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Der Wutanfall des Bundespräsidenten
13.11.2024 19:50 (152 x gelesen)

Der Wutanfall des Bundespräsidenten


Auf der Festveranstaltung zum 35. Jahrestag des Mauerfalls im Schloss Bellevue hielt der Schriftsteller Marko Martin eine bemerkenswert kontroverse Rede zur deutschen Russlandpolitik, in der er nicht mit Kritik am Gastgeber, Bundespräsident Steinmeier, sparte. Der Festredner nahm sich die Freiheit, offen und offensiv zu reden. Dem Bundespräsidenten warf er vor, dass er als früherer Außenminister Deutschlands gegenüber Wladimir Putin eine naive Friedenspolitik betrieben habe und insbesondere bei dem Projekt Nord Stream 2 die berechtigten Bedenken der osteuropäischen Länder nicht beachtet habe.

Der Bundespräsident reagierte auf diese Rede beim Empfang nach der Veranstaltung mit einem Wutanfall. „Er ist angerauscht gekommen, um mir qua Amtes die Leviten zu lesen. Er hat ziemlich die Fassung verloren“, sagte Marko Martin. Steinmeier habe ihn gefragt, ob es ihm Freude mache, Politiker zu diffamieren. „Offensichtlich fühlte er sich persönlich von meinen Worten getroffen“, erklärte Martin.

Die Sprecherin des Bundespräsidenten sagte dazu auf Anfrage, Steinmeier habe mit Marko Martin bei dem Empfang „kontrovers, aber sachlich über seine Rede diskutiert“. Martin blieb jedoch bei seiner Darstellung und Kritik an Steinmeier: „Wir haben einen Bundespräsidenten, der sich dieser Debatte verweigert, der Debatte über die deutsche Mitverantwortung für Putins Aggressionen."
 

Gerhard Schröders Netzwerk

Die politische Karriere des jetzigen Bundespräsidenten Frank Walter Steinmeier (SPD) begann im Sommer 1990, als Gerhard Schröder (SPD) als Ministerpräsident von Niedersachsen in die Niedersächsische Staatskanzlei einzog. Steinmeier gehörte von da an zum Netzwerk von Schröder in Hannover, das dieser zu Förderung seiner Interessen aufgebaut hatte.

Als Ministerpräsident hatte Schröder ganz andere Möglichkeiten, Posten zu besetzen und Verbindungen herzustellen. Brigitte Zypries (SPD), die in Schröders Staatskanzlei das Referat für Verfassungsrecht übernahm, holte Frank Walter Steinmeier nach Hannover. Sie kannte ihn aus ihrer Gießener Studienzeit:  Beide hatten in den 1980er-Jahren für die juristische Fachzeitschrift „Demokratie und Recht“ gearbeitet, die im Pahl-Rugenstein Verlag erschien. Dieser Verlag wurde seinerzeit angeblich vom Verfassungsschutz überwacht und maßgeblich von der DDR finanziert. „Du passt zu uns“, soll Schröder beim Vorstellungsgespräch zu Steinmeier gesagt haben.

Zunächst leitete Steinmeier das persönliche Büro des Ministerpräsidenten, 1996 wurde er zum Staatssekretär und Leiter der niedersächsischen Staatskanzlei ernannt. Als Schröder 1998 Bundeskanzler wurde, folgte Steinmeier ihm nach Bonn bzw. Berlin. Dort berief ihn Schröder zum Staatssekretär im Bundeskanzleramt sowie zum Beauftragten für die Nachrichtendienste des Bundes und ein Jahr später zum Chef des Bundeskanzleramtes.

Es gab noch einen weiteren Vertrauten Schöders, der ihm nach Berlin folgte: Heino Wiese (SPD), Jahrgang 1952, der allerdings in keiner der einschlägigen Schröder-Biographien auftaucht. Dabei übte er in der niedersächsischen SPD von 1990 bis 2003 einflussreiche Funktionen aus und managte die Wahlkämpfe von Schröder. Als dieser 2015 nach dem Auszug aus dem Kanzleramt in eine Wohnung neben dem Hotel Adlon zieht, zog darunter eine neu gegründete Beratungsfirma ein: die Wiese Consult seines ehemaligen Wahlkampfmanagers Heino Wiese, der gute Verbindungen zu russischen Oligarchen unterhielt.

Schon in Hannover hatte Heino Wiese in seiner Eigenschaft als Honorarkonsul des Kremls Geschäftskontakte nach Russland aufgebaut. So fädelte er die Beteiligung des Oligarchen Alexej Mordaschow bei der von Michael Frenzel (SPD) geführten TUI ein, die wiederum die ZAG Arena des Bauunternehmers Günter Papenburg sponserte. Papenburg seinerseits hält Anteile an dem Stahlunternehmen Salzgitter AG, das Schröder einst mit Staatsgeldern Frenzels TUI-Vorläufer Preussag abkaufte und das später Röhren für das von Schröder beaufsichtigte Unternehmen Nord Stream 2 sowie andere Pipeline-Projekte des Kremls lieferte, die wiederum Heino Wiese eingefädelt hatte. Und zur Pflege dieses Netzwerkes trafen sich die dazu gehörigen Personen zeitweilig in der gemeinsamen Loge bei Hannover 96 (siehe Bingener und Wehner, „Die Moskau-Connection“).

In Berlin setzte Schröder diese Art netzwerkgesteuerter Industrieförderung munter fort: Dazu fand im Jahr 2005 ein Großereignis statt, als nämlich die Unternehmen Eon/Ruhrgas, Wintershall und Gazprom ein Gemeinschaftsunternehmen gründeten, das eine Pipeline für russisches Gas durch die Ostsee bauen sollte (Nord Stream 1). Trotz massiver Kritik aus Osteuropa und auch aus den USA hatte Gerhard Schröder als Bundeskanzler dieses Vorhaben massiv gefördert und seine Sinnhaftigkeit mit einer von ihm unterzeichneten Absichtserklärung deutlich gemacht.

Die FAZ vom 13. Mai 2022 schrieb dazu: „Die rot-grüne Bundesregierung bürgte für den Kredit, und das Geschäft wurde in Anwesenheit von Putin und Schröder besiegelt. Drei Monate später nahm der zwischenzeitlich abgewählte Kanzler eine lukrative Tätigkeit bei der Nord Stream AG auf. Weitere Posten bei staatlichen russischen Energiekonzernen sollten folgen.“

Schon damals wurde befürchtet, das russische Vorhaben könne dazu genutzt werden, die Ukraine unter Druck zu setzen oder die frühere Sowjetrepublik sogar „heimzuholen“. Dennoch begannen bald nach der Inbetriebnahme von Nord Stream 1 im Jahr 2011 die Gespräche über eine zweite Pipeline. „Altkanzler Schröder lobbyierte in seinen Gesprächen mit Mitgliedern der Bundesregierung jahrelang erfolgreich für das Projekt, obwohl der außenpolitische Kurs des Kremls zusehends aggressiver wurde.“ (FAZ a.a.O.)

Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel unterstützte den Bau der Pipeline Nord Stream 2: Nach dem Ausstieg aus der Atomenergie sollten Gaskraftwerke in Zeiten, in denen die erneuerbaren Energien keinen oder zu wenig Strom lieferten, als Reserve einspringen. Dafür benötigte Deutschland russisches Gas, das über Nord Stream 2 geliefert werden sollte. Diesmal war es Angela Merkel,  die den Bau der Pipeline mit einer Absichtserklärung unterstützte.

Steinmeiers Karriere

Nach dem Regierungswechsel 2005 wurde Steinmeier als Bundesminister des Auswärtigen in das von Angela Merkel gebildete Kabinett der Großen Koalition berufen. Mit Angela Merkel arbeitete Steinmeier gut zusammen.

Bekannt wurde Steinmeier für seine russlandfreundliche Haltung. Seine Politik erinnerte an die Ostpolitik, welche von Bundeskanzler Willy Brandt (SPD) und Egon Bahr (SPD) Anfang der 1970er Jahre eingeführt wurde. Im Mai 2008 war Steinmeier der erste ausländische Politiker, der in Moskau Gespräche mit Präsident Dmitri Medwedew und Premierminister Wladimir Putin führte, nachdem diese nach den Präsidentschaftswahlen 2008 ihre neuen Ämter angetreten hatten.

Nach der Wahlniederlage der SPD 2009 wurde Steinmeier zum Vorsitzenden der SPD-Bundestagsfraktion und damit zum Oppositionsführer gewählt. In der erneuten Großen Koalition von Union und SPD nach der Bundestagswahl 2013 wurde Steinmeier im dritten Kabinett Merkel wieder Außenminister.

Im Ukraine-Konflikt blieb Steinmeier trotz der Kritik aus den USA bei der deutschen Haltung, die einerseits die europäischen Wirtschaftssanktionen gegen Russland unterstützte, aber andererseits die Partnerschaft mit Russland erhalten wollte. Auch nach der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim im Jahre 2014 durch Russland hielt Steinmeier am Petersburger Dialog fest. Zwischen 2015 und 2016 richtete er eine Reihe von Treffen im „Normandie-Format“ in Berlin aus, um über eine Lösung der Situation im Osten der Ukraine zu verhandeln.

Deutsche Waffenlieferungen an die Ukraine schloss Steinmeier anfangs aus, und er riet auch den USA davon ab. 2016 warnte Steinmeier vor NATO-Militärmanövern und geplanten Truppenstationierungen in Osteuropa. Er forderte stattdessen mehr Dialog und Kooperation mit Russland: „Was wir jetzt nicht tun sollten, ist durch lautes Säbelrasseln und Kriegsgeheul die Lage weiter anzuheizen“, sagte er der BILD.

Steinmeiers Russlandpolitik

Die von Willy Brandt und Egon Bahr konzipierte Entspannungspolitik gegenüber der Sowjetunion gehört immer noch zu den Grundüberzeugungen sozialdemokratischer Außenpolitik. Mit dieser Politik des „Wandels durch Annäherung“ erklärt die SPD eine ganze Reihe positiver außenpolitischer Entwicklungen: z.B. die wirtschaftlichen Beziehungen zu den Nachbarn im Osten, auch den Zusammenbruch der kommunistischen Gewaltherrschaft und nicht zuletzt die deutsche Wiedervereinigung.

Diese Ostpolitik gehört inzwischen zum Mythos der SPD, ohne den die Russlandpolitik, für die Steinmeier verantwortlich war, nicht zu verstehen ist.

2016 kritisierte Steinmeier Manöver in Polen und den baltischen Staaten als „lautes Säbelrasseln und Kriegsgeheul“. Es sei „fatal“, den Blick auf das Militärische zu verengen und das Heil in einer Abschreckungspolitik zu suchen. „Wer glaubt, mit symbolischen Panzerparaden an der Ostgrenze des Bündnisses mehr Sicherheit zu schaffen, der irrt. (…) Wir sind gut beraten, keine Vorwände für eine neue, alte Konfrontation frei Haus zu liefern.“

2008 bot er dem Kreml eine „Modernisierungspartnerschaft“ an, von der er sich eine Liberalisierung Russlands in Richtung einer „offenen Gesellschaft“ versprach. Daran hielt er fest, auch als früh Zweifel daran auftauchten, ob eine solche Liberalisierung in Moskau überhaupt gewünscht wurde.

Im April 2009 verlangte Steinmeier als Außenminister den Abzug aller US-amerikanischen Atomwaffen in Deutschland. 

Am 14. Februar 2020 warnte Steinmeier in seiner Rede zur Eröffnung der 56. Münchner Sicherheitskonferenz eindringlich vor wachsendem Nationalismus und kritisierte die Weltmächte. Es sei „brandgefährlich“, wenn weltweit gewachsenes Vertrauen durch einen „Rückfall in das Denken von vorgestern“ aufs Spiel gesetzt werde. Man müsse sich deshalb „weiter um die Schaffung einer übernationalen Rechtsordnung bemühen.“

Immer wieder bekräftigte Steinmeier in der niedersächsische SPD seine Auffassung, militärische Stärke müsse von Entspannung begleitet werden. „Das ist ein nicht weniger wichtiger Beitrag zur europäischen Sicherheit als der, den andere gegenwärtig betonen und öffentlich zeigen.“

Steinmeiers Positionswechsel

Erst bei seiner Wiederwahl zum Bundespräsidenten am 13. Februar 2022 appellierte Steinmeier ausdrücklich an Wladimir Putin, dieser solle „die Schlinge um den Hals der Ukraine“ lösen. Der russische Truppenaufmarsch sei eine Bedrohung für die Ukraine. Er solle die Stärke der Demokratie nicht unterschätzen.

Im April 2022 erkannte Steinmeier in mehreren Interviews an, dass die deutsche Ostpolitik, Russland in eine gemeinsame europäische Sicherheitsstruktur einzubeziehen, gescheitert war. Sein Festhalten an Nord Stream 2 sei ein Fehler gewesen. Er habe nicht geglaubt, dass Putin „den kompletten wirtschaftlichen, politischen und moralischen Ruin seines Landes für seinen imperialen Wahn in Kauf nehmen würde“. Darin habe er sich „wie andere auch, geirrt“. Eine Lehre sei außerdem, dass die außenpolitische Philosophie des „Wandels durch Handel“ im Umgang mit Autokratien „nicht trägt“ bzw. dass wirtschaftliche und wissenschaftliche Beziehungen Dinge nicht „automatisch zum Besseren wenden“. Nach dem Krieg werde man mit Putins Russland nicht zum früheren Zustand zurückkehren können.

Nach einem Besuch bei dem polnischen Präsidenten Andrzej Duda am 12. April 2022 wollte Steinmeier mit Duda und den Staatsoberhäuptern von Estland (Alar Karis), Lettland (Egils Levits) und Litauen (Gitanas Nausėda) zu einem von Duda angeregten Besuch zum ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj nach Kiew reisen, um „ein starkes Zeichen der europäischen Solidarität mit der Ukraine zu senden und zu setzen“. Noch am selben Tag teilte man aber von ukrainischer Seite mit, dass Steinmeier „momentan nicht willkommen“ sei, was mit Steinmeiers Russlandpolitik begründet wurde…

Die Reise wurde ohne Steinmeier durchgeführt, der allein zurück nach Berlin flog.


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