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Reform- und Steuerpolitik : Gerhard Schröders mutige Reformpolitik
16.08.2015 14:42 (3424 x gelesen)

Gerhard Schröders mutige Reformpolitik

In der späten Regierungszeit von Helmut Kohl wurde immer deutlicher, dass das Problem der wachsenden Arbeitslosigkeit und der damit einhergehende Überforderung der Sozialsysteme nur durch eine mutige Reformpolitik gelöst werden konnten. Es war die Rede von einem "Reformstau", der Deutschland im internationalen Wettbewerb immer weiter zurückwarf. In seiner berühmten Ruck-Rede vom 26. April 1997 sagte Bundespräsident Roman Herzog dazu:

„Ich komme gerade aus Asien zurück. In vielen Ländern dort herrscht eine unglaubliche Dynamik. Staaten, die noch vor kurzem als Entwicklungsländer galten, werden sich innerhalb einer einzigen Generation in den Kreis der führenden Industriestaaten des 21. Jahrhunderts katapultieren. Kühne Zukunftsvisionen werden dort entworfen und umgesetzt, und sie beflügeln die Menschen zu immer neuen Leistungen. Was sehe ich dagegen in Deutschland? Hier herrscht ganz überwiegend Mutlosigkeit, Krisenszenarien werden gepflegt. Ein Gefühl der Lähmung liegt über unserer Gesellschaft.“

Wie deutsche Politiker mit Reformvorschlägen umzugehen pflegten, beschrieb Roman Herzog folgendermaßen:

  • Am Anfang steht ein Vorschlag, der irgendeiner Interessengruppe Opfer abverlangen würde.
  • Die Medien melden eine Welle „kollektiver Empörung“.
  • Spätestens jetzt springen die politischen Parteien auf das Thema auf, die einen dafür, die anderen dagegen.
  • Die nächste Phase produziert einen Wirrwarr von Alternativvorschlägen und Aktionismen aller Art, bis hin zu Massendemonstrationen, Unterschriftensammlungen und zweifelhaften Blitzumfragen.
  • Es folgt eine allgemeine Unübersichtlichkeit, die Bürger werden verunsichert.
  • Nunmehr erschallen von allen Seiten Appelle zur „Besonnenheit“.
  • Am Ende steht meist die Vertagung des Problems. Der status quo setzt sich durch. Alles wartet auf das nächste Thema.

Die Rede beeindruckte die Öffentlichkeit. Politische Konsequenzen  wurden daraus aber nicht gezogen, wie es Roman Herzog voraus gesagt hatte.

Schröders "Politik der neuen Mitte"

Das sollte sich erst ändern, als Gerhard Schröder (SPD) im Oktober 1998 Kanzler einer rot-grünen Bundesregierung wurde. Die SPD hatte im Wahlkampf  für eine  „Politik der neuen Mitte“ geworben. Was darunter zu verstehen war, blieb allerdings ziemlich wage. Wer mehr wissen wollte, konnte sich bei Bodo Hombach  (SPD), Schröders Wahlkampfmanager, informieren. In seinem Buch „Aufbruch – Die Politik der neuen Mitte“ (1998) schrieb er:

„Es gilt, zu den Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft zurückzukehren. Die soziale Komponente des Wirtschaftssystems ist nicht der ´Rundum-sorglos-Staat´. Sie besteht darin, dass individuelle Leistung belohnt wird durch Wohlstand, Weiterqualifizierung durch berufliches Fortkommen, Bereitschaft zur Eigenverantwortung durch größere ökonomische Spielräume und beruflich Selbständigkeit durch ein zweite Chance.“

Hierbei sollte der Staat eine „aktivierende“ Rolle spielen: „Regierungen sollten in der heutigen Zeit nicht versuchen, die Wirtschaft zu lenken. Die Rolle der Regierung besteht heutzutage in dem Versuch, die Wirtschaft und die Menschen auf Veränderungen vorzubereiten. Wir wollen nicht klüger sein als der Markt. Der Staat soll eher ein Katalysator sein.“

Mit einer solchen „Politik der neuen Mitte“ verabschiedete sich Gerhard Schröder von der Wohlfahrts- und Wirtschaftspolitik keynesianischer Prägung, ohne  der Friedmannschen Marktgläubigkeit anheim zu fallen. Er suchte für die SPD einen dritten Weg, der deutliche Parallelen zur britischen „New Labour“ - Politik von Tony Blair aufwies. Im Zentrum  sollte ein „aktivierende Staat“ stehen, der Leistung nicht nur einfordert, sondern auch prämiert und die Menschen bei der Bewältigung ihrer Probleme hilft. Die leitende Maxime hieß "fördern und fordern". Sie wollte Gerhard Schröder zur  Grundlage seiner Politik machen.

Die Durchsetzung dieser Reformpolitik in der SPD erforderte politischen Mut und Risikobereitschaft. Es gab heftigen Widerstand auf Seiten der SPD-Linken, die an der traditionellen Politik des  „deficit spending“  festhalten wollten. Schockiert über den angekündigten "Sozialabbau" waren insbesondere die Sozialpolitiker, die der Meinung waren, die Arbeitslosigkeit müsse mit sozialpolitischen Mitteln wie Frühverrentung, Arbeitszeitverkürzung oder längere Ausbildungszeiten, also durch Verknappung des Arbeitsangebotes, bekämpft werden. 

Gerhard Schröder ließ sich dadurch jedoch nicht beirren und entschied sich für eine umfassende und konsequente Reformpolitik. Dies war politisch riskant und kostete ihn letztendlich auch das Kanzleramt. Angesichts der Lage auf dem Arbeitsmarkt waren die Reformen aber unverzichtbar. Sie waren die entscheidende Voraussetzung dafür, dass sich die deutsche Wirtschaft in den Folgejahren erholte und zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen wurden. Umzusetzen ware die Reformpolitik jedoch erst, nachdem Oskar Lafontaine, der die traditionelle Parteilinie vertrat, im März 1999 aus der Regierung ausschied.

Was Arbeitsmarkt und Sozialstaat betraf, hatte Gerhard Schröder schon im Februar 1996 als niedersächsischer Ministerpräsident vor der SPD-Landtagsfraktion in Hannover klargestellt, dass es nicht mit einem "Umbau" des Sozialstaates getan sei: "Es sind tatsächlich tiefe Einschnitte nötig." Trotz heftiger Proteste redete Schröder weiterhin Klartext und sagte im Herbst 1997: "Wir werden Arbeit statt Arbeitslosigkeit finanzieren" und " die nach geltendem Recht schon möglichen Sanktionen bei Ablehnung zumutbarer Arbeit voll ausschöpfen". Dies waren für einen Sozialdemokraten ungeheure Worte, aber noch nicht die ganze Wahrheit. Die erklärte Gerhard Schröder den Genossen auf dem Sonderparteitag im April 1998, die ihn zum Kanzlerkandidaten machte: "Die Sicherheiten, die der Sozialstaat bieten wird, werden nicht mehr die alten sein."

Schröders Reformagenda

Das Reformprogramm, das Gerhard Schröder in seiner Regierungszeit auf den Weg brachte, bestand aus mehreren Teilen:

  • Erstens aus einer Einkommensteuerreform, die den  Eingangssteuersatz von 25,9 auf 15 Prozent und den Spitzensteuersatz von 53 auf 42 Prozent absenkte. Außerdem stellte die Regierung Unternehmensgewinne aus Aktienverkäufen steuerfrei, um den deutschen Kapitalmarkt zu beleben.
  • Zweitens aus einer Reform der Rentenversicherung mit dem Ziel, das System  durch schrittweise Absenkung des Rentenniveaus und die Erhöhung des Renteneintrittsalters demographiefest zu machen.
  • Und drittens aus der Reform des Arbeitsmarktes mit der Agenda 2010, die das eigentliche Herzstück der Reformen bildete.

Die Arbeitsmarktreform  bestand insgesamt aus vier Abschnitten, die nach Peter Hartz, dem Vorsitzenden der Reformkommission, benannt wurden. Anfang März 2002 trat die Kommission erstmals zusamenn, am 16. August, fünf Wochen vor der Bundestagswahl, stellten der Bundeskanzler und der Kommissionsvorsitzende die Ergebnisse vor: Hartz I regelte die Leih-, beziehungsweise Zeitarbeit neu. Hartz II führte unter anderem die sogenannten Minijobs ein und erhöhte die Verdienstobergrenze für geringfügig Beschäftigte auf 400 Euro. Hartz III brachte den radikalen Umbau der vormaligen Bundesanstalt für Arbeit in eine marktgerechte Bundesagentur für Arbeit. Und Hartz IV setzte auf den Abbau der Arbeitslosigkeit durch das Zusammenführen der Arbeitslosenhilfe mit der Sozialhilfe zum befristeten "Arbeitslosengeld II", das heute allgemein als "Hartz IV" firmiert. 

Bei der Präsentation benannte Schröder die leitende Maxime. Sie "heißt fördern und fordern. Im Prinzip des Forderns ist begründet, dass auch der Arbeitslose etwas bringen muss. Wenn er zumutbare Arbeit ablehnt, mit nicht zureichenden Gründen, muss er bereit sein, Sanktionen zu akzeptieren." In dieser Maxime spiegelte sich auch die Biographie von Gerhard Schröder wieder: Jahrgang 1944, vaterlos aufgewachsen, Volksschulabschluss und eine Lehre als Verkäufer, dann zweiter Bildungsweg und das Jurastudium, schließlich die politische Karriere. Schröder wußte also, wovon er sprach. "Chancengleichheit und soziale Gerechtigkeit", die Parole seines politischen Lebens, war für ihn keine Phrase.

"Das erklärt, warum er als Kanzler zu keinem Zeitpunkt einen Zweifel an der Notwendigkeit der Reformen hatte und auch dann dabei geblieben ist, als er wusste, dass sie ihn die Kanzlerschaft kosten könnten", schreibt der Historiker Gregor Schöllgen. Schröder wusste auch, dass die Agenda 2010 nicht an den Schluss, sondern an den Anfang seiner zweiten Legislaturperiode gehört hätte. So konnten seine politischen Gegner die Zeit, bis die Reformen wirkten, zur Mobilmachung gegen ihn nutzen. Dazu gehörten auch Mitglieder seiner eigenen Partei wie Heiko Maas und Andrea Nahles, zwei heutige Mitglieder des Bundeskabinets. Für Schröder war dies eine bittere Erfahrung, die mitursächlich dafür war, dass er im Mai 2005 nach der Wahlniederlage in NRW vorzeitige Neuwahlen im Bund herbeiführte.

In der SPD geht man heute auf Distanz zu Gerhard Schröder. Von seinem wichtigsten Vermächtnis, der Reform des Sozialstaates und des Arbeitsmarktes, wollen die meisten Genossen nichts mehr wissen. Allen voran Kanzlerkandidat Martin Schulz. Man verzeiht Gerhard Schröder nicht, dass er mit seiner Reformagenda "soziale Errungenschaften" veränderte, für die man lange gekämpft hatte und die in der Partei als unantastbar galten. Dass Schröder dazu aus Gründen steigender Arbeitslosigkeit und wachsender Finanzprobleme gezwungen war, will man nicht akzeptieren. 

Schröder selbst schrieb über die Agenda 2010: "Wir haben dieses riesige Reformwerk geschultert, um uns Luft zu schaffen für Investitionen in Bildung, Forschung, Innovationen und damit in die Zukunfsfähigkeit des Landes."  

 
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