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Europäische Krisen : EU-Schutzzölle auf Chinas E-Autos
12.10.2024 13:57 (91 x gelesen)

EU-Zölle auf Chinas E-Autos

Schon Anfang 2024 warnte Tesla-Chef Elon Musk vor der Übermacht chinesischer Hersteller von Elektroautos: „Wenn es keine Handelsschranken gibt, werden sie die meisten anderen Autofirmen in der Welt so ziemlich zerstören.“
Im Mai 2024 kündigten die USA eine deutliche Erhöhung der Zölle auf eine Vielzahl von Produkten aus China an. Wie das Weiße Haus mitteilte, sind unter anderem Elektroautos, Halbleiter, Mineralien und Medizinprodukte betroffen. Der Zollsatz auf chinesische E-Autos wird zum Beispiel drastisch, nämlich von 25 auf 100 Prozent, steigen. Damit sollen Industriesektoren von „strategischer“ Bedeutung vor „unlauterem Wettbewerb“ durch China geschützt werden. China kündigte bereits Gegenmaßnahmen an.
Anfang Oktober 2024 entschied sich auch die Europäische Union - und zwar gegen den Widerstand der Bundesregierung - für Einfuhrzölle auf Elektroautos aus China. Damit hat es nunmehr die EU-Kommission in der Hand, auf chinesische E-Autos Zusatzzölle in Höhe von bis zu 35,3 Prozent zu erheben. Die Zölle können gestoppt werden, wenn noch rechtzeitig eine Lösung mit China am Verhandlungstisch erreicht wird.
Die deutschen Autobauer und Branchenverbände plädieren für eine Verhandlungslösung. "Gemeinsames Ziel muss es sein, etwaige Schutzzölle und damit einen Handelskonflikt zu verhindern", heißt es in einer Mitteilung von Volkswagen. Auch Mercedes befürchtet weitreichende negative Auswirkungen auf die Automobilbranche. Verhandlungen bräuchten Zeit, daher müsse die Erhebnung der Zölle aufgeschoben werden.
Das Außenministerium in Peking teilte auf Anfrage mit, die von Europe angekündigten Zölle seien unvernünftig und protektionistisch. Außerdem würden sie der Energiewende in der EU und dem Kampf gegen den Klimawandel schaden. China werde weiter auf Dialog setzen, gleichzeitig aber die Interessen chinesischer Unternehmen schützen.

Kritiker und Befürworter
Zu den Kritikern der von der EU beschlossenen Schutzzölle gehört Gerald Braunberger, Mitherausgeber der FAZ:  Die Erhebung von Zöllen ist nach seiner Meinung immer ein Ausdruck von Schwäche. Das gilt auch für die Erhebung von Einfuhrzöllen der EU für Elektroautos aus China. Erfolgreiche und wettbewerbsfähige Wirtschaftszweige benötigen keine Zölle, die den Wettbewerb schwächen und tendenziell preiserhöhend wirken.
Für Braunberger werden Einfuhrzölle auf chinesische E-Autos nicht dazu führen, dass europäische Verbraucher europäische E-Autos kaufen, deren Preis-/Leistungsverhältnis als unzureichend angesehen wird. Fehlt aber der Wettbewerbsdruck durch die Chinesen, haben europäische Hersteller weniger Anreize, möglichst rasch bessere E-Autos zu entwickeln. Eine EU, die einerseits günstige E-Autos vom Markt verbannen will, andererseits aber die Elektrifizierung des Autoverkehrs verlangt, handelt nach Meinung von Braunberger widersprüchlich.
Letztendlich geht es der Europäischen Union auch nicht um Elektroautos, sondern um internationale Machtpolitik, vermutet Braunberger. Europa habe in der Vergangenheit die Öffnung der Märkte weiter vorangetrieben als die USA und China, was in Zeiten der Geopolitik großer Mächte in vielen Hauptstädten als Zeichen politischer Naivität gelte. Nun suchten Politiker, die auf die innenpolitischen Herausforderungen des Populismus keine Antwort finden, eine Kompensation auf der globalen Bühne, weil die Beteiligung am Wettstreit der Protektionisten als Stärke gelte. Die Bundesregierung sollte jedoch die Fahne des Freihandels unbeirrt weiter hochhalten.
Diesen Vorschlag hat Professor Klaus Stocker in einem Brief an die Herausgeber der FAZ abgelehnt: Er ist sich mit Braunberger zwar einig, dass der Freihandel von der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts an zu erstaunlich positiven Ergebnissen führte und der Protektionismus zum vermeintlichen Schutz heimischer Industrien bislang wenig beigetragen hat.
Stocker stellt dann aber die Frage, ob der Wunsch nach unkontrolliertem Freihandel „mit einem Koloss wie China, das eine sehr aggressive Agenda verfolgt, nicht doch etwas naiv ist“. China setze zwar im Unterschied zu Russland darauf, dass gegenseitige wirtschaftliche Abhängigkeit friedenserhaltend wirkt; Chinas Regierung gibt aber unverhohlen zu, dass „es keine Gegenseitigkeit, sondern einseitige Dominanz anstrebt“, und zwar in allen technologisch fortgeschrittenen Bereichen.  
Stocker gibt auch zu bedenken, dass die chinesische Planwirtschaft seit Maos Zeiten von der Partei dazu gezwungen wird, ohne Rücksicht auf die bestehende Nachfrage so viel wie möglich zu produzieren und die Produktion jedes Jahr zu steigern. Das war zu Zeiten der früheren Mangelwirtschaft sicherlich angemessen, führt aber heute zu einer absurden Überproduktion, die im Ausland abgesetzt werden muss, teilweise zu Schleuderpreisen und mit hohen Verlusten. In sieben wichtigen Industriesektoren gibt es in China laut Stocker bereits gravierende Überkapazitäten. Ein Drittel der Autohersteller macht trotz erheblicher Subventionen Verluste.
Das alles hat nach Meinung von Stocker mit freiem und fairem Wettbewerb wenig zu tun, und es ist auch kein Modell für eine auf Dauer angelegte Zusammenarbeit, die beiden Seiten nutzt. Die chinesische Strategie sei bewusst darauf angelegt, durch billige Hightech-Produkte die Konkurrenten daran zu hindern, selbst technologische Fortschritte in wichtigen Industriebereichen zu erzielen. Von daher sei die Ankündigung europäischer Zölle nicht nur angemessen, sondern es sei höchste Zeit dafür, ist Stocker überzeugt.  
Notwendige China-Strategie
Unabhängig von Schutzzöllen auf Importen aus China benötigt Europa eine wirtschaftspolitische Strategie für ein China, das in großem Umfang Industriepolitik einsetzt, um in Zukunftsindustrien technologische Vorteile und Skaleneffekte zu erreichen. Peking hat bereits 2015 mit dem Programm „Made in China 2025“ öffentlich gemacht, dass Schlüsseltechnologien wie Künstliche Intelligenz, Luft- und Raumfahrt, Halbleiter, Elektrofahrzeuge und Biotechnologie mithilfe von Vorreitern zu Weltmachtführern gemacht werden sollen. Europäische Technologie spielt dabei eine entscheidende Rolle gemäß dem chinesischen Sprichwort: „Locke Deinen Konkurrenten auf das Dach und ziehe die Leiter weg.“
Während die Chinesen ihre Grenzen öffnen, um europäische Technologie zu importieren, sind in Europa Manager und Politiker uneins, wie eine industriepolitische Strategie gegenüber Chinas aussehen soll. Die einen setzen darauf, in China zu investieren, um den dortigen Markt zu erobern, was zwangläufig den Transfer von Technologie bedeutet. Die anderen verweisen darauf, dass China sich nicht an die Regeln hält und Europa den Kürzeren zieht, wenn es sich auf die chinesische Industriepolitik einlässt.
Moritz Schularick, Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft, hat in der FAZ vom 30. September 2024 fünf Punkte genannt, die als Orientierung im Umgang mit China dienen können:
•    Erstens sollte es in bestimmten Sektoren bei Produkten, bei denen kaum noch Innovationen zu erwarten sind, keine Importbeschränkungen geben. Dazu gehört etwa die Solarindustrie.
•    Zweitens muss die Abhängigkeit von China in bestimmten Bereichen verringert werden. Zu denken ist etwa an die Produktion von Antibiotika oder bestimmten Vorprodukten.
•    Drittens sollte Europa in Industriesektoren, die noch erhebliche Innovationen erwarten lassen, gegenüber China auf ähnlichen Ausgangsbedingungen (level playing field) bestehen. Hierzu dürften zum Beispiel Batterietechnologien und Elektroautos gehören. Insofern gehen die von der EU-Kommission angekündigten Ausgleichszölle in die richtige Richtung, und Deutschland sollte sich hinter die Kommission stellen. Im Gegenzug sollte Europa seine Anstrengungen verstärken und sich gegenüber Drittländern weiter öffnen.
•    Viertens muss sich Europa die Tatsache eingestehen, dass es in wichtigen Bereichen nicht mehr Technologieführer ist. Entsprechend sollte es sich  für ausländische Investoren öffnen. Dazu gehören auch chinesische Investitionen in Sektoren, die sicherheitspolitisch nicht problematisch sind.
•    Fünftens müssen die europäischen Staaten gemeinsam auftreten. Dies erfordert auch die Vollendung des Binnenmarktes durch eine Kapitalmarkt- und Bankenunion.
Aus handelspolitischer Sicht befindet sich Europa derzeit gegenüber China in einer sehr guten Verhandlungsposition. Nachdem die USA den Zugang für chinesische Produkte auf vielen Feldern de facto verschlossen haben, ist Europa der einzig verbleibende große Absatzmarkt für chinesische Produkte. Diese Chance sollte die EU-Kommission für die Durchsetzung einer nachhaltigen China-Strategie nutzen.


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