top-schriftzug
blockHeaderEditIcon

Dr. Schlarmann - Mittelstand

aktuelle Informationen für den Mittelstand
block-foto-dr-schlarmann-mittelstand
blockHeaderEditIcon
Migrationskrise : Die Migrationsfalle
16.12.2017 17:49 (2263 x gelesen)

Die Migrationsfalle

Die Bundesregierung befindet sich bei der Bekämpfung der Flüchtlingskrise in einer selbst gestellten Falle: Die Bemühungen auf EU-Ebene, die eigentlichen Flüchtlingsursachen zu bekämpfen, werden ebenso scheitern, wie die Versuche, die Flüchtlingsströme mit völkerrechtlichen Verträgen aufzuhalten. Es gibt innerhalb der EU keine Verständigung darüber, wie legal einreisende Flüchtlinge auf die einzelnen EU-Länder verteilt werden sollen.

Damit stellt sich auch für Deutschland die Frage nach einer nationalen Lösung:  Allein im Dezember sind pro Tag 4.000 Flüchtlingen nach Bayern gekommen; dies sind aufs Jahr 2016 gerechnet etwa 1,5 Millionen Personen. Der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer hat deshalb seine Forderung nach einer Begrenzung des Zuzugs auf 200.000 Personen konkretisiert. "Wenn wir nicht schnell handeln, müsste Deutschland in zwei Jahren zweieinhalb Millionen Flüchtlinge aufnehmen", sagte er im offenen Widerspruch zur Bundesregierung. Angela Merkel hält jedoch daran fest, dass "wir die Grenzen nicht schließen können. Wenn man einen Zaun baut, werden sich die Menschen andere Wege suchen. Abschottung im 21. Jahrhundert ist keine vernünftige Option."

Der frühere Polizist und jetzige Bundestagsabgeordnete Armin Schuster (CDU) war darüber empört: "Ich halte das für eine unsinnige und gefährliche Aussage. Ob wir aktuell Grenzüberwachung wollen oder nicht, müssen wir politisch entscheiden; aber man sollte bitte nicht behaupten, wir könnten es nicht. Die Bundeszollverwaltung und die Bundespolizei tun das seit Jahrzehnten, egal, in welcher Lage Deutschland sich befunden hat. Die können das." Und er fügte hinzu: "Der Schengener Grenzkodex enthält ein ganzes Bündel an Maßnahmen der Binnengrenzsicherung, vom Informationsaustausch zwischen den Grenzpolizeien bis zur Schleierfahndung. Das Problem ist: Diese Maßnahmen werden von unseren Nachbarn seit Jahren ungenügend umgesetzt."

Rechtliche Grundlage für das Zurückweisen an der Grenze ist das Asylrecht. Dieses sieht vor, dass Flüchtlinge, die aus einem sicheren Drittstaat kommen, die Einreise zu verwehren ist. Und weiter heißt es in dem Gesetz: Die deutschen Grenzbehörden sind verpflichtet, unberechtigte Personen zurückzuweisen. Entgegenstehende Weisungen sind rechtswidrig und strafbar. Um dieser Rechtslage zu entsprechen, legte die Spitze der Bundespolizei am 12. September 2015 Innenminister Thomas de Maizière den Entwurf eines "Befehls" vor, der vorsah, an den deutschen Grenzen Kontrollen durchzuführen und Asylbewerber zurückzuweisen. Angela Merkel wies den Innenminister jedoch an, "diesen Befehl nicht umzusetzen". Auf die Rechtswidrigkeit dieser Entscheidung angesprochen, antwortete Thomas de Maizière: "Darüber kann man rechtlich lange diskutieren. Das deutsche Recht wird in vielerlei Hinsicht vom europäischen überlagert. Politisch haben wir uns bisher jedenfalls dagegen entschieden."

Solche Antworten veranlassten den ehemaligen Bundestagsabgeordneten Peter Gauweiler, den Bundestagspräsidenten in einem offenen Brief (17. Nov. 2015) um Einschreiten zu bitten: "Sehr geehrter Herr Bundestagspräsident Lammert, seit Anfang September ist in Deutschland das gesetzliche Verbot der Einreise ohne Aufenthaltstitel oder ohne Pass faktisch außer Kraft gesetzt. Ebenso das Verbot der Einschleusung in großen Gruppen. Ebenso, dass sich niemand auf das Asysrecht berufen kann, der sich in einem Mitgliedsstaat der Europäischen Union aufhält. Letzteres steht sogar im Grundgesetz. Die Bundesregierung hat die einschlägigen Paragraphen und Verfassungsartikel, Strafvorschriften und sogar das Legalitätsprinzip beiseite geschoben, um höherrangige Rechtsgüter zu schützen. Sie beruft sich dafür auf den Grundsatz: "Not kennt kein Gebot" und auf die Richtlinienentscheidung der Bundeskanzlerin. In einer parlamentarischen Demokratie ist auch für eine derart wesentliche Notstands-Entscheidung nicht die Regierung zuständig, sondern das Parlament. Deshalb schreibe ich Ihnen, dem personifizierten Sachwalter der Rechte und Pflichten unserer Volksvertretung. Bitte greifen Sie ein."

Die Unruhe in der Union wuchs an, als die etablierten Parteien bei den Landtagswahlen am 13. März 2016 deutliche Stimmenverluste erlitten. In Sachsen-Anhalt stimmte jeder vierte Wähler für die AfD, in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz wurde die Partei drittstärkste Kraft. "Nur in dieser Partei sahen offenbar viele Bürger eine Möglichkeit, gegen die aktuelle Bundespolitik zu protestieren", kommentierte Carsten Linnemann, Chef der Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung der CDU/CSU, das Wahlergebnis. Er warf der Bundeskanzlerin vor, mit der Politik des Ignorierens und Moralisierens "die AfD erst stark gemacht" zu haben. Die Union habe es "mit einem fundamentalen Vertrauensverlust der Bürger" zu tun. Wenn zwischen den Volksparteien kaum noch Unterschiede zu erkennen seien, sei es "kein Wunder, dass sich viele Bürger nicht mehr vertreten fühlen und zur Alternative abwandern", kritisierte Linnemann die Politik der Bundeskanzlerin.

Kritische Stimmen

Mit ihrer Politik der offenen Grenzen  ging Bundeskanzlerin Angela Merkel einen Sonderweg, der insbesondere die Sicherheitsdienste beunruhigte. Die Sicherheitsleute befürchteten, die Lage könne wie in Schweden außer Kontrolle geraten, wo 2015 zahlreiche Handgranaten im Zuge ethnischer Konflikte detonierten. In einer Analyse des Innenministeriums hieß es: "Wir importieren islamischen Extremismus, arabischen Antisemitismus, nationale und ethische Konflikte anderer Völker. Wir importieren ein anderes Rechts- und Gesellschaftsverständnis." Die gleichen Befürchtungen gab es bei Mitarbeitern der Sicherheitsdienste ( BND, Verfassungsschutz, Bundeskriminalamt und Bundespolizei). Unter hochrangigen Sicherheitsbeamten des Bundes kursierte eine Analyse, die deutlich warnte: Die deutschen Sicherheitsbehörden "sind und werden nicht in der Lage sein, diese importierten Sicherheitsprobleme und die hierdurch entstehenden Reaktionen aufseiten der deutschen Bevölkerung zu lösen".

Der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV), Hans-Georg Maaßen, sagte im Februar 2016 in einer Rede vor Sicherheitsexperten, seine Behörde sehe drei große Gefahren: Kämpfer, die wie die meisten Paris-Attentäter als Flüchtlinge getarnt einreisten. Radikale Islamisten, die unter den Flüchtlingen neue Sympathisanten anwürben. Und Flüchtlinge, die sich selbst radikalisierten. 70 Prozent der ankommenden Flüchtlinge hätten keinen gültigen Pass. Niemand wisse sicher, um wen es sich bei den Menschen handle. Der Migrationsstrom bringe für seine Behörde ein "Meer an Herausforderungen".

Ayaan Hirsi Ali, eine bekannte Islamkritikerin aus Somalia, die heute in den USA lebt, warnte insbesondere vor der Einwanderung von radikalen Muslimen: "Als Einwanderin somalischer Herkunft habe ich nichts gegen Menschen, die nach Amerika kommen, weil sie ein besseres Leben für sich und ihre Familie suchen. Meine Sorge betrifft die Einstellungen, die viele der neuen muslimischen Amerikaner mitbringen werden - und unsere begrenzten Mittel, diese Einstellungen zu ändern. Meinungsumfragen von Pew Organization in der muslimischen Welt belegen, wie viele Menschen in diesen Ländern Ansichten haben, die die meisten Amerikaner (bzw. Europäer, Erg.d.Verf.) als Extrem ansehen würden. Drei Viertel der Pakistaner und mehr als zwei Fünftel in Bangladesch und im Irak finden, dass Menschen, die den Islam verlassen, die Todesstrafe verdienen. Mehr als 80 Prozent der Pakistaner und zwei Drittel in Bangladesch und im Irak halten die Scharia-Gesetze für offenbarte Worte Gottes. Nur winzige Gruppen können damit leben, dass die Tochter einen Christen heiratet. Nur eine Minderheit findet, dass Ehrenmorde an Frauen niemls gerechtfertigt sind. Ein Viertel in Bangladesch und in Pakistan jeder Achte finden, dass Selbstmordattentate zur Verteidigung des Islam oft oder manchmal gerechtfertigt sind:"

Die politische Spitze in Berlin reagierte auf solche Warnungen regelmäßig mit dem Hinweis, dass es falsch wäre "Flüchtlinge pauschal als Sicherheitsrisiko" zu bezeichnen. "Ebenso falsch wäre es aber auch, jene Gefahren zu ignorieren oder zu bagatellisieren, die sich aus der anhaltend ungesteuerten und nur lückenhaft kontrollierten und kontrollierbaren Zuwanderung ergeben", war die Antwort des  CDU-Abgeordneten Wolfgang Bosbach. Nach den Attentaten in Paris, Brüssel und Berlin kann niemand mehr bestreiten, dass mit der Massenzuwanderung aus muslimischen Ländern konkrete Sicherheitsrisiken verbunden sind.       

Ungehört blieb bisher auch der Protest der Kommunen in Deutschland, die die Hauptlast des Zustroms an Flüchtlingen zu tragen hatten und an die Grenzen ihrer Möglichkeiten gestoßen waren. In einem Brandbrief an das Kanzleramt schrieb die „Kommunalpolitische Vereinigung“ der CDU/CSU: „Die Kommunen sind mit ihren Kapazitäten bald am Ende, die Lage wird jeden Tag dramatischer. Feste Unterkünfte werden knapp, selbst bei Zelten gibt es Nachschubprobleme. Es dürfen sich nicht noch mehr Menschen auf den Weg machen.“  Die Kommunalpolitiker forderten deshalb die Grenzschließung:  „Das System von Schengen setzt sichere EU-Außengrenzen voraus. Solange dies nicht gewährleistet ist, halte ich die Sicherung der nationalen Grenzen für notwendig“ schrieb der Vorsitzende der Kommunalpolitischen Vereinigung, Ingbert Liebing (CDU), der auch dem Vorstand der Bundestagsfraktion angehört. „Wenn jeden Tag tausende Menschen ohne Registrierung nach Deutschland kommen, haben wir in der Vergangenheit von illegaler Einwanderung gesprochen. Dies kann der Staat nicht tolerieren.“

In gleichem Sinne äußerte sich der Präsident des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, Roland Schäfer, zum Jahresanfang 2016 in Berlin: "Wir müssen dringend zu einer Reduzierung des Zustroms kommen. Je kleiner die Kommune, desto größer sind die Probleme". Die Präsidentin des Deutschen Städtetages, Eva Lohse, ergänzte, die Mitarbeiter in den Stadtverwaltungen und Ehrenamtliche leisteten seit Monaten Außergewöhnliches für die Flüchtlinge, die Schutz brauchten. Sie forderte die Bundesregierung und die Europäische Union auf, alles daranzusetzen, die Fluchtursachen zu minimieren und die Zuwandereung nach Europa zu verringern. "Weil die Kapazitäten zur Aufnahme aber auch zunehmend an Grenzen stoßen, wird eine weitere Zuwanderung nur zu bewältigen sein, wenn sie wirkungsvoller gesteuert und reduziert wird."

Zu den Unterstützern der Bundeskanzlerin in der Flüchtlingspolitik gehörte Ulrich Grillo, Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI). Er sah in der Zuwanderung die Chance, das Facharbeiterproblem in Deutschland zu lösen. Daimler-Chef Dieter Zetsche meinte sogar, Flüchtlinge könnten ein "Wirtschaftswunder" bringen: "Die meisten Flüchtlinge sind jung, gut ausgebildet und hoch motiviert. Genau solche Leute suchen wir doch." Diese Euphorie mochten andere aus der Wirtschaft nicht teilen. Der Hauptverband der Deutschen Bauindustrie warf dem BDI "Blauäugigkeit" vor und dämpfte die Erwartungen, dass Flüchtlinge am Bau Beschäftigung finden könnten. Wer keine Ausbildung zum Facharbeiter gemacht habe, sei am Bau "praktisch nicht einsetzbar". BASF-Vorstandschef Kurt Bock warnte davor, "die Industrie zu einem Kronzeugen zu machen für eine Einwanderungspolitik, die im Grunde außer Kontrolle geraten ist". Die Kritiker schätzten die Lage realistisch ein: Im September 2016, immerhin ein ganzes Jahr nach der Zuspitzung der Flüchtlingsströme, hatten die Dax-Unternehmen ganze 125 Flüchtlinge fest angestellt und 300 Ausbildungsplätze angeboten. Neuere Zahlen sind nicht zu finden. Wären es höhere Zahlen, hätte man sie gewiss publizistisch verbreitet. .

Skeptisch war auch die Bundesagentur für Arbeit (BA), die davon ausging, dass von den Flüchtlingen, die als arbeitslos gemeldet werden, nur 11 Prozent eine berufliche Ausbildung und 8 Prozent eine akademische Ausbildung haben. 81 Prozent der Flüchtlinge seien "ohne formale Qualifikation". Mit diesem Ausbildungsprofil werde die Integration in die hoch entwickelte deutsche Volkswirtschaft schwierig werden. Marijn Dekkers, Chef des Bayer-Konzerns und des Chemieverbandes, sagte, es werde "sehr viel Zeit und Mühe kosten, die Flüchtlinge auf ein Niveau zu bringen, das man in Deutschland als Arbeitnehmer mitbringen muss, um eine Beschäftigung zu finden". Er warnte vor Illusionen: "Bis die große Mehrheit der Asylsuchenden wirklich unabhängig von staatlicher Hilfe sein wird und eigenes Einkommen verdient, werden mindestens 15 Jahre vergehen." Diese Skepsis wurde durch Daten der Arbeitsagenturen bestätigt, wonach es die Flüchtlinge besonders in die Großstädte und Ballungsgebiete zieht, wo sich schon zahlreiche Menschen aus ihrem früheren Land oder Umfeld niedergelassen haben. Denn dort finden sie die persönlich Hilfe und auch ein Stück Heimat in der Fremde. Dass solche Parallelgesellschaften die Integration behindern, gehört zu den Erfahrungen vieler Großstädte.

Es greift deshalb zu kurz, wenn es heißt, fehlende Sprachkenntnisse und mangelhafte Qualifikationen seien die eigentlichen Integrationsbarrieren. Der Soziologe Elmar Wiesendahl sieht zwei weiter Punkte: "Die Flüchtlinge kommen aus vormodernen autoritären Staatsgebilden, die ausgesprochen repressive politische Strukturen besitzen. Sie haben über Jahre nur unter staatlicher Unterdrückung gelebt. Mündiges Staatsbürgertum ist unterentwickelt. Und um damit klarzukommen, war für sie Korruption und Bestechung Alltag. Dieses Grundbewusstsein bringen sie nach Deutschland. Die Flüchtlinge kommen, und das ist mein zweiter Punkt, aus rückständigen, partiell feudalen gesellschaftlichen Verhältnissen. Es ist nicht nur die Unterdrückung der Frau, sondern ein patriachalisches Verwandtschafts- und Clan-System, das weit von der modernen Kernfamilie entfernt ist. Die arrangierte Ehe ist selbstverständlich, sogar die Zwangsehe. Nicht individuelle Freiheit und Selbstbestimmung, sondern die Ehre der Familie ist von höchstem Wert. Das individuelle Leistungsprinzip zählt wenig. Bei uns stellt dieser das A und O dar, um beruflich etwas zu werden. Dort bedient man sich beruflich verwandtschaftlicher Beziehungen. Dieses Muster des gesellschaftlichen Zusammenlebens bringen sie nach Deutschland."

Auch eine von Ayaan Hirsi Ali in der FAZ vom 18. April 2016 zitierte Studie zur Integrationsbereitschaft muslemischer Einwanderer in Europa sollte der Bundesregierung eine Warnung sein. Danach stimmten  60 Prozent der Befragten der Aussage zu, dass Muslime sich auf den ursprünglichen Islam besinnen sollten. 75 Prozent erklärten, es gebe nur eine möglich Koran-Interpretation, die für alle Muslime verbindlich sei, und 65 Prozent hielten die Vorschriften ihrer Religion für wichtiger als die Gesetze des Landes, in dem sie leben. Und 44 Prozent der befragten Muslime bekannten sich zu fundamentalistischen Ansichten. "Diese Zahlen verheißen nichts Gutes für den Zusammenhalt der europäischen Gesellschaften in den nächsten Jahrzehnten", schreibt Ayaan Hirsi Ali.

Krisenmanagement der Bundeskanzlerin

Die Flüchtlingskrise hat das öffentliche Bild von Angela Merkel ins Wanken gebracht: Das Bild einer Kanzlerin mit „Bodenhaftung“ und „Durchsetzungskraft“.  Auf dieser Wahrnehmung beruht das Vertrauen, das man ihr bisher entgegenbrachte. Dieses Vertrauen war so groß, dass man auch ihre „politischen Alleingänge und einsamen Entscheidungen“  akzeptierte. Man nahm es ihr ab, dass sie als Naturwissenschaftlerin vernünftig, d.h. „aus dem Kopf und nicht aus dem Bauch“ heraus, entscheidet. Selbst ihre häufig  „abwartende Haltung“, bevor sie handelte, wurde als Beweis ihrer Klugheit gedeutet. Aus ihrem engeren Führungskreis wurde zudem verbreitet, dass sie „stets vom Ende“ her denkt. Es ist dieses Bild von der Kanzlerin, dem die CDU zu verdanken hat, dass sie sich in den letzten zehn Jahren auf Bundesebene als stärkste Partei durchsetzen konnte.

Heute melden sich vor allem kritische Stimmen, wenn über die Krisenpolitik von Angela Merkel gesprochen wird. Vielen ist in der Flüchtlingskrise klar geworden, dass der Grenzöffnung von Angela Merkel kein durchdachtes Kozept zugrunde lag, sondern auf einem "moralischen Impuls" beruhte, der die Folgen und Risiken nicht bedacht hatte. Die unbegrenzte Völkerwanderung und das Chaos an den Grenzen der Europäischen Union zeigten zudem, dass die Politik die Sache nicht mehr im Griff hatte. Darüber hinaus  erlebten die Menschen in den Kommunen, dass die Kapazitätsgrenzen für die Aufnahme weiterer Flüchtlinge erreicht waren. Man fragte sich besorgt, wohin das langfristig führen wird:  Zu einer Überforderung des Sozialstaates, zum Entstehen von Parallelgesellschaften oder zum Verlust der inneren Sicherheit? Und möglicherweise zu Uneinigkeit und Streit innerhalb der Europäischen Union? Die Menschen verstanden deshalb den ehemaligen Ministerpräsidenten von Bayern, Edmund Stoiber, als er der Bundeskanzlerin zurief: "Angela, Du machst Europa kaputt!"

Berthold Kohler, Mitherausgeber der FAZ,  schrieb am 1. März 2016: "Die Schwachstelle in Merkels Formel ist der menschliche Faktor. Die Kanzlerin setzt darauf, dass jeder, der auch nur halbwegs so lange und gründlich die Sache durchdacht hat wie sie, zu dem einzig möglichen Schluss kommen muss: zu ihrem. Nicht ausreichend einkalkuliert hat sie, weder in der innenpolitischen Debatte noch im Ringen mit den anderen Regierungen, Wunschvorstellungen auf der einen Seite und Befürchtungen auf der anderen, die sie selbst offenbar nicht sonderlich beschäftigen: die Angst vor Überfremdung, vor Unsicherheit, vor politischer wie kultureller Heimatlosigkeit und vor dem Gefühl, nicht mehr Herr im eigenen Haus zu sein."

In der Flüchtlingskrise zeigen sich besonders deutlicher Weise die Defizite im Krisenmanagement von Angela Merkel: Sie praktiziert einen operativen Regierungsstil, der auf kurzfristige Ergebnisse abzielt. Dahinter steht die Überzeugung, dass die Regierung jederzeit in der Lage sein muss, schnell und flexibel zu handeln, weil sich die politische Lage ständig ändert. Dabei bedient man sich des „trial and error" als Handlungsmuster: Wenn eine Maßnahme nicht wirkt, versucht man es eben mit einer anderen. Sich langfristig realistische Ziele zu setzen, hält man für unnütz, weil es "doch anders kommt als man denkt".

An der aktuellen Flüchtlingskrise lassen sich die Nachteile einer solchen Politik  erkennen:  Das Problem wurde viel zu spät erkannt und man war darauf nicht vorbereitet. Insbesondere wurde versäumt, die Ursachen der Flüchtlingskrise präventiv zu bekämpfen. Der Flüchtlingsstrom kam für die Bundesregierung vielmehr überraschend. Die ersten Reaktionen bestanden aus hektischen Aktionen, um gegenüber der Öffentlichkeit Handlungsfähigkeit zu zeigen. In dieser Lage ist die regierungsamtliche "Willkommenskultur" entstanden. Es gab aber keinen konkreten Plan, wie man damit umgehen sollte. Ohne die gesellschaftlichen Initiativen und die vielen freiwilligen Helfer wäre aus der Politik der offenen Grenzen schnell eine Katastrophe geworden.

Bis heute hat die Bundesregierung auch nicht erklärt, welche langfristigen Ziele sie mit ihrer Flüchtlingspolitik anstrebt. Es fehlt weiterhin ein langfristiges Konzept für die Aufnahme und die Integration der Flüchtlinge. Angela Merkel erklärte zu ihrer Entscheidung vom 4. September 2015, aufgrund der aus Ungarn kommende Flüchtlinge unkontrolliert einreisen konnten, auf dem CDU-Parteitag: "Deutschland und Österreich haben dann eine Entscheidung getroffen, diese Menschen ins Land zu lassen. Ich sage: Dies war nicht mehr und nicht weniger als ein humanitärer Imperativ:"

Es dauerte zwei Jahre, bis Angela Merkel ihre Haltung grundsätzlich korrigierte. Sie nahm es sogar in Kauf, dass im Verhältnis zur CSU ein tiefer Riss entstand, weil diese für die Aufnahme von Flüchtlingen eine „Obergrenze“ von 200.000 Personen forderte. Angela Merkel lehnte dies kategorisch ab mit der vorgeschobenen Begründung, dass das Asylrecht keine Obergrenze kenne. 

Die politischen Folgen zeigten sich bei der Bundestagswahl am 24. September 2017, als CDU und CSU zusammen nur noch rund 33 Prozent der Wählerstimmen gewannen und die AfD als drittstärkste Kraft in den Bundestag einzog. Dieser politische Erdrutsch war in erster Linie Merkels Flüchtlingspolitik zu verdanken, wofür sie auch parteiintern verantwortlich gemacht wurde. Anfangs versuchte sie die Verantwortung von sich mit der Bemerkung wegzuschieben, sie wisse garnicht, was sie falsch gemacht haben sollte. Dann aber akzepierte sie vor den Sondierungen für eine Jamaika-Koalition plötzlich die von ihr stets abgelehnte  „Obergrenze“ der CSU. In dem dazu von CDU und CSU abgeschlossenen Asylkompromiss vom 9. Oktober 2017 heißt es: „Wir wollen erreichen, dass die Gesamtzahl der Aufnahmen aus humanitären Gründen die Zahl von 200.000 Menschen im Jahr nicht übersteigt.“ Was die Einsicht bei Angela Merkel nicht vermocht hatte, schaffte die Aussicht auf eine vierte Kanzlerschaft ohne viel Mühe.    


Zurück Druckoptimierte Version Diesen Artikel weiterempfehlen... Druckoptimierte Version
Benutzername:
User-Login
Ihr E-Mail
*