Walter Eucken
Zu den bedeutendsten Persönlichkeiten des Neoliberalismus gehörte Walter Eucken, Haupt der sogenannten Freiburger Schule. Walter Eucken wurde 1891 in Jena als Sohn eines Philosophieprofessors geboren, sein Elternhaus war ein Zentrum künstlerischen und geistigen Lebens. Eucken studierte Ökonomie, unterbrochen durch den Ersten Weltkrieg, an dem er bis zum Schluss als Frontsoldat teilnahm. Nach seiner Habilitation wurde er Professor in Freiburg. Berufungen an andere Universitäten hat er stets abgelehnt.
Kennzeichnend für die von Walter Eucken begründete Freiburger Schule ist das „Denken in Ordnungen“, daher der Name „Ordoliberalismus“. Die zentrale Aufgabe der Wirtschaftspolitik sah Walter Eucken darin, der „Wirtschaft eine funktionsfähige und menschenwürdige Dauerordnung zu geben“. Eine solche Ordnung, so seine Meinung, sei keine natürliche Ordnung, die sich von selbst einstellt, wenn den Marktkräften freie Bahn gelassen wird. Sie sei vielmehr ein Kulturwerk, das geschaffen und bewahrt werden müsse. Er sah es als eine zentrale Aufgabe des Staates an, eine solche Ordnung zu schaffen und gegenüber dem Einfluss von Interessengruppen abzusichern.
Im Mittelpunkt des Denkens von Walter Eucken, der im Zusammenhang mit dem Attentat vom 20. Juli 1944 schweren Verhören ausgesetzt war, standen die Freiheit und die Würde des Menschen. Aufgrund der geschichtlichen Erfahrungen sah er beides von zwei Seiten her bedroht, einmal von der Staatsmacht und zum anderen von der Wirtschaftsmacht. Beide Mächte mussten gebändigt und begrenzt werden. Denn „wer Macht hat, soll nicht frei sein“ (Franz Böhm). Hierzu postulierte Walter Eucken in seinem Hauptwerk „Grundsätze der Wirtschaftspolitik“ zwei staatspolitische Grundsätze:
Erster Grundsatz: Die Politik des Staates sollte darauf gerichtet sein, wirtschaftliche Machtgruppen aufzulösen oder ihre Funktionen zu begrenzen.
Zweiter Grundsatz: Die wirtschaftspolitische Tätigkeit des Staates sollte auf die Gestaltung der Ordnungsformen der Wirtschaft gerichtet sein, nicht auf die Lenkung des Wirtschaftsprozesses.
In diesen staatspolitischen Grundsätzen sah Eucken Grundregeln für die Wirtschaftspolitik in einer marktwirtschaftlichen Ordnung. Der erste Grundsatz sollte sicherstellen, dass die Wirtschaftspolitik dem Gemeinwohl dient und nicht durch gesellschaftliche oder wirtschaftliche Interessen deformiert wird. Der zweite Grundsatz hatte das Ziel, der staatlichen Wirtschaftspolitik Grenzen zu setzen. Der Staat sollte lediglich Ordnungspolitik betreiben und die Lenkung der Wirtschaftsprozesse den Privaten überlassen.
Neben diesen staatspolitischen Grundsätzen erarbeitete die Freiburger Schule ein System von „Ordnungsprinzipien“, an denen sich die konkrete Wirtschaftspolitik ausrichten sollte. Die Prinzipien lassen sich grob in drei Gruppen einteilen:
Zur ersten Gruppe gehören das Privateigentum, die Vertragsfreiheit und das Haftungsprinzip. Als rechtliche Institutionen sind sie für eine marktwirtschaftliche Ordnung konstitutiv. Zur zweiten Gruppe zählen offene Märkte, fairer Wettbewerb, Geldwertstabilität sowie die Konstanz der Wirtschaftspolitik. Mit diesen Prinzipien soll die Funktionsfähigkeit der Märkte gesichert werden. Zur dritten Gruppe rechnen die Voraussetzungen für staatliche Eingriffe in die Märkte, z.B. bei Versagen oder Störung der Märkte.
Die Ordnungsprinzipien der Freiburger Schule waren in den fünfziger Jahre wichtige Orientierungspunkte für die Wirtschaftspolitik von Ludwig Erhard. Das Grundgesetz kannte weder den Begriff der „Sozialen Marktwirtschaft“ noch schrieb es vor, wie eine grundgesetzkonforme Wirtschaftspolitik auszusehen hatte. Die Politik hatte also einen großen Gestaltungsspielraum, der ausgefüllte werden musste. Diese Leerstelle füllte die Freiburger Schule mit ihren Prinzipien aus. Sie zeigten, was für eine funktionsfähige und menschenwürdige Wirtschaftsordnung erforderlich ist.
Seitdem ist die Ordnungspolitik das Markenzeichen und der Kern der Sozialen Marktwirtschaft. Ihre zentrale Aufgabe ist es, die Gemeinwohlorientierung der Politik sicherzustellen. Dies geschieht durch allgemeine und gleiche Spielregeln für alle wirtschaftlichen Akteure, nicht durch konkrete Ergebnisse für spezielle Gruppen (Individuen, Branchen, Länder). Das allgemeine Wohl ist ihr Ziel, nicht die Privilegierung einzelner Individuen oder Gruppen.
Ordnungspolitik soll darüber hinaus der staatlichen Machtausübung Grenzen setzen. Dies erfolgt auf ganz unterschiedliche Weise, teils durch Rechtsgarantien und Rechtsnormen, teils durch Delegation politischer Aufgaben auf unabhängige Institutionen, aber auch durch ungeschriebene Regeln und Konventionen. Dabei wird ganz generell unterstellt, dass die Politik bereit ist, ein solches Regelwerk anzuerkennen und sich ihm unterzuordnen. Ohne eine solche Selbstbeschränkung und Bindungsbereitschaft auf Seiten der Politik ist Ordnungspolitik nicht denkbar.
Ein weiterer Zweck der Ordnungspolitik ist es, das „punktuelle Handeln“ der Wirtschaftspolitiker durch ein „Denken in Ordnungen“ zu ersetzen. Dem liegt die Vorstellung zugrunde, dass gute Wirtschaftspolitik konzeptionell und systematisch betrieben werden muss. Es stimmt deshalb bedenklich, dass in den Volkswirtschaftsfakultäten heute vornehmlich Spezialisten, die sich mit wirtschaftlichen Teilproblemen beschäftigen, ausgebildet werden. Dabei ist die Notwendigkeit der Einordnung von Einzelheiten in größere Zusammenhänge kaum irgendwo dringender als in der Wirtschaftspolitik. Das gilt umso mehr, als diese Synthese in der politischen Praxis mit ständig wachsender Beharrlichkeit verweigert wird (Hans Willgerodt).