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Europäische Krisen : Europäische Alternativen
20.12.2017 17:51 (1928 x gelesen)

Europäische Alternativen


Im März 2017 trafen sich die Staats- und Regierungschefs der EU in Rom, um den 60. Jahrestag der Römischen Verträge zu feiern. Die britische Oremierministerin Theresa May wird schon nicht mehr dabei.. „Das wird nicht nur eine Geburtagsfeier sein“, sagte EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker vor diesem Ereignis. „Es muss auch eine Geburtsstunde der EU der 27 sein.“

Zur Vorbereitung des Treffens in Rom präsentierte Juncker dem Europäischen Parlament ein Weißbuch, in dem die verschiedenen Handlungsoptionen für Europas Zukunft dargestellt werden. Bis Jahresende sollen sich die EU-Staats- und Regierungschefs konkret dazu äußern. Die  CDU/CSU-Gruppe im Europaparlament unterstütze diese Initiative. „Wir brauchen Alternativen und müssen dabei die Realität zur Kenntnis nehmen“, sagte Herbert Reul, der Vorsitzende dieser Gruppe.

Junckers Weißbuch

Junckers Weißbuch enthält die folgenden fünf Szenarien:

  • Szenario eins - Weiter so:   Die EU hält Kurs. Sie setzt die beschlossenen Verträge und Beschlüsse um. Es wird weiter an der Stärkung des Euro gearbeitet.
  • Szenario zwei – Konzentration auf den Binnenmarkt:   Die EU stärkt den Binnenmarkt, weil es der EU nicht gelingt, sich in anderen Politikbereichen zu verständigen. Es wird mehr Grenzkontrollen geben und weniger Handelsabkommen. Es gibt weniger Abstimmung in der Außenpolitik.
  • Szenario drei – Wer mehr tun will, tut mehr:   Wenn nicht alle im selben Tempo voranschreiten möchten, verstärken einzelne Staaten ihre Kooperation unter dem Dach der EU. Sie bringen gemeinsame Militäreinsätze auf den Weg. Sie kooperieren bei der Forschung, der öffentlichen Beschaffung, der Polizei oder in Steuerfragen.
  • Szenario vier – Weniger, aber effizienter:   Die EU konzentriert sich auf die unstrittigen Bereiche. Das könnte die Handelspolitik sein oder der Grenzschutz. Wegfallen hingegen könnten die Regionalpolitik oder Teile der Arbeitsmarkt- und Sozialgesetzgebung  sowie des Naturschutzes.
  • Szenario fünf – Viel mehr gemeinsames Handeln:   Die EU-Staaten wagen den großen Entwurf und beschließen, in zahlreichen  Politikbereichen voranzuschreiten. Sie werden stärker in der Steuergesetzgebung kooperieren. Es wird eine Verteidigungsunion aller 27 Staaten geben. Die EU wird mehr Geld zur Verfügung haben, um in die Wirtschaft zu investieren.

Im September will Juncker erklären, welches Modell er bevorzugt. Eines stellte er jedoch bereits klar: Szenario zwei findet er schlecht: „Die Europäische Union ist mehr als eine Freihandelszone.“

Das Europaparlament hat sich bereits für das Szenario fünf ausgesprochen, indem es sich mehrheitlich hinter drei sogenannte Initiativberichte prominenter Abgeordneter stellte. Würden die darin gestellten Forderungen verwirklicht, würde sich die EU radikal verändern. Ein großer Eurohaushalt, ein EU-Finanzminister und weniger Einfluss der Mitgliedstaaten: So stellt sich eine Mehrheit im EU-Parlament die Zukunft vor.

Der neu gewählte französische Präsident Emmanuel Macron hat solchen Plänen enormen Auftrieb verliehen. Zusammen mit Angela Merkel will er im Herbst 2017 - nach der Bundestagswahl - seinen Plan zur Zukunft Europas vorstellen. Schon diese Ankündigung hat viele Europäer elektrisiert. "Niemals zuvor hatte ich einen so starken Glauben, dass die Dinge sich in eine bessere Richtung bewegen", sagte der EU-Ratspräsident Donals Tusk. Und Angela Merkel fügte hinzu : "Jetzt werden wir schnell handeln." Geplant sei eine engere Kooperation auf den Feldern Verteidigung, Migration und Außenpolitik.

Doch Frankreichs Präsident strebt vor allem eine stärkere Zusammenarbeit in der Wirtschaftspolitik an. Er will den großen Sprung nach vorn: Die Eurozone soll eine Fiskalunion werden, mit einem Euro-Finanzminister, der über ein eigenes Budget verfügt und Gemeinschaftssteuern erheben kann. Eine gemeinsame Wirtschaftsregierung, die aus den nationalen Ressortchefs besteht, soll große Investitionsvorhaben koordinieren. Und ein Europäischer Währungsfonds, ausgestattet mit den erforderlichen Geldmitteln, soll Krisenstaaten retten können, ohne dass die nationalen Parlamente zustimmen müssen.

Macons Vision einer Wirtschafts- und Fiskalunion entspricht dem von Jean-Claude Juncker beschriebenen "Szenario fünf", das einen enormen Zentralisierungsschub bringen würde. Entsprechend groß wäre das zusätzliche Konfliktpotential, das auf die Europäische Union zukommen würde. "Man muss sich nur die Auseinandersetzungen über den richtigen Kurs der Geldpolitik anschauen, um sich auszumalen, wie heftig die 19 Mitglider innerhalb einer Wirtschafts- und Fiskalunion über Konjunkturprogramme, Steuern und Haushaltspläne streiten würden", warnt Dorothea Siems in der Tageszeitung DIE WELT vom 29. Juni 2017.

Deutschlands Sozialdemokraten sind von Macrons Europastrategie begeistert. Dabei übersehen sie, dass es dem Franzosen in erster Linie um den Schutz einheimischer Arbeitsplätze und Unternehmen geht. So verlangte er bereits von der EU-Kommission eine drastische Verschärfung der Entsenderichtlinie,  um den Einsatz von Osteuropäern auf dem französischen Arbeitsmarkt unattraktiv zu machen. Auch sein Vorschlag zum Klimaschutz, in der EU einen CO2-Mindestpreis einzuführen, den Kraftwerksbetreiber zukünftig zahlen sollen, zeugt von einem gesunden nationalen Eigeninteresse. In nahezu allen anderen Mitgliedstaaten würde dies die Strompreise nach oben treiben, mit Ausnahme von Frankreich, das hauptsächlich emissionsfreien  Atomstrom produziert.I

Machtanspruch der Kommission

Seit Anfang 2017 kommen aus der Brüsseler Kommission in immer kürzeren Abständen Vorschläge zur Reform und Weiterentwicklung der Eurozone. Nach einem Bericht des FAZ-Korrespondenten Werner Mussler vom 6. Dezember 2017 nannte der EU-Wirtschaftskommissar Pierre Moscovici  zwei zentralen Gedanken, welche die EU-Kommission leiten: Die Vorschläge sollten erstens dazu beitragen, „die Einheit Europas voranzubringen“.  Dahinter verbirgt sich ein allgemeiner Machtanspruch der Kommission sowie die Forderung, dass möglichst alle EU-Staaten auch dem Euroraum beitreten. Zweitens sollen die Entscheidungsstrukturen im Euroraum „transparenter und effizienter“ werden, sagte Moscovici. Dahinter steckt die Absicht, möglichst viele Entscheidungen, die den EU-Mitgliedsländern noch vorbehalten sind, auf die Kommission und das Europaparlament zu übertragen.

Konkret geht es bei den Vorschlägen der Kommission um folgende folgende Projekte:

• Bankenunion: In der Eurogruppe besteht angeblich ein grundsätzlicher Konsens, dass der Krisenfonds ESM als finanzielle Letztabsicherung („Back-stop“) für den Bankenabwicklungsfonds SRF eingesetzt werden soll – für den Fall, dass die Abwicklung einer maroden Bank nach dem Rückgriff auf Aktionäre und Gläubiger nicht aus dem SRF finanziert werden kann.

• Europäischer Währungsfonds: Einen  Grundkonsens gibt es angeblich  auch darüber, dass der ESM, der bisher ausschließlich zur Finanzierung von Kreditprogrammen für notleidende Eurostaaten eingesetzt wird, breiter aufgestellt wird, um den Internationale Währungsfonds (IWF) zu ersetzen. Nach den Vorstellungen von Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker sollen die Entscheidungen des ESM zukünftig nicht mehr von der Eurogruppe, sondern von der Kommission getroffen werden.

• Eurofinanzminister: Welche Funktionen dieses neue Amt konkret erfüllen soll, ist stark umstritten. Von Junckers und Moscovicis Idee, ihn zum Chef der Eurogruppe zu machen, halten die Eurostaaten nichts. Auch nicht von dem Vorschlag, ihn mit einem eigenen Haushalt und mit dem Zugriff auf die nationalen Budgets auszustatten.

• Zusätzliche Haushaltsmittel: Juncker stellt sich eine Extra-Budgetlinie für die Eurozone im EU-Haushalt vor. Verwendet werden soll dieses Geld für weitere Transfers und für Investitionen. Nach Ansicht von ESM-Chef Regling ist das unnötig, weil ausreichend Geld vorhanden ist.

• Überwachung der Finanzpolitik: An diesem Thema besteht in der Eurogruppe kein ernsthaftes Interesse, nachdem die Regeln des EU-Stabilitätspaktes kontinuierlich flexibilisiert und damit immer unübersichtlicher und wirkungsloser geworden sind.

Die EU-Kommission hat die Hoffnung, ihre Vorstellungen von einer solchen institutionellen Weiterentwicklung der Eurozone gemeinsam mit dem derzeit prominentesten Verfechter einer Erneuerung Europas, dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron, und einer neuen Regierung in Berlin unter Beteiligung der SPD umsetzen zu können. Die Sondierungen zwischen Union und SPD zur Bildung einer neuen Bundesregierung, bei denen EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker nach eigenem Bekunden eng eingebunden war, hat die EU-Kommission nicht enttäuscht. Die zukünftigen Koalitionäre verkündeten einen europäischen Aufbruch und schlugen dazu vor,

  • mehr Geld für den EU-Haushalt zur Verfügung zu stellen;
  • einen speziellen Haushalt für die wirtschaftliche Stabilisierung  und soziale Konvergenz der Eurozone einzureichten;
  • den Euro-Krisenfonds ESM zu einem "im Unionsrecht verankerten parlamentarisch kontrollierten Europäischen Währungsfonds" umzubauen.

Beim ESM liegt der deutsche Finanzierungsanteil bei rund 190 Milliarden Euro. Der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages hat den Verordnungsentwurf der EU-Kommission analysiert, der dem Sondierungsergebnis zugrunde lag, und hat festgestellt, dass der Kommissionsvorschlag "die Grenzen des Grundsatzes der begrenzten Einzelermächtigung überschreitet und dementsprechend nicht auf Artikel 352 des Vertrages über die Arbeitweise der Europäischen Union gestützt werden kann". Letztendlich geht es um die Frage, ob ein umgebauter ESM weiterhin der Kontrolle des Deutschen Bundestages unterliegt. Hierzu hat nur die FDP eine eindeutige Position: "Union und SPD dürfen nicht zulassen, dass das Parlament in dieser wichtigen Frage übergangen wird. Sonst droht der Weg in die Schuldenunion", sagte FDP-Fraktionsvize Christian Dürr.

Nach allem, was bisher bekannt ist, geht es der EU-Kommission  weniger um die inhaltliche Frage, wo und warum die Währungsunion eine Erweiterung oder Vertiefung braucht. Auch ökonomische Gründe für eine Reform der Währungsunion  haben den EU-Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker, den letzten noch politisch tätigen Gründer der Gemeinschaftswährung, nie interessiert. Er hat den Euro wie Helmut Kohl immer nur als politisches Projekt verstanden, dem sich ökonomische Inhalte unterzuordnen haben. Bei den Vorschlägen der Kommission zur Weiterentwicklung der EU geht es deshalb  in erster Linie um mehr Macht für die Kommission.

Die Sozialunion

Über die währungs- und wirtschaftspolitischen Vorschläge von Jean-Claude Juncker wird derzeit heftig gestritten. Demgegenüber finden seine Vorschläge zu „Arbeit und Soziales“ nur wenig öffentliche Beachtung, obgleich die Kommission auch hier im Schulterschluss mit dem französischen Präsidenten offensiv voranschreitet. Es geht dabei auch um Kompetenzen, die von den nationalen Mitgliedstaaten auf die EU übertragen werden sollen.

Die Kommission und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron haben das gemeinsame Ziel, das jetzige Vertragswerk der EU um eine „Sozialunion“ zu erweitern. Ihre entsprechenden Ambitionen haben sie kürzlich auf dem EU-Sozialgipfel in Göteborg bei der Unterzeichnung der „Säule sozialer Rechte“ noch einmal bekräftigt. Um die öffentliche Akzeptanz der EU zu stärken, soll sie in der europäischen Öffentlichkeit nicht nur als  wirtschaftliches, sondern auch als soziales Projekt wahrgenommen werden.

In ihrem Arbeitsprogramm für 2018 hat die Kommission auch bereits gesagt, mit welchen Schritten sie in Richtung Sozialunion gehen will (Dorothea Siems in DIE WELT vom 11. Dezember 2017). Konkret soll im nächsten Jahr ein Legislativvorschlag zur Einrichtung einer „Europäischen Arbeitsmarktbehörde“ vorgelegt werden. Die EU-Kommission begründet ihre Vorschläge damit, dass 16 Millionen EU-Bürger heute in einem Mitgliedsstaat arbeiten, dessen Staatsangehörigkeit sie nicht besitzen. Und 1,7 Millionen  Menschen pendeln täglich in ein anderes EU-Land. Mit der neuen EU-Behörde will Brüssel sicherstellen, dass EU-Vorschriften zur Arbeitskräftemobilität überall in der Union wie gewünscht umgesetzt werden.

Welche Befugnisse diese neue Behörde bekommen soll, ist bislang noch vollkommen offen. Denkbar ist, dass sie die nationalen Arbeitsmarktbehörden bei der Umsetzung des EU-Rechts nur unterstützen soll. Sie könnte aber auch die  Befugnis erhalten, Verwaltungsvorschriften für die nationalen Behörden zu erlassen. Voraussichtlich wird die neue Behörde anfangs nur ein schwaches Mandat erhalten. „Wenn man diesen Pflock allerdings erst einmal eingeschlagen hat, ist nicht auszuschließen, dass der Behörde zukünftig weitere Aufgaben übertragen werden“, warnt Urs Pötsch vom Centrum für Europäische Politik (CEP).

Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) sieht die Pläne für eine EU-Arbeitsmarktbehörde äußerst kritisch. Sie dürfte kein Vehikel „für eine Verlagerung sozialpolitischer Kompetenzen zur EU sein“.  Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer lehnt eine solche Behörde rundweg ab: „Es ist weder möglich noch notwendig, dass eine EU-Zentralbehörde all das leistet, was in der Verantwortung der einzelnen Länder liegt.“ Die Staaten Europas kontrollierten die Arbeitsbedingungen auf ganz unterschiedliche Weisen, die nicht vereinheitlicht werden könnten,  unterstrich Kramer. „Das ist gelebte europäische Vielfalt, auf die wir zu recht stolz sind.“

Ein gewichtiges Feld für die neue EU-Behörde wird die Überwachung der Einhaltung der Entsenderichtlinie sein, die auf Druck der französischen Regierung erheblich verschärft werden soll. Zukünftig sollen entsandte Arbeitnehmer den am Einsatzort üblichen Lohn erhalten. Darüber hinaus propagieren Juncker und Macron  die Einführung und Harmonisierung von „angemessenen“ Mindestlöhnen in allen EU-Staaten. Spätestens nach zwei Jahren sollen zudem sämtliche Arbeitnehmerrechte und der volle Sozialversicherungsschutz gelten.

Solche  Vorhaben stoßen in der deutschen Wirtschaft auf massiven Widerstand. Die geplanten Verschärfungen würden nach Meinung des BDA „im Bereich der Arbeitnehmerentsendung faktisch wieder nationale Grenzen innerhalb der EU schaffen und die Erbringung von Dienstleistungen in der EU erschweren“. Der Präsident der Familienunternehmer, Reinhold von Eben-Worlée klagt: „Egal, ob EU-Arbeitsbehörde, EU-Arbeitslosenversicherung oder ein EU-weiter Mindestlohn – die Tendenz ist klar: Das, was bisher im Bereich der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik nationalstaatlich geregelt war, soll zunehmend dem Zugriff der europäischen Ebene ausgesetzt werden“.

Und der Generalsekretär des CDU-Wirtschaftsrats, Wolfgang Steiger, warnt vor der Gefahr, dass über europäische Arbeitsmarktprogramme ein weiterer Umverteilungsmechanismus geschaffen würde. „Hoher Kündigungsschutz, umfassende Arbeitnehmerrechte und gesetzliche Mindestlöhne sind schon für saturierte Volkswirtschaften wie die französische schädlich. Für Länder wie die osteuropäischen, die eigentlich aufholen wollen und dafür Flexibilität brauchen, wären sie eine Katastrophe.“


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