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Reform- und Steuerpolitik : Boris Palmer zur kommunalen Haushaltsmisere
10.01.2025 20:54 (39 x gelesen)

Boris Palmer zur kommunalen Haushaltsmisere

Die Kommunen in Deutschland stehen finanziell mit dem Rücken zur Wand: Das Defizit aller kommunalen Haushalte betrug nach den Zahlen des Statistischen Bundesamtes für die ersten drei Quartale 2024 knapp 25 Milliarden Euro. Bricht man diese schier unvorstellbare Summe auf die Zahl der Einwohner herunter, bedeutet dies nach den Berechnungen des Deutschen Landkreistages: „Auf jeden Einwohner entfallen durchschnittlich 318 Euro ungedeckter kommunaler Ausgaben.“

Die dramatische Lage der kommunalen Finanzen erklärt sich vor allem durch die steigenden Personal- und Sozialkosten, die zum Beispiel in Nordrhein-Westfalen innerhalb eines Jahres um mehr als zehn Prozent, in Baden-Württemberg und Hessen um mehr als dreizehn Prozent und in Rheinland-Pfalz sogar um mehr als vierzehn Prozent gestiegen sind.

Die kommunalen Spitzenverbände – Städtetag, Landkreistag, Städte- und Gemeindebund – haben angesichts der sich abzeichnenden Zahlen schon seit langem vor einem Stillstand bei den Investitionen gewarnt. „Neue Investitionen können unter diesen Vorzeichen praktisch nicht mehr beschlossen werden.“ Weil auf Bundes- und Länderebene aber nichts geschah, haben mehrere Kommunen schon vor längerer Zeit gegen die mangelhafte Ausstattung ihrer Haushalte eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht erhoben.

Boris Palmer (parteilos seit 2023)

Jeder Bürgermeister und Landrat in Deutschland steht vor der Aufgabe, seinem kommunalen Beschlussgremium den Entwurf eines Haushalts für das Jahr 2025 vorzulegen, der dann zu beschließen und von der Kommunalaufsicht zu genehmigen ist. So auch der Oberbürgermeister von Tübingen, Boris Palmer, der in diesem Zusammenhang seine Haushaltsrede unter dem Titel „Meine Rede zur Tübinger Haushaltsmisere“ in der WELT vom 6. Dezember 2024 veröffentlichte. In dieser Rede erklärt Boris Palmer öffentlich, dass der von seiner Verwaltung aufgestellte Haushaltsentwurf für 2025 angesichts des rasanten Absturzes der städtischen Finanzen nicht genehmigungsfähig ist.

Boris Palmer weist in seiner Rede auf die Konsequenten hin, die sich dann ergeben, wenn der Haushalt vom zuständigen Regierungspräsidenten nicht genehmigt wird: Es regiert dann das Regierungspräsidium an Stelle des  Gemeinderats und des Oberbürgermeisters. „Dann werden schlicht die Freiwilligkeitsleistungen gestrichen. Ein Theater, eine Stadtbibliothek, ein Hallenbad, dichte Takte im Busverkehr sind keine Pflichtaufgabe der Kommune und werden daher sofort gestrichen, wenn wir nicht mehr selbst entscheiden dürfen.“

Für den rasanten Absturz der kommunalen Finanzen führt Palmer in seiner Rede sowohl wirtschaftliche als auch gesellschaftliche Gründe an. Nach seiner Auffassung war das bisherige Geschäftsmodell von Deutschland erfolgreich, weil Russland billige Energie lieferte, China unsere Autos kaufte und die USA für unsere Sicherheit zahlte.  Das Geschäftsmodell funktioniert aber nicht mehr, sagt Palmer, weil „alle drei Großmächte diese Zusammenarbeit aufgekündigt“ haben.

Hinzu kommen die verschleppten Probleme im Inneren: Bei der Digitalisierung liegt Deutschland zurück. Die Überalterung der Gesellschaft wird für die Kranken-, Pflege- und Rentenkassen nun erst richtig teuer. „Und die Einwanderung haben wir nicht in den Arbeitsmarkt gelenkt, sondern vor allem in die Transfersysteme“, moniert Palmer. Die Politik habe diese Probleme zu lange ignoriert und auch die seit drei Jahren anhaltende Stagnation nicht mit Reformen bekämpft. „Stattdessen wurde den Menschen im Land mit Prämien zum Ausgleich von Inflation und Corona vorgegaukelt, niemand müsse für die Kosten der Pandemie und Putins Angriffskrieg bezahlen – außer vielleicht unsere Kinder.“

Haushaltmisere der Stadt Tübingen

„Und nun stehen wir vor den Folgen dieser Entscheidungen“, klagt Boris Palmer. „Vor zwei Jahren haben wir noch einen Überschuss von 20 Millionen Euro erzielt. Jetzt klafft im Tübinger Haushalt ein Loch von 40 Millionen Euro“. Entstanden ist dieses Loch nicht durch wegbrechende Einnahmen, sondern durch höhere Ausgaben, die „in nur zwei Jahren um 70 Millionen Euro auf 400 Millionen im Jahr 2025“ anwachsen, berichtet Palmer.

Dafür ist vor allem der Tarifabschluss im öffentlichen Dienst verantwortlich, der mit 10,5 Prozent Steigerung weit überhöht war; doch Verdi verlangt nun sogar noch weitere 8,5 Prozent. Allein dadurch würde der Tübinger Haushalt mit 20 Millionen Euro zusätzlich belastet werden. Weitere 26 Millionen Euro muss die Stadt nach derzeitiger Planung als Kreisumlage an den Landkreis zahlen.  

Der Löwenanteil dieser Kosten entfällt auf Sozialleistungen, die Bund und Länder durch neue Leistungsgesetze und Standards immer erhöht haben, die aber nicht ausfinanziert sind, beklagt sich Palmer. „In der Folge ergibt sich im vorliegenden Haushaltsplan nicht nur ein jährliches Defizit von etwa 40 Millionen Euro, sondern auch ein Schuldenstand von 250 Millionen Euro am Ende des Jahres 2028.“

Einen solchen Haushalt kann und darf das Regierungspräsidium nach Einschätzung von Boris Palmer nicht genehmigen. Es würde damit gegen alle Grundregeln des Haushaltsrechts verstoßen. Dabei fährt die Stadtverwaltung nach Angaben von Boris Palmer bereits einen harten Sparkurs. Durch ein Kostendämpfungsprogramm wurden dauerhaft sechs Millionen Euro eingespart. Die Budgets der Fachbereiche wurden um vier Millionen Euro gekürzt. Zusätzlich wurde ein globaler Minderaufwand von weiteren vier Millionen Euro festgelegt. Alle Anmeldungen für neue Stellen wurden gestrichen. Boris Palmer sagt aber offen, dass wir „am Ende auch nicht um Steuererhöhungen herumkommen werden. Die Reihenfolge sollte aber sein: zuerst sparen, dann höhere Steuern.“

Handlungsalternativen

Jetzt sind nach Auffassung von Boris Palmer vor allem die Länder und der Bund gefordert: Nicht finanzierbare Sozialleistungen müssen eingeschränkt werden. Auch die notwendigen Wirtschaftsreformen müssen endlich angegangen werden: Fachkräfte vorzeitig in den Ruhestand zu schicken und dafür jährlich neun Milliarden Euro Steuergeld einzusetzen, ist angesichts der finanziellen Misere nicht mehr möglich. Auch das Lohnabstandsgebot muss wieder gelten.  

Boris Palmer sagt auch deutlich, was die Stadt Tübingen nicht tun sollte: „Die Stadt kaputtsparen. Schulen, Straßen, Kitas, Sporthallen müssen erhalten und teilweise sogar ausgebaut werden. Sonst stehen Kinder ohne Schulräume dar, und Verkehrswege müssen gesperrt werden.“

Der Verzicht auf solche Ausgaben würde nach Meinung von Palmer den Haushalt auch nicht retten. „Denn das Haushaltsrecht behandelt Investitionen aus gutem Grund ganz anders als laufende Ausgaben. Hier müssen nur Abschreibung, Zins und Tilgung erwirtschaftet werden“, sagt Palmer und rechnet vor, dass 100 Millionen Euro weniger Investitionen den Haushalt nur um sieben Millionen Euro entlasten.

Palmer sagt in seiner Haushaltsrede auch, er „halte es für notwendig, dass wir in dieser Lage den gesetzlichen Spielraum zur Verschuldung nutzen. Neue Investitionen dürfen mit Krediten finanziert werden, wenn Zins und Tilgung gesichert sind.“ Nach der Berechnung von Palmer sind das bei einer Investition von 100 Millionen Euro sieben Millionen Euro (siehe oben), die im jährlichen Haushalt langfristig für Abschreibung, Zins und Tilgung zur Verfügung stehen müssen und nicht für andere Zwecke verwendet werden dürfen.

Realistisch ist eine solche langfristige Bindung allerdings schon deshalb nicht, weil Kommunalpolitiker wie auch Landes- und Bundespolitiker nur für eine einzige Legislaturperiode gewählt werden. Die Finanzierung von Investitionen durch Schulden birgt deshalb immer die Gefahr, dass bestehende Schulden mit weiteren Schulden finanziert werden und der Schuldenstand auf diese Weise immer weiter wächst.
 


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