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Europäische Krisen : Schäubles Grexit-Papier
15.07.2015 21:25 (4071 x gelesen)

Schäubles Grexit-Papier

Am Morgen des 13. Juli 2015 meldete der belgische Ministerpräsident über Twitter: „Agreement“. Die Staats- und Regierungschefs der Euro-Zone hatten sich in einer Marathon-Sitzung über die Eckpunkte eines dritten Hilfspakets für Griechenland geeinigt. Der Deutsche Bundestag stimmte den Ergebnissen des Gipfeltreffens zu, so dass der Weg für konkrete Vertragsverhandlungen frei war. Voraussetzung für die Zustimmung des Bundestages war aber die Beteiligung des IWF an dem Hilfspaket für Griechenland. 

Im Ergebnis verständigten sich die Euro-Länder darauf, dass der Rettungsfonds ESM den Griechen weitere Finanzhilfen über insgesamt 90 Milliarden Euro zur Verfügung stellen wird, um den Staatskonkurs abzuwenden. Etwa 54 Milliarden Euro wurden benötigt, um die Tilgungs- und Zinsverpflichtungen gegenüber der EZB und dem IWF in den nächsten drei Jahren zu erfüllen. Hinzu kamen 25 Milliarden Euro, mit denen die griechischen Banken vor dem Zusammenbruch geschützt werden sollten. Mit weiteren 11 Milliarden Euro sollte der griechische Staat seine offenen Rechnungen, die Löhne und Renten bezahlen.

 Grexit oder drittes Hilfspaket

Im Endstadium der Verhandlungen ließ die EU-Kommission ein Papier des Bundesfinanzministeriums durchsickern, in dem ein vorübergehender Austritt Griechenlands aus dem Euroraum zur Debatte gestellt wurde:

„In dem Fall, dass Griechenland ein tragfähiges Schuldenniveau und eine glaubhafte Perspektive zur Umsetzung nicht im Vorfeld sicherstellen kann, sollten dem Land zügige Verhandlungen über eine Auszeit aus der Eurozone angeboten werden. Dies könnte mit einer möglichen Neustrukturierung der Schulden geschehen, wenn nötig in einem Format des Pariser Clubs von mindestens fünf Jahren. Nur dieser Weg vorwärts würde eine ausreichende Schuldenrestrukturierung erlauben, die mit einer Mitgliedschaft in der Währungsunion nicht vereinbar wäre.“

Nach Bekanntwerden dieses Papiers war Wolfgang Schäuble im Urteil fast aller europäischen Medien derjenige, der Griechenland aus dem Euroraum werfen wollte. Dabei blieb der Öffentlichkeit verborgen, dass es auf dem Eurogruppen-Treffen am 11. Juli eine satte Mehrheit von 15 der 19 Euro-Finanzminister gab, die hinter dem Vorschlag eines temporären Grexit standen. Auch die Direktorin des Internationalen Währungsfonds, Christine Lagarde, war für einen Grexit. Sie stand unter dem Druck der amerikanischen Regierung.

Die europäischen Staats- und Regierungschefs entschieden jedoch anders und beschlossen ein drittes Hilfspaket für Griechenland von bis zu 86 Milliarden Euro. Über die Hintergründe dieser Entscheidung berichteten Journalisten von "Le Monde", dass der französische Präsident Francois Hollande einen Anruf von Wladimir Putin erhalten hatte: "Griechenland hat uns gefragt, ob wir die Drachme in Russland drucken können, denn sie haben keine eigene Druckerei mehr", berichtete der russische Präsident. Hollande telefonierte daraufhin mit dem griechischen Premierminister Alexis Tsipras, um ihn umzustimmen. Er versprach ihm, sich für den Verbleib Griechenlands im Euro-Raum einzusetzen. "Bitte den OECD-Generalsekretär, Dir einen Bericht über das Wachstum und die Wettbewerbsfähigkeit Griechenlands machen zu lassen. Das erhöht Deine Glaubwürdigkeit", riet er Tsipras.

Mit der Entscheidung der Staats- und Regierungschefs auf dem Krisengipfel erledigte sich der Vorschlag eines temporären Grexit mit Schuldenschnitt. Es blieb bei der bisherigen Rettungsstrategie, wonach  Finanzhilfen nur gegen Spar- und Reformauflagen gewährt werden. Die linke griechische Regierung unter Alexis Tsipras lehnte dies zwar kategorisch ab und hatte sich diese Haltung durch ein Volksreferendum bestätigen lassen. Angesichts der drohenden Zahlungsunfähigkeit seines Landes besann sie sich aber anders und akzeptierte folgendes  Auflagenpaket:

  • Bevor die Verhandlungen beginnen konnten, musste das griechische Parlament die aus den früheren Programmen noch offenen Reformgesetze beschließen. Dazu gehörten die Angleichung der Mehrwertsteuersätze, Teile einer Rentenreform und die Umsetzung des EU-Fiskalpaktes. Dieser sollte dahin ergänzt werden, dass die griechischen Staatsausgaben automatisch gekürzt werden, wenn Athen die vereinbarten Defizitziele verfehlt.
  • Ferner musste das Parlament die EU-Bankenabwicklungsrichtlinie und die geplante Modernisierung des Zivilrechts beschließen. Die Regierung musste außerdem Zeitpläne für die Rentenreform sowie für die Öffnung von Arbeits- und Gütermärkten vorlegen. Ferner war eine Verwaltungsreform vorgesehen, deren Ziel es sein sollte, die griechische Verwaltung dem Einfluss der politischen Parteien zu entziehen. 
  •  Es wurde ein Treuhandfonds gebildet, über den griechisches Staatsvermögen privatisiert werden sollte. Der Fonds sollte Vermögenswerte von etwa 50 Milliarden Euro realisieren, die hälftig zur Schuldentilgung und für Investitionen genutzt werden sollten. Nach den Erfahrungen mit den früheren Privatisierungsplänen waren solche Pläne aber illusorisch.
  •  Der IWF blieb als Kreditgeber und Kontrolleur an Bord. Die drei Institutionen (EU-Kommission, EZB und IWF) sollten die Reformfortschritte überwachen. Einen Schuldenschnitt im Sinne eines „hair cut“ schlossen die Staats- und Regierungschefs aus.

Angela Merkel rechtfertigte die Ergebnisse des Euro-Gipfels damit, dass „die Vorteile die Nachteile überwiegen“. Politisch war diese Aussage möglicherweise sogar zutreffend. Mit dem dritten Hilfspaket hielten die Euro-Retter die Illusion aufrecht, dass die bisherige Rettungsstrategie nicht gescheitert war und die geflossenen Finanzhilfen nicht verloren waren. Griechenlands Zahlungsfähigkeit war für drei Jahre gesichert, so dass das Land auch weiterhin von der EZB und dem IWF finanziert werden kann. Und das Wichtigste: Die geostrategische Lage Griechenland machte es notwendig, sich mit diesem Land in der Flüchtlingskrise nicht zu überwerfen. 

"Neoliberale Austeritätspolitik"

Angela Merkel ließ aber die Frage offen, ob die mit dem Hilfspaket verbundenen Spar- und Reformauflagen einen wesentlichen Beitrag zur Verbesserung der wirtschaftlichen und sozialen Lage in Griechenland leisten können. In großen Teilen der griechischen Öffentlichkeit stoßen diese Auflagen, die als "neoliberale Austeritätspolitik" gebrandmarkt werden, auf heftigen Widerstand. Man verweist darauf, dass schon die ersten zwei Rettungspakete keine Besserung gebracht, sondern  die griechische Wirtschaft in eine noch tiefere Rezession mit immer höherer Arbeitslosigkeit und Massenarmut gestürzt haben. Von dem dritten Hilfspaket erwartet man nicht anderes. Schon dieser Widerstand lässt befürchten, dass die Euro-Retter bei der Umsetzung der Auflagen nur wenige Verbündete in Griechenland finden werden.

Darüber hinaus gibt es in Griechenland besondere strukturelle Probleme, die der Umsetzung einer konsequenten marktwirtschaftlich orientierten Reformpolitik im Wege stehen. Hierzu gehören das Klientelsystem und die Korruption, die den Staat und die Parteien sowie weite Teile der Wirtschaft und der Gesellschaft beherrschen. Der wesentliche Grund für das Scheitern der bisherigen Rettungspolitik liegt darin, dass die politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Realitäten in Griechenland falsch eingeschätzt wurden. Das Land will zwar im Euro bleiben, ist aber nicht bereit und in der Lage, die dafür notwendigen Voraussetzungen zu schaffen. Das von Ministerpräsident Alexis Tsipras durchgeführte Referendum, mit dem sich über 60 Prozent der Befragten gegen die Spar- und Reformauflagen ausgesprochen haben, ist dafür eine erneute Bestätigung.

Diese Einstellung erklärt auch das unterschiedlich Verhalten der Griechen während und nach den EU-Gipfeltreffen. In den Verhandlungen über die Rettungsmaßnahmen akzeptierten sie die von den Gläubigern geforderten Spar- und Reformauflagen, weil ansonsten der Staatsbankrott drohte. Nach der Bewilligung der Finanzhilfen war es jedoch das vordringliche Ziel aller griechischen Regierungen,  die Umsetzung der Auflagen zu verzögern, zu verwässern  oder zu verweigern. Die linke Regierung Alexis Tsipras ist davon keine Ausnahme, eher wird er den Reformauflagen noch mehr Steine in den Weg legen. Seine abschließende Erklärung war vielsagend: "Ich übernehme die Verantwortung für einen Text, an den ich nicht glaube, aber den ich unterzeichnet habe, um ein Desaster für das Land zu vermeiden, den Kollaps der Banken."

Der mit der griechischen  Regierung vereinbarte Zeitplan für die Umsetzung der vereinbarten Spar- und Reformauflagen  wurde nie erfüllt. Aus Athen wurden der Troika zwar etliche neue Ideen, aber keine konkreten Beschlüsse übermittelt. Dazu sagte eine Athener Chefredakteur: "Für die Regierung besteht die Priorität darin, dass sie auch in Zukunft von ihren Wählern nicht mit faulen Tomaten beworfen wird." Die Differenzen betrafen insbesondere die Rentenreform: Die Gläubiger erwarteten eine graduelle Abschaffung von Zusatzrenten, die Einführung einer Rentenobergrenze und eine Beitragserhöhung. Außerdem war man sich nicht einig, wie das Haushaltsziel erreicht werden sollte: Während die Gläubiger auf Ausgabenkürzungen bestanden, wollte die griechische Regierung die Steuern erhöhen.

Griechenland wird so lange gerettet werden müssen, wie es Euromitglied ist. Das Land wird seine Schulden nie zurückzahlen, weil es dazu wirtschaftlich nicht in der Lage ist. Was Griechenland dringend braucht, sind Investitionen von privaten Unternehmen. Denn Griechenlands Produktionskapazitäten sind durch unterlassene Investitionen, wegen Unternehmenspleiten und dem Wegzug von Unternehmen dramatisch geschrumpft. Verglichen mit 2007 lagen die Anlageinvestitionen im Jahr 2015 um zwei Drittel niedriger.

Die Regierung Alexis Tsipras kann und will dieses Problem nicht lösen. Wegen der extrem linken, teil orthodox kommunistischen Ideologie sind private Unternehmer für die Regierungspartei Syriza mehr Feinde als Partner. Mit diesen Voraussetzungen besteht wenig Hoffnung, dass Griechenland ausländische Investoren locken könnte, um die riesige Investitionslücke zu schließen, zumal die Regierung auch den Weg der Privatisierung nur unwillig beschreitet.

Der Streit zwischen der EU und dem IWF

Die Verhandlungen der Troika mit der griechischen Regierung wurden zudem durch den internen Streit der Gläubiger über die Notwendigkeit eines Schuldenerlasses belastet. Der IWF hatte "Schuldenerleichterungen" zur Vorbedingung für ein neues eigenes Kreditprogramm gemacht, um angesichts der Schuldenquote von 177 Prozent des BIP die Schuldentragfähigkeit des Landes wiederherzustellen. Demgegenüber war die EU-Kommission der Auffassung, dass das Ziel eines Primärüberschusses von 3,5 Prozent des BIP schon mit den vereinbarten Spar- und Reformauflagen zu erreichen sei. Der Streit eskalierte, als die EU-Finanzminister Ende Mai 2016 über die Auszahlung von 10,3 Milliarden Euro an Griechenland aus dem dritten Programm zu entscheiden hatten.

Diese Auseinandersetzung hatte grundsätzliche Bedeutung, weil die deutsche Regierung, die die Position der EU-Kommission unterstützte, ihre Zustimmung zum Finanzpaket für Griechenland davon abhängig gemacht hatte, dass der IWF im Boot blieb. "Ohne den IWF wird es auch kein Programm geben", sagte Wolfgang Schäuble vor den Gesprächen in Brüssel. Gleichzeitig warnte er davor, Griechenland mit Maßnahmen entgegenzukommen, die einem Schuldenverzicht gleichkämen. Vor allem in der CDU/CSU-Fraktion war die Furcht groß, Griechenland könnten im großen Umfang Schulden erlassen werden.

Der IWF hatte im Vorfeld der Verhandlungen in Brüssel ein Papier in Umlauf gebracht, in dem der Fonds schonungslos mit der Rettungspolitik für Griechenland abrechnet. Die Hauptbotschaft: Angesichts des schleppenden Reformtempos und des niedrigen Wachstums werde Griechenland den Schuldenberg nicht abtragen können. Er könne bis ins Jahr 2060 sogar auf 260 Prozent der Wirtschaftsleistung ansteigen. Der IWF forderte die Europäer deshalb auf, die Sparziele für Griechenland nach unten zu korrigieren und die Schuldenlast für das Land zu reduzieren.

Am Ende der Verhandlungen war der IWF (angeblich) bereit, sich ohne verbindliche Schuldenerleichterungen an dem dritten Rettungsprogramm zu beteiligen. Die Euro-Finanzminister mussten  jedoch anerkennen, dass die griechischen Schulden nicht mehr tragfähig sind, und dem IWF die Zusage geben, im Jahr 2018 weitreichende Schuldenmaßnahmen für Griechenland in Kraft zu setzen. Die Europäer haben also nur erreicht, dass sie nicht sofort handeln müssen.

In Berlin wurde das Ergebnis mit Erleichterung zur Kenntnis genommen. Wichtig war der Bundesregierung vor allem, dass nicht vor der Bundestagswahl 2018 Maßnahmen beschlossen werden, die einem Schuldenschnitt gleichkommen. "Dann können die Le Pens dieser Welt sagen: Diese Politiker wollen uns für dumm verkaufen", räumte Wolfgang Schäuble freimütig ein. Für den Ökonomen Clemens Fuest ist jedoch klar, dass Deutschland einen Teil seiner Rettungshilfen abschreiben muss. "Das ist nicht so beschlossen, aber darauf wird es wohl hinauslaufen."

Der Streit mit dem IWF brach erneut aus, als im Herbst 2016 über die Auszahlung einer Tranche von 2,8 Milliarden Euro zu entscheiden war. Intern hatte der IWF hat längst erkannt, dass sein Engagement für Griechenland ein großer Fehler gewesen war. Das Gutachten eines unabhängigen Evaluierungsbüros war zu dem Ergebnis gekommen, dass der IWF die Perspektiven für Griechenland als viel zu rosig angesehen hatte, interne Entscheidungsprozeduren verletzt worden waren und dadurch die Reputation des IWF als unabhängiger Krisenmanager gelitten hatte. Nach Einschätzung  der Experten durften Griechenland keine weiteren Kredite gegeben werden, weil die Staatschulden nicht tragfähig waren. Christine Lagarde rechtfertigte solches Verhalten ihrer Mitarbeiter damit, dass Griechenland ein Sonderfall gewesen sei. Ziel des Landes und der Mitglieder der Eurozone sei es gewesen, das Land in der Eurozone zu halten.

Die finanzielle Beteiligung des IWF am dritten Hilfspaket für Griechenland wurde dadurch immer unwahrscheinlicher. Die wirtschaftliche Lage des Landes war weiterhin schlecht und die griechische Regierung zeigte sich nicht bereit, die vereinbarten Reformen zügig umzusetzen. Außerdem waren der IWF und die europäischen Gläubiger über das widersprüchliche Verhalten von Wolfgang Schäuble irritiert: Einerseits beharrte er auf einer IWF-Beteiligung, wie es der Bundestag verlangt hatte. Andererseits war er aber nicht bereit, auf die Forderungen des Fonds nach einem Schuldenschnitt einzugehen, weil er den Bundeshaushalt nicht belasten wollte. Den europäischen Gläubigern blieb deshalb nur die Wahl, die Tranche über 2,8 Milliarden Euro ohne Beteiligung des IWF an Griechenland auszuzahlen.

Im Juli 2017 benötigte Griechenland bereits die nächste Tranche aus dem dritten Hilfspaket (von bis zu 86 Milliarden Euro), um Schulden in Höhe von 7 Milliarden Euro gegenüber der EZB zurückzuzahlen. Als die dazu erforderlichen "Diskussionen auf technischer Ebene" stockten, weil der IWF weiterhin auf einen Schuldennachlass der Gläubiger oder weitere Sparmaßnahmen von Griechenland bestand, die Gläubiger und Griechenland dazu aber nicht bereit waren, warnte der griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras den IWF und Wolfgang Schäuble davor, weiter "mit dem Feuer zu spielen".

Wolfgang Schäuble versuchte mittels Taktieren, die umstrittene Milliardenhilfe vor der Bundestagswahl so auf den Weg zu bringen, dass sie keinen Schaden anrichtete. Den vom Bundestag beschlossenen Regeln zufolge durfte es weiteres Geld für Griechenland nur geben, wenn das Land die festgesetzten Reformen durchführt  und sich der IWF daran als Kreditgeber beteiligt. Keine dieser Bedingungen war erfüllt. Zur Reformbereitschaft der griechischen Linksregierung sagte der Athener Wirtschaftsprofessor George Bitros: "Diese Regierung wird sich nicht um ihre Reformverpflichtungen kümmern ... Von den geforderten Strukturreformen sind nur wenige umgesetzt worden. Was vom Parlament beschlossen wurde, blieb nur auf dem Papiere."  Außerdem hatte der IWF festgelegt, dass er sich finanziell an dem Hilfspaket nur beteiligt, wenn die EU-Länder einen Schuldenschnitt durchführen, wozu Wolgang Schäuble nicht bereit war. Das Geld durfte also nach den selbst gesetzten Regeln nicht ausgezahlt werden.

Gleichwohl billigte der Haushaltsausschuss des Bundestages in nichtöffentlicher Sitzung die Auszahlung von 8.5 Mrd. Euro aus dem Euro-Rettungsfonds ESM. Wolfgang Schäuble und Angela Merkel wollten das Thema rechtzeitig vor der Bundestagswahl beerdigen. Der offizielle Kommentar der griechischen Regierung lautete: "Griechenland hat erhalten, was es wollte." 

Im Mai 2018 deutete sich zudem an, dass das Hilfsprogramm für Griechenland im Sommer ohne finanzielle Beteiligung des Internationalen Währungsfonds (IWF) enden wird. Der Bundestag hatte dem dritten Griechenland-Programm, das allein aus Mitteln des Euro-Krisenfonds ESM finanziert wurde, im Sommer 2015 unter der Bedingung zugestimmt, dass der IWF auch finanziell an Bord bleibt. Führende Unionspolitiker sprachen sich nun dafür aus, auf eine weitere Mitwirkung des IWF zu verzichten, weil man sich über die Höhe eines Forderungsverzichts für Griechenland nicht einigen konnte. 

Um Griechenland den Ausstieg aus dem Hilfsprogramm zu ermöglichen, wurden in Berlin verschiedene Wege für die Senkung der Schuldenlast diskutiert: Erstens ein Rückkauf von hochverzinslichen IWF-Krediten, zweitens ein Transfer der EZB-Gewinne mit griechischen Papieren, drittens eine Minderung der Zinsen aus dem früheren Hilfsprogramm, viertens eine Verlängerung der stundungsfreien Zeit und der gesamten Laufzeit der Hilfskredite. Diese zusätzlichen Lasten soll der ESM ohne Beteiligung des IWF übernehmen.  

Der Statistikskandal:

Der erste Statistikskandal bestand bekanntlich darin, dass sich Athen mit gefälschten Haushaltsdaten den Zugang zur Währungsunion erschwindelte und die Finanzmärkte mit falschen Zahlen in Sicherheit wog, ohne dass dies je geahndet worden wäre. Der zweite Skandal besteht darin, dass der ehemalige Chef des griechischen Statistikamtes Andreas Georgiou zu einer Gefängnisstrafe von zwei Jahren verurteilt wurde, weil er sich geweigert hatte, über die endgültige Zahl des griechischen Haushaltsdefizits für 2009 den Verwaltungsrat des griechischen Statistikamts „abstimmen“, zu lassen. Nach Ansicht der griechischen Richter durfte der Chefstatistiker nur solche Haushaltszahlen nennen, die im Verwaltungsrat des Statistikamtes im Rahmen politischer Kungelei beschlossen wurden.

Das Urteil und die Umstände des Gerichtsverfahrens haben für äußerstes Befremden gesorgt. Als Zeugen in Athen anwesende Mitarbeiter des EU-Statistikamtes berichteten: „Ich hätte niemals gedacht, dass solcherlei ´Verhandlungen´ in einem demokratischen EU-Land möglich sind.“ Es habe „eine schrecklich feindliche Atmosphäre“ geherrscht. Sie seien aufgefordert worden, „nach Hause zu gehen und mit Schimpfworten bedacht“ worden. „Es war vollkommen klar, dass niemand unseren Erklärungen zugehört hat.“ Auch der Richter habe es ihnen verwehrt, darzulegen, dass die von Andreas Georgiou übermittelten Haushaltszahlen korrekt gewesen seien. 

Wenn Griechenlands Statistiker nicht unabhängig sein dürfen, müssen die EU-Finanzminister konsequent handeln: Daten aus Athen darf nicht mehr geglaubt werden, vor allem dann nicht, wenn sie die Grundlage sind für Milliardenüberweisungen nach Griechenland. Die mit der Rettung Griechenlands beschäftigten Europäer haben bisher weder die Fälscher noch die Mitwisser bei der Fälschung griechischer Finanzdaten zur Rechenschaft gezogen. Allerdings haben einige mutige Bundestagsabgeordnete, darunter Klaus-Peter Willsch (CDU), die Hexenjagd gegen Giorgiou verurteilt. Und rund tausend internationale Statistiker und Ökonomen haben einen Aufruf zur Unterstützung von Giorgiou unterschrieben. 

"Leider wurde beim früheren Bau und der jüngsten Rettung der EWU gelogen, Verträge verletzt und Recht umgangen oder gebrochen. Nur wenige Menschen haben der Öffentlichkeit reinen Wein eingeschenkt, wenn es darauf ankam. Giorgiou ist einer dieser wenigen. Statt verfolgt sollte er für seinen Mut zur Wahrheit geehrt werden", schreibt Thomas Mayer in der FAS vom 18. Februar 2018 und schlug ihn bei dem dafür zuständigen Auswärtigen Amt für die Verleihung eines deutschen Verdienstordens vor. Ich habe mich dem angeschlossen.  

Die Mogelpackung:

Skandalös ist auch der Umgang  Griechenlands mit seinen privaten Gläubigern. Anfang November 2017 erhielten sie vom griechischen Finanzministerium das Angebot, ihre relativ kleinteiligen Staatspapiere in größere Tranchen zu tauschen, um die Handelbarkeit zu verbessern. Die Aktion geht auf den Schuldenschnitt im Jahr 2012 zurück, als die damaligen Halter griechischer Staatsanleihen ihre Papiere im Rahmen der Restrukturierung der griechischen Staatsschulden gegen neue kleinteilige Staatsanleihen eintauschen mussten. Darauf bezieht sich das erneute Tauschangebot, bei dem es sich um ein Anleihevolumen von 30 Milliarden Euro handelt. Die meisten Gläubiger haben das Angebot inzwischen angenommen.

In Wahrheit war die Offerte des griechischen Finanzministeriums jedoch eine Mogelpackung. Athen verschwieg, dass bei den neuen Schuldtiteln wichtige Gläubigerschutzklauseln aufgeweicht wurden. Abgeschwächt wurde die sogenannte Pari-Passu-Klausel, die sicherstellt, dass die Gläubiger der Anleihen mit anderen gleichgestellt werden. Die Negativklausel wurde ganz gestrichen, so dass Athen künftig neuen Gläubigern besondere Sicherheiten einräumen kann, ohne diese auch den Alt-Gläubigern geben zu müssen. Doch viele Investoren hielt das nicht von einem Umtausch ab.

Griechenland hat die Hoffnung, dauerhaft an den Kapitalmarkt zurückzukehren und sich über Staatsanleihen zu finanzieren, statt ein weiteres Hilfsprogramm der Troika in Anspruch zu nehmen. Dem Finanzdienst Bloomberg zufolge plant die Regierung den Verkauf von Papieren im Volumen von 15 Milliarden Euro. Offensichtlich steht die Umtauschaktion mit solchen Plänen in Verbindung: Die Alt-Gläubiger sollen nicht indirekt über Gläubigerschutzklauseln von den Konditionen profitieren, die den Investoren bei neuen Staatsanleihen gewährt werden müssen. Es bleibt abzuwarten, wie die Kapitalmärkte auf solche Tricks reagieren. Denn auch die neuen Anleger werden eines Tages zu Alt-Gläubigern.

Auslaufen des Hilfsprogramms

Das dritte internationale Hilfspaket für Griechenland wird nach acht Jahren im August 2018 auslaufen. Insgesamt hat das Land 284 Milliarden Euro an vergünstigten Krediten erhalten. Griechenlands Premier Alexis Tsipras hat angekündigt, kein neues Hilfsprogramm der Euro-Staaten in Anspruch nehmen zu wollen, um sich von den ungeliebten Kontrollen der Geberländer zu befreien. Der Staat soll sich zukünftig wieder am Kapitalmarkt finanzieren. Dazu müssen die Griechen wieder Vertrauen bei privaten ausländischen Kapitalgebern finden.

In einem umfangreichen Papier verspricht Alexis Tsipras den  möglichen Investoren tiefgreifende Reformen im Finanz- und Energiesektor. „Priorität hat jetzt die gleichzeitige Reduzierung notleidender Kredite  in den Bankbilanzen, der Abbau der immer noch vorhandenen Kapitalverkehrskontrollen und die Verbesserung der Unternehmensführung im Bankensektor“, heißt es in dem Papier. Die Frage ist jedoch, wie überzeugend die angekündigten Maßnahmen bei potenziellen Investoren ankommen. Denn Reformzusagen hat die griechische Regierung immer wieder gemacht, aber davon nur wenig umgesetzt.

Der griechische Ökonom George Bitros ist deshalb skeptisch. Den tieferen Grund für die griechische Misere sieht er in einem „konfusen Staatssozialismus“, der 1975 mit einer neuen Verfassung begann, die zahlreiche verhängnisvolle Regeln enthielt: „Die Trennung der Staatsgewalten verschwamm noch mehr als früher, die politischen Parteien erhielten mehr Macht über die Staatsverwaltung, während wichtige Eigentumsrechte ausgehöhlt wurden, individuelle durch kollektive Tarifverhandlungen ersetzt wurden, die Macht und Privilegien der Gewerkschaften bis hin zur Steuerfinanzierung ausgedehnt wurden. Es gab zudem eine ganze Reihe sozialer Rechte, mit denen  die Bürger in der Praxis ihre Selbstbestimmungsrechte verloren und zur Klientel der Parteien herabsanken.“ Um die sich daraus ergebenden Missstände zu beseitigen, müssten die institutionellen Reformen  weit über das hinausgehen, was die Troika bisher gefordert hat, schreibt George Bitros in der FAZ vom 4. Mai 2018.

Nach den Verlautbarungen der EU-Kommission endet das dritte Hilfsprogramm für Griechenland am 20. August 2018. Griechenland soll dann finanziell "auf eigenen Beinen stehen", heißt es aus Brüssel. Zuvor haben die Geberländer nach zähen Verhandlungen erhebliche Schuldenerleichterungen gewährt: Die durchschnittlichen Laufzeiten eines Teils der Kredite werden um zehn Jahre verlängert (bis maximal zum Jahr 2056). Zinsen und Tilgungsraten werden um zehn Jahre bis Ende 2032 gestundet, ein Zinsaufschlag entfällt.

"Für Deutschland ist entscheidend: Einen Schuldenerlass oder Schuldenschnitt wird es für Griechenland nicht geben", sagte der haushaltspolitische Sprecher der Union, Eckhardt Rehberg, zu den Beschlüssen. Doch aus Sicht der FDP und AfD sind die Vereinbarungen genau das: ein versteckter Schuldenschnitt. "Die schuldenerleichternden Maßnahmen für Griechenland sind nichts anderes als ein viertes Hilfsprogramm", sagte der FDP-Haushaltspolitiker Otto Fricke. Es liege "der Schatten der Flüchtlingskrise über dem Hilfsprogramm für Griechenland". Dirk Meyer von der Helmut-Schmidt-Universität bezifferte den Wert der Schuldenerleichterungen auf 47 Milliarden Euro, wovon Deutschland etwa ein Viertel trägt.

Ökonomen sind überwiegend der Ansicht, dass die Bundesregierung - ohne es so zu nennen - tatsächlich einem weiteren Schuldenerlass zugestimmt hat. "Letztlich wirkt es wie ein Schuldenerlass", sagte Salomon Fiedler vom Institut für Weltwirtschaft in Kiel. So sieht es auch der Finanzwissenschaftler Friedrich Heinemann vom Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW): "Erste nennenswerte Tilgungen der EFSF-Forderungen sind nun erst für die 2040er und 2050er Jahre vereinbart, sie können aber jederzeit weiter gestreckt werden." Sein eindeutiges Urteil: "Aus kaufmännischer Perspektive müssten diese Kreditforderungen angesichts der geringen Bonität des Schuldners und der vielfältigen politischen und ökonomischen Risiken der kommenden Jahrzehnte weitgehend abgeschrieben werden."  

Verpasste Chance

Es war ein gravierender Fehler von Angela Merkel, statt eines temporären Austritts von Griechenland aus der Eurozone ein drittes Hilfspaket von bis zu 86 Milliarden Euro für Griechenland zu beschließen. Dies zeigt schon ein Blick auf die finanzielle Lage des Landes: Der derzeitige Schuldenstand liegt bei 326 Milliarden Euro, also rund 46 Milliarden Euro höher als nach dem letzten Schuldenschnitt Griechenlands 2012. Besserung dieses Zustandes ist weiterhin nicht in Sicht. Der Hinweis auf einen angeblich positiven Primärüberschuss von 5,3 Milliarden Euro im griechischen Staatshaushalt gehört zu den "fake news" der griechischen Regierung. Zieht man davon alle noch offenen Verbindlichkeiten ab, wird aus einem Plus ein Defizit von 1,6 Milliarden Euro.

Ernüchternd ist auch der Zustand der Wirtschaft in Griechenland. Seit 2008 hat Griechenland 45 Prozent seines Bruttoinlandsprodukt eingebüßt. Wie marode die Wirtschaft ist, zeigt zudem die Summe der notleidenden Kredite in den Büchern der Banken: Insgesamt sind 44,6 Prozent der Kredite faul. Laut OECD-Angabe beläuft sich der Anteil von sogenannten "Zombi-Unternehmen", also toten Unternehmen, die entweder aus dem Markt ausscheiden oder restrukturiert werden müssten, auf 28 Prozent. Der Hauptgrund für diese Entwicklung ist der Euro, der für Griechenland zu stark ist.

Eine abgewertete Drachme würde die griechische Wirtschaft über Nacht gegenüber dem Ausland  wettbewerbsfähiger machen. Gleichzeitig könnte die notwendige Schuldenrestrukturierung durchgeführt werden, die innerhalb des Euro-Gebietes nicht möglich ist. .Mit der Drachme als (Parallel-)Währung würde das Land nicht mehr den Regeln der Euro unterliegen und könnte selbständig über seine Geld- und Fiskalpolitik entscheiden. Dadurch würden sich auch die Chancen verbessern, dass Griechenland an den Kapitalmarkt zurückkehren kann. 

Ein temporärer Grexit würde Europa nicht schwächen, sondern die Euro-Zone nach innen und außen stärker machen. Er wäre insbesondere ein wesentlicher Beitrag, um die   Meinungsdifferenzen innerhalb der Euro-Zone beizulegen und die Spaltung der Euro-Zone zu verhindern. Denn Griechenland würde seine „Souveränität und Würde“ zurückbekommen, die es  nach Meinung seiner Regierung durch das „Diktat der Gläubiger“ verloren hat.

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