Lindners Wirtschaftswende
Die von Finanzminister Christian Lindner (FDP) geforderte Wirtschaftswende stellt die bisherige Wirtschafts-, Klima-, Fiskal- und Sozialpolitik der Ampel-Regierung grundsätzlich in Frage. Lindner wendet sich insbesondere gegen eine Wirtschafts- und Fiskalpolitik, die Ausnahmen von der Schuldenbremse zulässt und hohe Industriesubventionen zahlt. Stattdessen fordert er zur Entlastung der Unternehmen ein Regulierungsmoratorium, die Entschärfung des Klimaschutzes und die Senkung des Soli-Zuschlages sowie eine Korrektur der Frührente und die Reform des Bürgergeldes.
Lindner begründet seine Forderungen mit dem wirtschaftlichen Abstieg Deutschlands, der bessere Antworten erfordert als die Ampelregierung sie bisher gegeben hat. Den Mut zu solcher Klarheit hätten sich viele von der FDP und der Union sicher schon früher erhofft. Denn die von Lindner jetzt geforderte Wirtschaftswende ist nichts anderes als der klare Schwenk von einer interventionistisch geprägten Nachfragepolitik hin zu einer die Produktivität fördernden Angebotspolitik. Das Programm geht über die im Frühsommer von der Ampelregierung verabredete „Wachstumsinitiative“ deutlich hinaus.
Der Finanzminister mutet seinen Partnern in der Regierung einiges zu, baut ihnen aber auch Brücken: So fehlt die Forderung auf den Verzicht des Rentenpakets, das 500 Milliarden Euro kosten wird. Eine weitere Brücke ist der Vorschlag, das Tempo des deutschen Klimaschutzes dadurch zurückzunehmen, dass es an die europäischen Vorgaben angepasst wird. Deutschland gewinnt dadurch mehr Zeit für den CO2-Umbau.
Sollten SPD und Grüne diese Brücken nicht gehen wollen, bleib der FDP – wenn sie glaubwürdig bleiben will – keine andere Wahl als die Ampelkoalition zu verlassen.
Regulierungsmoratorium
In den kommenden drei Jahren soll nach Lindners Vorstellungen ein striktes Moratorium gelten, bei dem es entweder keine neuen Gesetze geben soll oder zumindest sichergestellt wird, dass die Belastung für Unternehmer nicht zunimmt. Lindner nennt ausdrücklich das Tariftreuegesetz, das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz oder die arbeitgeberfinanzierte Familienstartzeit als Problem.
Auf EU-Ebene soll die Bundesregierung dafür sorgen, Berichts- und Nachweispflichten aus dem sogenannten Green Deal abzubauen und neue zu verhindern. Das betrifft zum Beispiel das Energieeffizienzgesetz und Berichtspflichten über Lieferketten oder ESG-Ziele.
Steuersenkungen
Lindner will den Solidaritätszuschlag in zwei Stufen vollständig abschaffen und die Körperschaftsteuer absenken: Der Soli soll 2025 um 2,5 Prozentpunkte auf drei Prozent gesenkt werden und dann 2027 entfallen. Dies würde im kommenden Jahr 4,5 Milliarden Euro kosten.
Parallel soll die Körperschaftssteuer im kommenden Jahr um zwei Prozent reduziert und 2027 sowie 2029 in weiteren Schritten gesenkt werden. Den Haushalt 2025 würde dies dem Vorschlag zufolge mit 3,5 Milliarden Euro belasten. Die Unternehmenssteuern, die derzeit bei 29,9 Prozent liegen, sollen mittelfristig auf 25 Prozent sinken.
Clemens Fuest, Präsident des Münchener Ifo-Institut, hält diesen Vorschlag für zielführend und erklärt: „Man muss es sehen wie eine Investition. Man lässt den Unternehmen mehr, um Wachstum zu erreichen, und muss dafür erst mal auf Steueraufkommen verzichten.“ Fuest gibt aber zu bedenken, dass die Steuerausfälle nach einer Untersuchung des Ifo-Instituts geringer ausfallen, wenn die Regierung Investitionen mit höheren Abschreibungen anregt und nicht mit einer Steuersatzsenkung.
Lindner will zudem die Abmilderung der sogenannten kalten Progression (höhere Besteuerung auf Grund inflationsbedingter Einkommenssteigerungen) in der Einkommensteuer nach 2026 verstetigen. Außerdem fordert er die Anhebung der Grund- und Kinderfreibeträge sowie des Kindergeldes.
Verschiebung der Klimaschutzziele
Für großen Widerstand in der Ampelkoalition dürfte die Forderung von Lindner sorgen, den ambitionierten Sonderweg Deutschlands in der Klimapolitik zu beenden. Das Ziel der Klimaneutralität soll nicht mehr für 2045 angestrebt werden, sondern erst für 2050 wie in der Europäischen Union. Dann können auch im Gebäudeenergiegesetz die Ziele um fünf Jahre nach hinten verschoben werden.
Manuel Frondel vom Rheinisch-Westfälischen Institut für Wirtschaftsforschung (RWI) findet das vernünftig: “Wenn sich Deutschland als klimapolitischer Musterschüler aufspielt, dabei die eigene Wirtschaft schädigt und die Politik wie beim Heizungsgesetz die Bevölkerung gegen sich aufbringt, wird das keine Nachahmer in der Welt finden.“
Nach dem Vorschlag von Lindner sollten außerdem „klimapolitisch motivierte Dauersubventionen“ ebenso wie der Klima- und Transformationsfonds (KTF) abgeschafft werden. Die Vergütung für erneuerbare Energien sollten in den nächsten Jahren auf null gesenkt werden. Nur so könnten der Netz- und Speicherausbau Schritt halten und negative Strompreise vermieden werden. Die bisherigen Netzausbaupläne hält er für überdimensioniert und überteuert.
Lindner plädiert zudem für den Einsatz der CCS-Technologie (Carbon Capture and Storage) zur Speicherung von CO2 sowie für den Ausbau der heimischen Erdgasförderung – auch mit Fracking-Verfahren.
Die Streichung der Subventionen für Ökostrom nach 25 Jahren EEG-Förderung hält auch Manuel Frondel (RWI) für „längst überfällig“. Es sei auch richtig, CCS einzusetzen und die eigene Erdgasförderung anzukurbeln: „Es ist weitaus treibhausgasärmer, Erdgas per Fracking in Deutschland zu gewinnen, anstatt es als LNG in Tankern tiefgekühlt aus den USA zu importieren.“
Rente anpassen
Das von der Ampelregierung beschlossene Rentenpaket II, das durch Stilllegung des Dämpfungsfaktors für Rentenerhöhungen ein Mindestsicherungsniveau der Rente von 48 Prozent garantieren soll und die Rentenkasse bis 2045 mit Zusatzkosten von 500 Milliarden Euro belasten wird, wird von Lindner nicht infrage gestellt. Er verlangt aber zusätzliche Maßnahmen „zur Sicherung der Generationengerechtigkeit“: Der Abschlag bei vorzeitigen Rentenbeginn soll steigen und die Berechnung des Mindestsicherungsniveaus verändert werden. Eckpunkt wäre dann künftig nicht mehr ein Rentner, der 45 Jahre lang Durchschnittsbeiträge gezahlt hat, sondern etwa 46 bis 47 Jahre lang. Beides könnte den Anstieg der Rentenausgaben bremsen.
Beides „ist hilfreich“ sagt der Rentenexperte Axel Börsch-Supan. Allerdings reichen diese Korrekturen aus seiner Sicht nicht annähernd aus, um die Kosten der Stilllegung des Dämpfungsfaktors auszugleichen. „Klare Antwort nein!“ urteilt der Rentenexperte.
Arbeiten attraktiver machen
In Deutschland wird zu wenig gearbeitet, findet Lindner und hat dabei vor allem die Bürgergeldempfänger im Blick. Nach seiner Sichtweise führen die schlecht aufeinander abgestimmten Leistungen Bürgergeld, Wohngeld und Kinderzuschlag in der Praxis dazu, dass es sich für viele Betroffene nicht oder kaum lohnt, mehr zu arbeiten. Lindner fordert deshalb, das System zu reformieren. „Individuelle Schlechterstellung gegenüber dem Status Quo ist dabei unvermeidlich, aber im Sinne von Aktivierung und Anreizorientierung auch zu begrüßen“, heißt es im Lindner-Papier.
Lindner will außerdem die sogenannte Besitzstandsregel abschaffen. Diese Regel verhindert zum Beispiel, dass ein wegen falscher Inflationsprognose zu stark erhöhter Regelsatz wieder gesenkt wird. Reformieren will er außerdem die Arbeitszeitregeln: Statt einer täglichen Höchstarbeitszeit will er nur noch eine wöchentliche Grenze. „Alles, was da zur Flexibilisierung beiträgt, ist richtig“, sagt der Ifo-Ökonom Andreas Peichl.