich sind.“

Diese marktwirtschaftlichen Alternativen waren es, die Angela Merkel und Sigmar Gabriel nicht gefielen. Denn sie weckten Zweifel an der Richtigkeit der im Koalitionsvertrag getroffenen Vereinbarungen der beiden großen Parteien. Eine solche Einmischung der Wirtschaftsweisen wollte man sich nicht gefallen lassen. Um sie einzuschüchtern, stellte man die Institution des Sachverständigenrates insgesamt infrage.

Die Wirtschaftsweisen ließen sich dadurch aber nicht einschüchtern und attestierten der Bundesregierung in ihrem Gutachten 2016 erneut eine "enttäuschende Reformbilanz" für die laufende Legislaturperiode. Sie kritisierten, dass die Regierung die gute ökonomische Entwicklung nicht genutzt habe. Im Gegenteil: Mindestlohn und Rentenpaket könnten die Wirtschaftsentwicklung sogar schwächen. Die mit Eifer geführte Debatte über die ungleiche Verteilung von Einkommen und Vermögen läuft aus Sicht des Sachverständigenrates in die falsche Richtung. Langfristig seien ein flexibler Arbeitsmarkt und eine gezielte Bildungspolitik am besten geeignet, die Chancengleichheit zu verbessern.

Entfremdung

Die CDU war immer die Partei der Wirtschaft und Unternehmer. In der Regierungszeit von Angela Merkel hat sich das dramatisch geändert. Regierung und Wirtschaft treffen sich zwar gelegentlich, man schätzt sich aber nicht, nicht einmal fachlich. "Niemand symbolisiert diese Entfremdung besser als die Bundeskanzlerin, die auch CDU-Vorsitzende ist. Von Vertrautheit, vielleicht sogar Sympathie ist jedoch wenig zu spüren", schreibt die WamS in ihrer Ausgabe vom 23. Oktober 2016 über das Verhältnis der Bundeskanzlerin zur Wirtschaft.

Alle deutschen Kanzler pflegten persönliche Verbindungen zu Unternehmern: Konrad Adenauer zu Herrmann Josef Abs von der Deutschen Bank und Helmut Kohl zu Daimler-Chef Joachim Zahn. Den Sozialdemokraten Gerhard Schröder nannte man sogar den "Genossen der Bosse". Und Angela Merkel? Geht der Wirtschaft eher aus dem Weg, seit bekannt wurde, dass sie für den früheren Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann im Kanzleramt ein Geburtstagsessen gegeben hatte. "Merkel hat Angst, sich mit den Wirtschaftsleuten zu treffen", sagte ein Wirtschaftslobbyist in Berlin.

Es sind vor allem die konservativen Familienunternehmer, die sich von der CDU im Stich gelassen fühlen. Dabei geht es nicht nur um konkrete Regelungen und einzelne Gesetze. Was viele stört, ist der linke Zeitgeist, der unter Merkel in die CDU eingezogen ist und als "Sozialdemokratisierung" umschrieben wird. "CDU und SPD werden von vielen in der Wirtschaft als sozialdemokratische Parteien wahrgenommen", sagte Thilo Brodtmann, Hauptgeschäftsführer des VDMA. 

Der Partei, die einmal mit dem Slogan "Leistung muss sich wieder lohnen" angetreten war, ist aus der Sicht vieler Unternehmer der Leistungsgedanke abhanden gekommen. "In der deutschen Politik, aber auch in der Berliner Regierung bestimmen derzeit linke Ideologien die Diskussion, die wenig Wirtschafts- und Lebenserfahrung haben", umschreibt Heinrich Weiss, ein früherer BDI-Präsident, das Problem.

Die CDU hat unter Angela Merkel mit Kernüberzeugungen ihrer Parteibasis gebrochen, die von den allermeisten Unternehmern geteilt wurden. Zu diesen Brüchen gehört das Ende der Wehrpflicht, die Abschaltung der Kernenergie, die Milliarden für Griechenland, die Elternzeit auch für Männer, der Mindestlohn, die Grenzöffnung für hundert Tausende muslimische Flüchtlinge. "Nicht jede dieser Änderungen hat primär etwas mit Wirtschaftspolitik zu tun. Aber jede einzelne davon rührt am Weltbild gerade der mittelständischen Wirtschaftselite: fleißig, ordentlich, bodenständig und oft auch konservativ christlich", beschreibt die WamS die Wirkung der Politik von Merkel auf die Unternehmerschaft.

Inzwischen gibt es auch innerhalb der CDU kaum noch Ansprechpartner, die sich für die Wirtschaft stark machen. "Warum auch?", sagt einer aus der Partei. "Wenn sie sich da engagieren, machen sie in der Partei keine Karriere." Den letzten Wirtschaftsminister im Bund stellte die Partei Ludwig Erhards mit Kurt Schmücker - von 1963 bis 1966. Inzwischen gehen manche sogar lieber zum SPD-Chef. "Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel hat sehr viel Verständnis für den Mittelstand", sagte Mario Ohoven, Präsident des BVMW.

Die TTIP-Kampagne

Wie berechtigt die Kritik der Wirtschaft und der Sachverständigen war, zeigte die Auseinandersetzung um das TTIP-Abkommen mit den USA. Das European Centre for International Political Economy (ECIPE) in Brüssel hat der deutschen Bundesregierung vorgeworfen, sie habe sich zwar für das TTIP-Abkommen ausgesprochen, aber nie mit Nachdruck versucht, die öffentliche Meinung von möglichen Vorteilen des Abkommens zu überzeugen. Grundlage dieser Kritik war eine Studie, die untersucht hat, welche Parteien, Organisationen und Institutionen zum Thema TTIP Veranstaltungen organisiert haben.

Das Fazit der Studie: "Grüne, Die Linke und andere erklärte Anti-TTIP-Bündnisorganisationen bestimmten die Themen und Positionen in 60 Prozent aller Informationsveranstaltungen". Rein von den Zahlen führte die SPD, die in der Frage zu TTIP tief gespalten ist, 208 Veranstaltungen durch, gefolgt von den Grünen mit 126 Veranstaltungen. Erst an dritter Stelle kam die CDU mit 103 Veranstaltungen. Dieselbe Reihenfolge bestand bei der Anzahl der Auftritte von TTIP-Experten aus den Parteien in Deutschland. Am häufigsten traten - oft TTIP kritische  - Sozialdemokraten auf, danach kamen die Grünen. CDU-Politiker lagen nur knapp vor den Linken.

Besonders aufschlussreich ist die Parteizugehörigkeit der eigentlichen Meinungsmacher. "Von den Top-50-Meinungsmachern zu TTIP in Deutschland sind elf Politiker der Grünen, zehn Vertreter von den Grünen nahestehenden Umweltorganisationen, acht Politiker der SPD, sechs der Linken, sieben Vertreter von Gewerkschaften, sechs von kirchlichen Institutionen", heißt es in der Studie. Von der CDU werden nur zwei Politiker als einflussreich in der Diskussion geführt, von der FDP einer. "Offensichtlich sieht man bei Union und FDP keinen echten Handlungsbedarf bei TTIP und läßt den Dingen ihren Lauf. Schließlich steht Deutschland wirtschaftlich gut da", sagte Studienleiter Matthias Bauer.

Der Bundestagsabgeordnete Michael Fuchs (CDU), Leiter der Bundestagskommission zu TTIP, wies diese Kritik zurück. Die Union sei die einzige Partei, die felsenfest zu den Freihandelsverhandlungen stehe. "Denn viele dieser Handelsabkommen haben uns diesen Wohlstand beschert, von dem wir alle profitieren", sagte er. Die Studie kommt allerdings zu dem Ergebnis, dass "in der öffentlichen Wahrnehmung der Diskussion über TTIP ... CDU, CSU und FDP so gut wie keine Rolle mehr spielen. Die Deutungshoheit über das Abkommen, aber auch über die Auswirkungen moderner wirtschaftlicher Verpflechtungen ... haben gegenwärtig die politischen Akteure anderer Parteien." 

Ein ganz wesentlicher Grund für diesen Einflussverlust von CDU und CSU liegt darin, dass sich die Bundesregierung in der Auseinandersetzung um TTIP mit der Begründung, die Verhandlungen seien Sache der EU-Kommission, "vornehm"  zurückgehalten hat. Damit hat sie den TTIP-Gegnern eine offene Flanke geboten. Nach der Studie der ECIPE ist die große Ablehnung von TTIP in Deutschland das Ergebnis einer "gut geplanten Protestkampagne, die bereits vor der Eröffnung der TTIP-Verhandlungen von langjährig supervernetzten Politikern und erfahrenen Kampagnemanagern verschiedener zivilgesellschaftlicher, umweltpolitischer und kirchlicher Organisationen professionell in Gang gesetzt wurde und seither von diesen maßgeblich orchestriert wird".

Die Untätigkeit der Bundesregierung kommt einer Kapitulation gleich. Es ist deshalb kein Zufall, dass Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) das TTIP-Abkommen für "faktisch gescheitert" erklärt hat. Sein Ziel ist offensichtlich, TTIP zu opfern, um das Handelsabkommen zwischen der EU und Kanada (Ceta) in der SPD durchzubringen.

Das Rumoren in Berlin

Berliner Kreis:

Anfang 2016 forderte der sogenannte Berliner Kreis, dem Konservative und Wirtschaftsliberale der CDU angehören, von der Parteiführung nach den verlorenen Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz  eine Kurskorrektur. Von allen Parteien habe die CDU am meisten Wähler an die AfD verloren. "Die inzwischen häufig so genannte Modernisierung der CDU schafft rechts von ihr dauerhaft Platz für eine neue Partei."

In einem Manifest formulierten sie zwölf Ziele, darunter die begrenzte Aufnahme von Flüchtlingen, die Abkehr von der Gender-Ideologie, die Abwehr von Forderungen nach Steuererhöhungen und die Thematisierung der waghalsigen Geldpolitik der EZB. "Wir wollen nicht die CDU nach rechts rücken", beteuerte Christian Wagner, der Vorsitzende dieses Kreises. "Wir wollen verhindern, dass sie immer weiter nach links driftet." Und um sicher zu gehen, fügte Wagner hinzu: "Wir wollen eine Korrektur der Politik, aber ausdrücklich kein Auswechseln der Spitzenkandidatin."

Wirtschaftsrat der CDU:

Mitte Mai 2016 stellte der Wirtschaftsrat der CDU der Politik der großen Koalition ein vernichtendes Zeugnis aus. "Die historische Chance, unser Land auf allen Ebenen nachhaltig zu konsolidieren, wurde nicht ergriffen, sondern regelrecht verworfen", heißt es in einem Grundsatzpapier.

In scharfen Worten kritisiert der Wirtschaftsrat darin den starken Zuwachs der Sozialausgaben in den vergangenen Jahren. Statt die sozialen Sicherungssysteme auf gesündere Beine zu stellen, "wurden die Schleusen zu erheblichen Mehrausgaben geöffnet". Mit der aktuellen Zuwanderung sei der demografische Wandel nicht zu bewältigen. Aufgrund des oft niedrigen Bildungsniveaus bestehe vielmehr die Gefahr, dass sie "dauerhaft durch die sozialen Sicherungssysteme finanziert werden müssen".

Zu den vom Wirtschaftsrat angeprangerten "vielfältigen wirtschafts- und sozialpolitischen Fehlsteuerungen" zählt nicht zuletzt auch die Energiewende. Mit ihr habe sich Deutschland eine massive Zusatzbelastung auferlegt, die den Standort Deutschland gefährde. "Bis heute bleibt die Politik nach der abrupten Entscheidung über den Ausstieg aus der Kernenergie ein schlüssiges Konzept schuldig, wie die enormen Kostensteigerungen für Wirtschaft und Verbraucher eingedämmt sowie erneuerbare Energien in ein marktwirtschaftliches System einbezogen werden können", rügt der Familienunternehmer Werner M. Bahlsen, Präsident des Wirtschaftsrates der CDU.

Auf der Jahrespressekonferenz des Wirtschaftsrates im Juni 2016 stellte Werner M. Bahlsen das Ergebnis der alljährlichen Politplus Umfrage unter den 11.000 Mitgliedern des Wirtschaftsrates vor. Danach waren fast 70 Prozent unzufrieden mit der Flüchtlingspolitik, ebenso viele mit Verkehr und Infrastruktur, zwei Drittel mit der Digitalisierungspolitik und fast 80 Prozent mit der Energiepolitik. Auch die Rentenpolitik hielten gut 70 Prozent für nicht zufriedenstellend. Einzig die Haushaltspolitik stellte die überwiegende Mehrheit zufrieden. Das Gesamtergebnis war jedoch vernichtend. "Die große Koalition hat den Schwerpunkt auf das Verteilen statt auf das Erwirtschaften gesetzt", kritisierte Bahlsen. "Das wirtschaftspolitische Profil der Union hat massiv gelitten."

Der Generalsekretär des CDU-Wirtschaftsrates, Wolfgang Steiger, kritisierte in einem Interview mit der Tageszeitung DIE WELT, dass Deutschland weiter an Wettbewerbsfähigkeit verliere. Längst habe eine schleichende Abwanderung von Unternehmen, insbesondere aus den energieintensiven Sparten, eingesetzt. "Allein für die sieben größten Konzerne Volkswagen, Siemens, Bosch, Daimler, Bayer, BASF und BMW zusammen arbeiten bereits mehr als die Hälfte der 1,8 Millionen Mitarbeiter im Ausland", rechnet Steiger vor. Während die Zahl der außerhalb Deutschlands von diesen Firmen geschaffenen Arbeitsplätze seit Mitte der Neunzigerjahre um mehr als 80 Prozent zugelegt habe, sei die Zahl der Inlandsjobs um gut zehn Prozent gesunken.  

Vor allem die steigenden Kosten sind nach Einschätzung des Wirtschaftsrates ein Wettbewerbsnachteil. So seien die Lohnkosten in Deutschland zuletzt schneller gestiegen als die Produktivität. Während hier eine Arbeitsstunde durchschnittlich mit 36,20 Euro zu Buche schlage, koste sie in den USA 25,93 und in China sogar nur 4,40 Euro. Und auch die hohen Energiepreise stellten ein Problem dar, für das vor allem die Politik verantwortlich sei. "Mit 54 Prozent am Strompreis für industrielle Großverbraucher weist Deutschland die höchsten Steuerlasten in Europa auf", monierte der Wirtschaftsrat. Im Ergebnis koste Strom hierzulande doppelt soviel wie in den USA. Mit den überambitionierten Klimaplänen schade die Bundesregierung dem Industriestandort Deutschland.

Streit zwischen CDU und CSU:

Im Laufe des Jahres 2016 wurde auch immer deutlicher, wie weit sich CDU und CSU seit Beginn der Flüchtlingskrise voneinander entfernt  hatten. Anfangs war es um die Frage gegangen, wie man  auf dieses „Rendezvous mit der Globalisierung“, wie Wolfgang Schäuble (CDU) die dramatischen Ereignisse bezeichnete, reagieren sollte. Während Angela Merkel sich für eine unbegrenzte Willkommenskultur stark machte, forderte Horst Seehofer eine Obergrenze für die Zuwanderung, um „die Kirche im Dorf zu lassen“. Hierbei unterstellte Horst Seehofer der Bundeskanzlerin, sie „wolle eine andere Republik“.

Mit dem gleichen Tenor meldete sich im Sommer 2016 der ehemalige bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber mit einem Positionspapier zu Wort, in dem von der „größten inhaltlichen Auseinandersetzung in der Geschichte der Unionsparteien“ die Rede ist. Im Jahr 1976, als Franz Josef Strauß (CSU) die Fraktionsgemeinschaft mit der CDU im Bundestag in Frage gestellt habe, sei es um „Persönliches und um Strategie“ gegangen, schreibt Stoiber. Jetzt gehe es um den Inhalt der Politik: „Das ist viel weitgehender.“ Die CSU wolle Mehrheitspartei sein und alle Schichten des Volkes ansprechen: „Die CDU will ganz offensichtlich vor allem Koalitionspartei sein und sich mit einem schmaleren politischen Spektrum begnügen.“

Diese Kritik zielt auf die von Angela Merkel betriebene  Koalitionspolitik, die das „Spektrum Mitte-Rechts“ konsequent vernachlässigt  und dadurch den Aufstieg der „Alternative für Deutschland“ (AfD) möglich gemacht hat. „Die Mitte allein ist für zwei Volksparteien zu schmal“, warnte Stoiber. Vor einigen Jahren hätten Union und SPD gemeinsam noch achtzig Prozent der Wähler integriert, „heute sind es gerade einmal noch fünfzig Prozent.“ Für die CSU mit dem Anspruch, Volkspartei zu sein und "am rechten Rand keine demokratisch legitimierte politische Kraft zuzulassen" (Franz Josef Strauß), geht es dabei nach Meinung von Stoiber um eine Existenzfrage.

Stoiber warnte Merkel, eine Regierung, die nicht wisse, wie viele Flüchtlinge im Land seinen, könne Wähler im „Spektrum Mitte-Rechts“ nicht gewinnen. Solche Wähler erwarteten, dass der Staat bei der inneren Sicherheit seine Aufgaben erledige; dass die Politik sich mehr um Ehe und Familie als um alternative Lebensformen kümmere; dass die Leistungsträger der Gesellschaft und nicht ausschließlich soziale Brennpunkte gefördert würden. Wähler im Spektrum Mitte-Rechts wollten eine Politik, die von Migranten eine Integration „in unsere Leitkultur nach dem Grundgesetz“ verlange und nicht multikulturelle Vielfalt anpreise, kritisierte Stoiber.   


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