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Merkels Regierungszeit : Koalitionsverhandlungen 2018
13.02.2018 01:17 (2387 x gelesen)

Koalitionsverhandlungen 2018

Als Martin Schulz (SPD) am 7. Februar 2018 vor die Presse in Berlin trat, sprach er davon, dass der Koalitionsvertrag  „in einem großen Maß sozialdemokratische Handschrift“ trägt. Diese Aussage war zureffend, wie eine Auswertung des unabhängigen Karlsruher Unternehmens „Thingsthinking“ inzwischen ergeben hat. Rund 70 Prozent im Koalitionspapier gehen auf das Parteiprogramm der SPD zurück. Nur 30 Prozent können der Union zugerechnet werden.

Nicht nur, dass die Sozialdemokraten viele ihrer Forderungen im Koalitionsvertrag durchsetzen konnten. Sie sicherten sich zudem drei wichtige  Schlüsselministerien: neben dem Ministerium für Arbeit und Soziales auch das Außenministerium und das Finanzministerium.  Die CSU erhält das wichtige Innenministerium. Für die CDU bleiben nur vergleichsweise unbedeutende Ressorts übrig: das Wirtschaftsministerium, das bei kaum einem Gesetz federführend ist; das Verteidigungsministerium, das mit vielen Problemen zu kämpfen hat; daneben ein paar Ministerien, die der frühere Bundeskanzler Gerhard Schröder als „Gedöns“ bezeichnet hat.

Das Ergebnis der Koalitionsverhandlungen ist deshalb in CDU-Kreisen auf Unverständnis und Proteste gestoßen

Carsten Linnemann, Chef der CDU- Mittelstandsvereinigung, hat deutlich ausgesprochen, was viele Mitglieder und Abgeordnete der CDU denken. Er wisse, dass es in einer Koalition Kompromisse geben müsse, sagte er. Mit dem inhaltlichen Teil der Vereinbarung könne er zur Not auch leben. Aber die Ressortverteilung lasse „jede Ausgewogenheit vermissen“. Wer die Hoheit über Finanzen, Auswärtiges sowie Arbeit und Soziales in die Hand des deutlich kleineren Koalitionspartners lege, gebe seinen Gestaltungsanspruch in entscheidenden Bereichen ab. Dies gehe „mitten ins Mark der CDU“. Er könne dem Vertrag daher nicht zustimmen. Angela Merkel verfolgte Linnemanns Vortrag in der Fraktionssitzung mit missmutiger Miene, zuckte nur mit den Schultern  und ging mit keinem Wort auf seine Kritik ein.

Mit gleichem Tenor meldeten sich auch frühere Abgeordnete zu Wort: „Wenn die CDU diese Demütigung auch noch hinnimmt, dann hat sie sich selbst aufgegeben“, schimpfte der ehemalige Merkel-Rivale Friedrich Merz. „Dass wir jetzt auch noch das Finanzministerium ohne Not aufgeben, das verstehe ich nicht“, sekundierte der ehemalige Innenexperte Wolfgang Bosbach.

Das der CDU zugedachte Wirtschaftsressort  hält niemand für eine  ausreichende Kompensation, wie Kanzleramtschef Peter Altmaier in einem Interview mit der Tageszeitung DIE WELT glauben lassen wollte. Die entscheidenden wirtschaftspolitischen Vorgaben werden im Kanzleramt, im Finanzministerium und im Arbeitsressort gemacht. Der Einfluss des Wirtschaftsministeriums ist demgegenüber unbedeutend.

Es gärt vor allem an der Basis: Paul Ziemiak, Vorsitzender der Jungen Union, berichtete, die Unzufriedenheit bei den Mitgliedern sei „sehr groß“; er habe keine einzige positive Rückmeldung von der Basis erhalten. Von Angela Merkel  forderte er „ein Zeichen der Erneuerung“. Auch die Junge Union Bremen zeigte sich „sehr enttäuschet“.  Die Junge Union Berlin klagte, die SPD habe sich mit dem Erpressungspotential des Mitgliederentscheids offenbar voll und ganz durchgesetzt. Der CDU-Führung wurde zudem der Vorwurf gemacht, dass „von einem Aufbruch keine Spur!“ zu sehen sei.

Die CDU hat sich bei den Verhandlungen selbst dadurch erpressbar gemacht, dass sie immer wieder ihre staatspolitische Verantwortung zur Regierungsbildung betonte. „Wir haben eine mordsmäßige Verantwortung, dass eine Regierung zustande kommt, dem haben wir Rechnung getragen“, sagte ein Vorstandsmitglied zur Verhandlungsstrategie der CDU-Führung. Die SPD konnte deshalb gefahrlos immer höhere Forderungen stellen. Für die CDU war es ein Malus, weil sich in den Medien und großen Teilen der Öffentlichkeit das Urteil durchsetzte, Merkel habe Positionen geopfert, nur um an der Macht zu bleiben. 

Solche Kritik kommt auch aus dem Umfeld der Partei. „Die CDU ist zur bloßen Machterhaltungsmaschine geworden, gesellschaftspolitisch ist die Partei völlig ideenlos“, sagte etwa der Mainzer Historiker Andreas Rödder, Mitglied des CDU-Schattenkabinetts bei der letzten Landtagswahl in Rheinland-Pfalz. „Es wäre naiv zu glauben, dass sich Merkel nach zwölf Jahren Kanzlerschaft neu erfindet.“ Er hält es für möglich, dass das Ende ihrer Kanzlerschaft jederzeit eintreten kann. „Die historische Erfahrung zeigt: Es kann eine Momentum entstehen, mit dem die Dinge ins Rutschen geraten, und dann gibt es kein Halten mehr.“

Das Urteil der kritischen CDU-Basis ist eindeutig: Das, was bei den Koalitionsverhandlungen herausgekommen ist, lässt die CDU ganz schlecht aussehen. Das Image der Kanzlerin als eine erfolgreiche Verhandlungsführerin ist schwer angekratzt. Sie kann nicht erklären, warum die CDU als stärkste Partei am Ende als große Verliererin aus den Koalitionsverhandlungen herausgegangen ist. Nicht wenige CDU-Mitglieder wollen ebenso wie die SPD-Basis über den Koalitionsvertrag mit entscheiden – und ihn ablehnen. Doch ein solcher Mitgliederentscheid ist nicht geplant. „Wir als CDU waren immer klug genug, dass solche Entscheidungen der Parteitag trifft“, heißt es aus dem Umfeld von Angela Merkel.

Es sind vor allem junge Abgeordnete, die mehr Mitsprache fordern. Die Union müsse sich „als Fraktion wieder selbstbewusst und unabhängig vom Regierungshandeln präsentieren“, schreibt Carsten Linnemann in einer Erklärung. „Wir müssen wieder mehr Bundestagsfraktion werden und weniger Regierungsfraktion. Wir müssen die Gesetze, die vom Kabinettstisch in den Bundestag kommen, genau prüfen und, wenn nötig, den Mut aufbringen, Regierungshandeln infrage zu stellen.“ Diese Ansage richtete sich direkt an den CDU/CSU- Faktionsvorsitzenden Volker Kauder.

Im Hinblick auf das künftige Kabinett fordert  Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther von Angela Merkel, „dass Erneuerung sichtbar wird, dass hier neue  Menschen für die Union in Gänze Verantwortung haben und wir mindestens die Hälfte dieser Positionen mit Frauen besetzen“. Merkel versprach inzwischen, die Liste der CDU-Minister vor dem Parteitag offenzulegen. „Jetzt geht es darum zu zeigen, dass wir auch mit einer neuen Mannschaft antreten können“, sagte sie. Bei der Kabinettsbesetzung sollten „nicht nur die über 60-jährigen berücksichtigt werden, sondern auch jüngere Leute.“

In der CDU wächst auch der Druck auf Merkel, ihre Nachfolge zu regeln. Der frühere hessische Ministerpräsident Roland Koch sagte der FAZ: „Die Parteiführung und eben auch die Vorsitzende Angela Merkel schulden den Wählern eine Antwort auf die Frage, welches die nächste Generation ist, die Verantwortung übernimmt.“  In der ZDF-Sendung versicherte Angela Merkel daraufhin, dass sie im Falle einer Zustimmung der SPD-Mitglieder zum Koalitionsvertrag die gesamte Legislaturperiode regieren werde. Sie bleibe in jedem Fall auch Parteivorsitzende.

Zur ihrer Entscheidung, der SPD das Finanzministerium zu überlassen, sagte Angela Merkel in der ZDF-Sendung „Berlin direkt“: „Wir haben sicherlich als CDU einen Preis bezahlt für eine stabile Regierung.“ Den Vorwurf, dass es ihr letztlich nur um Machterhalt und ihren Stuhl im Kanzleramt gegangen sei, wollte sie nicht stehen lassen: „Natürlich bin ich angetreten, um diese wunderbare Position auch ausführen zu können. Aber wer Kanzlerin sein  möchte, muss auch Verantwortung für dieses Land übernehmen.“

Eine Revolte gegen Angela Merkel wird es auf dem Parteitag nicht geben: Ihre Verhandlungsführung wurde von Julia Klöckner, CDU-Chefin in Rheinland-Pfalz, im Parteivorstand ausdrücklich gelobt - unter Applaus der übrigen Vorstandsmitglieder. Auf dem Parteitag haben die Funktionäre, die unverbrüchlich an Merkel festhalten, zudem die Mehrheit. Deshalb werden es auch die mutigen Kritiker nicht wagen, die Chefin direkt herauszufordern. Erneuerung ja, aber vorsichtig und unter der Führung von Angela Merkel -  darauf wird sich die CDU letztlich verständigen. Dazu gehören auch personelle Änderungen unterhalb der ersten Führungsebene, so wie es Thüringens CDU-Chef Mike Mohring gefordert hat: „Die Erneuerung in der zweiten Reihe der CDU muss sich in der Partei- und Kabinettsbesetzung abbilden. Da müssen mehr Jüngere sitzen“, forderte er.

Dabei sieht insbesondere die CDU/CSU-Mittelstandsvereinigung im Koalitionsvertrag deutliche Risiken für den Mitteland. Kritisiert wird insbesondere, dass der Vertrag keine klare, schriftlich fixierte Absage an eine Transfer-Union in Europa vorsieht. Mit der Vergabe des Bundesfinanzministeriums und des Auswärtigen Amtes an die SPD ist damit ein erhebliches Risiko für den deutschen Steuerzahler verbunden. Außerdem enthält der Vertrag keinerlei  Aussage darüber, wie die Festschreibung des Rentenniveaus auf 48 Prozent und die Einführung einer Mütterrente II demografiefest finanziert werden sollen. Im Steuertarif gibt es keine Abflachung des Mittelstandsbauchs, die Abschaffung des Solidaritätszuschlages ist nur für den unteren Teil der Steuerzahler vorgesehen, es gibt aber keine Aussage, bis wann er ganz abgeschafft werden soll.

Deutliche Einschränkungen gibt es auch im Arbeitsrecht für Arbeitgeber und nahezu keine Flexibilität bei den Arbeitszeiten. Es fehlen auch marktwirtschaftliche Reformansätze bei der Energiewende, keine Begrenzungsziele für die EEG-Umlage sowie Lösungsansätze, wie höhere Ausbauziele der Erneuerbaren mit der notwendigen Grundlast sowie den Speicher- und Netzkapazitäten synchronisiert werden sollen. Für die deutsche Volkswirtschaft ergeben sich daraus Risiken und konkrete Belastungen, die bei der Bewertung des Koalituonsvertrages innerhalb der Union in den Mittelpunkt der Diskussion gestellt werden sollten. Eine moderate Kritik an der Parteiführung reicht dafür nicht aus.  


 


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