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Reform- und Steuerpolitik : Erbschaftsteuerreform 2015
08.07.2015 19:27 (4169 x gelesen)

Erbschaftsteuerreform 2015

Als das Bundesverfassungsgericht am 17. Dezember 2014 urteilte, dass die geltende Verschonung der Betriebe von der Erbschafts- und Schenkungssteuer mit Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz unvereinbar ist, war abzusehen, dass die Neuregelung zu einer längeren Auseinandersetzung zwischen den Koalitionsparteien führen werde.

Lutz Göbel, Präsident des Verbandes der Familienunternehmer, warnte: „Das Urteil kann die größeren Familienunternehmen in beträchtliche Schwierigkeiten stürzen“. Hans Peter Wollseifer, Präsident des Handwerks, warb für Augenmaß bei der Neuregelung: „Auch zuviel Bürokratie durch aufwendige Nachweispflichten bei neuen Regelungen ist für die kleinen Betriebe nicht tragbar.“ Dagegen forderte der Verdi-Vorsitzende Frank Bsirske, „dass künftig auch die Multimillionäre und Milliardäre entsprechend ihrer Leistungsfähigkeit zur Erbschaftssteuer herangezogen werden“.

Das Bundesverfassungsgericht urteilte, dass die Befreiung der Unternehmen von der Erbschaftssteuer aus Gründen des Gemeinwohls grundsätzlich nicht zu beanstanden ist, es sah aber beim geltenden System der Verschonung Änderungsbedarf: Die Begünstigung von Vermögen, das zu großen Teilen aus Verwaltungsvermögen besteht, hielt das Gericht für verfassungswidrig, ebenso die generelle Freistellung von Unternehmen bis zu 20 Beschäftigten. Für große Unternehmen sah das Gericht die Notwendigkeit, die Freistellung von der Steuerpflicht von einer "Bedürfnisprüfung" abhängig zu machen. Im Übrigen bemängelte es die Anfälligkeit der geltenden Regelung für mißbräuchliche Gestaltungen.

Angesichts dieser Ausgangslage ließ Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble Anfang 2015 ankündigen, dass er den Auftrag aus Karlsruhe „minimal-invasiv und zügig“ umsetzen wolle. Danach legte er einen Referentenentwurf vor, der die Verschonung von Unternehmen für den Fall, dass die Betriebe fortgeführt und die Arbeitsplätze erhalten bleiben, in den vom Bundesverfassungsgericht gerügten Punkten abänderte:

  •  Waren bislang Betriebe mit bis zu 20 Beschäftigten von der Lohnsummenprüfung freigestellt, sollten es zukünftig nur noch Kleinstbetriebe mit nicht mehr als drei Beschäftigten sein.
  •  Wurde der Erwerb von Betriebsvermögen bislang selbst dann uneingeschränkt verschont, wenn es bis zu 50 % aus Verwaltungsvermögen bestand, sollte die Verschonung zukünftig davon abhängen, in welchem Umfang Wirtschaftsgüter dem „Hauptzweck“ des Betriebes dienen.
  • Bei Großerwerben (über 26 Millionen Euro) sollte zukünftig eine „Verschonungsbedarfsprüfung“ stattfinden, auf Grund der die Steuer erlassen werden kann, wenn sie nicht aus „verfügbarem Vermögen“ (50 % des erworbenen sowie des bereits vorhandenen Vermögens) beglichen werden kann. 
  •  Bei Erwerben über 26 Millionen Euro sah der Referentenentwurf darüber hinaus in zwei Varianten  einen komplizierten Steuerabschlag vor.

Mit dem Referentenentwurf wollte die Bundesregierung einen doppelten Zweck erreichen: Die Verschonung von Betriebsvermögen sollte nach den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts verfassungsfest gemacht werden. Außerdem sollte  den gewerkschaftlichen und politischen Forderungen nach einer höheren Besteuerung von Großerwerben entsprochen werden. Ob diese Zwecke erreicht werden, ist mehr als zweifelhaft.

Es hat mehr als ein Jahr gedauert, bis sich die drei Regierungsparteien im Bundestag (CDU/CSU und SPD) und die Länder Ende im September 2016  nach Einschaltung des Vermittlungsausschusses auf den endgültigen Entwurf des neuen Erbschaftssteuergesetzes einigten:

  • Der Unternehmenswert soll zukünftig nicht mehr mit dem Faktor 18, sondern mit einem Faktor 13,75 ermittelt werden. Familienunternehmen dürfen vom Unternehmenswert 30 Prozent abziehen, wenn die Entnahmen/Ausschüttungen auf 37,5 Prozent begrenzt sind.
  • Im Erbfall wird dem Unternehmenserben die Steuer nur ein Jahr zinsfrei gestundet, statt der zuletzt geplanten zehnjährigen Stundung. Der Zinssatz beträgt 6 Prozent per anno.
  • Grundsätzlich bleibt es bei der bisherigen Verschonungsregel: Betriebsvermögen wird zu 85 oder sogar 100 Prozent von der Erbschaftssteuer verschont, wenn das Unternehmen mindestens fünf beziehungsweise sieben Jahren fortgeführt wird und eine vorgegeben Lohnsumme erhalten bleibt.
  • Von der Pflicht, die Lohnsumme nachzuweisen, sind nur noch Betriebe mit bis zu fünf Mitarbeitern generell befreit. Die Grenze liegt bisher bei 20 Mitarbeitern. 
  • Begünstigt ist nur das produktive Vermögen, nicht das Verwaltungsvermögen. Die ursprünglich beabsichtigte Trennung nach dem Zweck des Vermögens ist aufgegeben worden. Entfallen ist die bisherige Vergünstigung, dass der gesamte Betrieb bei einem Verwaltungsvermögen bis 50 Prozent verschont bleibt. Eine solche Komplettverschonung ist nur noch möglich, wenn der Anteil des darin enthaltenen Verwaltungsvermögens 20 Prozent nicht übersteigt.
  • Bei Großerwerben (über 26 Millionen Euro) muss der Begünstigte nachweisen, dass er der Verschonung bedarf. Dazu muss er künftig dem Finanzamt seine Vermögenslage offen legen. Ihm wird zugemutet, die Hälfte seines Privatvermögens für die Erbschaftssteuer einzusetzen. 
  • Will er das nicht, steigt die Steuerlast mit dem Unternehmensvermögen (sogenanntes Abschmelzmodell). Bei einem Erwerb ab 90 Millionen Euro wird der Begünstigte normal besteuert.

Grundsätzlich hat sich gegenüber dem ersten Entwurf nicht viel verändert. Im Ergebnis sind die Verschonungsregeln noch komplexer und unübersichtlicher geworden. Es ist deshalb zu erwarten, dass die Neuregelung erneut vom Bundesverfassungsgericht wegen Verletzung des Artikel 3 Abs. 1 Grundgesetz überprüft wird. Gleichzeitig sind die Regelungen insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen mit mehr Bürokratie und Kosten verbunden. Großen Unternehmen drohen in Erbschafts- und Schenkungsfällen erhebliche Steuerbelastungen. Der Wirtschafts- und Investitionsstandort Deutschland wird dadurch nicht attraktiver. Dabei ist keineswegs sicher, ob sich die Steuereinnahmen insgesamt durch die verschärften Regeln für Großerwerbe steigern lassen.

Der Kern des Problems liegt nicht in der steuerlichen Verschonung von betrieblichem Vermögen, sondern in der Systematik des geltenden Erbschaftsteuergesetzes mit unrealistischen Bewertungsregeln und hohen Steuersätzen (bis zu 50 Prozent). Unternehmen sollen zukünftig im vereinfachten Verfahren mit dem 13,75fachen ihres durchschnittlichen Gewinns bewertet werden. Bei einem Gewinn von 500.000 Euro nach Steuern  beläuft sich der so errechnete Unternehmenswert auf 6.875.000 Millionen Euro. Je nach Verwandtschaftsgrad entfallen darauf im günstigsten Fall 1.306.250 Euro (6.875 TEuro x 19 %) und im schlechtesten Fall 3.437.500 Euro (6.875 TEuro x 50 %) Erbschaft- oder Schenkungssteuern. Jedem leuchtet ein, dass die deutsche Wirtschaft eine solche konfiskatorische Substanzbesteuerung nicht überleben würde. Nur aus diesem Grund gibt es die Verschonung des betrieblichen Vermögens als Ausnahme von der Regelversteuerung. Scharfe Bewertungsregeln und hohe Steuersätze erfordern zwingend solche Ausnahmen, womit aber zwangsläufig das Risiko verbunden ist,  gegen den verfassungsmäßigen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz) zu verstoßen. 

Das Bundesverfassungsgericht hat dem Gesetzgeber in seinem Urteil für die Nachbesserung der geltenden Verschonungsregelung eine Frist bis Ende Juni 2016 gesetzt. Diese Frist wurde nicht eingehalten, weil der Bundesrat mit dem vom Bundestag beschlossenen Gesetzentwurf nicht einverstanden war und den Vermittlungsausschuss anrief. Daraufhin erhöhte das Bundesverfassungsgericht den Druck auf die Politik mit einem Brief an Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU): "Da eine entsprechende Gesetzesänderung bis heute nicht vorliegt, beabsichtigt der Senat, das weitere Vorgehen in dieser Normenkontrolle, insbesondere die Entscheidung, ob eine Vollstreckungsanordnung nach Paragraph 35 Bundesverfassungsgerichtsgesetz angezeigt ist, auf die Tagesordnung seines ersten regulären Beratungstermins nach der Sommerpause am 27. und 28. September zu setzen", schreibt der Verfassungsrichter Ferdinand Kirchhof ebenso freundlich wie unmißverständlich. Per Vollstreckungsanordnung könnte das Gericht die erforderlichen Nachbesserungen auch selbst vornehmen und die Politik damit beschämen.

Damit stellt sich erneut die Frage, ob es nicht  nach der Kette mißglückter Reformen endlich an der Zeit ist, sich für ein alternatives Erbschaftsteuermodell mit angemessener Bewertung des Vermögens und niedrigen Steuersätzen zu entscheiden. Dann könnte man gleichzeitig auf die streitanfälligen Ausnahmen und Befreiungen von der Regelversteuerung verzichten. Die derzeitige Neufassung der Verschonungsregeln wäre dazu eine geeignete Gelegenheit gewesen.  Das Bundesverfassungsgericht würde dem nicht im Wege stehen. Senatspräsident Ferdinand Kirchhof belehrte die Parteien bei der Urteilsverkündung vielmehr, die Politik habe nun die Wahl, ob sie nur die beanstandeten Punkte korrigieren oder „die Erbschaftssteuer völlig neu strukturieren“ wolle. Offensichtlich hatte die Politik aber nicht die Kraft, sich für die bessere Alternative zu entscheiden. 

In diesem Sinne hat sich auch der Präsident des ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung, Clemens Fuest, für eine grundsätzlich andere Reform ausgesprochen. "Die Politik hangelt sich von einer hochkomplizierten Regelung zur nächsten, in dem eigentlich richtigen Bemühen, Arbeitsplätze und Firmen zu sichern beim Übergang in die nächste Generation." Es wäre jedoch besser, alle Ausnahmen abzuschaffen und acht Prozent auf jede Form von Vermögen zu erheben, egal ob Firmen, Immobilien, Aktien, Bargeld oder andere Arten.    


 


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