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Soziale Marktwirtschaft : Das Bundeswirtschaftsministerium als Hüter der Ordnungspolitik?
23.08.2015 18:31 (3602 x gelesen)

Der Wirtschaftsminister als Hüter der Ordnungspolitik?

Die Ordnungspolitik hatte ihren Höhepunkt, als es in den fünfziger  Jahren in der Bundesrepublik Deutschland um die Durchsetzung der Sozialen Marktwirtschaft ging. Ludwig Erhard  machte das Bundeswirtschaftsministerium zum „Hort ordnungspolitischen Denkens und Handelns“, wodurch die Wirtschaftspolitik maßgebend geprägt wurde. Es war die Grundsatzabteilung  dieses Ministeriums, die gegenüber den jeweiligen Fachressorts auf die Anwendung marktwirtschaftlicher Grundregeln achtete. Die dort tätigen Beamten hatten das Selbstbewußtsein, "die Speerspitze einer erfolgreichen Wirtschaftsordnung zu sein" (Walther Otremba), womit sie anderen Ressorts gelegentlich erheblich auf den Nerv gingen.

Die Entmachtung des Wirtschaftsministeriums

Nach dem Ausscheiden von Ludwig Erhard aus der aktiven Politik verlor das Wirtschaftsministerium und insbesondere die Ordnungspolitik schnell an Einfluss. Schon mit der antizyklischen Globalsteuerung, dem Steckenpferd des neuen Wirtschaftsminister Karl Schiller, ging der Stellenwert der Ordnungspolitik innerhalb des Ministeriums zurück. Darüber hinaus  wurde das Ministerium wie kaum ein anderes Ressort durch Zuständigkeitsverschiebungen verändert und entmachtet.

Als Helmut Schmidt 1972 Finanzminister wurde, nahm er die Abteilung Geld und Kredit mit, um sich eine Bühne für Auftritte in der Bankenwelt zu schaffen. Denn „dort konnte sich jeder Finanzminister den Glamour holen, der ihm in den Niederungen der Haushalts- und Steuerpolitik in der Regel auf Dauer versagt bleibt“ (Walther Otremba). So ist es bis heute geblieben, was erklärt, warum Deutschland im Rahmen der Euro-Rettung nicht durch den Wirtschaftsminister, sondern durch den Finanzminister vertreten wird.

Nach Bildung der rot-grünen Bundesregierung im Jahr 1998 wurde zudem die Grundsatzabteilung des Bundeswirtschaftsministeriums auf das von Oskar Lafontaine geführte Finanzministerium ausgelagert. Lafontaine verband damit den Zweck, im Finanzministerium die Schillersche „Globalsteuerung“ wiederzubeleben. Damit verlor das Wirtschaftsministerium jedoch seine wichtigste Abteilung und die  Funktion, als  „marktwirtschaftliches Gewissen“ innerhalb der Regierung zu wirken. 

Inzwischen ist die Grundsatzabteilung zwar wieder im Wirtschaftsministerium angesiedelt, Lafontaines Operation  hat aber Spuren hinterlassen. Neben dem personellen Aderlass sind Schäden im Selbstvertrauen der Grundsatzabteilung geblieben. „Das früher so manchen den letzten Nerv raubende Selbstbewusstsein der BMWi-Angehörigen, die Speerspitze einer erfolgreichen Wirtschaftsordnung zu sein, ist ein Stück weit verloren gegangen“ (Walther Otremba). 

Das Wirtschaftsministerium wurde wieder bedeutsamer, als es unter dem Minister Wolfgang Clement (SPD) auch für den Bereich Arbeit zuständig wurde. Aufgabe von Clement war es insbesondere, die Arbeitsmarktreform vorzubereiten, die den wesentlichen Teil der von Gerhard Schröder verkündeten Agenda 2010 ausmachte. Dieser Reform ist es zu verdanken, dass sich schon ab 2005 der Arbeitsmarktes deutlich belebte. Die Blüte währte aber nur kurz: Mit Bildung der großen Koalition 2005 wurde das Arbeitsressort  wieder dem Sozialministerium zugeordnet. 

Ein nicht zu unterschätzender Grund für den Bedeutungsverlust des Ministeriums war auch die kurze Amtsdauer und Unerfahrenheit vieler FDP-Wirtschaftsminister. Während Ludwig Erhard das Haus 14 Jahre lang leitete, waren die Minister nach ihm im Durchschnitt nur noch gut drei Jahre im Amt. Das Kommen und Gehen verursachte Umorganisationen und ließen das Haus nicht zur Ruhe kommen. Infolgedessen agierten die Fachressorts der anderen Ministerien zunehmend eigenständiger und selbstbewusster.

Gelegentlich kamen  Wirtschaftsminister auch völlig unvorbereitet ins Amt, wie beispielsweise  Michael Glos (CSU),  Bundeswirtschaftsminister von 2005 bis 2009, der offen zugab: „Ich wusste damals nicht mal, wo dieses Wirtschaftsministerium genau stand. Ich habe sogar in der Nähe gewohnt, aber es hat mich nie interessiert. Ich hatte kaum eine Ahnung davon, was die Aufgaben dieses Ministeriums sind, um was es sich alles zu kümmern hat." Dies war natürlich ein für den Müllermeister Michael Glos  typisches Understatement: Denn er wusste als langjähriger Sprecher der CSU-Gruppe im Bundestag ganz genau, welche ordnungspolitischen Aufgaben das Ministerium hat. Ihm ist auch zu verdanken, dass im Foyer des Ministeriums die Büste von Ludwig Erhard aufgestellt wurde.

Als Sigmar Gabriel SPD)der frühere Umweltminister, in den Koalitionsverhandlungen 2013 das Bundeswirtschaftsministerium für sich beanspruchte, hielten viele das für einen klugen Schachzug. Im Foyer des Ministeriums ließ er neben der Büste von Ludwig Erhard auch die Büste des ehemaligen Wirtschaftsministers Karl Schiller (SPD) aufstellen, der die Keynes´sche Globalsteuerung in Deutschland eingeführt hat. Dies war ein Zeichen für den politischen Wandel, den Gabriel dem Wirtschaftsministerium verordnen wollte.

Erweitert um die Zuständigkeit für die Energiepolitik, bot das Haus die Chance, die Energiewende neu zu gestalten und sich als wirtschaftsnaher Pragmatiker zu profilieren. Inzwischen hat sich diese Idee jedoch als Flop erwiesen. denn eine marktwirtschaftliche Wende in der Energiepolitik ist Gabriel nicht gelungen. "Statt sich für marktwirtschaftlich, grenzüberschreitende Freiheiten und Wettbewerb einsetzen zu können, ist das Haus heute auf dem energiewirtschaftlichen Feld vor allem auf Wirtschaftsplanung programmiert", kritisiert Wolfgang Clement . Früher Umweltminister, dann Wirtschaftsminister: ein solcher Rollentausch hatte seine Tücken.

Der Fall Edeka - Kaiser´s Tengelmann

Sigmar Gabriel versagte auch bei der Fusion von Edeka und Kaiser´s Tengelmann im Jahr 2016:  Das Kartellamt hatte dem Branchenführer EdekaAnfang 2015 untersagt, von Kaiser´s Tengelmann insgesamt 451 Supermärkte zu übernehmen. Die Kartellwächter befürchteten, der Zusammenschluss werde den Wettbewerb weiter beeinträchtigen. Daraufhin stellten Edeka/Tengelmann beim Bundeswirtschaftsministerium den Antrag, den Zusammenschluss durch eine Ministererlaubnis zu genehmigen. Die Monopolkommission, das wichtigste Beratungsgremium der Bundesregierung in diesem Verfahren, sprach sich klar gegen einen solchen Zusammenschluss aus. 

Weil mit einem solchen Ergebnis zu rechnen war, hatten sich die beteiligten Unternehmen schon früh um eine „politische“ Lösung bemüht. Noch vor der offiziellen Anmeldung des Zusammenschlusses beim Kartellamt wandte sich Edeka-Chef Markus Mosa an Bundestagsabgeordnete und Fachpolitiker. In einem Schreiben hielt er den Wettbewerbshütern vor, den Markt falsch einzuschätzen und bei Ablehnung der Fusion die Arbeitsplätze bei Tengelmann aufs Spiel zu setzen. Nicht ohne Erfolg: „Natürlich hat eine solche Ministererlaubnis aus gutem Grund Ausnahmecharakter“, sagte Michael Fuchs, stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Fraktion. Allerdings habe ihn die Entscheidung des Bundeskartellamts nicht überzeugt. „Der Bundeswirtschaftsminister wird eine breitere Perspektive einnehmen müssen“, forderte Fuchs. Wenn am Ende Läden schließen müssen, nützt das gesamtwirtschaftlich nichts – und den Verbrauchern bringt es erst recht nichts.“

Im März 2016 erteilte Sigmar Gabriel die beantragte Ministererlaubnis. Zuvor hatte er angeordnet, dass der für Wettbewerbsfragen zuständige Staatssekretär den Fall an Staatssekretär Matthias Machnig (SPD) abgeben müsse, weil er die Sondergenehmigung für Edeka kritisch sah. Als Hauptgrund für die Ministererlaubnis nannte Gabriel den „Erhalt der Arbeitsplätze und der Arbeitnehmerrechte“ der  Tengelmann-Mitarbeiter. Aus Protest legte der Vorsitzende der Monopollkommission, Daniel Zimmer, sein Amt nieder: „Ich halte die Entscheidung des Ministers für eine Fehlentscheidung, die zu Lasten des Wettbewerbs geht, ohne dass Gemeinwohlgründe eine solche Fusion rechtfertigen könnten. Überall dort, wo bisher Edeka und Kaiser´s Tengelmann in Konkurrenz standen, entfällt dieser Wettbewerb – zum Nachteil der Verbraucher, die künftig mit weniger Auswahl und höheren Preisen rechnen müssen. Auf lange Sicht ist davon auszugehen, dass die Ministererlaubnis der Beschäftigung schadet.“

Das von den Beteiligten angerufene Oberlandesgericht Düsseldorf entschied Mitte Juli 2016 in einem Eilverfahren, dass die Ministererlaubnis „zunächst außer Kraft gesetzt“ wird. Die Begründung war für Sigmar Gabriel brisant: Die von Gabriel erteilte Erlaubnis erweise sich „schon nach einer vorläufigen Prüfung im Eilverfahren als rechtswidrig“, teilte das Gericht mit. Gabriel hätte wegen Besorgnis der Befangenheit nicht entscheiden dürfen, weil er in der entscheidenden Phase des Erlaubnisverfahrens geheime Gespräche mit Vertretern von Edeka und Tengelmann geführt habe, deren Inhalt „nicht aktenkundig“ gemacht worden war. Die Gespräche hätten zudem „ohne Kenntnis und unter Ausschluss“ der weiteren Beteiligten – wie des Konkurrenten Rewe – stattgefunden. Außerdem stellte das Gericht auch die Sachentscheidung infrage: Der Erhalt der Arbeitnehmerrechte stelle keinen Gemeinwohlbelang dar. Zudem sei die Argumentation zum Erhalt der Arbeitsplätze nicht überzeugend.

Die Medien titelten: „Ein Ohrfeige für Sigmar Gabriel“. Die Überschriften hätten aber auch lauten können: „Ein Erfolg für die Wettbewerbspolitik“. Nach den Feststellungen der Kartellbehörde gibt es im Lebensmitteleinzelhandel schon länger eine gefährliche Machtballung und Konzentration. Die vier Anbieter Edeka, Rewe, Aldi und die Schwarz-Gruppe (Lidl, Kaufland) beherrschen 85 Prozent des Marktes. Das Quartett dominiert nicht nur den Absatz, sondern auch den Einkauf. Die Lieferanten, ob Landwirte oder Markenartikelhersteller, werden an die Wand gedrückt. Aus diesen Gründen sprach sich auch die Monopolkommission gegen eine Ministererlaubnis aus. 

Offensichtlich ist Sigmar Gabriel den Gewerkschaften auf den Leim gegangen, die sich um den Erhalt der Arbeitsplätze bei Kaiser´s Tengelmann sorgten. Dabei wurde irrtümlich das Ziel der Vollbeschäftigung mit dem Erhalt von Arbeitsplätzen in einem bestimmten Unternehmen gleichgesetzt. Gabriel verwechselte das Gemeinwohl mit den Gewerkschaftsinteressen. Das war sein entscheidender Fehler.

Hort der Ordnungspolitik

Das Wirtschaftsministerium ist das eigentliche Opfer eines Regierungsstils der Bundesregierung, der allgemein als  "operativer Pragmatismus" bezeichnet wird. Dabei beruft man sich auf den britischen Philosophen Karl Popper, der einen solchen Stil  zum Maßstab politischen Handelns gemacht hat. Es entbehrt jedoch nicht einer gewissen Komik, wenn Winfried Kretschmann, der grüne  Ministerpräsident von Baden-Württemberg, der Bundeskanzlerin vorhält: "Nur Karl Popper, nur Stückwerktechnologie reicht nicht. So groß mein Respekt vor der Bundeskanzlerin ist. Man muss in längeren Linien denken. Meinem Eindruck nach ist das nicht so sehr der Beritt der Bundeskanzlerin. Sie ist da mehr bei Popper."

Was Ludwig Erhard von einem solchen "Pragmatismus“ in der Politik hielt, kann man seinen folgenden Worten entnehmen: „Die geistige Armut unserer Zeit zeigt sich vor allem darin, dass der Pragmatismus im politischen Bereich fast allgemein als weise und besonnen gilt, aber niemand danach fragt, ob die sich dahinter oft verbergende Grundsatzlosigkeit überhaupt eine politische Tugend sein kann. Sich harten Realitäten zu beugen, entspricht nicht der politischen Vernunft, da es doch fast immer Möglichkeiten gibt, Voraussetzungen zu ändern oder andere Wege einzuschlagen. So gesehen, ist Pragmatismus einer halben Kapitulation gleichzusetzen: Er ist jedenfalls der Weg des geringsten Widerstandes.“

Jüngst hat deshalb Wolfgang Clement, der die SPD inzwischen verlassen hat, die künftige Merkel-Regierung dazu aufgerufen, das Wirtschaftsministerium wieder zu einem "Hort ordnungspolitischen Denkens und Handelns" zu machen. Die Stärke des klassischen BMWi liege weder in der Höhe des Etats noch in der Anzahl der Abteilungen oder Mitarbeiter, sondern einzig im Selbstbewusstsein und der Bereitschaft der Spitze des Ministeriums und ihrer Beamtenschaft, die "Speerspitze einer erfolgreichen Wirtschaftsordnung " zu sein.


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