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Bürgerdialog mit der Politik - ehrlich gemeint?
08.08.2024 22:41 (288 x gelesen)

Bürgerdialog mit der Politik – ehrlich gemeint?

Der Dialog mit dem Bürger gehört zu einer lebendigen Demokratie. Dazu gehört auch und insbesondere die Anhörung von Wissenschaftlern und Fachleuten in den Ausschüssen des Deutschen Bundestages. Die Geschäftsordnung des Bundestages (§ 70 Abs. 1) enthält dazu folgende Regelung:

„Zur Information über einen Gegenstand seiner Beratung kann ein Ausschuss öffentliche Anhörungen von Sachverständigen, Interessenvertretern und anderen Auskunftspersonen vornehmen. Bei überwiesenen Vorlagen oder Anträgen ist der federführende Ausschuss auf Verlangen eines Viertels seiner Mitglieder dazu verpflichtet; bei nicht überwiesenen Gegenständen im Rahmen des § 60 Abs. 2 Satz 3 erfolgt eine Anhörung auf Beschluss des Ausschusses. […]“

Es sind heute vor allem die Bundestagsausschüsse, die sich mit dem Klimaschutz, der Energieversorgung und dem Schutz der Umwelt beschäftigen und die wegen der Komplexität der Themen bei ihren Beratungen auf das Urteil von Experten angewiesen sind. Aber welchen Einfluss haben die Sachverständigen bei den politischen Beratungen wirklich? Die von Axel Bojanowski in der Tageszeitung DIE WELT vom 8 August 2024 geschilderten Beispiele sind ernüchternd.

„Die Fragen werden oft vorab abgesprochen und Sachverständige werden danach ausgewählt, dass sie die Meinung der jeweiligen Fraktion widerspiegeln“, berichtete ein Physiker, der in den vergangenen fünf Jahren an fünf Anhörungen teilgenommen hat. Seine 29-seitige Stellungnahme zur Energiepolitik habe niemand gelesen. Sein Resümee: „Man könnte die Anhörungen daher auch abschaffen, ein Verlust wäre es nicht.“

Solche Erfahrungen mussten auch andere Sachverständige machen: „Mir wurde die Ehre zuteil, mich als einer von fünf Experten im zuständigen Ausschuss des Bundestages zu dem Entwurf äußern zu dürfen“, erzählt Ökonomie-Professor Joachim Weimann, von seiner Anhörung zum Energieeinsparungsgesetz. Doch sein Urteil ist eindeutig: „Tatsächlich sind solche Anhörungen aber reine Pflichtübungen für die Abgeordneten, denn die Bewertung des Gesetzes steht lange vorher fest und kein noch so gutes Expertenargument kann an dessen Text auch nur eine Kommasetzung verändern.“

Es ist auch nicht ungewöhnlich, dass sich Abgeordnete mit Sachverständigen vor den Sitzungen abstimmen. So sagte ein Ingenieur, der in zwei Anhörungen teilgenommen hatte: „Die Ausschuss-Anhörungen zu Energiethemen sind wirklich eine Farce! Der eigentliche Clou der beiden Veranstaltungen war, dass zwischen Abgeordneten und den sogenannten Sachverständigen im Vorfeld Fragen abgesprochen werden, die die Abgeordneten im Verlaufe der Sitzung dann stellen.“ Die Experten hätten die gewünschten Fragen sogar vorher formuliert und den Abgeordneten per Email vorab zugestellt.

Die Historikerin Anna Veronika Wendland vom Herder-Institut, die im November 2022 im Umweltausschuss zur Änderung der Atomgesetzes Stellung nehmen sollte, musste die Erfahrung machen, wie mit ungleichen Redezeiten manipuliert wurde. „Die Regierung war mit zwei Staatssekretären, die jeweils ihre eigene Redezeit hatten, im Gegensatz zu (Energietechnik-Professor) Andre Thess und mir, die sich zwei Minuten teilen mussten, klar im Vorteil“, monierte Wendland. „Hinzu kam, dass der Staatssekretär seine Redezeit mehrmals überzog, während wir von der Vorsitzenden weit strenger an die Redezeit gemahnt wurden.“

Der Ingenieur und Energie-Experte Frank Henning, der häufig vom Mainstream abweichende Meinungen vertritt und deshalb von den AfD-Fraktionen eingeladen wird, sagte zum Kohleausstieg, dass seine Anhörung zum Ausstieg aus der Kohleindustrie ihn davon überzeugt habe, dass von den vorliegenden Dokumenten nicht mehr abgewichen werde. Die zuständige „Kommission für Wirtschaft, Strukturwandel und Beschäftigung“ sei so zusammengestellt, dass sie „der Regierung eine gewünschte Entscheidung begründen sollte.“ Denn das Abschlussdokument war zuvor bereits fertiggestellt und „lag schon in Brüssel zur Begutachtung vor“.

Eine besondere Erfahrung musste die pensionierte Schulrektorin Petra Hänny aus Rheinland-Pfalz machen, die vom Bundesumweltministerium als eine von mehreren „Klimadelegierten“ ausgelost wurde, um an Ideen für die Anpassung an den Klimawandel mitzuarbeiten. Doch als die Klimadelegierten ihre Anregungen bei einem Bürgerdialog mit der Umweltministerin Steffi Lemke (Grüne) vorstellen wollten und sich zu diesem Zweck im Berliner Umweltministerium versammelten, hatten entsprechende Vorhaben längst unabhängig von den Vorschlägen der „Klimadelegierten“ das Kabinett passiert – „nur dummerweise wussten wir das nicht“ – wie Hänny berichtete.

Außerdem fehlte die Hauptperson, Umweltministerin Steffi Lemke (Grüne). Ihretwegen waren alle Klimadelegierten trotz Bahnstreiks nach Berlin gekommen. Hänny vermutete deshalb einen Marketing-Trick: „Hätten wir Delegierte von Lemkes Abwesenheit gewusst, wären viele von uns zu Hause geblieben.“ Endgültig veräppelt kam sich Hänny vor, als sich nicht einmal die zuständige Staatssekretärin die Zeit nahm, um die geplante Diskussion stattfinden zu lassen. Nach dem obligatorischen gemeinsamen Foto war dann die Veranstaltung beendet. Wenig später wurde die Staatssekretärin aber in einem Café neben dem Ministerium beim „gemütlichen Latte-Plausch“ gesehen.   

  


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