Gabriel in China
Anfang November 2016 besuchte Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) in Begleitung von 60 deutschen Wirtschaftsvertretern die Volksrepublik China. Es gab in den deutsch-chinesischen Wirtschaftsbeziehungen einiges zu besprechen und zu regeln.
Im Februar 2016 waren Stahlarbeiter aus Deutschland und anderen europäischen Ländern in Brüssel gegen die Billigkonkurrenz aus China auf die Straße gegangen. Gabriel hatte mit dafür gesorgt, dass die Europäische Union gegen China ein Antidumping-Verfahren durchführte und chinesische Stahlimporte mit Strafzöllen belegte. Schon dies empfand die chinesische Regierung als Affront.
Ende Oktober 2016 widerrief das Bundesministerium für Wirtschaft dann in Abstimmung mit dem Bundeskanzleramt seine kurz zuvor erteilte Unbedenklichkeitsbescheinigung für Aixtron, einen deutschen Maschinenbauer für die LED-Industrie, in Bezug auf die Übernahme durch ein chinesisches Unternehmen. Angeblich wegen US-amerikanischer Sicherheitsbedenken, was die Chinesen besonders empörte.
Tatsächlich ging es jedoch um etwas Grundsätzliches: Wenige Wochen zuvor hatte Gabriels Staatssekretär Matthias Machnig innerhalb der Bundesregierung ein Papier mit „Eckpunkten für einen Vorschlag zur Investitionsprüfung auf EU-Ebene“ verschickt. Ziel dieses Papiers war es, europäischen Regierungen eine größere Mitsprache beim Verkauf von Hochtechnologie-Unternehmen an außereuropäische Staaten einzuräumen. Staatliche Eingriff sollte danach insbesondere „gerechtfertigt sein, wenn ausländische Investoren im Herkunftsland des Erwerbs nur eingeschränkten Marktzugang haben“. Erkennbar handelte es sich hierbei um eine „Lex-China“, um den Aufkauf deutscher Hochtechnologie-Unternehmen durch chinesische Firmen zu stoppen. Aus chinesischer Sicht brachte Gabriel damit das Fass zum Überlaufen.
Zur Begründung seiner Initiative berief sich Sigmar Gabriel auf das Prinzip der Reziprozität. Während chinesische Unternehmen deutsche Hightechfirmen wie Kuka oder Osram aufkaufen können, ist deutschen Firmen eine Unternehmensbeteiligung in China nur mit einem chinesischen Partner gestattet. Michael Fuchs, Vizefraktionschef der CDU, betonte deshalb: „Wir müssen mit den Chinesen reden, ihnen klarmachen, dass sie, wenn sie bei uns Unternehmen erwerben wollen, deutschen Firmen im Umkehrschluss das Gleich erlauben müssen. Anders geht es nicht.“
Um mit diesem Anlegen Gehör zu finden, ging Sigmar Gabriel einen ungewöhnlichen Weg. Er veröffentlichte in einer bekannten deutschen Tageszeitung kurz vor Antritt der Reise nach China einen Artikel, in dem er nicht nur seine Forderungen sondern auch seine Verhandlungsstrategie veröffentlichte. „Wer in anderen Teilen der Welt investieren will, darf Investitionen aus diesen Ländern im eigenen Land nicht verhindern. Reziprozität ist das Gebot. Wir haben viel Grund, dafür selbstbewusst einzutreten. Angsthasen genießen keinen Respekt in China, und Liebdienerei wird sogar verachtet. Auf meiner China-Reise werde ich mit meinen chinesischen Kollegen besprechen, wie dort Marktbeschränkungen und Investitionsbarrieren für deutsche Unternehmen abgebaut werden können. Chinas Joint-Venture-Zwang und Investitionsverbot in bestimmten Branchen baut einseitig Hürden auf, die unserem Verständnis widersprechen.“
Sigmar Gabriel verband mit diesem Artikel sicherlich die Hoffnung, damit bei der deutschen Wirtschaft und in der Öffentlichkeit punkten zu können. Die deutsche Außenwirtschaft sieht die Pläne des Wirtschaftsministers jedoch sehr kritisch. „Als deutsche Industrie sind wir Gefangener, denn wir fordern für uns ja immer offenere Märkte, weil wir exportieren müssen“, sagte der Vorsitzende des Asien-Pazifik-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft (APA), Hubert Lienhard. „Insofern bin ich dafür, dass wir in Deutschland keine schärferen Regeln (für Übernehmen aus China) einziehen.“
Mit seinen öffentlichen Initiativen hat Sigmar Gabriel das deutsch-chinesische Verhältnis schwer belastet. Das Außenministerium in Peking bestellte den deutschen Gesandten ein, um eine Protestnote zu übergeben. Darin wird die Einmischung Berlins in den Verkauf von Aixtron an ein chinesisches Konsortium scharf kritisiert. Zudem meldete sich die chinesische Regierung auch öffentlich zu Wort. „Wenn sich irgendeine dritte Partei in diese Investitionsgeschäfte einmischt, dann schadet das dem deutsch-chinesischen Verhältnis“, sagte der Sprecher des chinesischen Außenministeriums.
Über ihren Botschafter in Deutschland, Shi Mingde, ließ die Volksrepublik China die deutsche Öffentlichkeit ebenfalls über eine bekannte Tageszeitung wissen: „Als Botschafter Chinas in Deutschland bin ich wegen der deutlicher zunehmenden protektionistischen Tendenzen in Deutschland besorgt. Gegenwärtig haben sich mehr als 8.000 deutsche Firmen in China angesiedelt, mit einer Gesamtinvestition von mehr als 60 Milliarden Euro. Derzeit beträgt das Volumen von Chinas Investitionen im Ausland etwa 1,1 Billionen Dollar, seine Investitionen in Deutschland belaufen sich lediglich auf 8 Milliarden Dollar. Hier ist noch sehr viel Raum für Wachstum. Es würde den Interessen beider Seiten entsprechen, bei den wechselseitigen Investitionsbeziehungen eine Balance herzustellen. Da ist es unverständlich, dass die chinesische Investitionstätigkeit in Deutschland schon in ihrer Startphase auf Beschränkungen trifft.“
Als Sigmar Gabriel mit seiner Begleitung in Peking eintraf, wurde er von der chinesischen „Global Times“ mit der Überschrift empfangen: „Wir hoffen, dass Gabriel nach China nicht mit bösen Absichten kommt.“ Das Blatt warnte ihn in dem Artikel, die Beziehungen zwischen den beiden Ländern nicht aus kurzfristigen politischen Parteiinteressen „auf Abwege zu führen“. Dabei erinnerte das Blatt auch daran, dass Gabriel einer der Hauptakteure der EU-Antidumping-Untersuchungen gegen Chinas Stahlexporte gewesen sei.
Gabriel ließ in Peking keinen Zweifel daran, dass er chinesische Investitionen in Deutschland und Europa stärker überprüfen und gegebenenfalls verhindern will. Dementsprechend eisig war der Empfang bei seinen Gastgebern. Die Gespräche verliefen in äußerst angespannter Atmosphäre und waren durch Kontroversen geprägt. Ein gemeinsamer Auftritt von Sigmar Gabriel mit Chinas Handelsminister Gao Hucheng vor dem deutschen Wirtschaftsausschuss im Handelsministerium wurde von chinesischer Seite abgesagt. Ein Teilnehmer der 60-köpfigen Wirtschaftsdelegation sagte: „So etwas haben wir noch nie erlebt.“
Die deutsch-chinesischen Wirtschaftsbeziehungen befinden sich nach dem Besuch von Sigmar Gabriel auf einem Tiefpunkt. Mit seinem undiplomatischen Auftreten hat er viel Porzellan zerschlagen und Vertrauen verspielt. Er hat damit weder der deutschen Wirtschaft noch dem freien Warenhandel einen Gefallen getan. Er ist auch bei der berechtigten Forderung nach Reziprozität keinen Schritt voran gekommen. Ohne Wiederherstellung des gegenseitigen Vertrauens - vor allem zwischen den beteiligten Personen - wird es mit den Chinesen zu keiner Verständigung kommen.
Nicht ohne Grund warnte der Sachverständigenrat in seinem letzten Gutachten vor protektionistischen Tendenzen auch in Deutschland und der EU. Deutschland müsse mit gutem Beispiel vorangehen, auch im Verhältnis zu China: „Trotz der fehlenden Reziprozität sollte Deutschland an seiner Offenheit gegenüber chinesischen Investoren selbst einseitig festhalten.“