"Klimaschutzplan 2050"
Auf dem Pariser Klimagipfel im Dezember 2015 einigten sich die 200 Teilnehmerstaaten darauf, die Erderwärmung solle „möglichst“ nicht über 1,5 Grad steigen. Die Vereinbarung ist aber rechtlich nicht bindend, sondern überlässt die Umsetzung des Ziels den jeweiligen Nationen. Sie sollen sich konkrete Ziele zur Minderung des CO2-Ausstoßes setzen und einen nationalen Klimaschutzplan aufstellen.
In Erledigung dieses Auftrags erarbeitete das Bundesumweltministerium unter Beteiligung interessierter Bürger und Verbände den „Klimaschutzplan 2050“, der vorsieht, die CO2-Emissionen in Deutschland bis 2030 um 55 Prozent zu senken. Das ist deutlich mehr als das EU-Klimaziel, das nur eine Senkung von 40 Prozent vorsieht. Erreicht werden soll das Ziel durch anspruchsvolle Zielvorgaben beim CO2-Ausstoss für die Sektoren Energiewirtschaft, Verkehrswesen, Industrie und Gebäudebereich. Bis 2050 soll dann die Energiegewinnung nahezu CO2-frei und auf erneuerbare Energien umgestellt sein.
Mit dem Klimaschutzplan 2050 beabsichtigt die Bundesregierung, das Tempo der Energiewende deutlich zu beschleunigen. Sie will Fakten schaffen, um die Energiewende unumkehrbar zu machen. Ob die für die einzelnen Sektoren gesetzten CO2-Ziele realistisch sind und welche konkreten Konsequenzen sie für Bürger und Unternehmen haben, spielte für die Bundesregierung angesichts dieser Zielsetzung nur eine nachrangige Rolle. So konnte es nicht ausbleiben, dass der Klimaschutzplan auf erheblichen Widerstand gestoßen ist.
Ziele und Kritik
Innerhalb der Bundesregierung war Umweltministerin Barbara Hendriks (SPD) für den "Klimaschutzplan 2050" federführend . Mit dem Papier, das mit Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) abgestimmt war, sollte der Klimaschutz noch einmal deutlich aufgewertet werden: "Die Klimaschutzziele werden gleichwertig mit den Zielen der ökologischen und sozialen Entwicklung stehen." Gleichzeitig wurde unmissverständlich gesagt, wohin die Reise gehen sollte: "Die Energieerzeugung muss spätestens bis 2050 nahezu vollständig CO2-neutral erfolgen." Damit war nicht nur die Elektrizität gemeint, sondern auch die Energie, die für industrielle Prozesse, für Wärme und Kälte in Wohnungen, für den Transport auf Straße und Schiene benötigt wird. Es gibt kaum einen Wirtschaftssektor, der durch diesen Plan nicht angesprochen wird.
Der ursprünglichen Plan war durch eine Vielzahl von Verboten und Geboten für die einzelnen Sektoren geprägt. Darin wurde angeordnet, was bis 2030 getan werden musste oder danach unzulässig war, damit die CO2-Emissionen um das vorgebenen Maß sänken. So sah der Plan zum Beispiel vor:
- Bis 2050 soll die Stromerzeugung aus regenerativen Energien, vor allem aus Wind und Sonne, um das Drei- bis Vierfache gesteigert werden.
- Moderne Gas- und Kohlekraftwerke gelten als Übergangstechnologie. Sie sollen "schrittweise an Bedeutung" verlieren. Der Abbau und die Verstromung der (Braun-)Kohle soll beendet werden.
- Der europäische Emissionshandel soll "zielkonformer" gemacht und durch nationale Maßnahmen ergänzt werden, d.h. für die Industrie wird es teuerer.
- Auch für Häuser werden die Anforderungen verschärft: Altbauten sollen bis 2050 "weitgehend klimaneutral werden". In Neubauten sollen Gas- und Ölheizungen ab 2030 verboten sein.
- Auf den Straßen sollen von 2030 weitgehend nur noch Autos fahren, die mit Strom betrieben werden.
- Die Landwirtschaft soll ihre Emissionen bis 2050 halbieren. Die Bauern sollen weniger düngen und ihre Rinderställe verkleinern. Der Fleischexport soll reduziert und der Fleischkonsum mindestens halbiert werden.
Der Klimaschutzplan der Umweltministerin wurde im Kanzleramt geprüft und den betroffenen Ministerien zur Abstimmung übrsandt. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hielt sich öffentlich zwar zurück, intern wurde der Plan von ihr aber stark voran getrieben. Politischen Widerstand gab es nur von vier Mitgliedern der Unionsfraktion im Bundestag (Georg Nüßlein, Gitta Connemann, Michael Fuchs und Arnold Vaatz), die den Klimaschutzplan in einem Brief an das Kanzleramt als "grundsätzlich falsch gestrickt" kritisierten und vor "massiven Auswirkungen auf die künftige Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandortes Deutschland" warnten. Der Umweltministerin warfen sie vor, sie betreibe anders als behauptet nicht eine auf Markt, Innovation und Wettbewerb zielende Politik, "sondern zeichnet faktisch den Weg in eine ´Klima-Planwirtschaft´vor".
Auch von Seiten der FAZ (Ausgabe vom 30. Juni 2016) kam Kritik: "Mit dem Klimaschutz auf den Lippen, aber der Diktatur des Ordnungsrechts im Gepäck kommt Umweltministerin Barbara Hendriks (SPD) daher: Öl- und Gasbrenner werden verboten, das Ausstreuen von Torf im heimischen Garten wird untersagt. Der Fleischkonsum soll halbiert werden, damit die Kühe in Deutschland weniger Methan abgeben. Der Exportweltmeister erwägt sogar, die Fleischausfuhr zu verbieten. Die Einfuhr von Holz könnte untersagt werden, wenn es nicht zertifiziert ist. Die Braunkohlekumpel sollen mit einem "Regionalfonds" darüber hinweg getröstet werden, dass ihre Arbeitsplätze baldmöglichst abgewickelt werden. Dass der Industrie geraten wird, CO2 in die Erde zu verpressen, obwohl die Politik genau dies verhindert hat, ist eine besondere Frechheit. Die Bürger sollten und werden sich diesen Weg in eine Klimadiktatur auf Dauer nicht gefallen lassen."
Illusionen und Realitätsverlust
Wie illusionär solche Pläne sind, zeigt schon ein Blick auf den derzeitigen Anteil der Wind- und Sonnenenergie an der gesamten Energiebilanz: Gerade einmal 3,3 Prozent des Primärenergiebedarfs wird heute durch die Erneuerbaren gedeckt. Ein wesentlicher Grund dafür ist die fehlende Speicherfähigkeit und die Tages- und Wetterabhängigkeit des Öko-Stroms: „Berücksicht man den Energieverlust, der bei der Speicherung entsteht, und beachtet, dass Windkraftanlagen ohnehin nur 1500 von 8760 Stunden im Jahr (17 Prozent) Volllast bringen, zeigt sich, dass nur maximal 10 Prozent der Nennleistung einer Windkraftanlage tatsächlich dauerhaft nutzbar sind“, schreibt der Umweltökonom Joachim Weimann von der Universität Magdeburg. „Man kann leicht überschlagen, welche Kapazitäten für die Windstromerzeugung, die Speicherung und die Rückgewinnung des Stroms aus dem Speichermedium notwendig sind, um allein die Atomkraftwerke zu ersetzen, die wir demnächst stilllegen werden. Die gerade von der Bundesregierung beschlossenen Ausbauziele für die Windkraft werden nicht ausreichen, allein das zu schaffen – ganz zu schweigen von einer Dekarbonisierung der Energiegewinnung.“
Unrealistisch ist der Klimaschutzplan auch aus ökonomischen und umweltpolitischen Gründen. Die komplette Umstellung des Energieverbrauchs auf Strom aus Wind und Sonne hätte einen massiven Anstieg der Energiepreise in Deutschland zur Folge, der bei den Verbrauchern auf massiven Widerstand und in der Industrie zur Abwanderung aus Deutschland führen würde. Zudem zeigen sich schon heute die ökologischen der Folgen der erst am Anfang stehenden Energiewende. „Gegenwärtig existieren bereits mehr als 600 Bürgerinitiativen, die gegen den weiteren Ausbau der Windenergie an Land kämpfen. Sollte der Ausbau wirklich in dem Maße durchgeführt werden, wie es der Klimaplan vorsieht, würde der Widerstand vermutlich sehr stark steigen“, prognostiziert Joachim Weimann.
Im Übrigen sind die in dem „Klimaschutzplan 2050“ vorgesehenen Maßnahmen ohne Wirkung, weil es in der Europäischen Union (EU) den Handel mit Emissionszertifikaten gibt. Zur Wirkung dieses Systems schreibt Hans-Werner Sinn: „Wenn in Deutschland die Kraftwerke abgeschaltet werden, werden sie anderswo in Betrieb genommen, und zwar in einem Umfang, dass dort exakt soviel zusätzliches Kohlendioxyd in die Luft geblasen wird, wie wir einsparen.“ Der Ersatz von Kohle und Gaskraftwerken durch erneuerbare Energien bewirkt also nur eine regionale Verlagerung oder Umverteilung des CO2-Ausstoßes, ohne an der Gesamtmenge in Europa etwas zu ändern. Der Einfluss auf das Klima ist per Saldo null.
Darauf hat bereits der Klimaschutzbericht der Vereinten Nationen (IPCC) vom 14. April 2014 hingewiesen: „In einem Emissionshandelssystem mit einer hinreichend strengen Deckelung haben andere Maßnahmen wie die Subventionierung erneuerbarer Energien keinen weiteren Einfluss auf den gesamten CO2-Ausstoß.“ In der deutschen Bundesregierung bleibt dieser Hinweis konsequent unbeachtet.
Zu allem Überfluss wird bei einem weiteren Ausbau der Erneuerbaren nur relativ wenig CO2 eingespart. Deutschland hat einen CO2-Anteil von 2,5 Prozent der Weltemissionen. Für China, das sich zu keiner CO2-Einsparung verpflichtet hat, sind es 29 Prozent. Alles das, was die Bundesregierung bis 2020 an CO2-Senkungen erreichen will, wird in China in drei Monaten wieder wettgemacht. Andere Länder in Europa wie Großbritannien, Spanien, Dänemark, Italien und Polen haben die Überförderung der Erneuerbaren längst zurückgeführt. Sie betreiben die Energiewende mit Augenmaß, wirtschaftlich und netztechnisch verkraftbar, ohne Landschaft und Natur zu zerstören. "Diesen Mut hat die Bundesregierung nicht. Denn sie hat Angst vor den Hohepriestern der Energiewende in Politik, Publizistik und Verbänden, die uns weismachen wollen, dass wir in naher Zukunft auf hundert Prozent erneuerbare Energien umstellen können, ohne den Standort Deutschland gravierend zu schaden", schreiben Jürgen Großmann und Fritz Vahrenholdt.
Widerstand und Pannen
DIe Absicht der Bundesregierung, das Tempo der Energiewende mit dem Klimaschutzplan 2050 noch einmal deutlich zu erhöhen, traf auf deutlichen Widerstand: Die Wirtschaft kritisierte das Ziel, den Ökostrom-Anteil von 55 - 60 Prozent, der ursprünglich bis 2035 erreicht sein sollte, auf 2030, also fünf Jahre früher, zu verlegen. Dazu enthielt der Plan genaue CO2-Vorgaben für die einzelnen Sektoren der Volkswirtschaft. Insbesondere sollte die Kohleverstromung - stärker als bisher vorgesehen - heruntergefahren werden. Außerdem sah der Plan vor, dass beim europäischen Zertifikatehandel ein staatlich festgesetzter Mindestpreis festgesetzt werden sollte.
BDI-Präsident Ulrich Grillo sagte dazu: "Klimaschutz muss für unsere Unternehmen umsetzbar sein und sie wettbewerbsfähig halten, damit er weltweit als Vorbild dienen kann. Deshalb lehnen wir Sektorziele ab." Zudem kritisierte er die sich abzeichnende Regelungswut im Klimaschutzplan: "Der Entwurf ist dirigistisch, ein nationaler Alleingang, der europäische Klimapolitik missachtet." Die Hauptgeschäftsführerin der Wirtschaftsvereinigung Metalle, Franziska Erdle, betonte: "Eine Doppelregulierung durch zusätzliche nationale Sektorziele mindert die Effizienz des Emissionshandels und schadet der Wettbewerbsfähigkeit unserer Industrie, ohne einen Nutzen für den Klimaschutz zu bringen."
Die Kritik erreichte auch die Bundeskanzlerin: In der Fraktionssitzung der CDU/CSU musste sie sich Sätze wie "Es kann nicht sein, dass Deutschland deindustrialisiert wird" anhören - wie immer mit unbewegtem Gesicht. Solche Kritik führte jedoch dazu, dass die Bundesumweltministerin, "mit den Ressorts und den Regierungsfraktionen" weitere Diskussionen führte. Es sollte "klargestellt werden, dass mit dem Klimaschutzplan keine Zielverschärfung verbunden ist", heißt es in einem Papier des Bundeskanzleramtes. Die Zeit drängte, weil Barbara Hendriks den Klimaschutzplan im November 2016 auf der Weltklima-Konferenz in Marrakesch präsentieren wollte. Das Kabinett sollte ihn deshalb am 9. November 2016 beschließen. Bei den nachfolgenden Gesprächen wurden vor allem die von der Wirtschaft beanstandeten konkreten Verbote und Gebote für einzelne Sektoren gestrichen oder abgemildet. Stattdessen wurden aber konkrete Minderungsziel für einzelne Wirtschaftssektoren festgelegt, die es vorher so nicht gab.
Es bleibt bei dem Ziel der "weitgehenden Treibhausgasneutralität bis 2050". Um dieses Ziel zu erreichen, müssen die Emissionen der Energiewirtschaft sowie der Industrie und Wirtschaft, bei Gebäuden und Verkehr bis 2050 "weitgehend vermieden werden". Zwischenziele werden für 2030 gesetzt: Die Energiewirtschaft soll den Ausstoß von Treibhausgasen bis 2030 nahezu halbieren, der Verkehrssektor soll die Emissionen um rund 40 Prozent, die Industrie um ein Fünftel und der Wohnungssektor um ein Drittel reduzieren. Der Mindestpreis für CO2-Zertifikate und das Verbot von Gasheizungen bei Neubauten wurden gestrichen. Die Bundesregierung bleibt jedoch dabei, dass die Stromerzeugung "langfristig nahezu vollständig auf erneuerbare Energien beruhen" soll.
Die kritischen Gemüter ließen sich durch den neuen Entwurf nicht beruhigen. Ulrich Grillo konterte: "Das Werk ist nicht durch Textarbeit zu retten, weil es um eine grundsätzliche Debatte gehen muss. Ich finde Klimapolitik ohne Folgenabschätzung problematisch". Und Michael Fuchs sagte der FAZ: "Wir sollten uns nicht vom Marrakesch-Zeitplan kirre machen lassen. Den Chinesen und Indern ist es ziemlich egal, ob Frau Hendricks einen Zettel mehr aus der Aktentasche zieht oder nicht". Kritik kam vor allem aus der Energiewirtschaft. Die Festsetzung fester CO2-Sparziele liefe auf eine "Rationierung des Energieverbrauchs" hinaus, sagte Marc Oliver Bettzüge, Direktor des Energiewirtschaftlichen Instituts (EWI) der Universität Köln. Wer so etwas durchsetzen wolle, werde an ungewöhnlich harten Eingriffen nicht vorbeikommen. Dieter Steinkamp, Vorstandschef der Rheinenergie aus Köln, kritisierte, dass das Konzept nicht "zielorientiert, sondern ausschließlich politikgetrieben" sei.
Wirksamer war allerdings, dass sich Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) und der Chef der Energiegewerkschaft IG BCE, Michael Vassiliadis, bei Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel darüber beschwerten, dass die Interessen der Braunkohleländer in dem neuen Papier nicht ausreichend berücksichtigt worden seien. Der Wirtschaftsminister verweigerte daraufhin seine Zustimmung zum Klimaschutzplan, wenige Stunden bevor das Bundeskabinett darüber entscheiden sollte.
In aller Eile wurden die Verhandlungen wieder aufgenommen und die Aussagen zum Kohleausstieg auf den Kopf gestellt: Zunächst sollte den betroffenen Regionen neue Perspektiven eröffnet werden, bevor mit dem Braunkohleausstieg begonnen wird. "Es muss vor allem gelingen, den betroffenen Regionen Zukunftsperspektiven zu eröffnen, bevor konkrete Entscheidungen für den schrittweisen Rückzug aus der Braunkohlewirtschaft erfolgen können."
Mit dieser Ergänzung wurde der Klimaschutzplan 2050 verabschiedet und Barbara Hendriks konnte rechtzeitig nach Marrakesch reisen. Enttäuscht war die grüne Bundestagsfraktion: "Der Plan wurde fast völlig entkernt, er sendet kein Signal für die ökologische Modernisierung unserer Gesellschaft." Auch hierzu schwieg Angela Merkel.
Regierungsbildung 2017
Bei den aktuellen Sondierungsgesprächen für eine Jamaika-Koalition ist der Klimaschutzplan 2050 eines der zentralen Streitthemen. Die Grünen bestehen auf den internationalen und nationalen Klimaschutzzielen, zu denen sich die Bundesregierung unter Angela Merkel „verbindlich“ bekannt hat. Sie wollen insbesondere das national gesetzte Klimaziel für 2020 - 40 Prozent CO2-Reduktion gegenüber 1990 - in den Sondierungsgesprächen als gültig festschreiben. Um dies zu erreichen, sollen 20 besonders schmutzige Kohlekraftwerke sofort abgeschaltet werden. Für die Stilllegung der restlichen Kraftwerke verlangten die Grünen einen verbindlichen Zeitplan.
Die Vertreter der FDP lehnen solche Forderungen in den Sondierungsgesprächen ab. Die FDP bekennt sich zwar zu den Klimazielen von Paris und dem Ausbau erneuerbarer Energien, widerspricht aber nationalen Zielen, die über die europäischen Ziele hinausgehen. Für den Verhandlungsdruck in dieser Frage ist nicht zuletzt Angela Merkel (CDU) selbst verantwortlich. In den vergangenen Jahren hat sie immer wieder versprochen, dass die deutschen CO2-Werte im Jahr 2020 vierzig Prozent unter dem Niveau von 1990 liegen werden. Ein Ziel, das selbst nach Einschätzung von Bundesfachbehörden krachend verfehlt werden wird. Auf gerade einmal 32 Prozent Minderung dürfte Deutschland bis 2020 kommen.
Die absehbare Zielverfehlung ist für die CDU/CSU auch deshalb ein besonderes Reizthema, weil die unionsgeführte Bundesregierung Gastgeber der gleichzeitig stattfindenden Weltklimakonferenz ist, die in Bonn stattfindet. „Einen Rückzieher im Klimaschutz kurz vor dieser weltweit beachteten Schaufenster-Veranstaltung will die Union ihrer Parteichefin ersparen“, schreibt Daniel Wetzel.
Nach Meinung der FDP-Vertreter bei den Sondierungsgesprächen reicht es aus, wenn Deutschland seine Emissionen bis 2020 gegenüber 1990 um 34 Prozent senkt. Ein solches Ziel sei laut Umweltministerium realistisch und könne mit Hilfe des Emissionshandels erreicht werden. Über die Menge der Zertifikate würden die notwendigen Anreize gesetzt, um aus der Kohle auszusteigen. Eines staatlichen Verbots von Kohlekraftwerken, das Entschädigungszahlungen auslöse, bedürfe es dazu nicht. Die FDP sieht außerdem die Gefahr, dass ein vorschnelles Abschalten die Versorgungssicherheit gefährdet. Wenn 2022 der letzte Atommeiler vom Netz geht, fehle es an sicherer Leistung, um die Nachfrage im Winter zu decken. Konventionelle Kraftwerke seien solange nötig, bis das Speicherproblem gelöst sei.
Schon zuvor hatte NWR-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) die Grünen-Forderung zurückgewiesen, die 20 schmutzigsten Kraftwerke sofort abzuschalten. Er schien sogar gewillt, deshalb die Jamaika-Koalition platzen zu lassen: „Wenn der Industriestandort Deutschland gefährdet wird, können wir keine Koalition machen.“ Zur Position der FDP gegenüber den Grünen betonte Christian Lindner: „Wir werden weiter Zweifel anmelden an der physikalischen Machbarkeit grüner Energiepolitik. Denn es ist nichts gewonnen, wenn wir Kohlekraftwerke in Deutschland abschalten, um anschließend Kohlestrom aus Polen zu importieren oder Kernenergie aus Frankreich. Wir erwarten kommender Woche von den Grünen Vorschläge, die in der Praxis umsetzbar sind.“
Um über den Ernst dieser Erwartung keinen Zweifel aufkommen zu lassen, schickte Christian Lindner den Grünen umgehend auf dem Kurznachrichtendienst Twitter ein Grafik der Strombörse, die den deutschen Strommix am 3. November 2017 zeigt - mit 55.600 Megawatt konventioneller Stromerzeugung, also vor allem Strom aus Kohle und Atomanlagen, welche die Grünen baldmöglichst abschalten wollen; daneben 5.400 Megawatt Windstrom von Land und See.
Der IPCC Klimabericht 2018
Die Pariser Klimakonferenz hatte 2015 beschlossen, die Erwärmung der Atmosphäre bis zum Jahr 2100 auf deutlich unter zwei Grad Celsius zu begrenzen. Zugleich hatte sie den Weltklimarat gebeten, weitere wissenschaftliche Erkenntnisse zu liefern, um konkretere Zielsetzungen zu ermöglichen. Das hat der Rat mit seinem Klimabericht 2018, an dem 91 Wissenschaftler aus 40 Ländern mitgearbeitet haben, getan.
Der Klimarat kommt zu dem Ergebnis, dass die Grenze von anderthalb Grad gehalten werden kann, wenn alle Länder ihre Anstrengungen für den Klimaschutz massiv erhöhen. Die Maßnahmen, zu den sich die 195 Staaten in Paris verpflichtet haben, reichen dafür bei weitem nicht aus. Vielmehr würden die dort beschlossenen Pläne dazu führen, dass die Erdtemperatur um drei Grad und noch darüber hinaus steigen würde. Um eine Klimakatastrophe abzuwenden, muss der Ausstoß von Kohlendioxid nach Meinung des Weltklimarates bis 2030 um 45 Prozent sinken.
Um das zu erreichen, müssen die Menschen ihr Leben und ihre Umwelt in noch nie dagewesener Weise ändern. Die Hauptbotschaft des Weltklimarates lautet: Der Ausstieg aus dem Kohlestrom muss sofort beginnen, 2050 muss die Null erricht sein. An die Stelle der Kohle muss bis dahin vor allem erneuerbare Energie traten. Die meisten Modelle verlangen außerdem, die Atomkraft weiter zu nutzen.
Der Deutsche Bundestag beschäftigte sich am 10. Oktober 2018 bei schwach besetztem Plenum nur 85 Minuten mit diesem Thema. Offensichtlich gehört die Rettung des Weltklimas nur noch zu den nachrangigen Aufgaben der Bundespolitik. Unter den Parteien des Bundestages äußerte sich die AfD am deutlichsten: Für ihren Abgeordneten Rainer Kraft war der Bericht des Weltklimarates einfach nur „ökopopulistisches Klima-Voodoo“.