Abschied von der Energiewende
Peter Altmaier (CDU) verfügt über das Talent, gelegentlich Unbotmäßiges über die Energiewende zu sagen, ohne sie grundsätzlich in Frage zu stellen. Schon als Umweltminister hat er die Ökoszene gegen sich mit seiner Forderung nach einer „Strompreis-Bremse“ und der Warnung vor „Billionen-Kosten“ aufgebracht. „Sie dürfen die Leute nicht mit Horrorzahlen auf die Bäume jagen“, musste er sich von Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann sagen lassen.
Entsprechend groß war die Spannung, als Altmaier Mitte April 2018 vor der internationalen Energiewende-Konferenz in Berlin eine energiepolitische Grundsatzrede zu halten hatte, diesmal als Bundeswirtschaftsminister. Insgesamt waren mehr als 2000 Botschafter, Politiker, Manager und Klimaaktivisten aus 90 Ländern zum „Berlin Energy Transition Dialogue“ zusammengekommen.
Das Ende der Beihilfen
In seiner Rede verzichtete Altmaier darauf, zum Klimawandel die globale Vorbildfunktion der deutschen Energiewende zu preisen. Stattdessen betonte er, dass „die Energiewende nur überleben wird, wenn sie global wird“. Das deutsche Modell sei aber „keine Lösung für einzelne Länder“.
„Viele Länder der Welt setzen beim grundlegenden Umbau ihrer Energieversorgung auf erneuerbare Energien und verbesserte Energieeffizienz“, stellte Altmaier in seiner Rede heraus. Dass es dabei um Klimaschutz gehe, behauptete er jedoch nicht. „Das für mich wichtigste Argument für die Energiewende“, erklärte Altmaier stattdessen, sei, dass „sie hilft, Wohlstand über die ganze Welt zu verbreiten“.
Den Ökostrom-Protagonisten, die wohl mehr Zuspruch erwartet hatten, erklärte Altmaier, dass die Energiewende schwieriger sei, als mancher glaube, und länger dauere, als viele denken. Er wagte es sogar, vor diesem Forum über den „harten Kampf gegen Blackouts“ zu sprechen. Und das war noch längst nicht alles: Er sagte den Ökofreunden das baldige Ende der staatlich organisierten Beihilfen voraus: „Ich gehe davon aus, dass die erneuerbaren Energien in absehbarer Zeit, das heißt in den nächsten vier bis fünf Jahren, ihre Wettbewerbsfähigkeit vollständig erreicht haben, und dass wir dann imstande sein werden, erneuerbare Energien ohne zusätzliche Subventionen zu finanzieren.“
Der Widerspruch von Seiten der Grünen war vorprogrammiert: „Statt beim Ausbau der Erneuerbaren Energien weitere Verunsicherung zu stiften, sollte Altmaier Planungssicherheit und klare Rahmenbedingungen schaffen“, schimpfte Anton Hofreiter, Fraktionschef von Bündnis90/Die Grünen im Bundestag. Altmaier wich dieser Kritik nicht aus: Die Bundesregierung werde die Kohlestrom-Emissionen bis 2030 um 60 Prozent senken, man stehe aber vor einer „doppelten Herausforderung“, weil man auch den Atomausstieg beschlossen habe.
Energiepolitische Lagebeurteilung
Die Grundsatzrede des Wirtschaftsministers ist einer Beleg dafür, dass in der Bundesregierung die Bereitschaft wächst, sich mit den Realitäten der Energiewende auseinanderzusetzen statt klimapolitische Märchen zu erzählen.
Praktisch alle Umweltökonomen und Regierungsgutachter haben der Regierung bescheinigt, dass die Energiewende strukturell am Ende ist und eines Systemwechsels bedarf. Das Erneuerbare-Energien-Gesetz, das einst die Initialzündung der Energiewende lieferte, ist zum Bremsklotz geworden. Es braucht neue Instrumente und eine neue Art der Finanzierung. Darüber herrscht in der Wissenschaft weitgehend Einigkeit.
Dass es mit kleineren Kurskorrekturen nicht mehr getan ist, zeigt ein Blick in die Daten: Die neue Kohlendioxid-Bilanz der Internationalen Energieagentur (IEA) sagt aus, dass nach drei Jahren gleichbleibender CO2-Emissionen der Ausstoß des Gases weltweit 2017 erstmals wieder angestiegen ist. Das Ziel der Vereinten Nationen, die Erderwärmung in diesem Jahrhundert auf unter zwei Grad Celsius halten zu können, rückt damit in noch weitere Ferne. Nach den Berechnungen der IEA ist das erneute Steigen der Emissionen in erster Linie auf das robuste Wachstum der Weltwirtschaft zurückzuführen. 70 Prozent des zusätzlichen Energiebedarf wurde durch fossile Energieträger wie Kohle, Gas und Öl gedeckt.
Nach den Zahlen der IEA stiegen die Emissionen in den meisten großen Volkswirtschaften an, darunter auch Deutschland. Einigen wenigen Ländern gelang es jedoch, den Ausstoß des Treibhausgases zu senken, darunter die USA, deren Präsident Donald Trump das Klimaabkommen von Paris gekündigt hat.
Das Berliner Institut Agora Energiewende kommt in einer neueren Studie zu dem Ergebnis, bei der Umstellung auf Ökostrom müssten Deutschland und Frankreich künftig „im Gleichschritt vorangehen“, sonst drohten „Verwerfungen“ und „Schieflagen“. Bisher hat die Bundesregierung die Energiewende stets im Alleingang, ohne Konsultationen der europäischen Nachbarn betrieben. Jetzt stellen die Planer fest, dass es schon wegen der „Versorgungssicherheit in beiden Ländern“ eine engere Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Frankreich geben müsse.
Die Unternehmensberatung McKinsey hat zusammen mit dem Weltwirtschaftsforum (WEF) einen Vergleichindex in 114 Ländern anhand von 40 Indikatoren ermittelt. Das Ergebnis ist für die Bundesregierung niederschmetternd: Denn in der Weltliste der besten Energiewende-Länder kommt Deutschland gerade einmal auf Platz 16. Selbst innerhalb Europas schaffte es die deutsche Energiewende nicht einmal unter die Top Ten. Beim Indikator „Struktur des Energiesystems“, wozu die Einspeisevergütung nach dem EEG gehört, belegt Deutschland Platz 110 von 114.
Die McKinsey-Experten stellen zudem fest, dass die deutschen Energiewendekosten extrem hoch sind. Deutsche Privathaushalte zahlen aktuell 30,8 Cent pro Kilowattstunde und damit 46,65 Prozent mehr als ihre europäischen Nachbarn. Auch die Industriestrompreise liegen um 14,8 Prozent über dem europäischen Durchschnitt, was für energieintensive Betriebe einen gravierenden Wettbewerbsnachteil darstellt.
Deutschland solle vor allem den Emissionshandel stärken, der grenzüberschreitend für die ökonomisch effizientesten Maßnahmen zur CO2-Reduktionen sorgt, ist die Empfehlung von McKinsey. Innerhalb des europäischen Emissionshandelssystem könne Deutschland insbesondere von Dänemark (Platz 5) und Großbritannien (Platz 7) lernen, wie man es besser macht.
Verfehlte Effizienzziele
Das Energiesparen ist für das Gelingen der Energiewende mindestens ebenso wichtig wie die Produktion von Ökostrom. Doch während über Ökostrom-Quoten und CO2-Ziele pausenlos gesprochen wird, bleibt die Effizienz-Politik unter dem Radar der öffentlichen Wahrnehmung. Die von der Bundesregierung dafür vor gut zehn Jahren eingerichtete „Bundesstelle für Energieeffizienz“ (BfEE), die beim Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) angesiedelt ist und das Bundeswirtschaftsministerium bei der Effizienz-Politik unterstützen soll, kennt kaum jemand.
Zu Unrecht: Wenn es nämlich nicht gelingt, den deutschen Energieverbrauch bis 2050 zu halbieren, ist die geplante, fast vollständige Umstellung auf erneuerbare Energien praktisch nicht zu schaffen, wie aus dem Klimaschutzplan 2050 der Bundesregierung deutlich hervorgeht. Doch wie weit ist die Effizienz-Politik auf diesem Weg vorangekommen?
„Wir sind deutlich nicht on track“, stellte der BAFA-Präsident Andreas Obersteller im Gespräch mit der WELT fest. Die Bundesregierung hatte sich das Ziel gesetzt, den Primärenergieverbrauch bis 2020 im Vergleich zu 2008 um 20 Prozent zu senken. „Wir liegen aktuell bei sechs Prozent und werden die fehlenden 14 Prozent wohl kaum in den kommenden zwei Jahren schaffen“, sagte Obersteller.
Die Einschätzung des BAFA-Präsidenten hat gute Gründe: Schließlich gelang es nie, den deutschen Primärenergieverbrauch auch nur ansatzweise zu reduzieren. Im Gegenteil: Der Bedarf an Strom, Heizwärme und Kraftstoffen nahm jährlich um ein Prozent zu, sagte Obersteller. Zwar ist es gelungen, den Energieverbrauch vom Wirtschaftswachstum zu entkoppeln, doch diese Entkoppelung geht offensichtlich nicht soweit, dass sich der Energieverbrauch bei anhaltendem Wirtschaftswachstum senken ließe.
Dabei hat die deutsche Industrie schon im Eigeninteresse viel in die Energieeffizienz investiert. „Die deutsche Industrie gehört heute zu den effizientesten der Welt“, stellte der BfEE-Leiter Jan Kottmann fest. Die aktuell relativ niedrigen Energiepreise gäben jedoch „derzeit nur wenig Anreiz für Investitionen in Effizienztechnologien“.
Für die Erfolgsaussichten der Energiewende verheißen solche Nachrichten nichts Gutes. Schließlich soll laut „Klimaschutzplan 2050“ der Regierung praktisch der gesamte deutsche Energieverbrauch durch erneuerbare Energien gedeckt werden. Dafür wären nach heutigem Stand etwa 3.000 Terrawattstunden Ökostrom pro Jahr nötig. Derzeit liefern Solar- und Windkraftanlagen aber nur rund 150 Terrawattstunden.
Kritik des Bundesrechnungshofes
Der Bundesrechnungshof hat der Bundesregierung Ende September 2018 in einem Prüfbericht an den Bundestag ein weitgehendes Versagen bei der Steuerung der Energiewende vorgeworfen. Der Aufwand für den ökologischen Umbau der Energieversorgung stehe in einem „krassen Missverhältnis zu dem bisher dürftigen Ertrag“, sagte Rechnungshof-Präsident Kay Scheller in Berlin: „Die Bundesregierung droht mit ihrem Generationenprojekt der Energiewende zu scheitern.“
Der Bundesrechnungshof kommt zu dem Schluss, dass die Bundesregierung wichtige Ziele für das Jahr 2020 verfehlen wird: Senkung der CO2-Emissionen, niedrigerer Energieverbrauch, höhere Energieproduktivität, mehr regenerative Energien im Verkehr. Demgegenüber stehen jedoch enorme Ausgaben und hohe Belastungen für Bürger und Wirtschaft. „In den letzten fünf Jahren wurden für die Energiewende mindestens 160 Milliarden Euro aufgewendet“, heißt es in dem Bericht. „Steigen die Kosten der Energiewende weiter und werden ihre Ziele weiterhin verfehlt, besteht das Risiko des Vertrauensverlustes in die Fähigkeit von Regierungshandeln.“
Mit der Umsetzung der Energiewende sind in den die Bundesministerien und Bundesbehörden im Jahr 2017 nach den Feststellungen des Rechnungshofes rund 675 Personen beschäftigt, davon allein 300 im Bundeswirtschaftsministerium, verteilt auf 34 Referate und vier Abteilungen. Daneben gibt es auf Bund-Länder-Ebene mindestens 45 Gremien, die sich mit der Energiewende befassen. Ein solcher Verbrauch von Personalressourcen sei „beispiellos“, kritisiert der Bundesrechnungshof.
Die Prüfer beanstanden auch die fehlende Steuerung des Projekts der Energiewende. Es geben inzwischen 26 Gesetze und 33 Verordnungen, mit denen die Erzeugung, Verteilung, Speicherung sowie der Verbrauch von Energie geregelt werde. Allein das Wirtschaftsministerium nutze 48 verschiedene Datenquellen, um anhand von 72 Indikatoren den Stand der Energiewende zu überprüfen, und dennoch „fehlt es an aussagekräftigen Daten, die für die Steuerung relevant sein könnten“. Viele Daten hätten kaum Steuerungswert oder stünden zu spät bereit, oft würden aber auch aus ihnen „falsche Schlüsse gezogen“.
Während die Regierung „Kolonnen an Indikatoren“ einsetze, um das Ziel der Umweltverträglichkeit zu messen, gebe es jedoch für die beiden anderen Ziele, Bezahlbarkeit und Versorgungssicherheit, keine quantifizierbaren Ziele oder messbare Indikatoren. „Hier stehen wir im Nebel“, beklagte Scheller. Die Frage, was die Energiewende kosten dürfe, sei unbeantwortet. Da die Kosten intransparent blieben, sei es auch nicht möglich, eine Kosten-Nutzen-Bilanz der Energiewende zu erstellen.
Der Bundesrechnungshof bemängelt zudem die fehlende Koordinierung der Energiewende in der Bundesregierung. Das führe zu Doppelarbeiten und fehlender Erfolgskontrolle. Selbst bei „offenkundig fehllaufenden Maßnahmen“ werde nicht interveniert. Bei acht der 16 Förderprogramme seien 2017 weniger als die Hälfte der veranschlagten Mittel abgerufen worden. Das gelte auch für die Förderung der Elektromobilität, die kaum angenommen werde. „600 Millionen Euro sind weitgehend fehlgeleitet“, stellt der Rechnungshof fest.
Um die Energiewende vor dem Scheitern zu bewahren, schlägt der Bundesrechnungshof vor, das „Dickicht komplizierter Regelungen“ zu lichten und komplexe Fördertöpfe abzuschaffen. Eine sinnvolle Alternative sei es, auf Instrumente zu setzen, die eine direkte Anreizwirkung hätten, wie die generelle Bepreisung von CO2-Emissionen.
Doch davon will die Bundesregierung genau so wenig wissen wie von der Fundamentalkritik des Bundesrechnungshofes an der Umsetzung der Energiewende. Das von Peter Altmaier (CDU) geleitete Wirtschaftsministerium ließ die Öffentlichkeit wissen, dass die Bundesregierung die Energiewende für „effektiv und effizient koordiniert“ halte und deshalb „keinen Handlungsbedarf“ sehe. Gespannt darf man deshalb sein, wie die Fraktionen des Bundestages auf den an sie adressierten Prüfbericht des Bundesrechnungshofs reagieren.