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Roland Koch, Europas Zukunft nicht auf Schulden bauen!
27.10.2024 11:05 (203 x gelesen)

Roland Koch, Vorsitzender der Ludwig-Erhard-Stiftung e.V.

Europas Zukunft nicht auf Schulden bauen!


Nach fünf Jahren Konzentration aller europäischen Kräfte auf den „Green Deal“ gibt es offenbar bei der Mehrheit des Europäischen Parlaments und der gewählten Kommissionspräsidentin ein erfreulich deutliches Bewusstsein, dass in den kommenden fünf Jahren das Thema Wettbewerbsfähigkeit klar auf Platz eins der europäischen Tagesordnung stehen muss. Der im September 2023 in Auftrag gegebene Bericht des früheren EZB-Präsidenten und ehemaligen italienischen Ministerpräsidenten Mario Draghi wurde gerade deshalb mit vielen Hoffnungen erwartet. Um es vorwegzunehmen: Der Bericht enttäuscht.  
Sicherlich wurden viele der inzwischen dringenden Herausforderungen noch einmal gut zusammengetragen.  Besonders in Bereichen wie Zukunftstechnologien und erneuerbare Energien bestehe großer Nachholbedarf. Europa hinke in der Entwicklung der Produktivität hinter den großen Konkurrenten USA und China hinterher. Bürokratie und die Vielzahl nationaler Regelungenbremsen würden das Wachstum europäischer Unternehmen hemmen. Dies führe dazu, dass schon Startups lieber in die USA abwandern. Die von Draghi propagierte Besserung: Die EU-Volkswirtschaft benötigt jährlich bis zu 800 Milliarden Euro für zusätzliche Investitionen, um gegenüber den USA und China wettbewerbsfähig zu bleiben. Nach der richtigen und kraftvoll formulierten Analyse fällt Draghi allerdings in alte dirigistische und schuldenfinanzierte Lösungen zurück. Das ist im Verständnis moderner Marktwirtschaften weniger ein europäisches, sicherlich kein deutsches, sondern eher ein französisches oder italienisches Denken.


 

Europa hat in den letzten 25 Jahren seine Ziele verfehlt

Erinnern wir uns. Das EU-Ziel des Lissabon-Prozesses aus dem Jahr 2000 lautete: „Die Europäische Union soll bis zum Jahr 2010 zur wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensbasierten Wirtschaft der Welt werden, die in der Lage ist, ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum mit mehr und besseren Arbeitsplätzen sowie größerem sozialen Zusammenhalt zu erzielen.“ Dieses Vorhaben ist krachend gescheitert. Im Vergleich zu den großen asiatischen Staaten und zu den USA liegt Europa hinten, und Deutschland ganz besonders. Deshalb ist jetzt in Brüssel, aber auch in weiteren Hauptstädten Europas – inklusive Berlin – ein schnelles Umsteuern notwendig. Dieser neue Weg bedeutet Anstrengung, neue Prioritäten, Infragestellung alter Besitzstände und endlich eine Vollendung des Binnenmarktes auch für Banken und Kapital. Darin liegt die Zukunft; allerdings wird es Mut und politische Durchsetzungskraft erfordern, so viele Widerstände beherzt zu überwinden.
Einigen Punkte in Draghis Vorschlägen kann man nur zustimmen. Der Abbau bürokratischer Hürden und eine bessere Harmonisierung nationaler Vorschriften könnten die Wettbewerbsfähigkeit europäischer Unternehmen stärken und ihnen helfen, global zu wachsen. Auch der Vorschlag, die EU-Bildungsprogramme auszubauen, um die Wissensbasis und die Innovationskräfte zu stärken, ist richtig.


Mario Draghi will in Europa gewaltige zusätzliche Schulden machen

Mario Draghi setzt bei seinen Vorschlägen zur Verbesserung der Lage jedoch nicht auf eine marktwirtschaftliche Strategie, sondern auf den Staat. Die EU soll massiv Investitionen tätigen oder finanzieren: 750 bis 800 Milliarden Euro pro Jahr (!) fordert er ein, um Europas Wettbewerbsfähigkeit gegenüber den USA und China zu sichern. Um diese Milliardenbeträge zu erschließen, schlägt Draghi vor, neue gemeinsame Schuldtitel auszugeben – ähnlich, wie es beim Corona-Wiederaufbaufonds der EU bereits geschehen ist. Die Investitionen sollen dann in strategisch wichtige Bereiche wie Energienetze, Verteidigung und Technologien gelenkt werden. Draghi sieht darin eine neue Industriestrategie für Europa. Und wir erleben gerade, dass Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck ihn mit seiner „Modernisierungsagenda“ noch übertrumpfen will.


Freiheit und Ideen für profitables Wachstum sind gefragt

Ohne diesen neuen großen europäischen Schuldenplan ist das Draghi-Vorhaben allerdings substanzlos. Der Schuldenplan ist der wiederholte Versuch – der offenbar gerade in Italien und Frankreich gut ankommt –, endlich über Euro-Bonds auch die deutsche Bonität zur günstigen Verschuldung in anderen Teilen Europas in Anspruch nehmen zu können. Bekanntlich führen mehr Schulden aber nicht zwangsläufig zu mehr Wachstum, und die Vergemeinschaftung von Schulden schafft demokratische und fiskalische Probleme in Europa. In Deutschland und in Europa stehen wir vor dem gleichen Problem: Das Potentialwachstum, also das Wachstum, das wir unter unveränderten Bedingungen bestenfalls erreichen können, ist zu gering. Es wirft uns gegenüber allen Wettbewerbsregionen der Welt zurück, und gerade eine Exportnation wie Deutschland kann damit nicht umgehen.
Wettbewerbsfähig, wissensbasiert und dynamisch – so der Plan, um die EU im globalen Wettbewerb zu stärken. Privates Kapital, attraktive Steuersätze und schrumpfende Bürokratie wären dafür die eine Voraussetzung. Technologieoffenheit, mutige Schritte bei der KI-Anwendung, die Wiederbelebung der Biotechnologie und die Nutzung der Datenschätze des europäischen Mittelstandes wären weitere Voraussetzungen, um die wirtschaftlichen Chancen im freien Spiel des Wettbewerbs endlich entfalten zu können.


Grenzen der EU-Verschuldung in Corona-Zeiten erreicht

Es lässt sich im Übrigen schon heute erkennen, dass die EU an die Grenzen der Verschuldung gerät. Die zu Corona-Zeiten aufgenommen EU-Schulden sind eine schwere Bürde. 2028, wenn die Tilgung beginnen soll, werden jährliche Gesamtlasten von 30 Milliarden Euro für den Schuldendienst auf dem europäischen Haushalt lasten. Mit jedem Schritt des Draghi-Schuldenplanes würde sich die Belastung erhöhen. Internationale Finanzorganisationen wie Weltbank und Weltwährungsfonds warnen zu Recht schon jetzt davor.
Der Bericht von Mario Draghi rechtfertigt die in ihn gesetzten Hoffnungen leider nicht. Die gemeinsame Schuldenaufnahme verwässert die Verantwortung der einzelnen Mitgliedstaaten, und so ist besonders zu befürchten, dass Deutschland innerhalb der EU überproportional belastet würde. Otmar Issing, Ehrenmitglied der Ludwig-Erhard-Stiftung und langjähriger Chef-Ökonom von Bundesbank und EZB, hat den Draghi-Bericht zu Recht so beschrieben: „Die Analyse ist erschreckend, aber nicht neu. Und die Lösung, die Draghi anbietet, ist nicht neu, aber erschreckend.“


 
     
    


 


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