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Klima und Energiewende : Habecks Wette mit Klimaschutzverträgen
20.10.2024 19:07 (194 x gelesen)

Habecks Wette mit Klimaschutzverträgen

Deutschland wendet in der Klimapolitik erstmals das Instrument der Klimaschutzverträge an:
 Am 15. Oktober 2024 versammelten sich im Bundeswirtschaftsministerium Vertreter von 15 Unternehmen, um sich auf der Grundlage solcher Verträge von Robert Habeck (Grüne) Förderbescheide übergeben zu lassen. Mit diesem Programm will der Staat den Übergang energieintensiver Branchen wie Chemie-, Glas- oder Papier von herkömmlichen Verfahren mit fossilen Energieträgern wie Öl und Gas zu klimafreundlichen Technologien fördern. „Super“ sei das, befand Habeck, „Es geht was in Deutschland.“
Für die erste Runde dieses neuen Fördermittels setzt das Bundeswirtschaftsministerium insgesamt 2,8 Milliarden Euro ein. Damit wird zum Beispiel die BASF, der weltgrößte Chemiekonzern, gefördert, um im Stammwerk Ludwigshafen bei der Herstellung von Ameisensäure die konventionelle Dampfproduktion durch eine mit grünem Strom betriebene Wärmepumpe zu ersetzen. Beiersdorf erhält für ihr Tesa Werk in Hamburg Fördermittel, um für die Produktion von Klebebändern den erdgasbetriebenen Dampfkessel durch einen wasserstofftauglichen sowie einen Elektrodampfkessel zu ersetzen. Den höchsten Betrag, nämlich 564 Millionen Euro, bekommt die Papierfabrik Adolf Jass aus Fulda für den Ersatz von Erdgas durch eine Direktelektrifizierung der Dampferzeugung.
Ausgewählt wurden die 15 Unternehmen über ein Auktionsverfahren: Die Firmen mussten bei ihrem Gebot angeben, wie viele Euros sie benötigen, um mit ihrer geplanten neuen Technologie eine Tonne CO2 einzusparen. Innerhalb der ausgelobten Gesamtsumme von 2,8 Milliarden Euro erhielten die jeweiligen Unternehmen den Zuschlag, die eine Tonne CO2 am günstigsten einsparen können. Für die erste Gebotsrunde gab es aber nur 17 Antragsteller, so dass bis auf zwei alle Unternehmen berücksichtigt werden konnten.
Das war nur der Anfang: Inzwischen ist eine zweite Runde angelaufen, die mit einer Fördersumme im „niedrigen zweistelligen Milliardenbereich“ mit deutlich mehr Bewerbern stattfinden soll. Rund 130 Unternehmen haben laut Habeck hierfür Interesse signalisiert. In der zweiten Runde sollen auch Projekte zur Kohlenstoffabscheidung (CCS) berücksichtigt werden. Wie es danach weitergeht, ist noch unklar. Man werde sehen, sagte Habeck vor den Medien, „solange, bis das Geld alle ist“. Finanziert wird das Programm aus dem Klima- und Transformationsfonds (KTF) des Bundes.

Inhalt der Klimaschutzverträge
Die Klimaschutzverträge haben eine Laufzeit von 15 Jahren. In dieser Zeit wird ihnen der Staat die Mehrkosten ersetzen, die durch die neue klimafreundliche Produktionstechnik gegenüber dem bisherigen fossilen Verfahren entstehen werden. Dabei können sowohl Investitions- als auch laufende Betriebskosten geltend gemacht werden.
Wie viel Geld tatsächlich fließen wird, hängt vor allem von der künftigen Entwicklung der Energie- und CO2-Preise ab. Je stärker zum Beispiel die Preise für CO2-Zertifikate im Rahmen des EU-Emissionshandel steigen, desto teurer werden fossile Produktionsverfahren und desto weniger Förderung benötigen die neuen Projekte und umgekehrt.
Die Klimaschutzverträge sind sogenannte Differenzverträge: danach bekommen die Unternehmen Geld nur in der Zeit, in der die klimafreundliche Produktionsweise teurer ist als die konventionelle Produktion. Wenn sich das Verhältnis eines Tages aber umkehrt, also die klimafreundliche Produktion günstiger ist als die konventionelle, fließt das Geld in die Gegenrichtung: Die geförderten Unternehmen müssen die Mehreinnahmen dem Staat abliefern.
Das Wirtschaftsministerium geht derzeit davon aus, dass dank dieser Zweiseitigkeit und infolge der künftigen Preisentwicklung für CO2-Zertifikate für die erste Pilotrunde nicht die gesamte Fördersumme von 2,8 Milliarden Euro ausgegeben werden muss. Ausbezahlt werden die Subventionen auch erst, wenn ein Unternehmen die jeweils jährlich anvisierte CO2-Reduktion erreicht hat.  
Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) hat die Klimaschutzverträge begrüßt: „Beim Wechsel zu grünen Technologien – insbesondere in aktuell CO2-intensiven Industrien wie Stahl, Chemie, Zement, Keramik und Glas – entstehen häufig Mehrkosten für die Unternehmen. Gerade in der Anfangszeit, in der die Technologien noch nicht voll ausgereift und /oder skaliert sind, entstehen signifikante Mehrkosten. Klimaschutzverträge kompensieren diese Kosten.“
Klimaschutzverträge sind für den BDI ein wesentlicher Baustein, um die Industrie auf ihrem Transformationspfad hin zur Klimaneutralität zu unterstützen. Den Vorteil solcher Verträge sieht der Verband in der größeren Planungssicherheit für Unternehmen und in der Teilung des Investitionsrisikos zwischen Staat und Unternehmen. Müsste ein Unternehmen das Investitionsrisiko allein tragen, gäbe es für das Unternehmen keinen betriebswirtschaftlichen Anreiz, die „politisch und volkswirtschaftlich sinnvolle und gewünschte Investition“ zu realisieren, „wenn die klimafreundliche Produktion aktuell noch unwirtschaftlich ist“.

Kritik an den Klimaschutzverträgen
Die Klimaschutzverträge sollen andere Instrumente der Klimapolitik wie das Emissionshandelssystem ergänzen und nicht ersetzen. Vor allem seitens liberaler Ökonomen gibt es aber Kritik an diesen Verträgen.
So erklärte die Wirtschaftsweise Veronika Grimm, Klimaschutzverträge seien ein sehr kompliziertes Instrument. „Durch die einzelwirtschaftliche Förderung resultiert das Problem, dass der Staat immer ein Informationsdefizit gegenüber den geförderten Unternehmen haben wird. Daher wird es zwangsläufig zu Mitnahmeeffekten kommen. So wird die Förderung teurer als nötig“.
Solche Mitnahmeeffekte lassen sich schon in der ersten Ausschreibungsrunde beobachten: Die ausgewählten 15 Projekte sollen über die gesamte Vertragslaufzeit zur Einsparung von bis zu 17 Millionen Tonnen CO2 führen. Zum Vergleich: Allein im letzten Jahr stieß die deutsche Industrie insgesamt 155 Millionen CO2 aus. Damit kostet die über die 15 Klimaschutzverträge anvisierte CO2-Reduktion den Staat im Durchschnitt bis zu 165 Euro pro Tonne. Das ist weitaus mehr, als Unternehmen im europäischen Emissionshandel derzeit zahlen müssen, um eine Tonne CO2 in die Atmosphäre ausstoßen zu dürfen. Dieser Preis liegt aktuell bei rund 65 Euro pro Tonne.
Der Kosten-Nutzen-Vergleich für das neue Instrument der Klimaschutzverträge fällt also wenig schmeichelhaft aus. Darauf angesprochen, antwortete Habeck in der Pressekonferenz: „Diese Rechnung ist aus zweierlei Gründen nicht meine. Die Alternative wäre, dass diese Unternehmen nicht mehr am Standort wären.“ Zudem würden viele der eingesetzten Techniken gerade erst entwickelt. „Von daher ist das hier ein Industrie-Wirtschaftsprogramm.“
Deutlicher kann man nicht zum Ausdruck bringen, dass es Habeck in der Wirtschaftspolitik nicht um die Verbesserung der allgemeinen Rahmenbedingungen für die Wirtschaft geht, sondern um die Förderung einzelner Unternehmen auf dem Weg der grünen Transformation - koste es, was es wolle.  

Die verlorene Wette
Warum Habeck die Klimaschutzverträge benötigt, hat der BDI am Beispiel des grünen Stahls eindrucksvoll erläutert: „Mit Wasserstoff hergestellter Stahl hat exakt dieselben Eigenschaften wie mit Kokskohle hergestellter Stahl; ein Verbraucher würde also nicht mehr für grünen Stahl bezahlen, obwohl die grüne Herstellung deutlich teurer ist (denn es braucht völlig neue Anlagen und für deren Betrieb teuren grünen Wasserstoff).“
Mit diesem Beispiel, das sich auf nahezu alle industriellen Sektoren übertragen lässt, bestätigt der BDI, dass die Umstellung der Produktion auf klimafreundliche Technologien mit deutlich höheren Kosten verbunden ist, die aber in vielen Sektoren über den Preis der Produkte auf den Märkten nicht durchgesetzt werden können. Betriebswirtschaftlich sind solche Projekte Fehlinvestitionen, weil das Unternehmen dadurch an Produktivität, Ertragskraft und Wert verliert. Die Klimaschutzverträge ändern daran nichts, weil sie gegenseitige Rechte und Pflichten enthalten, nur schwer zu kalkulieren sind und eine begrenzte Laufzeit haben.  
Für die deutsche Volkswirtschaft wirkt sich die Umstellung auf klimafreundliche Technologien wegen der höheren Kosten ebenfalls negativ aus: die gesamtwirtschaftliche Produktivität sinkt, die industrielle Wertschöpfung geht zurück, und die internationale Wettbewerbsfähigkeit nimmt ab. Die auf Grund der Klimaschutzverträge gezahlten Subventionen bleiben dabei als durchlaufende Posten zu Recht unberücksichtigt. Denn sie werden aus dem Klima- und Transformationsfonds des Bundes (KTF) gezahlt, dessen Mittel aus dem Emissionshandel und Bundeszuschüssen stammen. Es werden also viele Unternehmer zur Kasse gebeten, um die Klimaprojekte weniger Unternehmer, die der Staat auswählt, zu finanzieren.
Die negativen Effekte der grünen Transformation zeigen sich schon heute an den Produktionsrückgängen in den energieintensiven Industrien wie Chemie, Metall, Glas, Papier sowie bei Kokereien und der Mineralölverarbeitung. Gemessen an der Wertschöpfung machen diese Branchen, die besonders unter der teuren Energie in Deutschland leiden, etwa 16 Prozent der Industrie aus. „Wir gehen nicht davon aus, dass die energieintensive Industrie wieder zurückkommt“, sagte Stefan Kooths vom Kieler IfW. „Es ist nicht erkennbar, dass Deutschland in der Energieversorgung gegenüber anderen Weltregionen wieder wettbewerbsfähiger werden kann.“ Das ist schon heute der Preis, den die Allgemeinheit für die grüne Transformation zahlen muss.


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