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Banken- und Finanzkrise : Streit um Anleihekäufe der EZB
16.08.2017 23:04 (2303 x gelesen)

Streit um Anleihekäufe der EZB

Anfang 2015 beschloss die Europäische Zentralbank (EZB) im Rahmen des sogenannten  „Quantitative Easing“ (QE) ein unfangreiches Programm zum Ankauf von Euro-Staatsaleihen (PSPP). Das Programm sieht vor, dass die Zentralbank von europäischen Banken monatlich für 60 Milliarden Euro Staatsanleihen im Volumen von insgesamt 1,8 Billionen Euro ankauft. Für den Ankauf gilt der Kapitalschlüssel der nationalen Notenbanken bei der EZB. Ein Fünftel der Käufe erwirbt die EZB auf Gemeinschaftsrechnung, der Rest wird auf getrennte Rechnung der nationalen Notenbanken erworben. Bis Mitte Mai 2017 wurden Staatsanleihen in einem Volumen von circa 1,5 Billionen Euro angekauft.

Die Entscheidung der EZB löste unter Ökonomen und Juristen eine heftige Diskussion über die Notwendigkeit und Rechtmäßigkeit eines solchen Programms aus. Mitte August 2017 entschied das Bundesverfassungsgericht über mehrere Verfassungsbeschwerden im Sinne der Beschwerdeführer. Ein Jahr später fand der Anhörungstermin vor dem Europäischen Gerichtshof statt, in dem die Beteiligten ihren Standpunkt darlegen konnten.

Bemerkenswert waren dabei die Einlassungen der Bundesregierung, mit denen sie die Verteidigung der EZB und der EU-Kommission unterstütze.  

Bundesverfassungsgericht

Die Anleihekäufe der EZB sind auf  erheblichen Widerstand gestoßen. Der Bundestagsabgeordnete Peter Gauweiler (CSU) sowie der AfD-Gründer und Europaparlamentarier Bernd Lucke und der Finanzwissenschaftler Markus Kerber haben gegen dieses „Public Sector Purchase Programme“ (PSPP) der EZB beim Verfassungsgericht in Karlsruhe Verfassungsbeschwerde eingelegt.

Mitte August 2017 hat das Bundesverfassungsgericht über die Verfassungsbeschwerde zugunsten der Beschwerdeführer entschieden. Nach Auffassung des zuständigen Senats sprechen gewichtige Gründe dafür, dass das Anleihekaufprogramm (1) gegen das Verbot der monetären Haushaltsfinanzierung verstößt, (2) über das Mandat der EZB für die Währungspolitik hinausgeht und (3) als wirtschaftspolitische Maßnahme in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten eingreift. Damit bestätigt das Verfassungsgericht den Vortrag der Beschwerdeführer, die verlangen, dass die Deutsche Bundesbank an diesem Programm nicht mitwirken darf und der Deutsche Bundestag und die Bundesregierung verpflichtet sind, geeignete Maßnahmen gegen das Programm zu ergreifen.

Das Bundesverfassungsgericht hat das Verfahren ausgesetzt und den Rechtsstreit dem Europäischen Gerichtshof zur Entscheidung über die europarechtlichen Fragen vorgelegt. Dieser hat sich bereits in einem früheren Verfahren zur Zulässigkeit von Anlagekäufen durch die EZB geäußert. Damals ging es um das sogenannte „OMT-Programm“ (Outright Monetary Transactions), das aber nie umgesetzt wurde. In diesem Verfahren war der Europäische Gerichtshof zu dem Ergebnis gekommen, dass der Ankauf von Staatsanleihen durch die EZB zulässig ist, wenn sichergestellt ist,  dass sie auf dem sogenannten Sekundärmarkt erworben werden.

Mit dem neuen Vorlagebeschluss erhält der Europäische Gerichtshof die Möglichkeit, seine bisherige Rechtsprechung zu überprüfen. Dazu hat das Bundesverfassungsgericht den Richtern in Luxemburg seine Bedenken und Erwägungen mitgeteilt:

• Die Verträge der Europäischen Union verbieten es der EZB und den Zentralbanken der Mitgliedstaaten, Staatsanleihen unmittelbar, d.h. auf dem Primärmarkt, von den Mitgliedstaaten und Einrichtungen der EU zu erwerben (Artikel 123 Abs. 1 AEUV). Solche Anleihen dürfen nur auf dem Sekundärmarkt gekauft werden.
• Das Bundesverfassungsgericht geht davon aus, dass es sich bei dem PSPP-Programm um unzulässige Käufe auf dem Primärmarkt handelt, weil (1) auf den Märkten die „faktische Gewissheit“ des Ankaufs besteht, (2) die Einhaltung von Mindestfristen zwischen der Ausgabe der Wertpapiere auf dem Primärmarkt und dem Ankauf auf dem Sekundärmarkt nicht nachprüfbar ist, (3) die erworbenen Anteile bis zur Endfälligkeit gehalten werden und  (4) sogar Anteile mit negativer Rendite erworben werden.
• Die Zuständigkeit der EZB umfasst nur währungspolitische Maßnahmen, für wirtschaftspolitische Angelegenheiten sind demgegenüber die EU-Mitgliedsländer selbst zuständig.
• Nach Meinung des Gerichts spricht schon das Volumen des PSPP-Programms für eine wirtschaftspolitische Maßnahme. In Bezug auf die währungspolitische Zielsetzung könnte sich das Programm zudem als unverhältnismäßig erweisen.
• Für den Ankauf gilt der Kapitalschlüssel der nationalen Notenbanken bei der EZB. Ein Fünftel der Käufe erwirbt die EZB auf Gemeinschaftsrechnung, der Rest wird auf getrennte Rechnung der nationalen Notenbanken erworben.
• In dieser Risikoteilung sieht der Senat möglicherweise eine „Verletzung der Verfassungsidentität“, weil sie eine Rekapitalisierung der Bundesbank mit staatlichen Haushaltsmitteln erforderlich machen könnte, die an die Zustimmung des Deutschen Bundestages gebunden ist.

Unter Ökonomen und Juristen ist die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts auf höchst unterschiedliche Reaktionen gestoßen. Die EU-Kommission in Brüssel hält die Bedenken für unbegründet. Verärgert zeigte sich auch Marcel Fratzscher, der Chef des DIW in Berlin. „Das Bundesverfassungsgericht hätte die Klage abweisen müssen. Ich erwarte, dass der Europäische Gerichtshof sich wie auch im vergangenen Jahr wieder für die EZB und gegen das Bundesverfassungsgericht entscheidet.“

Der Präsident des Ifo-Instituts in München, Clemens Fuest, lobte den Beschluss aus Karlsruhe. „Es ist wichtig dass Umfang und Grenzen des Mandats der EZB rechtlich klarer definiert werden“, sagte Fuest. Er halte das aktuelle Kaufprogramm aber nicht für eine Überschreitung des geldpolitischen Mandats der EZB. Die Kläger sehen demgegenüber im Richterspruch aus Karlsruhe einen großen Erfolg. „Der Fall fängt erst richtig an, zumal das Bundesverfassungsgericht minutiös die unverhältnismäßigen Risiken und die Begründungsdefizite des EZB-Handelns belegt hat“, sagt Markus Kerber, einer der Kläger In Karlsruhe.

Europäischer Gerichtshof

Mit seinem Vorlagebeschluss bat das Bundesverfassungsgericht den  Europäischen Gerichtshof (EuGH), den Fall wegen der ständig ansteigenden Ankäufe von Staatsanleihen im Eilverfahren zu entscheiden. Dies lehnte der Präsident der EuGH ab. 

Erst nach zwölf Monaten luden die Luxemburger Richter die beteiligten Parteien Mitte Juli 2018 zu einem Anhörungstermin nach Luxemburg. Inzwischen hatte die EZB beschlossen, das umstrittene Ankaufsprogramm Ende 2018 auslaufen zu lassen. Ab dann sollen nur noch für fällig werdende Staatsanleihen Ersatzpapiere gekauft werden.

In der mündlichen Verhandlung des EuGH waren die Einlassungen der Bundesregierung zu den umstrittenen Anleihekäufen besonders bemerkenswert. In früheren Verlautbarungen hatte sie immer wieder betont, sie wolle zu Entscheidungen der EZB nicht Stellung nehmen, weil diese „unabhängig“ sei. Dass es sich dabei um eine Ausrede handelte, war politischen Insidern schon seit längerem bekannt. Denn es ist ein offenes Geheimnis, dass die Bundesregierung bei den umstrittenen Anleihekäufen intern nicht die Bundesbank, sondern die EZB unterstützt.

Vor dem Luxemburger Gericht musste die Bundesregierung allerdings Farbe bekennen. In ihrer Stellungnahme gegenüber dem Europäischen Gerichtshof unterstützte sie offen die Linie der EZB bei ihrer Ankaufspolitik und distanzierte sich damit von der kritischen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. In einer „Erklärung“ räumt die Bundesregierung zwar ein, dass die expansive Geldpolitik „teilweise nicht unproblematisch“ sei, abschließend stellt sie jedoch fest, dass das umstrittene Staatsanleihekaufprogramm nicht gegen das Verbot der monetären Staatsfinanzierung (Artikel 123 des EU-Vertrages) und auch nicht gegen das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung verstoße.

Die Bundesregierung folgte damit der EZB und der EU-Kommission, die in ihren Stellungsnahmen ebenfalls die Rechtmäßigkeit und Notwendigkeit des Ankaufsprogramms verteidigten, teils mit sehr ähnlichen Formulierungen. Sehr viel reservierter klang demgegenüber die Argumentation der Bundesbank. Ihr Präsident Jens Weidmann hatte schon seinerzeit gegen das von EZB-Präsident Mario Draghi forcierte PSPP-Kaufprogramm gestimmt. Auch im Gerichtstermin blieb die Bundesbank kritisch. Dieses Programm sei zwar „deutlich weniger problematisch“ als das frühere OMT-Programm, dennoch seien „Staatsanleihekäufe in der Wirtschafts- und Währungsunion grundsätzlich ein mit besonderen Problemen behaftetes unkonventionelles Instrument, insbesondere wenn sie einen substantiellen Umfang annnehmen.“

Die Beschwerdeführer kritisierten in ihren Stellungsnahmen vor allem die Unterscheidung zwischen Primär- und Sekundärmarktkäufen. Dietrich Murswiek, der die Interessen von Peter Gauweiler vertritt, sprach von „funktional äquivalenten“ Käufen. Der  Prozessvertreter  Hans-Detlef Horn argumentierte, es sei „letztlich offenkundig, dass der Staatsanleihekauf über den Sekundärmarkt wie eine Staatsfinanzierung wirkt, denn die Marktteilnehmer wissen, dass die EZB als riesiger Nachfrager da ist, sie richten ihr gesamtes Verhalten danach aus“. Hans-Detlef Horn forderte: „Die Selbstherrlichkeit, mit der die EZB sich von den Verträgen wegbewegt hat und weit in die Wirtschaftspolitik eingreift, muss beendet und begrenzt werden – aus demokratischen Gründen.“

Kalter Staatsstreich?

Ende 2018 entschied der EuGH, dass die EZB mit dem Ankauf von Staatsanleihen ihr Mandat nicht überschritten habe. Dieses Urteil provozierte scharfe Kritik aus Deutschland. Das Gericht sei  "nicht gewillt, die Europäische Zentralbank in die Schranken ihres Mandats zu verweisen", rügten die Kläger. Die Entscheidung führe zu einer "weiteren Umgestaltung der Währungsunion", kritisierten der zu den Klägern gehörende Peter Gauweiler (CSU) und sein Prozessvertreter, Dietrich Murswiek. "Das Verbot der monetären Staatsfinanzierung war für Deutschland unter der Regierung Kohl unabdingbare Voraussetzung für den Beitritt zur Währungsunion."

Nun muss sich das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) zu einem endgültigen Urteil über die Verfassungsbeschwerden durchringen. In seinem Vorlagebeschluss hatte es von "gewichtigen Gründen" gesprochen, die für eine Kompetenzüberschreitung durch die EZB sprächen. Hielte es die Verfassungsbeschwerden trotz des EuGH-Urteils für begründet, wäre das sicherlich ein Eklat. Gelänge es jedoch dem EuGH, das BVerfG zu veranlassen, die Verfassungsbeschwerden als unbegründet zurückzuweisen, käme dies einer Demontage des BVerfG gleich. Man müsste dann von einem kalten Staatsstreich sprechen.  

Der ehemalige Bundesverfassungsrichter Dieter Grimm hat dem EuGH vorgeworfen, eine schleichende Aushöhlung nationaler Kompetenzen zu betreiben, die fernab vom Grundgesetz und in einem nicht demokratischen Modus erfolge (FAZ vom 10.Dezember 2019). Dieser Vorwurf  gilt auch zu den Kompetenzen, die der EuGH für sich selbst beansprucht. Das BVerfG hätte den Konflikt mit dem EuGH vermeiden können, wenn er über die Verfassungsbeschwerden sofort entschieden hätte, statt den EuGH über den Mandatsumfang der EZB befinden zu lassen. In gleicher Weise hätte man vom EuGH erwarten können, dass er die Vorlage des BVerfG mangels Zulässigkeit zurückweist statt sich in der Sache mit den fundierten Argumenten des BVerfG auseinanderzusetzen.

Offensichtlich haben beide Seiten den Konflkt gesucht. Das BVerfG ist jetzt am Zuge und muss entscheiden, ob das Urteil des EuGH mit dem Grundgesetz vereinbar ist.


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