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Klima und Energiewende : Zweifel an der Unabhängigkeit der Wissenschaft
18.11.2024 20:37 (26 x gelesen)

Zweifel an der Unabhängigkeit der Wissenschaft

Umfrageergebnis


Viele Menschen in Deutschland sehen die Unabhängigkeit der Wissenschaft in Gefahr. Das jedenfalls zeigt das aktuelle „Wissenschaftsbarometer“, eine repräsentative Umfrage der „Initiative Wissenschaft im Dialog“. Demnach glaubt weniger als die Hälfte der Befragten, dass Wissenschaftler hierzulande unabhängig zu jedem beliebigen Thema forschen, lehren und kommunizieren dürfen (FAZ vom 06.11.2024).

Warum das Vertrauen in die Wissenschaft so niedrig ist, ergibt sich nicht direkt aus der Studie. Ein Grund dafür ist offensichtlich der unterschiedliche Bildungsstand der Befragten: Während Menschen mit hohem Bildungsabschluss zu drei Vierteln der Wissenschaft vertrauen, sind es unter denjenigen mit Haupt- und Volksschulabschluss weniger als die Hälfte.  

Ein weiterer Grund für das fehlende Vertrauen in die Wissenschaft ist darin zu sehen, dass die Mehrheit der Befragten den Einfluss von Politik und Wirtschaft auf die Wissenschaft für zu groß hält: Zwei Drittel sind es beim Einfluss der Wirtschaft, mehr als die Hälfte beim Einfluss der Politik.

In allen Bevölkerungsgruppen ist jedoch der Glaube an die Aussagen von Wissenschaftlern zum menschengemachten Klimawandel und zu erneuerbaren Energien gewachsen: Im Jahr 2014 waren es 37 Prozent, die die Klimaforscher für glaubwürdig hielten, heute sind es 59 Prozent; bei Menschen im Alter von unter 30 Jahren sogar 80 Prozent. Bei den Aussagen zu erneuerbaren Energien war es vor zehn Jahren weniger als die Hälfte, heute sind es mehr als zwei Drittel.
„Es gibt das Verständnis, dass wir ein Problem haben und dass dieses Problem nur mit dem besten Wissen gelöst werden kann“, heißt es dazu von der „Initiative Wissenschaft im Dialog“. Auch bei Corona habe man gesehen, dass die Gesellschaft bei komplexen Problemen auf die Wissenschaft setzt. Bei den Themen Klima und Energie sei das offenbar ähnlich (siehe FAZ vom 17. Nov. 2024).

Selbstverständnis der Wissenschaft

Die in der Öffentlichkeit verbreitete Meinung, dass die Freiheit der Wissenschaft in Gefahr ist, steht in Widerspruch zum offiziellen Selbstverständnis der Wissenschaft, wonach die derzeitige Forschungs-, Lehr- und Kommunikationstätigkeit wie eh und je auf der grundgesetzlich garantierten Freiheit der Wissenschaft beruht. Das erstaunt, weil diese Tätigkeiten heute ohne politische Unterstützung und ohne staatliche Finanzierung gar nicht mehr ausgeübt werden können. Hinzu kommen die bürokratischen und rechtlichen Begrenzungen sowie die organisatorischen und personellen Voraussetzungen, die auf die wissenschaftliche Tätigkeit einwirken.

Es ist deshalb eine Illusion zu glauben, dass Wissenschaftler hierzulande unabhängig zu jedem beliebigen Thema forschen, lehren und kommunizieren können. Das gilt insbesondere bei der Erforschung des menschengemachten Klimawandels und der erneuerbaren Energien, bei denen aktuell über zwei Themen heftig gestritten wird: Wie muss sich die Wissenschaft zur „gesellschaftlichen Transformation“ und zur „energetischen Technologieoffenheit“ verhalten?  Hierzu drei Beispiele:

Leibnitz-Gemeinschaft

Die Präsidentin der Leibnitz-Gemeinschaft, Martina Brockmeier, hat der FAZ (16.05.2024) auf die Frage, ob Nachhaltigkeitsaspekte in dem Forschungsantrag an das zuständige Ministerium eine Rolle spielen sollten, wie es die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) neuerdings praktiziert, folgende differenzierende Antwort gegeben:

„Wenn dazu aufgefordert wird, über die Nachhaltigkeit des Forschungsprojekts nachzudenken, bedeutet dies, dass dieser Punkt immer mit zu bedenken ist, aber es ist wie auch bei der DFG kein Kriterium für die Bewertung der Forschungsexzellenz des Antrags. In der Debatte darüber, ob die Wissenschaft grundsätzlich dem Ziel der gesellschaftlichen Transformation unterstellt werden soll, bin ich der Meinung, dass beides seine Berechtigung hat. Ohne freie, Neugier-getriebene Grundlagenforschung gibt es keine Basis für die Anwendung. Ich würde es deshalb eher als Kontinuum betrachten. Die Wissenschaft hat aber auch ein Eigeninteresse an der gesellschaftlichen Relevanz ihrer Ergebnisse.“

Martina Brockmeier stellt damit für die Leibnitz-Gemeinschaft klar, dass auch das politische Thema der Nachhaltigkeit zu einem Forschungsprojekt gehören kann, wenn es ohne Grundlagenforschung keine Basis für die Anwendungsforschung gibt. Sie gibt aber zu bedenken, dass die Behandlung der Nachhaltigkeit kein Kriterium für die Bewertung der Forschungsexzellenz des Antrages ist. Beides hat nach ihrer Meinung seine Berechtigung.

Max-Planck-Gesellschaft

Zur Technologieoffenheit hat das Bundesforschungsministerium unter dem Titel „Offensive für Technologieoffenheit“ ein Papier veröffentlicht, das unter Wissenschaftlern intensiv diskutiert wird. Es geht dabei um die Frage, wie im Rahmen von öffentlich geförderten Forschungsarbeiten auf den Gebieten Klima und Energie mit den Themen Nachhaltigkeit und Technologieoffenheit umzugehen ist.

 Hierzu hat Patrick Cramer, Präsident der Max-Planck-Gesellschaft, der FAZ (7.09.2024) folgendes erklärt:

„Also zunächst begrüße ich viele Punkte, die in dem Papier zu Recht genannt werden. Es ist erstens wichtig, dass Forschung und Entwicklung wieder oben auf die politische Agenda kommen. Wichtig ist zweitens, dass das Papier Wissenschaftsfreiheit betont: eine Conditio sine qua non für unsere Autonomie und die Freiheit, unsere Forschungsthemen selbst zu wählen.“

Zur Technologieoffenheit sagt er dann aber folgendes:

„Den Begriff Technologieoffenheit verwende ich persönlich ungern, denn er kann auch missbraucht werden. Erst mal klingt er sehr positiv, er kann aber auch gegen wissenschaftlich Erkenntnisse eingesetzt werden. Wenn es etwa darum geht, bestimmte Technologien zu fördern, die nachweislich umwelt- oder klimaschädlich sind. Deswegen würde ich eher von Technologieklarheit sprechen. Das halte ich für zielführender.“

Was Patrick Cramer unter Technologieklarheit versteht, erläutert er wie folgt:

„In der Energiefrage ist doch klar, was der Stand in Deutschland ist. Die Entscheidungen zur Atomenergie sind gefallen, und man kann diese auch nicht jedes Jahr erneut zur Disposition stellen. Die Fusionsenergie andererseits wird wohl in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts kommen. Das heißt, wir brauchen jetzt nicht fossile Energie, und die kommt aus Solar- und Windkraft. Wo die Politik jetzt unbedingt ran musss, das sind die Speicher, denn wir haben schon jetzt zu bestimmten Zeiten überzähligen Strom. Gesetzt ist auch der Netzausbau, sodass der Windstrom auch nach Süden gelangt. Hinzu kommt die Wasserstofftechnologie, die von der Industrie benötigt wird. Natürlich werden wir auch Energie importieren, das tun wir heute schon, wenn auch leider fossile Energie in Form von Gas und Öl. In Zukunft werden wir grünen Wasserstoll etwa in Form von Ammoniak importieren, und dafür müssen wir Vorbereitungen treffen…“

Im Ergebnis begrenzt Patrick Cramer mit diesem Statement die Bedeutung der Technologieoffenheit auf Forschungsergebnisse, die innerhalb des Rahmens der derzeitigen Klima- und Energiepolitik der Bundesregierung liegen. Das mag bei der Bewilligung von Forschungsanträgen durch die zuständigen Ministerien helfen, mit einem solchen Forschungsverständnis leistet er aber der freien  Wissenschaft keinen Dienst, die nach seiner Vorbemerkung doch „eine Conditio sine qua non für unsere Autonomie und die Forschungsfreiheit“ sein soll.  

Helmholz-Gemeinschaft

Außerdem hat die FAZ (30.10.2024) mit dem künftigen Präsidenten der Helmholz-Gemeinschaft, Martin Keller, gesprochen und ihn gefragt, ob er der Präsident der großen Transformation, wie die Politik ihn sich wünscht, sein werde.
Hierauf gab Martin Keller, der viele Jahre in den USA tätig war, folgende Antwort:

„Wenn Sie damit die Energie-, Wärme- und Verkehrswende meinen, kann man das wohl so sagen. Das ist das, was ich in den letzten zehn Jahren gemacht habe.“

Als die FAZ zu bedenken gab, dass dadurch der Verdacht aufkommen könnte, die Wissenschaft lasse sich ihre Agenda von der Industrie diktieren, sagte Martin Keller:

„In den Vereinigten Staaten sind die Berührungsängste da geringer. Wenn wir ehrlich sind, dann wird die Energiewende nicht von der Wissenschaft oder Regierung umgesetzt, sondern von der Industrie. In den Vereinigten Staaten wird beispielsweise jede Vereinbarung vom Energieministerium geprüft. Natürlich kann es Interessenkonflikte geben, aber letztendlich ist es doch eine großartige Sache, mit der Industrie gewisse Dinge auf den Weg zu bringen, wenn die Ziele übereinstimmen.“

Martin Keller zeigt mit seiner Antwort, dass es ihm nicht um die Wissenschaftsfreiheit, sondern nur um die effektive Zusammenarbeit mit der Industrie geht. Die Technologieoffenheit ist dafür eine notwendige Voraussetzung und entspricht dem traditionellen Selbstverständnis der Helmholz-Gemeinschaft.   


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