Strategie von Familienunternehmen
Familienunternehmen unterscheiden sich von anonymen Kapitalgesellschaften:
- Die Eigentümerfamilie kann aufgrund ihrer rechtlichen Stellung maßgeblichen Einfluss auf das Unternehmen ausüben.
- Es bestehen wechselseitige Beziehungen zwischen dem Unternehmen und der Eigentümerfamilie.
- Die Kontinuität des Eigentums in der Familie sichert die Kontinuität in der Geschäftsführung, der Strategie und der Unternehmenskultur.
Stärken und Schwächen
In Familiengesellschaften sind zwei unterschiedliche Welten miteinander verbunden:
- Die Familie, die durch verwandtschaftliche Bindungen und persönliche Nähe geprägt wird, und
- das Unternehmen, bei dem es sich um eine zweckrationale und erfolgsorientierte Veranstaltung handelt.
Das Zusammentreffen von familiärer Solidarität und Emotionalität mit der unternehmerischen Zweckrationalität kann positive, aber auch negative Wirkungen haben.
Familienunternehmen sind gegenüber anderen Unternehmenstypen nicht zwangsläufig erfolgreicher. Vorrangiges Ziel muss es sein: "Schwächen beseitigen! Stärken nicht behindern!" Dies betrifft in Familiengesellschaften vor allem die Bereiche:
- Führung und Strategie
- Finanzierung und Wachstum
- Produkt- und Marktstrategien
Führung und Strategie:
Die Führung in Familiengesellschaften ist häufig persönlich geprägt, resultierend aus dem Gründerbonus oder der Eigentümerstellung. Aus der Eigentümerstellung hat die Familie die Möglichkeit,
- die Unternehmenskultur zu beeinflussen,
- den Fokus auf die Unternehmenssicherung statt auf kurzfristige Gewinnmaximierung zu legen,
- mit dem "gesunden Menschenverstand" statt mit Managementmethoden zu führen.
Darin liegt einer der fundamentalen Unterschieden zu Kapitalgesellschaften, die von Managern mit zeitlich begrenzten Anstellungsverträgen geführt werden.
Familienunternehmen sind häufig durch folgende Stärken gekennzeichnet:
- Flache Hierarchien und dezentrale Organisation, die Flexibilität und schnelle Entscheidungen ermöglichen.
- Delegation von Verantwortung auf der Grundlage von persönlichem Vertrauen in leitende Mitarbeiter.
- Deutlich mehr Beschäftigung als Mitarbeiter, was hohe Mitarbeiterbindung und -motivation voraussetzt.
Aus Stärken werden jedoch schnell Schwächen, wenn
- sich der Unternehmer zum Patriarchen entwickelt, der nicht loslassen und delegieren kann,
- persönliche Vorlieben oder überholte Vorstellungen der Maßstab für unternehmerische Entscheidungen sind,
- die "Herr-im-Haus-Mentalität" die Auswahl der Mitarbeiter bestimmt,
- fachlich/persönlich ungeeignete Familienmitglieder mit Führungsaufgaben betraut werden,
- Uneinigkeiten/Konflikte der Familie in die Führung des Unternehmens hineingetragen werden.
Finanzierung und Wachstum:
Eine nachhaltige und vorsichtige Finanzstrategie gehört zu den Voraussetzungen erfolgreicher Familienunternehmen. Der Innenfinanzierung unter Nutzung steuerlicher Gestaltungsspielräume wird häufig der Vorrang gegeben. Die Darlehensfinanzierung ist für Familienunternehmen regelmäßig neben der Innenfinanzierung die wichtigste Finanzierungsquelle. Alternative Finanzierungen werden skeptisch betrachtet und häufig nur bei Nichtgefährdung des Familieneinflusses akzeptiert.
Familienunternehmen wollen regelmäßig aus eigener Kraft wachsen, nicht durch Fusionen oder Übernahmen. Der Engpass für Wachstum sind aber häufig die begrenzten Finanzierungsmöglichkeiten. Daraus erklärt sich die Konzentration auf Produkte und Märkte ohne extensiven Kapitalbedarf (Nischen). Die Vorsorge gegen den Kapitalentzug durch Familienereignisse (Erbfälle, Scheidung, Auseinandersetzungen) gehört zu den Standardaufgaben von Familiengesellschaften.
Produkt- und Marktstrategien:
Familienunternehmen suchen den Markterfolg vor allem durch Kundenorientierung, nicht durch Orientierung am Wettbewerb. Zentrales Ziel ist die Steigerung des Kundennutzens durch Innovation, Qualität und Service. Zu den Hauptkunden besteht regelmäßig ein langfristiges und persönliches Vertrauensverhältnis.
Starke Marktpositionen bestehen auf Teil- oder Nischenmärkten, die keinen großen Kapitaleinsatz erfordern. Die Wachstumschancen ergeben sich durch Internationalisierung. Insbesondere für Hidden Champions ist kennzeichnend, dass sie auf engen Märkten durch Globalisierung zu Weltmarktführern geworden sind. Teil- oder Nischenmärkte mit wenigen oder kurzlebigen Produkten oder mit einer begrenzten Zahl von Kunden stellen aber auch ein Risiko für Unternehmen dar.
Ganzheitliche Strategie
Strategieplanungen werden üblicherweise nur für den unternehmerischen Bereich gemacht. Für Familienunternehmen ist dieser Ansatz zu eng, weil er den Einfluss der Unternehmerfamilie unberücksichtigt läßt. Der Unternehmer persönlich, seine Familienverhältnisse und Vermögenssituation können die Unternehmensführung beeinflussen. Dies erfordert einen breiteren und interdisziplinären Ansatz für die Strategieplanung von Familienunternehmen.
Ein systematischer Planungsprozess verläuft in folgenden Stufen:
- Auf der ersten Stufe erfolgt die Abstimmung innerhalb der Familie. Die Ergebnisse können in einer Familienverfassung (Familiencharta) festgelegt werden.
- Auf der zweiten Stufe ist zu entscheiden, welche Regelungen Bestandteil des Familiengesellschaftsvertrages sein sollen.
- Auf der dritten Stufe ist zu prüfen, ob ein sog. Governance Kodex mit Empfehlungen für das Verhalten innerhalb des Familienunternehmens beschlossen werden soll.
- Auf der vierten Stufe erarbeitet die Geschäftsführung die Unternehmensstrategie auf der Grundlage der langfristigen Zielvorgaben der Eigentümer.
Die Familienverfassung ist das Grundgesetz der Unternehmerfamilie. Sie wird (häufig mit Hilfe eines Moderators) von und mit den Familienmitgliedern erarbeitet und beschlossen. Die Familienverfassung hat den Charakter einer Absichtserklärung. Sie begründet (im Gegensatz zum Gesellschaftsvertrag) keine Rechtsbeziehungen zwischen den Familienmitgliedern oder zwischen Familie und Unternehmen. Die Verbindung ist eine rein moralische, die sich daraus ergibt, dass die Verfassung in der Familie gemeinsam erarbeitet und beschlossen worden ist.
Die Familienverfassung dient dazu, die Unternehmerfamilie zusammen zu halten und über fundamentale Fragen des Unternehmens und der Familie eine Verständigung herbeizuführen. Dabei kann es um folgende Punkte gehen:
- Festlegung gemeinsamer Werte und langfristiger Ziele.
- Klärung möglicher Rollen der Familienmitglieder im Unternehmen und deren Anforderungen (Geschäftsführung, Mitarbeit).
- Umgang mit den nicht aktiven Gesellschaftern (Information, Ausschüttung etc).
- Regeln über das Innenleben des Familienverbandes (Aktivitäten, Konfliktbeilegung etc.).
Der Familiengesellschaftsvertrag regelt die Rechtbeziehungen zwischen den Familienmitgliedern. Bei Familiengesellschaften handelt es sich im Unterschied zu anonymen Kapitalgesellschaften um "geschlossene Gesellschaften". Daraus ergeben sich Konsequenzen für die Vertragsgestaltung. Es muss geregelt werden, wer Gesellschafter werden kann und welche Verfügungsbeschränkungen für die Beteiligung gelten. Dann ist festzulegen, wie die Familienmitglieder über den Beirat oder die Gesellschafterversammlung an der Willensbildung im Unternehmen mitwirken können. Und üblicherweise enthält der Gesellschaftsvertrag auch Regelungen, wie mit den Gewinnen und dem Kapital des Unternehmens zu verfahren ist.
Ein Governance Kodex für börsennotierte Aktiengesellschaften dient in erster Linie dem Zweck, die Aktionäre vor Unfähigkeit und Willkür des Vorstandes und des Aufsichtsrates zu schützen. Ein solches Schutzbedürfnis besteht in Familiengesellschaften prinzipiell nicht, wenn Eigentümer und Unternehmer identisch sind. Der Governance Kodex für Familiengesellschaften hat deshalb ein anderes Ziel: Er soll für ein störungsfreies Verhältnis zwischen den Eigentümern und dem "Unternehmen" dienen. Dazu gehören beispielsweise folgende Empfehlungen:
- Im Kollisionsfall gebührt den Interessen des Unternehmens der Vorrang vor den Einzelinteressen des Gesellschafters.
- Die Unternehmensstrukturen müssen transparent sein, um die Finanz- und Vertragslage sowie die wesentlichen Aktivitäten beurteilen zu können.
- Für die Führungskräfte aus der Familie gelten die gleichen Bedingungen und Anforderungen wie für externe Bewerber.
- Die Nachfolgeplanung muss langfristig angelegt und professionell durchgeführt werden.
- Die Familienmitglieder haben keinen Anspruch auf bevorzugte Behandlung bei Vertrags- und Leistungsbeziehungen.
Die Unternehmensstrategie von Publikumsgesellschaften kann für Inhaber- und Familienunternehmen keine Blaupause sein, weil die Unternehmen zu unterschiedlich sind. Man sollte sich stattdessen an Unternehmen aus der Gruppe der Inhaber- und Familienunternehmen orientieren, die besonders erfolgreich und wettbewerbsfähig sind. Häufig handelt es sich dabei um weitgehend unbekannte Unternehmen, sog. "Hidden Champions", die extrem erfolgreich einen eigenen und ungewöhnlichen Weg gegangen sind. Von diesen Unternehmen lassen sich die folgenden Lehren ziehen (Simon, Hidden Champions des 21. Jahrhunderts):
- Erfolgreiche Unternehmen haben eine starke Führung. Hierzu gehören ambitionierte Ziele und die Willenstärke, gesetzte Ziele in die Tat umzusetzen.
- Ambitionierte Ziele können nur mit qualifizierten und motivierten Mitarbeitern erreicht werden. Dies wird durch strenge Auswahl und frühe Übertragung von Verantwortung erreicht.
- Erfolgreiche Unternehmen haben eine dezentrale Organisation, um unternehmerische Energie zu mobilisieren. Die erfolgreichen Unternehmer sind konsequent bis autoritär im Prinzipiellen, aber flexibel im Detail.
- Erfolgreiche Unternehmen beschränken sich auf ihr Kerngeschäft. Nur durch Fokussierung können ambitionierte Ziel erreicht werden.
- Viele erfolgreiche Unternehmen sind durch eine besondere Fertigungs- und Wertschöpfungstiefe gekennzeichnet. Dies sichert Einzigartigkeit und Überlegenheit gegenüber Wettbewerbern.
- Kundennähe ist für erfolgreiche Unternehmen wichtiger als Wettbewerbsorientierung. Kundennähe entsteht durch langjährige Zusammenarbeit, Kompetenz und Hochleistung.
- Erfolgreiche Unternehmen zeichnen sich vor allem durch permanente Innovationen aus. Typisch sind kleine Verbesserungen (Schritt-Innovation) statt große Durchbrüche (Sprung-Innovation).
- Die Globalisierung eröffnet auch kleinen/mittleren Unternehmen mit Nischenprodukten Wachstumschancen. Hierfür stehen insbesondere die vielen Hidden Champions in Deutschland.
19. Juni 2015