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Banken- und Finanzkrise : Ende der EZB-Anleihekäufe
18.06.2018 23:07 (2030 x gelesen)

Ende der EZB-Anleihekäufe

Ist nach Jahren ein Ende der ultralockeren Geldpolitik in Sicht?

In erstaunlicher Deutlichkeit hat EZB-Präsident Mario angekündigt, was der Rat der Europäischen Zentralbank in Zukunft zu tun gedenkt:

Trotz gestiegener wirtschaftlicher und politischer Risiken wird die EZB das billionenschwere Anleihekaufprogramm beenden. Ab Oktober werden die derzeitigen EZB-Käufe von monatlich 30 Milliarden Euro auf 15 Milliarden Euro verringert. Ende Dezember sollen die Zukäufe auf null sinken.

Diese Entscheidung habe der EZB-Rat einstimmig getroffen, sagte Draghi nach der Sitzung des Zentralbankrates am 14. Juni 2018 in Riga. Die EZB werde allerdings den Bestand von dann rund 2,6 Billionen Euro durch Reinvestitionen auslaufender Papieren aufrecht erhalten. „Das Wertpapierkaufprogramm bleibt bestehen“, betonte Draghi. Es werde auch künftig als „normales Instrument“ für eventuelle Fälle einsatzbereit sein.

Die Leitzinsen werden nach dem Beschluss bis mindestens „den Sommer 2019 hindurch“ auf dem derzeitigen niedrigen Niveau bleiben, kündigte Draghi an. Ob während des Sommers 2019 oder erst danach eine erste Zinsanhebung denkbar sei, wollte er nicht präzisieren. Doch danach könnten  die Zinsen steigen. Draghis Amtszeit läuft im Oktober 2019 ab.

Begründungen

Die Entscheidungen des EZB-Rates seien nach einer sorgfältigen Prüfung der neuen Prognosen und der Preis- und Lohnentwicklungen erfolgt, sagte Draghi. EZB-Chefvolkswirt Peter Praet hatte zuvor die höhere Inflation als Grund für den Ausstieg aus dem Ankaufprogramm bezeichnet. Im Euroraum erreichte die Inflationsrate im Mai mit 1,9 Prozent den von der EZB mittelfristig angestrebten Zielwert.

Jörg Krämer, Chefvolkswirt der Commerzbank, hielt diese Begründung nur für ein vorgeschobenes Argument: Die Konjunkturdaten aus dem Euroraum waren zuletzt enttäuschend und mit Italien sowie dem Handelsstreit mit den USA hatten auch die politischen Unsicherheiten deutlich zugenommen. Die Beendigung der Ankaufspolitik zum jetzigen Zeitpunkt war also nicht zwingend.

Nach Meinung von Krämer gibt es für den Ausstieg aus dem Ankaufprogramm einen anderen Grund: Die EZB darf nicht mehr als ein Drittel der Staatsanleihen eines Landes halten, um zu verhindern, dass die Notenbank dominanter Gläubiger einzelner Staaten wird. Diese Grenze hat die EZB nahezu erreicht. So halten die Notenbanken schon mehr als 30 Prozent der deutschen Bundesanleihen. In Frankreich, Spanien und Italien hat sie die Marke von 25 Prozent überschritten. Bislang beläuft sich das angekaufte Volumen auf rund 2 Billionen Euro.

Politische Signale

Die Währungshüter wollen mit  ihrer Entscheidung den Politikern in Europa signalisieren, dass die Zeit der monetären Schützenhilfe zu Ende geht und die EZB nicht länger bereit ist, die Fliehkräfte in der Euro-Zone durch frisch gedrucktes Geld zu bändigen. Damit ist die Aufforderung an die Politiker verbunden, in ihren Ländern wieder die Verantwortung für die Wirtschafts- und Finanzpolitik zu übernehmen. "Die EZB stellt klar, dass sich die Mitgliedstaaten nicht dauerhaft auf die lockere Geldpolitik verlassen können", sagte die Bonner Wirtschaftsweise Isabel Schnabel. Doch was bedeutet dies?.

Seit der Finanz- und Wirtschaftskrise verlassen sich die Euro-Staaten darauf, dass die EZB ihnen in Notlagen hilft. Tatsächlich ist das auch geschehen: Die EZB hat nationale Haushaltsdefizite finanziert, notleidende Banken über Wasser gehalten und die Wirtschaft in den Euro-Staaten stimuliert. Damit wurden die Probleme aber nicht wirklich gelöst, sondern nur übertüncht. Denn den Politikern blieben durch die Politik des leichten Geldes unpopuläte Sparmaßnahmen und grundlegende Reformen erspart. Die Botschaft der EZB aus Riga bedeutet, dass es damit zukünftig vorbei ist.

Fraglich ist allerdings, wie glaubwürdig diese Botschaft wirklich ist - beispielsweise angesichts der wachsenden Probleme in Italien. Vertreter der neuen italienischen Regierung haben bereits ihre Erwartung geäußert, dass sie die Unterstützung der EZB für unverzichtbar mit Blick auf die Lösung des italienischen Schuldenproblems halten. Draghi wiegelt jedoch ab: "Die Diskussion war nicht von Bedeutung", sagte er.

Schnabel hält das aber nicht für überzeugend. "Die krisenhafte Zuspitzung in Italien wird heruntergespielt. Dabei ist klar, dass die EZB massiv einschreiten müsste, wenn die Situation in Italien eskalieren würde."  Der Ökonom Friedrich Heinemann vom Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung sieht das anders: „In dieser Lage hat die EZB der Eurozone nun endlich ein glaubwürdiges Signal gegeben, dass sie sich nicht durch eine italienische Drohkulisse ihre geldpolitischen Entscheidungen diktieren lässt. Sonst hätte sich der Eindruck verdichtet, dass inzwischen die Fskalpolitik die Geldpolitik vor sich hertreibt."

Mit seiner Riga-Entscheidung hat der EZB-Rat darüber hinaus den Euro-Staaten signalisiert, dass sie zukünftig auch eine  stärkere Verantwortung für die Finanzstabilität der Euro-Zone übernehmen müssen. Es ist sicher kein Zufall, dass der Rat seine geldpolitische Richtungsändereng kurz vor dem Gipfeltreffen der europäischen Staats-und Regierungschefs Ende Juni 2018 bekannt gegeben hat. Auf diesem Gipfel sollen wichtige Reformvorhaben zur Weiterentwicklung der Euro-Zone beraten und entschieden werden. 

Ziel der EZB ist es offensichtlich, den politischen Kräften den Rücken zu stärken, die der EU weitere Kompetenzen und mehr Geld geben wollen. Auf der Tagesordnung des Gipfeltreffens stehen Themen wie die Weiterentwicklung des Rettungsfonds ESM zu einem Europäischen Währungsfonds (EWF), eine europäische Einlagensicherung, die Stärkung des Bankenabwicklungsfonds, ein europäischer Investitionsfonds sowie ein selbständiges Euro-Budget.

Niemand kann derzeit die Frage beantworten, welche Probleme mit solchen zusätzlichen Geldtöpfen gelöst werden sollen. Geht es um Kojunkturpolitik? Um Umverteilung? Um die Bekämpfung von Arbeitslosigkeit? Und niemand hat bisher die Frage beantwortet, ob diese Ziele mit den vorgeschlagenen Fonds überhaupt gelöst werden können. Offensichtlich geht es Brüssel in erster Linie darum, sich weitere Geldmitel zu beschaffen, um nach dem Ende der Anleihekäufe durch die EZB  in der Lage zu sein, Krisenprävention zu betreiben.  

Die Finanzmärkte reagierten deshalb gelassen auf die erwartete Straffung der Geldpolitik.  Die Aktienkurse stiegen kräftig und der Dax sprang wieder über die 13.000-Punkte-Marke. Die Finanzakteure  wissen, dass der Rückzug der EZB durch ein stärkeres Engagement der EU kompensiert werden soll.

Dieser Zusammenhang ist noch nicht bei allen Ökonomen angekommen, die den Ausstieg aus den Anleihekäufen loben. „Das ist ein wichtiger Schritt in Richtung einer Normalisierung der Geldpolitik“, sagte Clemens Fuest, Präsident des Münchener ifo-Instituts. Durch die Ankäufe sei die EZB immer mehr zum Gläubiger der Staaten geworden. „Das kann die Unabhängigkeit der Geldpolitik untergraben.“

Draghis Kehrwende

Am 14. Juni  2018 beschloss der EZB-Rat auf seiner Sitzung in Riga, das Programm zum Ankauf von Anleihen durch die EZB  Ende Dezember 2018 auslaufen zu lassen.  Ankäufe sollten nur noch getätigt werden, um den Bestand von Papieren im Wert von rund 2,6 Billionen Euro zu erhalten. Zu den Leitzinsen kündigte Draghi an, dass diese bis mindestens „den Sommer 2019 hindurch“ auf dem damaligen Niveau bleiben. Dies wurde als Signal verstanden, dass sich die Euro-Staaten nicht dauerhaft auf eine lockere Geldpolitik der EZB verlassen können.

Draghis Amtszeit läuft im Oktober 2019 ab und Christine Lagarde wird ihm folgen. Üblicherweise treffen EZB-Präsidenten am Ende ihrer Amtsperiode keine grundlegenden Entscheidungen mehr, um für den/die Nachfolger/in keine Vorfestlegungen zu treffen. Nicht so Mario Draghi, der in der Sitzung des EZB-Rates am 12. September 2019,  seiner vorletzten, beschließen ließ, dass die Zentralbank die Zinsen senkt und wieder Anleihen kauft. Der Beschluss vom 14. Juni 2018 wurde damit annulliert.

Konkret hat der EZB-Rat folgendes beschlossen:

• Der Zins für Einlagen der Banken bei der Notenbank sinkt von minus 0,4 auf minus 0,5 Prozent.
• Von November an sollen zudem wieder Anleihen gekauft werden, und zwar zeitlich zunächst unbegrenzt und in einer Höhe von 20 Milliarden Euro monatlich.
• Im Gegenzug verschafft die EZB den Banken eine gewisse Erleichterung durch eine Staffelung der Einlagenzinsen.
• Auch bei den langfristigen Krediten (TLTRO) soll es günstigere Bedingungen geben.

Die Notenbank begründete das umfangreiche Paket mit einer Revision des wirtschaftlichen Ausblicks. Die Entwicklung der letzten Zeit habe es notwendig gemacht, sowohl die Prognosen für die Wirtschaftsentwicklung als auch für die Inflation zu senken, sagte Draghi.

Noch während der Pressekonferenz von Draghi meldete sich der amerikanische Präsident Donald Trump per Twitter und warf der EZB vor, der amerikanischen Wirtschaft durch ein Drücken des Euro-Wechselkurses zu schaden. Darauf angesprochen, erwiderte Draghi, die EZB betreibe keine Wechselkurspolitik, sondern orientiere sich am Ziel der Preisstabilität. Die EZB erwarte, dass sich die Inflationsrate mit 1,2 Prozent in diesem Jahr und 1,0 Prozent im nächsten Jahr wieder vom Zwei-Prozent-Ziel der Notenbank entfernt.

Die Beschlüsse rund um das jüngste Zins- und Anleihepaket der EZB wurden offenbar gegen große Widerstände gefasst. Unbestätigten Berichten zufolge sollen sich die Notenbankpräsidenten aus Deutschland, Frankreich, Österreich, den Niederlanden und Estland gegen weitere Anleihekäufe ausgesprochen haben.

Bundesbankpräsident Jens Weidmann sagte: „Aus meiner Sicht ist er (Draghi) damit aber über das Ziel hinausgeschossen.“ Klaas Knot, der Präsident der Niederländischen Nationalbank, stimmte ihm zu: „Dieses breite Maßnahmenpaket, insbesondere die Wiederaufnahme des Anleihekaufprogramms steht in keinem Verhältnis zu den derzeitigen wirtschaftlichen Bedingungen.“ Es gebe weder die Gefahr einer Deflation, noch gebe es Anzeichen für eine Rezession.

Im Zusammenhang mit den Beschlüssen des EZB-Rats hat Sabine Lautenschläger, die deutsche Vertreterin im EZB-Direktorium und zuständig für die Bankenaufsicht, ihren Rücktritt erklärt. Nach WELT-Recherchen war Lautenschläger mit dem Kurs der EZB nicht mehr einverstanden und  über den autoritären Führungsstil von Mario Draghi frustriert. "Der Rücktritt kam nicht ganz überraschend, Sabine Lautenschläger hat intern in der EZB schon lange eine oppositionelle Rolle eingenommen und ist dafür in der Kommunikation marginalisiert worden", sagte der frühere EZB-Chefökonom Jürgen Stark, der die Zentralbank im Jahr 2011 selbst vorzeitig verlassen hat.  

Damit stellt sich nicht nur die Frage nach dem Arbeitsklima in der EZB, sondern vor allem die Frage nach der Zusammensetzung des EZB-Rates. Offensichtlich waren es die Anhänger einer lockeren Gelpolitik, die Draghi bei der Beschlussfassung unterstützt haben. Dazu gehörte auch der Vertreter Italiens, einem Land mit hoher Staatsverschuldung und mit  Banken, von denen sich viele in einer desolaten Lage befinden. Insidern zufolge hätte Jean-Claude Trichet, der Vorgänger von Draghi, in einer solchen Situation den Beschluss niemals durchgedrückt. "Trichet arbeitete in sehr viel stärkerem Maße teamorientiert als Draghi", sagte der frühere Chef der österreichischen Notenbank Ewald Nowotny.

Er fügte hinzu, dass die Finanzmärkte bei Mario Draghi eine viel größere Rolle als bei seinen Vorgängern spielen. „Einerseits kann man so mehr Einfluss auf die Märkte ausüben. Andererseits sehe ich die Gefahr, dass wir manchmal zu sehr marktgetrieben agieren.“ In der Tat haben die Finanzmärkte die Erwartung, dass die EZB zur Stützung der Anleihe- und Aktienmärkte die Geldschleusen wieder öffnen wird. Offensichtlich war es dieses Interesse, das Mario Draghi veranlasst hat, gegen den Rat seiner Kollegen die Geldschleusen wieder zu öffnen.

Neuanfang mit Lagarde?

Christine Lagarde, die neue Präsidentin der EZB, hatte bereits bei ihrem Antritt im November 2019 angekündigt, die Strategie der Bank auf den Prüfstand stellen zu wollen. Es werde kein Stein auf dem anderen bleiben, sagte sie damals.  Anfang 2020 wurde sie dann deutlicher: Sie wolle die Effektivität und die Nebeneffekte der geldpolitischen Werkzeuge analysieren lassen. Außerdem soll die Definition von Preisstabilität  überprüft werden, d.h. der Zielkatalog soll erweitert werden. In der Diskussion stehen dabei Finanzstabilität, Beschäftigung und Umweltschutz.

Ziel der Revison ist es offensichtlich, die unter der Präsidentschaft von Mario Draghi begonnene Umgestaltung der EZB zu legitimieren und zu stabilisieren. Die EZB ist längst nicht mehr nur für die Preisstablität verantwortlich, wie es die Deutsche Bundesbank war: In der Finanzkrise rettete sie Staaten vor der Insolvenz. Heute sorgt sie für tragbare Staatsschulden. Mit ihrer Null-Zins-Politik will sie das staatliche Ziel der Vollbeschäftigung unterstützen. Außerdem ist sie für die Bankenaufsicht und damit auch für die Finanzstablität zuständig.

Welche politische Rolle die EZB inzwischen für die Volkswirtschaft spielt, wird vor allem an ihrer immensen Bilanzsumme von 4,7 Billionen Euro deutlich, die gut 40 Prozent der europäischen Wirtschaftsleistung spiegelt. Vor der Finanzkrise und der Aufgabenausweitung waren Werte von unter 20 Prozent die Regel.  

Christine Lagarde stellte die Revision der strategischen Ziele und Instumente der EZB als einen offenen Prozess dar. Daran mögen jedoch nur wenige glauben: "Wie auch immer die neue Strategie aussehen wird: Unseres Erachtens wird sie eine größere Flexibilisierung beinhalten. Anders als Lagarde sehen wir aber nur insoweit einen ergebnisoffenen Prozess, wie die Finanzstablität, tragfähige Staatsschulden und der Euro-Erhalt nicht gefährdet werden", kommentiert Alexander Krüger, Volkswirt beim Bankhaus Lampe, den Revisionsprozess.

Sicher ist, dass am Ende von dem Bundesbank-Erbe der EZB nur noch wenig übrig bleiben wird. Vermutlich wird es dann aber auch keine Europäische Zentralbank mehr geben, die unabhängig ist. 

     


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