top-schriftzug
blockHeaderEditIcon

Dr. Schlarmann - Mittelstand

aktuelle Informationen für den Mittelstand
block-foto-dr-schlarmann-mittelstand
blockHeaderEditIcon
Klima und Energiewende : Der Streit um "grünen Stahl"
19.01.2025 00:17 (22 x gelesen)

Der Streit um „grünen Stahl“

Am Montag, dem 13. Januar 2025, fand in Bochum eine Betriebsrätekonferenz des Sozialflügels der CDU (CDA) statt. Als Redner war Friedrich Merz, CDU-Chef und Kanzlerkandidat, eingeladen. Neben ihm stand der Betriebsratsvorsitzende von ThyssenKrupp, der Merz als Symbol für ein Bekenntnis zur Stahlindustrie in Deutschland einen Sicherheitshelm übergab.

In seiner Rede sagte Friedrich Merz, um in Zukunft sogenannten „grünen Stahl“ herzustellen, solle sich die Stahlindustrie nicht auf die Wasserstoff-Technologie konzentrieren, sondern auf die Abscheidung von Kohlendioxid (CO2), auch „Carbon Capture and Storage (CCS)“ genannt. Für die anwesenden Betriebsräte kam diese Ankündigung überraschend, weil sich die Stahlindustrie mit dem Wirtschaftsministerium bereits auf den Einsatz von Wasserstoff zur zukünftigen Herstellung von „grünem Stahl“ verständigt hatte. Die Abscheidung von CO2 aus der Luft kommt in Deutschland zur Zeit nicht zur Anwendung, weil die Grünen diese Methode ablehnen.

Die Äußerungen von Friedrich Merz sorgten schon kurz nach seinem Auftritt in Bochum für erhebliche Aufregung und veranlassten Robert Habeck zu einer heftigen Replik: „Diese Aussage ist ein Schlag in das Gesicht all der Beschäftigten, denn sie kann nur so übersetzt werden, dass die deutsche Stahlproduktion zu Ende geht“, sagte Habeck einige Tage später in einer erweiterten Vorstandssitzung der Grünen-Bundestagsfraktion.

Gegenüber dem „Stern“ wurde Habeck dann auch noch persönlich: „Die Aussagen von Merz zeugen von Unwissenheit, Kaltschnäuzigkeit und Verantwortungslosigkeit“, wird Habeck zitiert. „Friedrich Merz mag die Wirtschaftskompetenz eines Vermögensverwalters haben, der für die Rendite wohlhabender Anleger verantwortlich ist. Die Wirtschaftskompetenz eines Kanzlers, der für ein Land verantwortlich ist, sehe ich in diesen Aussagen nicht.“    

Habecks Aussagen wurden von Jürgen Kerner, dem zweiten Vorsitzenden der IG Metall, unterstützt: „Wir würden Zehntausende Arbeitsplätze verlieren und uns bei einem der wichtigsten Grundstoffe in eine gefährliche Abhängigkeit vor allem von China begeben“ Die Industrie müsse in Zukunft klimafreundlich produzieren. „Diese Entscheidung ist in Europa vor Jahren gefallen und überall im Land arbeiten Unternehmen an der Umsetzung“, so Kerner. „Ohne grünen Stahl gibt es keine Energiewende und keine echte Mobilitätswende.“

„Carbon Capture and Storage (CCS)“

Überraschend kamen die Aussagen von Friedrich Merz auf der Betriebsrätekonferenz nicht. Die CSU-Bundestagsfraktion hatte nämlich schon wenige Tage vor seiner Rede auf ihrer Klausur in Seeon den folgenden Beschluss gefasst: „Künftig müssen Klimaschutzmaßnahmen industrie- und arbeitsfreundlich stattfinden“, heißt es da. „Dazu gehört, dass wir den Irrweg des ´grün produzierten` Stahls   beenden und stattdessen auf CO2-Abscheidung und -speicherung setzen.“ (DIE WELT vom 16.01.2025)

Friedrich Merz kann sich zudem auf die EU berufen. In dem neuen Strategiepapier der Europäischen Kommission für ihre Klimapolitik 2031 bis 2050 heißt es, dass die bisher umstrittene Abspaltung und Speicherung oder Nutzung von Kohlenstoffdioxid (CCS/CCU) für das Erreichen ihrer Klimaziele eine zentrale Rolle spielen soll.

Vor allem in Industriezweigen wie der Zement- und Stahlindustrie, die nur schwer zu dekarbonisieren sind, soll die CCS/CCU-Technik anwendbar sein. Die Kommission hat deshalb bereits in einem Strategiepapier konkrete Ausbauziele für die Abspaltung und Nutzung von CO2 festgelegt.

Die Kommission beschreitet damit keinen Sonderweg. Nahezu alle relevanten Studien gehen davon aus, dass Klimaneutralität in Deutschland und Europa nur mit Hilfe solcher Verfahren erreicht werden kann. Auch viele Umweltschützer sehen das mittlerweile so.

Habecks CCS-Gesetzentwurf

Robert Habeck selbst hat im Februar 2024 mit einem Tabu der Grünen gebrochen und Eckpunkte für ein sogenanntes „Carbon Capture and Storage (CCS)“-Gesetz vorgelegt. Das Abfiltern und die unterirdische Einlagerung des Treibhausgases Kohlendioxid (CO2) soll danach unter Einschränkungen erlaubt sein. Bisher war diese Technologie – wie bereits erwähnt - de facto wegen des Widerstands einiger Umweltgruppen untersagt. (DIE WELT vom 27.02.2024)  

In der Industrie sprach man daraufhin von einem historischen Wendepunkt: Denn die Entstehung von CO2 lässt sich nicht überall vermeiden, etwa in der Industrie oder in der Landwirtschaft. „Das gilt vor allem bei der Herstellung von Zement und Kalk und der thermischen Abfallbehandlung“, erklärte Habeck zur Notwendigkeit der geplanten Gesetzesnovelle. „Hier müssen wir verbleibendes CO2 abscheiden und speichern. Nur so können wir diese Industriezweige in Deutschland halten und unsere Klimaziele in der Industrie erreichen.“

Als Ergebnis dieses ungewöhnlichen Positionswechsels einigten sich der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI), der Deutsche Gewerkschaftsbund sowie die Naturschutzorganisationen NABU und WWF über die CO2-Abscheidung als „relevanten“ Baustein zur Transformation des deutschen Wirtschaftsstandortes.

Habecks Gesetzentwurf sieht aber Einschränkungen vor: Die Bundesregierung will die CO2-Abscheidung nur dort erlauben, wo andere Klimaschutzoptionen nicht zur Verfügung stehen. Im Jargon der Klimaschützer ist von „hard to abate“ („schwer zu mindern“) die Rede. Explizit genannt werden die Zement- und die Kalkindustrie sowie die Müllverbrennung. Auch für Gaskraftwerke, die langfristig das Stromnetz stabilisieren müssen, ist CCS eine erlaubte Option, sofern die Kraftwerke nicht oder nicht rechtzeitig an das geplante Wasserstoff-Kernnetz angeschlossen werden können.

Während der Weltklimarat IPCC und der Environmental Defense Funds (EDF) in den USA die CCS-Technologie für unverzichtbar halten, wollen einige Umweltvereine in Deutschland diese Technik nicht freigeben. Der Bund für Umwelt und Naturschutz (Bund) sagte, das Wirtschaftsministerium habe „die Büchse der Pandora geöffnet: Mit den Planungen zu CCS an Gaskraftwerken setze Habeck „den Ausstieg aus den fossilen Energien aufs Spiel“.

Demgegenüber begrüßt die Wirtschaft den CCS-Gesetzentwurf. „Auf den deutschen Unternehmen lastet der Druck, in zwanzig Jahren klimaneutral sein zu müssen“, erklärte der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK). „Das kann nur mit einer breiten Offenheit für verschiedene Optionen gelingen. Die deutsche Carbon-Management-Strategie sollte deshalb sämtlichen Unternehmen den Zugang zu CCS eröffnen.“ Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) sprach von einem „wichtigen Schritt für die wettbewerbsfähige Transformation der deutschen Industrie hin zur Klimaneutralität“.

Wasserstoff-Initiative

Nicht zuletzt wegen des Widerstandes in den eigenen Reihen gegen den CCS-Gesetzentwurf lässt Robert Habeck die Wasserstofflösung durch sein Ministerium weiter vorbereiten. Hierzu stellte er Ende Oktober 2024 der Öffentlichkeit die zwischen dem Bundeswirtschaftsministerium und der Bundesnetzagentur abgestimmten Pläne für ein deutschlandweites Wasserstoffnetz vor.

Wasserstoff gilt in Kreisen der Klimaschützer als Energieträger der Zukunft. Denn er ist vielfältig einsetzbar, je nach Herstellungsart klimaneutral und kann über die bestehenden Gasnetze verteilt werden. Das geplante Wasserstoffnetz in Deutschland von 9.040 Kilometern soll zu 60 Prozent aus umgewidmeten Erdgasleitungen und zu 40 Prozent aus neu gebauten Leitungen bestehen. „Alle Bundesländer sind angebunden“, versicherte Robert Habeck.

Der Präsident der Bundesnetzagentur Klaus Müller erklärte den Zweck dieser Initiative: „Nach nur 1,5 Jahren Planungszeit durchbricht Deutschland das Henne-Ei-Problem. Mit dem genehmigten Wasserstoff-Kernnetz können die Netzbetreiber nun schrittweise die Infrastruktur für Wasserstoff aufbauen und betreiben.“ Erste Leitungen würden bereits „ab dem nächsten Jahr umgestellt.“

Mit dem „Henne-Ei-Problem“ beschrieb Müller den Umstand, dass es bislang kaum Unternehmen gibt, die in den Aufbau einer Wasserstoff-Produktion investieren wollten, solange es keine Infrastruktur für den Transport des Gases gibt.  Folglich zögern auch Investoren mit dem Kauf des klimaneutralen Brennstoffs. Mit dem Bau des Röhrennetzes soll dieses Investitionshindernis verschwinden.

Mit der staatlichen Planung des Röhrennetzes ist es aber nicht getan: Das Netz muss finanziert und durch Gasleitungsunternehmen gebaut werden. Die erforderlichen Investitionskosten werden auf 18,9 Milliarden Euro geschätzt, die der Bund vorfinanzieren muss. Erste Leitungen sollen aber bereits 2025 in Betrieb gehen, damit Stahlkonzerne bei der Produktion Kokskohle durch Wasserstoff ersetzen können. (Daniel Wetzel in DIE WELT vom 23.10.2024)

Ob und wann genügend Wasserstoff zur Verfügung stehen wird, ist derzeit ebenfalls unklar: Der gewünschte „grüne Wasserstoff“ wird in Elektrolyse-Anlagen gewonnen, die Wasser unter Einsatz von Ökostrom in seine Bestandteile aufspalten. Bereits 2021 hatte die Bundesregierung beschlossen, bis 2030 in Deutschland eine Elektrolyse-Kapazität von zehn Gigawatt aufzubauen. Aktuell beträgt die Kapazität weniger als 100 Megawatt. Sie müsste also in den nächsten fünf Jahren mehr als verhundertfacht werden.

Die Investoren sind mit dem Bau von Elektrolyse-Anlagen auch aus einem weiteren Grund zurückhaltend: Die Kosten von grünem Wasserstoff liegen um ein Vielfaches über denen des Konkurrenzprodukts Erdgas, obgleich dieses durch CO2-Abgaben bereits künstlich verteuert wurde. Die Gewinnung von Energie durch Wasserstoff ist also zurzeit kein Geschäftsmodell, das sich selbst trägt. Um dieses Problem zu lösen, denkt Habeck daran, für die Kunden der Stahlindustrie (Autobauer, Bauwirtschaft, Maschinenbau etc.) verbindliche Abnahmequoten für "grünen Stahl" einzuführen. Dafür wäre aber nicht die deutsche Bundesregierung, sondern die europäische Kommission zuständig. 

Nach den Plänen der derzeitigen Bundesregierung sollen im Jahr 2030 in Deutschland zwischen 95 und 130 Terrawattstunden (TWh) Energie aus Wasserstoff und Wasserstoffderivaten genutzt werden. 50 bis 70 Prozent dieser Menge würde Deutschland importieren müssen. Doch ist fraglich, ob der Weltmarkt überhaupt in ausreichender Menge Brennstoff liefern kann. Denn international erlahmt vielerorts das Interesse, in die Herstellung des neuen Energieträgers zu investieren. "Wo soll der Wasserstoff denn herkommen?", fragte Friedrich Merz zu Recht bei der Betriebsrätekonferenz der CDA.

Ob sich die mit der Wasserstoff-Initiative verbundenen Hoffnungen angesichts solcher Probleme jemals erfüllen werden, ist höchst ungewiss. Das gilt trotz des Wahlprogramms der CDU, in dem es heißt:

„Wir führen Wasserstoff zum Erfolg. Beim Ausbau von Wasserstoff dürfen keine Regionen benachteiligt werden. Das Wasserstoffnetz muss alle Wirtschaftsregionen erreichen. Wir produzieren dafür Wasserstoff hier und sichern Importe über die Energieunion und internationale Partnerschaften.“

Mit der Rede von Friedrich Merz auf der Betriebsrätekonferenz vom 13. Januar 2025 hat sich diese Aussage im Wahlprogramm erledigt.


Zurück Druckoptimierte Version Diesen Artikel weiterempfehlen... Druckoptimierte Version
Benutzername:
User-Login
Ihr E-Mail
*