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Politische Reden : Politische Reden 1998 - 2005
23.03.2016 11:01 (3559 x gelesen)

Politische Reden 1998 - 2005

Der Inhaber dieser Website ist von 1998 bis 2013 in der Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung der CDU/CSU (MIT) auf Bundes- und Landesebene politisch aktiv gewesen. In dieser Zeit hat er sich in zahlreichen öffentlichen Reden zu aktuellen und grundsätzlichen Themen der Wirtschaftspolitik geäußert. In diesen Reden wird deutlich, wie sich das wirtschaftspolitische Denken und Handeln seit der Jahrtausendwende verändert hat. Soweit die behandelten Themen heute noch von Interesse sind, werden sie nachfolgend in kurzen Ausschnitten dargestellt.

Sozialdemokratie in Europa

(6. November 1998)

Ende der 70er Jahre verkündete Dahrendorf "das Ende des sozialdemokratischen Jahrhunderts". Die damaligen Wahlniederlagen der sozialdemokratischen Parteien in Europa (1982 in Deutschland) schienen den Befund zu bestätigen.

Am Ende dieses Jahrhunderts regieren in Deutschland und Europa wieder die Sozialdemokraten. In der Europäischen Union werden gegenwärtig elf Staaten, darunter die größten, Großbritannien, Frankreich, Deutschland und Italien, allein oder dominant von sozialdemokratischen Parteien regiert.

Was sind es für Sozialdemokraten, die in den 90er Jahren die Wahlen gewinnen? Welche politischen Konzepte haben sie und welche Wirtschaftspolitik werden sie betreiben?

Allen sozialdemokratischen Parteien ist gemeinsam, dass sie sich von alten sozialistischen Vorstellungen, wie die Verstaatlichung von Schlüsselindustrien, die planwirtschaftliche Steuerung der Unternehmen oder die radikale Umverteilung von Vermögen und Einkommen getrennt haben. Die Sozialdemokraten von heute wollen das Privateigentum nicht antasten und bejahen das marktwirtschaftliche System. Im Einzelnen gibt es aber erhebliche Unterschiede zwischen New Labour in Großbritannien, Frankreichs Sozialisten und der deutschen SPD.

Toni Blair stellt die Ergebnisse der Thatcher-Revolution grundsätzlich nicht in Frage: "Regierungen sollten in der heutigen Zeit nicht versuchen, die Wirtschaft zu lenken. Die Rolle der Regierung besteht heutzutage in dem Versuch, in Schlüsselgebieten wie Ausbildung, Technologie, Infrastruktur, Hilfe für Kleinunternehmen, die Wirtschaft und die Menschen auf Veränderungen vorzubereiten. Wir wollen nicht klüger sein als der Markt. Der Staat soll eher ein Katalysator sein."

Frankreichs Sozialisten unter Jospin haben ein anderes Konzept. Seit dem Wahlsieg der Sozialisten im Juni 1997 erlebt Frankreich eine Wiederbelebung der etatistischen Tradition des Landes. Während Blair den Markt entdeckt hat, setzen die Sozialisten in Frankreich auf den Staat. Für Blair ist die Globalisierung eine Chance, Jospin betont dagegen die darin liegenden Risiken für die Nationalstaaten und fordert, dass die Politik verloren gegangene Handlungsfähigkeit wiedergewinnen muss.

In der Mitte, wo auch sonst, sitzt die deutsche SPD. Dabei gibt es zwei Flügel, die durch Lafontaine auf der einen Seite und Schröder auf der anderen Seite personifiziert werden. Zu Schröder ist allerdings anzumerken, dass sein Konzept der "Neuen Mitte" nicht von ihm, sondern von Bodo Hombach stammt, der den Wahlkampf für Schröder nach Blair´schem Vorbild organisiert hat. Hombach: "Wir stehen vor der Entscheidung, ob wir Wegbereiter sein wollen für eine Politik der neuen Mitte, jenseits von Marktliberalismus und etatistischem Wohlfahrtsstaat. Der Staat ist keine Schutzanstalt gegen Bedrohungen, und er kann mehr, als den Niedergang verwalten. Er kann Brücken bauen und nicht bloß Krücken anbieten für jene, die sonst draußen bleiben. Wirtschaftlicher Erfolg und soziale Fairness schließen sich nicht aus, sondern bestärken sich."

Demgegenüber hat Lafontaine ein Politikverständnis, das dem der französischen Sozialisten nahe kommt. Sein Ausgangspunkt ist die Globalisierung der Wirtschaft, in der er eine Bedrohung der Nationalstaaten erkennt. Hieraus zieht er folgende Konsequenz: "Der globale Marktradikalismus ist eine Kampfansage an die Politik. Die Forderung nach einem internationalen Ordnungsrahmen ist deshalb zuallererst die Forderung, die Politik wieder in ihr Recht einzusetzen." Hierbei geht es Lafontaine in erster Linie um die Sicherung des "Europäischen Sozialmodells", wie es sich in Kontinentaleuropa etabliert hat, und um die Weiterentwicklung der Wirtschaft in Richtung "ökologischer Marktwirtschaft".

Die Wachstumsschwäche und Arbeitslosigkeit führt Lafontaine nicht auf Standortnachteile, sondern auf eine "Nachfrage-Lücke" zurück. Er und sein Berater, Heiner Flassbeck, diagnostizieren,  dass die europäische Binnennachfrage für ein arbeitsmarktförderndes Wachstum nicht ausreicht. Flassbeck: "Wir sind ganz nah dran an einer deflatorischen Situation". Die neue Bundesregierung läßt deshalb keinen Zweifel an ihrer Absicht, stärker als bisher vom Instrumentarium der Nachfragepolitik Gebrauch zu machen. Lafontaine schließt damit an die von den Regierungen Brandt/Schmidt in den 70er Jahren praktizierte Wirtschaftspolitik an, ohne allerdings deren Wirkungslosigkeit zu berücksichtigen.

Die ökologische Steuerreform ist für die Rot-Grüne-Regierung ein Patentrezept für mehr Beschäftigung und mehr Umweltschutz. Schröder hat hierzu in der Regierungserklärung angekündigt: "Deshalb steigen wir sofort in eine ökologische Steuer- und Abgabenreform ein. Wir wollen damit eine überfällige Kehrtwende: Natur und Energie als endliche und mithin knappe Güter werden über den Preis verteuert - um Arbeit, die reichlich vorhanden ist, billiger zu machen."  Hierzu sollen die Energiesteuern erhöht und die als Öko-Steuer bezeichneten Mehreinnahmen den Sozialversicherungen zufließen, damit die Sozialabgaben gesenkt werden können.

Der Start der Rot-Grünen-Regierung war chaotisch und widersprüchlich. Neben organisatorischen Mängeln ist der tiefere Grund in dem Richtungsstreit innerhalb der SPD zu suchen. Lafontaine hat seine wirtschaftspolitischen Vorstellungen weitgehend in dem Koalitionsvertrag mit den Grünen verankern können. Hombach hat sich demgegenüber mit der von Schröder abgegebenen Regierungserklärung durchsetzen können. Die Gegensätze werden allerdings offiziell geleugnet.

Krise der CDU - Reformpolitik der SPD

(2. Januar 2001)

Die wirtschaftliche Lage in Deutschland hat sich im Jahre 2000 weiter gebessert. Ende November 2000 wurden 3.645 Millionen registrierte Arbeitslose gezählt. Dies ist der niedrigste Stand seit 1995.

Der Euro kommt am 26. Oktober 2000 auf seinen bisherigen Tiefstand. Er ist nur noch $ 0,8252 wert. Seit dem 1. Dezember hat er wieder Auftrieb, nachdem schwache amerikanische Wachstumsraten bekannt geworden sind. Die Entwicklung des Euro-Kurses gibt im Übrigen den Skeptikern Recht, die der Meinung waren, dass der Euro nicht vor Vollendung der Europäischen Union, sondern danach eingeführt werden sollte.

Die Lage der Parteien in Deutschland hat sich 2000 gegenüber 1999 total verkehrt. Während das Jahr 2000 für die SPD und die Regierung gegenüber 1999 ein gutes Jahr gewesen ist, hat die CDU in 2000 gegenüber 1999 ein katastrophales Jahr hinter sich. Grund ist die Spenden- bzw. Schwarzgeldaffäre, die die CDU ins Mark getroffen hat und Anlaß für eine radikale Reinigungskur gewesen ist. Zur Erinnerung noch einmal folgende Fakten:

03.01: Die Bonner Staatsanwaltschaft eröffnet ein Ermittlungsverfahren gegen Helmut Kohl wegen des Verdachts der Untreue zum Nachteil seiner Partei.

10.01: In einer Fernsehsendung teilt der Parteivorsitzende Schäuble mit, er habe von dem Waffenhändler Schreiber eine Bargeldspende in Höhe von DM 100.000 entgegen genommen, die nicht als Spende verbucht worden sei.

14.01: Der frühere hessische CDU-Vorsitzende Manfred Kanther gesteht, im Jahr 1983 rund DM 8 Mio. der hessischen CDU in die Schweiz transferiert zu haben. Jüdische Vermächtnisse seien erfunden worden, um das Geld zurückholen zu können.

15.02: Bundestagspräsident Thierse (SPD) verlangt von der CDU die Rückzahlung von DM 41,3 Mio., weil im Rechenschaftsbericht für 1998 jenes Vermögen nicht aufgeführt war, das die hessische CDU ins Ausland verbracht hatte.

29.02: Die CDU/CSU- Bundestagsfraktion wählt Friedrich Merz zum Nachfolger Schäubles im Fraktionsvorsitz.

10.04: Auf dem Bundesparteitag in Hessen wird Angela Merkel zur neuen Vorsitzenden der CDU gewählt.

Für Bundeskanzler Schröder war das Jahr 2000 demgegenüber ein gutes Jahr. Am 9. Februar beschließt das Bundeskabinett das "Steuersenkungsgesetz" und bringt damit die bisher umfangreichste Reform der Einkommen- und Körperschaftsteuer in Deutschland auf den Weg. Der Entwurf sieht vor, dass der Körperschaftsteuersatz auf 25 % gesenkt wird. Gewinne aus dem Verkauf von Beteiligungen durch Kapitalgesellschaften sind steuerfrei. Bei der Einkommensteuer sinkt der Eingangssteuersatz auf 15 % und der Spitzensteusatz auf 42 %.

Union und FDP lehnen das Konzept ab, weil Kapitalgesellschaften gegenüber Personengesellschaften begünstigt werden. Sie geraten damit in Widerspruch zu den Wirtschaftsverbänden, die für die Reform werben. Der Bundesrat billigt die Steuerreform mit den Stimmen der unionsgeführten Länder. Die neue Unionsführung muss eine schwere politisch Niederlage eingestehen.

Am 25. September 2000 hat Riester den Regierungsfraktionen seine Gesetzentwürfe für das Rentenreformgesetz 2000 vorgelegt. Wesentliche Elemente sind der "Ausgleichsfaktor" zur allmählichen Kürzung der Rentenansprüche, die Drosselung der Beiträge und die Förderung der kapitalgedeckten Zusatzvorsorge (Riester-Rente). Gegen diese Reform organisierte die IG-Metall einen Aktionstag mit Demonstrationen in vielen deutschen Städten. Daraufhin erklärte Kanzler Schröder mit seinem  "Basta", dass man sich von den Gewerkschaftsprotesten nicht vom notwendigen Aufbau einer kapitalgedeckten Altersvorsorge abbringen lasse.

Auf dem Gebiet der Atompolitik und der Ökosteuer hat es Schröder mit grünen Zielen zu tun, die er als "Kröte" schlucken muss. Am 15. Juni 2000 einigen sich Bundesregierung und Stromwirtschaft auf ein "Ausstiegskonzept". Es sieht vor, dass die Kraftwerke ab Beginn 32 Jahre laufen dürfen. Bis zum Nutzungsende darf eine bestimmte Menge Strom aus Atomkraft erzeugt werden. Neue Kraftwerke werden nicht mehr genehmigt.

Deutschland hat sich damit "vorerst" aus der friedlichen Nutzung der Kernenergie verabschiedet. Insoweit hat auch die von Max Planck vor 100 Jahren eingeleitete Entwicklung der Physik einen Abschluss gefunden. Außerhalb des  "grünen" Lagers glaubt niemand, dass dies eine kluge Entscheidung gewesen ist.

Wirtschaft in der Krise

(9. November 2002)

Die Wirtschaft in Deutschland befindet sich in einer tiefen Krise. Das griechische Wort "krisis" beschreibt eine schwierige und gefährliche Situation, in der Entscheidungen erforderlich sind. Wir Deutschen neigen dazu, solche Entscheidungen hinauszuzögern; ganz im Sinne von Kurt Tucholsky: "Die Krise steht manchmal in den deutschen Zeitungen und wird bis Weihnachten vertagt." Dies ist nicht mehr möglich, weil wir in einen Teufelskreis geraten sind. Wir haben eine Stimmungs- und Vertrauenskrise, eine Konjunkturkrise und eine tiefgreifende Strukturkrise, die sich gegenseitig verstärken.

Von Ludwig Erhard wissen wir, dass Wirtschaft zu 50 Prozent Psychologie ist. Aus einer schlechten Lage entsteht eine schlechte Stimmung; diese wiederum verschlimmert die Lage. In dieser Wechselwirkung liegt ein erhebliches Risiko. Die Verbraucher sind verunsichert. Die Stimmung in den Unternehmen ist gedrückt. Hinzu kommt eine politische Vertrauenskrise. Die Leistungsträger sind von den Steuerplänen der rotgrünen Regierung enttäuscht. BILD schreibt dazu: "Jetzt nehmen sie uns richtig aus."

Aus der Stimmungskrise hat sich längst eine Konjunkturkrise entwickelt. Die Verbraucher halten sich bei den Konsumausgaben zurück. Die Unternehmen sind verunsichert und streichen Investitionen. Die Wirtschaft stagniert. Die öffentliche Hand kann nicht helfen, weil die Kassen leer sind. Für diese Krise ist nicht die Weltwirtschaft verantwortlich. Wir haben Exportüberschüsse, die unsere Wirtschaft stützen. Die derzeitige Konjunkturkrise ist eine hausgemachte Binnenkrise. Sie trifft den Mittelstand, weil er in besonderer Weise von den regionalen Märkten abhängig ist. Die Folgen sind bekannt: 40.000 Insolvenzen in diesem Jahr. Der Verlust von 500.000 Arbeitsplätzen im letzten Jahr.

Die Konjunkturkrise trifft den Mittelstand besonders hart, weil seine Widerstandskräfte durch eine längerfristige Strukturkrise bereits geschwächt ist. Die Erträge gehen seit Jahren zurück. Die Personalkosten steigen weiter an. Das Eigenkapital ist auf einen historischen Tiefpunkt gesunken. Unternehmerische Tätigkeit wird immer unrentabler.

Welche politischen Optionen hat der Wähler?

Das Programm der rotgrünen Regierung zur Rettung der Staatsfinanzen ist kein Reformprogramm, sondern ein unsystematisches Bündel von Maßnahmen zur kurzfristigen Sicherung der Zahlungsfähigkeit der öffentlichen Kassen. Damit wird keines der Probleme gelöst, unter der die deutsche Wirtschaft leidet. Wer bei der derzeitigen Baukonjunktur die Eigenheimförderung kürzt, vernichtet in der Bauwirtschaft weitere Arbeitsplätze. Wer die Preise durch Umsatz- und Verbrauchsteuern erhöht, verschärft die Krise des Einzelhandels. Wer die Unternehmenssteuern weiter nach oben schraubt, stoppt die Investitionstätigkeit. Wer die Sozialversicherungsbeiträge weiter steigen läßt, macht Arbeit noch teurer und produziert Arbeitslosigkeit. Wer dem staatlichen Gesundheitswesen mit planwirtschaftlichen Methoden Kostendämpfungsmaßnahmen verordnet, verhindert Wachstum auf einem zukunftsfähigen Gesundheitsmarkt. Wer mit einer neuen Wertzuwachssteuer privates Vermögen wegsteuert, trifft die private Altersvorsorge.

Hierauf muss man antworten: Wenn die Wirtschaft wachsen soll, brauchen wir mehr Arbeit, mehr Kapital und mehr Unternehmer. Dieses Potential ist vorhanden, wir machen aber keinen Gebrauch davon. Die politische Alternative muss deshalb heißen:  "Wir brauchen mehr Unternehmergeist und weniger Bürokratie, mehr Leistungsgerechtigkeit und weniger Umverteilung, mehr Privatinitiative und weniger Staatswirtschaft".

Wir haben in Deutschland 3.6 Millionen mittelständische Unternehmen, Landwirte, Handwerker, Selbständige und Gewerbetreibende, die in der Lage sind, zu investieren und für Beschäftigung zu sorgen. Warum setzen wir dieses Potential für die Lösung unserer Probleme nicht ein? In schwierigen Zeiten benötigen wir nicht mehr Bürokraten, sondern mehr Unternehmer, die innovativ denken und bereits im Vorgriff auf künftige Nachfrage investieren. 

Deutschland hat qualifizierte und leistungsfähige Mitarbeiter. Wir leisten uns aber seit Jahren einen Arbeitsmarkt, der nicht mehr funktioniert. Einerseits werden Arbeitskräfte gesucht, was an den offenen Stellen erkennbar ist. Andererseits sind bei den Arbeitsämtern über 4 Millionen Arbeitssuchende als arbeitslos gemeldet. Hinzu kommen 1,7 Millionen Personen, die dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung stehen, weil sie im zweiten Arbeitsmarkt geparkt werden.  Die Gründe für diese Funktionsstörung sind bekannt. Arbeit ist zu teuer und das Arbeitsrecht  muss flexibler werden. Praktisch geschieht aber nichts.

Wir sind eine reiche Nation. Unsere Unternehmen sind aber erstaunlicherweise unterkapitalisiert. Dies hat einen einfachen Grund. Privates Kapital findet nicht den Weg in die Unternehmen, weil sich die unternehmerische Tätigkeit nicht mehr lohnt. Die fehlende Ertragskraft der Unternehmen ist das Kernproblem der deutschen Wirtschaft, insbesondere des Mittelstandes. Wer wirtschaftliches Wachstum will, muss den Unternehmen die Möglichkeit geben, Erträge zu erwirtschaften und Kapital zu bilden. Ansonsten sind die Unternehmen nicht in der Lage, zu investieren und Arbeitsplätze zu schaffen.

Agenda 2010

(11. Januar 2004)

Das Schlüsselwort für das Jahr 2003 heißt "Reform". Bundeskanzler Gerhard Schröder verkündete am 14. März 2003 seine "Agenda 2010" mit dem Ziel, das Problem der Arbeitslosigkeit zu lösen und die Staatsfinanzen zu sichern. Zentrale Punke der Agenda sind Einschnitte in soziale Leistungsgesetze, die Flexibilisierung des Arbeitsmarktes und die Revitalisierung der Gewerbesteuer. Nach den Pannen mit dem Dosenpfand, der LKW-Maut und dem Steuersubventionsabbaugesetz wollte Schröder mit der Agenda 2010 die politische Handlungsinitiative zurückgewinnen. Dies ist ihm gelungen. Er zwang damit auch die Union, für ihre Positionen geschlossene Konzepte vorzulegen. Auf dem Leipziger Parteitag beschloss die Union die Gesundheitsprämie von Roman Herzog und die Vorschläge von Friedrich Merz zur Steuerpolitik.

Nachdem bekannt wurde, dass die Vermittlungsergebnisse in den Statistiken des Bundesamtes für Arbeit "getürkt" waren, begann eine heftige Debatte über die Sinnhaftigkeit dieses Amtes. Eine Einigung über ihre zukünftigen Aufgaben erfolgte erst im Vermittlungsausschuss. Die wesentlichen Punkte sind:

  • Aus den Arbeitsämtern werden "Agenturen für Arbeit". Zukünftig sollen Arbeitslose nicht verwaltet, sondern Arbeit vermittelt werden.
  • Der Bund übernimmt die finanzielle Verantwortung für alle "erwerbsfähigen" Arbeitslosen. Organisatorisch sind die Agenturen für Arbeit zuständig, es sei denn, die Kommunen fordern die Zuständigkeit für sich (Optionsmodell).
  • Die bisher von den Arbeitsämtern verwaltete Arbeitslosenhilfe und die kommunale Sozialhilfe werden zusammengelegt. Das neue Arbeitslosengeld II gibt es höchstens für 12 Monate.
  • Für Langzeitarbeitslose gilt künftig jede legale Arbeit als zumutbar, auch wenn sie unter Tarif liegt.  

Obgleich alle Parteien von der Notwendigkeit reden, dass der Arbeitsmarkt flexibilisiert werden muss, hat man sich nur auf ein Minimum einigen können. Der Kündigungsschutz gilt zukünftig erst in Betrieben mit mehr als zehn Beschäftigten. Und für die Sozialauswahl sind wieder die früheren Kriterien (Lebensalter, Betriebszugehörigkeit und Unterhaltspflichten) maßgeblich. Gesetzliche Öffnungsklauseln bei Tarifverträgen wird es nicht geben. Positiv sind die Anfang des Jahres eingeführten Mini-Jobs (bis 400 Euro) zu sehen. Schon Ende Juni 2003 gab es 930.000 solcher Jobs.

Flankiert werden diese Maßnahmen durch Kürzungen bei der Renten- und Krankenversicherung. Im Vermittlungsausschuss hat man sich auf ein Notprogramm zur Sicherung der Zahlungsfähigkeit dieser Einrichtungen geeinigt. Im Jahr 2004 wird es keine Rentenanpassung geben. Für Neurentner wird der Auszahlungstermin auf das Monatsende verschoben. Die Möglichkeiten der Frühverrentung werden eingeschränkt. Außerden sollen die Renten durch einen Nachhaltigkeitsfaktor an die demographische Entwicklung und die Zahl der Beitragszahler gekoppelt werden. Gleichzeitig soll schrittweise die nachgelagerte Besteuerung eingeführt werden.

In der Krankenversicherung ist die Entscheidung zwischen der von der Regierung geplanten Bürgerversicherung (Ausweitung der GKV auf Beamte und Freiberufler) und dem Prämienmodell (Abkoppelung der Beiträge vom Lohn) vertagt worden. Stattdessen haben sich die Gesundheitspolitiker der SPD (Schmidt) und der Union (Seehofer) auf die Sicherung des bestehenden Systems der GKV durch Leistungskürzungen und Zuzahlungen verständigt. Das angestrebte Ziel, die Beiträge und Lohnnebenkosten zu senken, um den Arbeitsmarkt zu entlasten, wird dabei nicht erreicht.

In der Steuerpolitik hat man sich im Vermittlungsausschuss dahin geeinigt, dass die in der vorigen Legislaturperiode beschlossene Steuerreform teilweise vorgezogen wird. Dadurch sinkt der Eingangssteuersatz auf 16 Prozent und der Spitzensteuersatz auf 45 Prozent. Die Finanzierung dieser Steuersenkung soll zu 30 Prozent über höhere Staatsschulden und zu 70 Prozent über den Abbau von Steuersubventionen erfolgen. Die Eigenheimzulage, die Pendlerpauschale und diverse Vergünstigungen aus der sog. Koch/Steinbrück-Liste sollen gekürzt werden. Außerdem soll die Unternehmensbesteuerung verschärft werden (Mindeststeuer, Gesellschafterfremdfinanzierung etc.). Einer Nettoentlastung von 600 Mio. Euro jährlich stehen dadurch jährliche Mehrbelastungen von 8 Mrd. Euro gegenüber. Zwei Drittel davon trägt die Wirtschaft. Eine Konjunkturbelebung wird deshalb von dieser Steuerreform nicht ausgehen.

Ziel der Bundesregierung ist es, die Gewerbesteuer im Sinne einer Gemeindewirtschaftsteuer zu revitalisieren. Danach sollen Freiberufler in die Steuerpflicht einbezogen und die Bemessungsgrundlage um Mieten, Pachten und Leasingraten  erweitert werden. Mit diesen Plänen, die von den Kommunalverbänden unterstützt werden, ist die Bundesregierung im Vermittlungsausschuss gescheitert. Aber auch das von der Wirtschaft präferierte Zuschlagsmodell, wonach die Gemeinden an der Einkommen- und Körperschaftsteuer mit einem eigenen Hebesatzrecht beteilig werden, läßt sich nicht realisieren, weil es von den Kommunalverbänden abgelehnt wird. Besser steht es allerdings um die Steueramnestie: Reuige Steuersünder können ihr Schwarzgeld nach Deutschland steuerfrei gegen eine Zahlung einer Steuer von 25 Prozent zurückbringen.

Steuervorschlag der CDU/CSU-Fraktion

(2. Juni 2004)

Das deutsche Steuerrecht ist deformiert und wird auch von Fachleuten nicht mehr übersehen. Das Steuerrecht besteht aus 118 gültigen Gesetzen und 87 Rechtsverordnungen. Dazu kommen die vielen Erlasse, Richtlinien, Urteile und Schreiben. Die Wissenschaft spricht von "voranschreitender Chaotisierung des Steuersystems". Mit der Kompliziertheit des Steuerrechts ist auch zwangsläufig dessen bürokratischer Aufwand gewachsen. 75 Prozent der Kosten des Vollzugs von Abgaben- und Steuergesetzen trägt die Privatwirtschaft. Zu den Reformen, mit denen die wirtschaftliche Krise überwunden werden soll, gehört deshalb auch die Steuerpolitik.  

Auch für Vorschläge zur Steuerreform gilt, dass Deutschland Weltmeister in der Produktion von Entwürfen, aber nur Kreisligist für deren Realisierung ist. Kirchhof und die FDP haben Gesetzentwürfe für ein neues Einkommensteuerrecht erarbeitet. Die CDU/CSU-Fraktion hat in den Bundestag einen Antrag mit Eckdaten zur Steuerreform eingebracht (Drucksache 15/2745). Aus dem Bundesfinanzministerium sind aber keine wesentlich neuen Vorschläge gekommen, nachdem es mit dem Steuervergünstigungsabbaugesetz gescheitert ist.

Der Reformvorschlag der CDU/CSU-Fraktion kombiniert den radikalen Merz-Vorschlag mit den konservativeren Vorstellungen aus Bayern. Er sieht folgendes vor:

  • Das Einkommensteuerrecht muss wieder verständlich werden. Laut Kirchhof sind "die Regeln hinter den vielen Ausnahmen und Gestaltungsvorbehalten kaum noch zu erkennen". Im Übrigen soll es aber bei der bekannten Systematik und Terminologie bleiben, um die Verständlichkeit zu fördern.
  • Die Besteuerung der Leistungsfähigkeit ist das Fundamentalprinzip der Einkommensteuer. Gegenstand der Besteuerung soll das Markteinkommen sein. Nicht am Markt erzielte Einkünfte, z.B. Lotteriegewinne oder Sozialtransfers, gehören nicht zu den steuerbaren Einkünften.
  • Die Steuererhebung soll vereinfacht werden, aber nicht durch den "Bierdeckel", sondern durch den Ausbau des Quellenabzugsverfahrens, der elektronischen Datenübermittlung etc..
  • Anstelle von sieben soll es künftig nur noch vier Einkunftsarten geben (Einkünfte aus unternehmerischer Tätigkeit, nichtselbständiger Arbeit, Kapitalvermögen und sonstige Einkünfte).
  • Die bestehenden Steuerbefreiungen, Freibeträge, Abzugsbeträge und Ermäßigungen sollen abgeschafft oder pauschaliert werden. Parallel dazu sollen die Steuersätze gesenkt werden, um eine Steuererhöhung zu vermeiden.
  • Zieltarif ist ein Stufentarif. Der Eingangssteuersatz soll 12 Prozent, der Spitzensteuersatz 36 Prozent betragen. Tarifhöhe und Tarifverlauf werden zur Vermeidung der "kalten Progression" jedes zweite Jahr inflationsbereinigt.

Das von der CDU/CSU-Fraktion vorgelegte Konzept ist der Versuch, die Forderung nach einer systematischen Vereinfachung des Einkommensteuerrechts mit den politischen Möglichkeiten, die sich insbesondere aus der Finanzierung der öffentlichen Haushalte ergeben, zu kombinieren. Radikalreformen, wie sie von Kirchhof vorgeschlagen werden, sind unrealistisch, wie auch der Anspruch von Kirchhof, weil "unsere Lebensverhältnisse komplexer und unduschsichtiger werden, muss das Recht einfacher werden". Das Steuerrecht muss zwar vereinfacht werden; es bleibt aber komplex, weil die Lebensverhältnisse und politischen Interessen so sind. 

Der Sachverständigenrat zur Lage der Wirtschaft

(2. Januar 2005)

Der Sachverständigenrat hat sein Herbstgutachten 2004 unter die Überschrift gestellt: "Erfolge im Ausland - Herausforderung im Inland". Die dreijährige Stagnationsphase (mit Null-Wachstum in 2002 und 2003) konnte 2004 überwunden werden. Der Sachverständigenrat schätzt das Wachstum 2004 auf 1,8 Prozent. Für 2005 werden 1,4 Prozent erwartet. Der Aufschwung wurde aber ausschließlich durch den Außenhandel getragen. Grund ist die wachsende Weltwirtschaft, insbesondere die Wirtschaftsentwicklung in China.

Der Konjunkturaufschwung hat keine binnenwirtschaftlichen Ursachen. Der private Konsum und die Ausrüstungsinvestitionen sind weiterhin schwach. Der Sachverständigenrat fasst dies wie folgt zusammen:  "Die deutsche Konjunktur hängt gegenwärtig am Tropf der Weltwirtschaft." Das Weltsozialprodukt ist von 1990 bis 2002 um 50 Prozent gewachsen. In der gleichen Zeit hat der Welthandel um 90 Prozent zugelegt; die internationalen Finanztransaktionen um 1.000 Prozent.

Nutznießer dieser Entwicklung sind die international tätigen Globalplayer und die exportorientierte Wirtschaft in Deutschland. Dazu gehören auch die "Hidden Champions", die mit innovativen Produkten weltweit auf sogenannten Nischenmärkten erfolgreich tätig sind. Das Nachsehen hat die an der Binnennachfrage hängende Wirtschaft, insbesondere der standortabhängige Mittelstand. Zu nennen ist der Einzelhandel, das Handwerk und die Bauwirtschaft. Aufgrund der gespaltenen Konjunktur driftet auch das Wirtschaftsklima immer weiter auseinander. Während sich das Geschäftsklima der international ausgerichteten Unternehmen verbessert, ist die Stimmung in der mittelständischen Wirtschaft nach einer Umfrage des Instituts für Wirtschaftsforschung (Ifo) deutlich schlechter geworden. Die dreißig international tätigen DAX-Unternehmen weisen für 2004 Rekordgewinne aus, insgesamt 62 Mrd. Euro. Nach einer Studie der Deutschen Bank entfallen gut 2/3 dieser Gewinne auf Geschäfte im Ausland. Demgegenüber kämpft der von der Binnennachfrage abhängige Mittelstand mit dem Abbau von Arbeitsplätzen, fehlenden Renditen und Finanzierungsschwierigkeiten sowie einer hohen Zahl von Insolvenzen.

Die klassische Regel, dass steigende Exporte und Gewinne auch die Binnennachfrage stimulieren und zu mehr Arbeitsplätzen führen, funktioniert nicht mehr. "Es ist, als ob beim Konjunktur-Motor die Kupplung kaputt wäre. Man kriegt die Kraft des Motors einfach nicht auf die Räder übertragen" (Thomas Mayer, Deutsche Bank).

Immer mehr Unternehmen verlegen Investitions- und Produktionstätigkeiten ins Ausland (Offshoring). Mit der EU-Osterweiterung hat sich dieser Prozeß erheblich beschleunigt. Damit verschwinden auch gleichzeitig Arbeitsplätze und Investitionen. Dies belastet die Binnennachfrage. Unternehmen verlagern vor allem aus Kostengründen Produktionen ins Ausland. Dies haben 85 Prozent der befragten Unternehmen angegeben. 40 Prozent der Verlagerungen hatten zum Ziel, näher an den Kunden im Ausland zu rücken. Aber auch dann, wenn die Produktionskapazitäten im Inland nicht mehr ausreichen, nehmen die Unternehmen Erweiterungen ihrer Produktionen häufig lieber im Ausland als am hiesigen Standort vor.

Der Vorsitzende des Gesamtbetriebsrats von Siemens (Ralf Heckmann) hat diese Entwicklung überspitzt wie folgt kommentiert: "In Zukunft wird die Hardware in China gefertigt, die Software kommt aus Indien, die Installation erfolgt durch Leiharbeiter aus Rumänien, die Abrechnung wird in Tschechien gemacht, und die Vorstandsgehälter sind wie in den USA."

Der Prozeß der Internationalisierung der Wirtschaft ist nicht umkehrbar. Es werden dabei die Standorte mit den besten Produktionsbedingungen gewinnen. Der Kunde orientiert sich an Qualität und Preis des Endprodukts und nicht am Produktionsstandort. Deutschland kann sich höhere Produktionskosten nur leisten, wenn deutsche Produkte entsprechend besser sind. Wenn wir allerdings den Qualitätswettbewerb nicht gewinnen, müssen die Produktionskosten sinken. Anderenfalls wird am Standort Deutschland keine industrielle Produktion mehr stattfinden können. Dies ist die Herausforderung für die Zukunft.

Wirtschaftliches Wachstum und Arbeit

(16. Februar 2005 )

Über das Verhältnis von Wachstum und Arbeit wird heftig gestritten. Es geht dabei um die Frage, ob Wachstum Arbeit schafft oder umgekehrt. Hierzu werden ganz unterschiedliche Antworten gegeben.

Die Keynesianer vertreten die Auffassung, dass mit konjunkturellem Wachstum Arbeitsplätze entstehen oder der Abbau von Arbeitsplätzen verhindert werden kann. Wenn die Unternehmen nicht ausreichend Arbeit nachfragen, muss der Staat mit Schulden finanzierten Ausgaben die Konjunktur ankurbeln. Bundeskanzler Helmut Schmidt hat dies in seiner Regierungszeit mehrfach versucht. Sein wirtschaftspolitisches Credo: "Lieber 5 Prozent Inflation als 5 Prozent Arbeitslosigkeit". Am Ende hatte er beides und eine Verdreifachung der Staatsschulden.

Wachstumsgegner sind der Meinung, dass die "Grenzen des Wachstums" (Meadows 1972) erreicht sind. Wenn die Wirtschaft nicht mehr wachsen kann oder soll, muss die Arbeit gerechter verteilt werden. Dies ist die Stunde der Sozialpolitiker á la Blüm: Vorruhestand, Arbeitszeitverkürzung, verlängerte Ausbildungszeiten. Die Ergebnisse dieser Politik liegen inzwischen vor: Die Arbeit wurde immer teuerer und den Sozialversicherungen fehlen die Beiträge.

Die Antwort der Neoklassiker orientiert sich an der individuellen Erfahrung: Wer ein höheres Einkommen will, muss mehr arbeiten oder mehr investieren. Auf volkswirtschaftlicher Ebene gilt der gleiche Zusammenhang. Wenn das Volkseinkommen erhöht werden soll, muss mehr oder produktiver oder innovativer gearbeitet werden. Durch höheres Einkommen entsteht zusätzliche Nachfrage, wodurch Arbeitsplätze geschaffen werden. Dieser Zusammenhang ist ökonomisch zwingend, wird aber von vielen Lobby-Verbänden, z.B. den Gewerkschaften, geleugnet. 

Der Haupteinwand gegen den neoklassischen Ansatz ist die soziale Verankerung der Arbeit. Arbeit ist danach keine Ware, sondern Lebensgestaltung und Sinngebung. Jeder hat das Recht auf eine menschenwürdige Arbeit. Diese Forderung konkretisiert sich insbesondere in der Entlohnung ("Gleicher Lohn für gleiche Arbeit" - "Jeder muss von seiner Arbeit leben können") und den Arbeitsbedingungen (Verbotene Kinderarbeit, Arbeitszeitbegrenzung, Arbeitsschutz).

Wesentliche Regeln unserer Arbeitswelt gehen auf die Anfänge der Industriegesellschaft zurück. Es entsprach den Erfahrungen der Industrialisierung, dass der Arbeiter gegenüber dem Fabrikbesitzer in der schwächeren Position war. Es wurde deshalb eine sozialpolitische Grundforderung, den Arbeiter vor Ausbeutung und Missbrauch zu schützen. Die Gründung von Gewerkschaften, der Kündigungsschutz und die Mitbestimmung beruhen auf diesem Schutzgedanken.

Die heftig diskutierte Frage ist, ob die Grundannahmen der Industriegesellschaft heute noch gültig sein können. Die moderne Arbeitswelt wird durch Megatrends geprägt, die das Arbeitsverhältnis auf eine völlig neue Grundlage gestellt haben. Solche Trends sind die Globalisierung der Wirtschaft, die Dominanz des tertiären Sektors und die Verbreitung der I+K-Techniken.

Die Globalisierung ist die größte Herausforderung für den Arbeitsstandort Deutschland. Die Globalisierung ermöglicht es den Unternehmen, die Standorte für Investitionen und Produktion frei zu wählen. Dies betrifft in erster Linie die Arbeitnehmer, die weltweit um die Wettbewerbsfähigkeit ihrer Arbeitsplätze kämpfen müssen. Wesentliche Standortfaktoren sind dafür die Arbeitskosten und die Qualität der Arbeit. Durch die Globalisierung hat das Kapital gewonnen und die Arbeit verloren.

Die meisten Menschen sind heute im tertiären Bereich und nicht mehr in der Industrie  beschäftigt. Die Arbeitswelt hat sich dadurch radikal geändert. Hierarchien sind durch Kooperationsverhältnisse abgelöst worden. Die Grenze zwischen abhängiger und selbständiger Arbeit verschwimmt. Anstelle von Waren produziert der Arbeitnehmer wissensbasierte Dienstleistungen. Dadurch hat sich die Stellung des Arbeitnehmers im Unternehmen und sein Schutzbedürfnis geändert. Am gewerkschaftlichen Organisationsgrad lässt sich dies ablesen.

Wissen ist heute ein wesentlicher Produktionsfaktor. Nicht die Handelsbilanz, sondern die Wissensbilanz von Unternehmen entscheidet darüber, ob es sich am Markt behaupten kann. Das Wissen ist aber zu einem wesentlichen Teil in den Köpfen der Mitarbeiter verankert. Dadurch haben sich die Abhängigkeiten verändert. War der Arbeiter im Industriezeitalter vom Arbeitgeber abhängig, ist der Arbeitgeber in  wissensbasierten Unternehmen von seinen Mitarbeitern abhängig. Dadurch ist nicht nur die Bedeutung des Mitarbeiters im Unternehmen gewachsen, sondern Arbeit wird für ihn auch "Lebensgestaltung und Sinngebung".

Fazit: Die aus der Industriegesellschaft stammenden Regeln des Arbeitsmarktes passen nicht mehr zur Arbeitswelt einer wissensbasierten Dienstleistungsgesellschaft. Der emanzipierte Mitarbeiter kann heute im Rahmen des Arbeitsverhältnisses Vereinbarungen treffen, die der Industriearbeiter nicht treffen konnte oder sollte. Das Arbeitsrecht muss deshalb von Schutzvorschriften entlastet werden und den Beteiligten mehr Gestaltungsspielraum überlassen. Eine Reform des Arbeitsrechtes sollte sich von folgenden Grundgedanken leiten lassen:

  • In einer globalisierten Welt hat ein national abgeschotteter Arbeitsmarkt keine Chance.
  • Die Arbeitsregeln aus der Industriegesellschaft müssen für eine wissensbasierte Dienstleistungsgesellschaft umgeschrieben werden.
  • Der emanzipierte Mitarbeiter braucht keinen Vormund, sondern kann sein Arbeitsverhältnis eigenverantwortlich regeln.
  • Arbeit ist in Deutschland nur wettbewerbsfähig, wenn die Soziallasten vom Faktor Arbeit zumindest teilweise entkoppelt werden.
  • Das Arbeitseinkommen muss gegenüber den Lohnersatzleistungen (= Lohn ohne Arbeit) wesentlich attraktiver gemacht werden.

Es ist noch ein weiter Weg. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. 

MIT-Reformdebatte 2003/2004

(10. Mai 2005)

Seit dem Kölner Kongress im Jahre 2003 verfolgt die Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung (MIT) auf Bundesebene einen konsequenten Reformkurs. Grundlage sind die Kölner Leitsätze, in denen die zentralen Anforderungen an die Politik formuliert sind.

Auf dem Leipziger Parteitag im Jahre 2003 hat die CDU diese Linie grundsätzlich bestätigt. Die Delegierten haben sowohl das Gesundheitsprämienmodell als auch das Steuermodell von Merz beschlossen. Man konnte deshalb die Hoffnung haben, dass eine von der CDU geführte Bundesregierung vorbereitet ist, die Wirtschaft mit tiefgreifenden Reformen wieder auf Wachstumskurs zu bringen. Die anschließenden Diskussionen mit der CSU zeigten dann jedoch, dass diese Hoffnung verfrüht war. Zunächst wurde das Steuerkonzept von Merz verwässert. Dann wurde die Gesundheitsprämie zusammengestutzt. Für Reformpolitiker war das Jahr 2004 deshalb ein enttäuschendes Jahr.

Der MIT Bundesvorstand hat deshalb Anfang dieses Jahres überlegt, wie die Reformdebatte innerhalb der CDU wieder in Gang gebracht werden kann. Hierzu braucht man ein Thema, das die Menschen aufrüttelt und die Notwendigkeit weiterer Reformen aufzeigt. Als ein solches Thema erscheint die "Flucht des Mittelstandes aus Deutschland" geeignet.

Die großen Unternehmen, die sogenannten Global Players, haben sich schon vor längerer Zeit auf den Weg gemacht, um ihre Weltmachtposition durch Produktionsstätten rund um den Globus abzusichern. Mit der EU-Osterweiterung hat dieser Globalisierungsprozess jedoch eine neue Qualität erhalten, weil die Verlagerungsoption damit auch für viele kleine und mittlere Unternehmen offen steht. Osteuropa ist verkehrsnah und gut zu erreichen. Die sprachlichen und kulturellen Barrieren sind niedrig.

Der MIT Bundesvorstand hat das Institut der deutschen Wirtschaft beauftragt, diesen Abwanderungsprozess wissenschaftlich zu untermauern. Nach der vorliegenden Studie gibt es in den Ländern Polen, Tschechien, Ungarn und Slowakei bereits 2.267 Unternehmen mit deutscher Beteiligung, die insgesamt 613.000 Mitarbeiter beschäftigen. In den 90er Jahren haben deutsche Unternehmen in Osteuropa investiert, um Absatzmärkte zu gewinnen. Heute werden Produktionsstätten vor allem aus Kostengründen in den Osten verlagert.

Um die Flucht der Unternehmen nach Osteuropa zu stoppen, braucht Deutschland bessere Standortbedingungen. Wir können nur soviel teuerer sein, wie wir besser sind. Dies ist der Ausgangspunkt für die Forderung der MIT, den Reformstau in Deutschland zu beenden.

In der Öffentlichkeit hat allerdings ein anderer Aspekt im Zusammenhang mit der EU-Osterweiterung für Aufregung gesorgt. Es geht um die Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit für Unternehmen und Dienstleister aus Osteuropa. Tatsächlich wird davon bereits intensiv Gebrauch gemacht, wie die Masse von Anmeldungen bei den Handwerkskammern zeigt. Die deutschen Handwerker und Dienstleister können mit den osteuropäischen Billiganbietern häufig nicht konkurrieren.

Bundesregierung und Gewerkschaften sind der Auffassung, dass diese Konkurrenz mit Mindestlöhnen abgewehrt werden kann. Hierfür soll das bislang nur für die Bauwirtschaft geltende Entsendegesetz auf alle Branchen ausgeweitet werden, damit die Bundesregierung durch Allgemeinverbindlichkeitserklärung von Tarifverträgen einheitliche Mindestlöhne für in- und ausländische Arbeitnehmer festsetzen kann.

Mindestlöhne sind als Schutzzaun für Arbeitnehmer und Unternehmen ungeeignet, wie das Beispiel der Bauwirtschaft zeigt. Um deutsche Bauarbeiter vor Dumpinglöhnen aus Billigländern zu schützen, gelten in der Bauwirtschaft seit 01.01.1997 aufgrund des Entsendegesetzes tariflich festgelegte Mindestlöhne. Aber weder Entsendegesetz noch Mindestlöhne haben den Niedergang dieses Wirtschaftszweiges und den Abbau von Arbeitsplätzen aufhalten können. Im Gegenteil: Die Zahl der Arbeitsplätze ist seit Einführung des Mindestlohnes um fast die Hälfte gesunken. Gleichzeitig wuchs die Schattenwirtschaft am Bau trotz verschärfter Kontrollen auf über 100 Mrd. EUR an.

Der Arbeitsmarkt benötigt nich Protektionismus, sondern tiefgreifende Reformen, damit  Arbeit in Deutschland wieder wettbewerbsfähig wird. Arbeit ist in Deutschland zu teuer, weil die gesetzlichen und tariflichen Lohnnebenkosten zu hoch sind.

"Vorwärts: Zu Ludwig Erhard!"

(17.September 2005)

Bundespräsident Horst Köhler hat den deutschen Bundestag mit folgender Begründung aufgelöst: "Unser Land steht vor gewaltigen Aufgaben. Unsere Zukunft und die unserer Kinder steht auf dem Spiel. Millionen von Menschen sind arbeitslos, viele seit Jahren. Die Haushalte des Bundes und der Länder sind in einer nie da gewesenen kritischen Lage." Kritische Lagen hat es in unserer Geschichte immer wieder gegeben. Dies ist nicht Neues! Die Frage ist nur, welche Antworten hierauf gegeben werden.

Anlässlich des 100-jährigen Bestehens ihrer Bank haben Sie mich eingeladen, den Festvortrag zum Thema "Vorwärts zu Ludwig Erhard!" zu halten.  Angesichts der morgigen Bundestagswahl ist dies ein hoch aktuelles Thema. Ich will es aber mit der erforderlichen Neutralität behandeln.

Vor die Therapie kommt in der Medizin die Diagnose. So auch in der Politik. Aber schon dies verursacht Schmerzen, wenn sie mit unangenehmen Wahrheiten verbunden ist. Dies wissen auch die Politiker: Denn sie leben von Mehrheiten und nicht von Wahrheiten. Beginnen wir deshalb mit dem Positiven!

Deutschland ist die größte Wirtschaftsnation in Europa und verfügt über erhebliche Ressourcen. Wir sind nicht nur Exportweltmeister, sondern auch wohlhabend. Dies verdanken wir der schöpferischen Kraft der Unternehmen, den gut ausgebildeten und motivierten Mitarbeitern sowie dem technischen Know-how, der internationalen Erfahrung, der noch intakten Infrastruktur und nicht zuletzt der Rechtssicherheit. Im Kern ist Deutschland sehr robust.

Diese Robustheit reicht aber offensichtlich nicht mehr aus, um für ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum zu sorgen. Denn neben den Potentialen haben wir massive Strukturprobleme, durch die die wirtschaftliche und soziale Entwicklung gelähmt wird. Was sind unsere Krisenfelder?

  • Millionen von Menschen sind arbeitslos, viele schon seit Jahren. Wir haben Massenarbeitslosigkeit trotz massenhaft unerledigter Arbeit.
  • Die öffentlichen Haushalte sind in einer nie da gewesenen kritischen Lage. Der höchste Schuldenstand korrespondiert mit einer Abgabenlast auf Rekordniveau. Ein Blick in die Etats in Bund, Ländern und Gemeinden zeigt, dass die öffentliche Hand über ihre Verhältnisse lebt.
  • Der wesentliche Grund für diese Entwicklung sind die steigenden Sozialausgaben, die inzwischen ein Drittel des nationalen Einkommens ausmachen. Insgesamt sind es fast 700 Milliarden Euro.

Was sind die tieferen Gründe für diese deutsche Krankheit? Auch diese Frage gehört zur Analyse der Lage. Eine plausible Erklärung sagt, dass Deutschland in den vergangenen 15 Jahren verschiedene externe Herausforderungen oder Schocks nicht bewätigt hat.

  • Der erste Schock ist die Globalisierung. Durch die Globalisierung ist aus der deutschen Volkswirtschaft eine Wirtschaftsregion geworden, die immer stärker dem internationalen Wettbewerb ausgesetzt ist. Dies gilt auch für den Arbeitsmarkt. Weil die Kommunikations- und Transportkosten sinken, konkurrieren Arbeitsplätze in Deutschland unmittelbar mit Arbeitsplätzen in den Billiglohnländern.
  • Der zweite Schock ist die europäische Einigung und die Ablösung der DM durch den Euro. Davon haben vor allem die kleinen Länder profitiert, weil sich die erheblichen Zinssenkungen in diesen Ländern belebend auf die dortige Konjunktur ausgewirkt haben.
  • Der dritte Schock ist die deutsche Wiedervereinigung; ein großer politischer Erfolg, aber in wirtschaftlicher Hinsicht eine enorme Belastung.
  • Der vierte Schock ist die Osterweiterung der Europäischen Union. Dadurch haben sich zwar außergewöhnliche Absatz- und Anlagechancen eröffnet, die Niedriglohnkonkurrenz hat aber auch zu erheblichen Betriebs- und Arbeitsplatzverlagerungen geführt.

Damit kommen wir zur Therapie! Wie sollen wir auf die Strukturkrisen und die externen Schocks reagieren? Brauchen wir eine Margret Thatcher oder einen Ronald Reagan? Ich meine: Nein, weil wir selbst ausreichend Erfahrungen im Umgang mit Krisen haben!

Bei Kriegsende war die Lage hoffnungslos: Zerbombte Städte, unendliche Flüchtlingsströme, Hungers- und Wohnungsnot. Wie haben die Deutschen damals auf diese Herausforderung reagiert? Die Antwort war die Soziale Marktwirtschaft, die im Jahre 1948 eingeführt wurde. Dies war der Startschuss für eine wirtschaftliche Entwicklung, die im Ausland als "german economic miracle" bestaunt wird. Grundlage dieses Wunders war ein wirtschaftliches und gesellschaftliches Ordnungskonzept, das Ökonomen und Juristen während der Nazizeit entwickelt hatten. Es war vor allem der Freiburger Kreis um Walter Eucken und Franz Böhm, die sich Gedanken über eine funktionsfähige und gerechte Wirtschafts- und Sozialordnung nach dem Kriege gemacht hatten. Für Ludwig Erhard war dieses Konzept die Grundlage seiner Wirtschaftspolitik.

Ausgangspunkt der sozialen Marktwirtschaft ist das christliche Menschenbild, wonach der Mensch eine Doppelnatur hat. Er ist einerseits freie Person und damit für sich selbst verantwortlich; andererseits ist er auch ein Gemeinschaftswesen und trägt Verantwortung für andere. Auf dieser Grundlage konzipierte der Freiburger Kreis eine Gesellschafts- und Staatsordnung, die auf vier grundlegenden Prinzipien beruht:

  • Die Steuerung des Wirtschaftsverkehrs durch freie Märkte.
  • Die Sicherung des Wettbewerbs durch den Staat.
  • Stabiles Geld durch eine unabhängige Notenbank.
  • Eine staatliche Sozialpolitik zur Korrektur der Einkommensverteilung. 

 Dieses Konzept hat mit dem Manchester-Liberalismus des 19. Jahrhunderts wenig gemeinsam. Die Soziale Marktwirtschaft ist vielmehr die Antwort auf die Herausforderungen, die der frühe Liberalismus hinterlassen hatte, nämlich die Entstehung wirtschaftlicher Macht durch Kartelle und Monopole und die Nöte des Arbeiterproletariats. Denn sie verbindet das Prinzip der Freiheit auf dem Markt mit dem Postulat des sozialen Ausgleichs. Dieses Konzept war auch die richtige Antwort auf die wirtschaftlichen Probleme im Nachkriegsdeutschland. Warum funktioniert es aber heute nicht mehr? Was ist seit den 50er Jahren passiert? Leben wir nicht mehr in einer Wirtschaftsordnung, die als Soziale Marktwirtschaft bezeichnet werden kann?

In der Tat: Unsere heutige Wirtschaftsordnung, wie sie real existiert, entspricht in entscheidenden Punkten nicht mehr dem ursprünglichen Konzept der Sozialen Marktwirtschaft. Drei Entwicklungen erscheinen mir wesentlich zu sein:

  • Die Wirtschaftsgesinnung in Deutschland hat sich gegenüber der Nachkriegszeit entscheidend geändert. An die Stelle der Leistungsorientierung der Aufbaugeneration ist die Verteilungsorientierung der Wohlstandsgeneration getreten. Eine freie Wirtschaftsordnung kann aber nur funktionieren, wenn Tugenden wie Leistungsbereitschaft und Eigenverantwortung in der Gesellschaft fest verankert sind. Anspruchsdenken und Risikoscheu fördern stattdessen den Wohlfahrtstaat.
  • Die Steuerung unserer Wirtschft hat sich in wesentlichen Bereichen von der Selbstorganisation des Marktes hin zu staatlicher Planung und Kontrolle verschoben. Ludwig Erhard vertraute dem Bürger und er traute ihm auch etwas zu. Er war ein Feind staatlicher Bürokratie und glaubte an die Funktionsfähigkeit der Märkte. Diese Überzeugung ist heute weitgehend verloren gegangen. An die Stelle ist der Glaube der Politiker getreten, dass sie mit staatlichen Interventionen das Gemeinwohl fördern können, ohne dass die Wirtschaftsordnung Schaden nimmt.
  • Ab Beginn der 70er Jahre hat sich die Sozialpolitik in Deutschland immer deutlicher von den marktwirtschaftlichen Grundlagen gelöst. Deutschland ist heute ein Wohlfahrtstaat, der über ein Drittel des Volkseinkommens umverteilt. Ludwig Erhard hat vor dieser Entwicklung früh gewarnt: "Solche Wohltaten muss das Volk immer teuer bezahlen, weil kein Staat seinen Bürgern mehr geben kann, als er ihnen vorher abgenommen hat - und das noch abzüglich der Kosten einer zwangsläufig immer mehr zum Selbstzweck ausartenden Sozialbürokratie. Nichts ist darum in der Regel unsozialer als der sogenannte Wohlfahrtstaat". 

Wir wissen aus der Geschichte, dass Wirtschaftskrisen mit Hilfe der Sozialen Marktwirtschaft  gemeistert werden können. Dazu müssen wir uns aber an die Grundlagen dieser Wirtschaftsordnung erinnern und bereit sein, die Fehlentwicklungen zu korrigieren. In diesem Sinne lautet mein Schlussappell: "Vorwärts: Zu Ludwig Erhard!"

Junge Union

(21. Oktober 2005)

Die Junge Union Deutschlands als größte politische Jugendorganisation Europas macht ihrer Aufgabe, die Interessen der jungen Menschen zu vertreten und Reformmotor der Union zu sein, alle Ehre. Ohne die Junge Union wäre eine öffentliche und parteiübergreifende Debatte über so wichtige Themen wie Generationengerechtigkeit und nachhaltige Reformen nicht angestoßen und weitergeführt worden. Diese Diskussion ist unerlässlich und sie darf auch nicht mit einer großen Koalition beendet werden.

Wir hatten uns am 18. September ein eindeutiges Votum für einen Regierungsauftrag des bürgerlichen Lagers gewünscht. Dass sich die Wähler anders entschieden haben, kann nicht im Umkehrschluss bedeuten, dass alle hart erkämpften Reformpositionen ad acta zu legen sind.

Die Union hat in den Sondierungsgesprächen mit der SPD bereits auf wesentliche Reformfelder verzichtet. Die Ministerien für Finanzen, Arbeit und Soziales werden zukünftig von SPD-Ministern geführt. Es besteht deshalb die Gefahr der Sozialdemokratisierung des Reformprozesses. Für spätere Wahlgänge ist dies eine schlechte Ausgangsposition. Denn im Zweifel wird der Wähler eher das Original als die Kopie wählen.

Die Union muss in den anstehenden Koalitionsverhandlungen darauf bestehen, dass ihre Konzepte den Reformweg bestimmen. Dabei wird es nicht ausreichen, sich nur über die Ausgangslage und die gemeinsamen Ziele zu verständigen. Entscheidend ist, dass auf den Reformfeldern Finanzen, Arbeit un d Soziales die konkreten Reformschritte festgelegt werden. Ansonsten werden die von der SPD geführten Ministerien diese Arbeit erledigen.

Viele in der Union befürworten schon heute die Sozialdemokratisierung des Reformprozesses. Wenn NRW-Arbeitsminister Karl-Josef Laumann das schlechte Wahlergebnis damit erklärt, dass die Union das "Christlich-Soziale ausradiert" hat, so soll damit die Wende nach Links vorbereitet werden. Das Wahlergebnis vom 18. September 2005 gibt dafür aber nichts her. Die Union hat zwar bei den Arbeitnehmern verloren, die größeren Verluste sind aber bei den Selbständigen und Mittelständlern zu beklagen.

Das schlechte Wahlergebnis vom 18. September 2005 muss zügig und objektiv aufgearbeitet werden. Nach Auffassung der MIT ist dieses Wahlergebnis darauf zurückzuführen, dass es der Union nicht gelungen ist, eine ganz einfache Botschaft zu kommunizieren, nämlich dass nur so viel verteilt werden kann, wie produziert wird. Wenn viel verteilt werden soll, muss auch viel produziert werden, d.h. die Wirtschaft muss wachsen und es müssen Arbeitsplätze geschaffen werden. Soziale Sicherheit und wirtschaftliches Wachstum sind zwei Seiten einer Medaille.

In Deutschland wird zuviel verteilt und zu wenig produziert. Es wird zuwenig produziert, weil der Wirtschaft immer engere Fesseln und höhere Lasten auferlegt worden sind. Wenn mehr produziert werden soll, muss sie von diesen Fesseln und Lasten befreit werden. An diesem Reformkurs muss die Union festhalten, weil er wirtschaftlich vernünftig und sozial gerecht ist. Nur mit einer starken Wirtschaft bleibt der Soziaklstaat bezahlbar.

Bei fast 5 Millionen Arbeitslosen, einer unvorstellbaren Staatsverschuldung, leeren Sozialkassen und einer problematischen demographischen Entwicklung müssen wir neue Wege gehen. Wir müssen die Arbeitsmärkte öffnen und deregulieren. Außerdem müssen die Lohnzusatzkosten gesenkt und die Sozialbeiträge vom Faktor Arbeit getrennt werden. Priorität hat die Sanierung der öffentlichen Haushalte und die Entlastung der Wirtschaft von Steuern und Abgaben. Die große Koalition ist nur dann legitimiert, wenn sie diese Strukturreformen mutig anpackt.


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