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Wirtschaftspolitik : Produktivitätsfortschritte statt "Wachstumsinitiative" der Bundesregierung
10.07.2024 19:25 (361 x gelesen)

Produktivitätsfortschritte statt „Wachstumsinitiative“ der Bundesregierung

Die Bundesregierung erwartet für 2024 ein Wachstum des realen Bruttoinlandsprodukts von nur 0,2 Prozent. Das bedeutet zweifelsohne, dass die deutsche Wirtschaft stagniert. Dazu paßt die prekäre Auftragslage vieler Unternehmen: Nach den Daten des Statistischen Bundesamtes sind die Auftragseingänge sowohl im Maschinenbau als auch bei den Autoherstellern und in der Pharmaindustrie deutlich zurückgegangen.

Wirtschaftsminister Robert Habeck erklärt diese Entwicklung mit dem überraschenden Einbruch der Exporte, der der Wirtschaft einen Dämpfer versetzt habe. „Erst im Zuge der weiteren Erholung des Welthandels und der allmählichen Belebung der Nachfrage nach Industrieerzeugnissen dürften sich die Auftragseingänge stabilisieren“, meint das Wirtschaftsministerium.

Konjunkturelle Gründe sind aber nicht die eigentliche Ursache für die anhaltende Schwäche der deutschen Industrie. Dass es trotz robuster Weltkonjunktur noch keinen Zuwachs bei den Auslandsbestellungen gibt, liegt nach Ansicht der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK) an handfesten strukturellen Problemen, wie den hohen Kosten für Energie und Personal, bürokratischen Lasten und dem Fachkräftemangel. Mit einem baldigen Aufschwung sei daher erst einmal nicht zu rechnen.

Als Antwort auf diese Kritik hat sich die Ampelregierung deshalb im Rahmen der Haushaltsaufstellung für 2025 zu einer „Wachstumsinitiative“ durchgerungen, mit der die binnenwirtschaftlichen Kräfte angeregt werden sollen. Das soll über steuerliche Entlastungen, zinsgünstige Investitionskredite, Anreize zu Mehrarbeit, weniger Bürokratie und mehr Geld für den Wohnungsbau geschehen. Die Bundesregierung erhofft sich davon ein zusätzliches Wachstum von 0,5 Prozent (= 26 Milliarden zusätzliches BIP). Den großen Wurf sieht die Bundesregierung darin offensichtlich aber nicht.

Schwache Produktivitätsfortschritte

Der Ampelregierung fehlt offensichtlich die Kraft für eine grundsätzliche Wende in der Wirtschafts-, Klima- und Sozialpolitik. So verliert Deutschland als Wirtschaftsstandort nicht nur an internationaler Attraktivität, sondern auch an gesamtwirtschaftlicher Produktivität, die heute eines der wichtigsten Kriterien im globalen Standortwettbewerb ist. 

In einer vom Wettbewerb gekennzeichneten globalen Wirtschaft sind tendenziell solche Unternehmen erfolgreich, die eine hohe Produktivität aufweisen und in der Lage sind, diese weiter zu steigern. Produktivität bedeutet in diesem Zusammenhang das Verhältnis zwischen Mitteleinsatz („input“) und wirtschaftlichem Ergebnis („output“). Gewinnorientierte Unternehmen zeichnen sich dadurch aus, dass sie die Differenz zwischen Input und Output groß halten.

Diese Betrachtung lässt sich ohne weiteres auf die gesamte Wirtschaft übertragen: Auch der Erfolg einer Volkswirtschaft – und damit der Wohlstand einer Nation - hängt davon ab, wie sich das Verhältnis zwischen dem Einsatz von Arbeit und Kapital („input“) und dem Wert aller hergestellten Güter und Dienstleistungen („output“), dem sog. Bruttosozialprodukt (BIP), darstellt. Im Wettbewerb der Staaten um ein relativ hohes und wachsendendes Bruttosozialprodukt sind tendenziell solche Wirtschaftsnationen erfolgreicher, die mit einem vergleichbarem Arbeits- und Kapitaleinsatz ein höheres Bruttosozialprodukt erzielen.

Steigende Produktivität bedeutet, dass bei gleichem oder geringerem Einsatz der Produktionsfaktoren Arbeit und Kapital  mehr Güter und Dienstleistungen produziert werden und damit der Wohlstand des Landes steigt. Die häufig betrachtete Arbeitsproduktivität definiert das Verhältnis von Arbeitseinsatz (Zahl der Erwerbstätigen oder der geleisteten Arbeitsstunden) im Verhältnis zum BIP. Dagegen beschreibt die sogenannte Totale Faktorproduktivität (TFP) die Effizienz des Zusammenwirkens aller am Produktionsprozess beteiligten Produktionsfaktoren, inklusive des Technischen Fortschritts.

Die gesamtwirtschaftliche Produktivität ist heute zu einem der wichtigsten Kriterien für die Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit einer Volkswirtschaft und für den Wohlstands eines Landes geworden. Insofern stehen Wirtschaftsstandorte heute weltweit im Wettbewerb um hochproduktives Human- und Finanzkapital, und damit um die klügsten Köpfe und fähigsten Kapitalgeber.

Die Ampelregierung verpasst mit ihrem einseitigen Fokus auf die Industrie- und Klimapolitik die Möglichkeit, die gesamte deutsche Wirtschaft mit einer an der Produktivität orientierten Wirtschaftspolitik effektiver und attraktiver zu machen.  Inbesondere verschlechtert sie die volkswirtschaftliche Produktivität, wenn Stahl-, Zement- oder Papierhersteller gezwungen werden, funktionsfähige Produktionsanlagen durch klimaneutrale Anlagen zu ersetzen und dafür staatliche Hilfe erhalten. Durch die Verschrottung der Altanlage, den Neubau der klimaneutralen Anlage und die Subventionen verursacht die Ampelregierung Kosten, die die gesamtwirtschaftliche Produktivität über Jahre hinweg belasten werden. Nur für Habeck ist es ein Erfolg, weil dadurch nämlich das von ihm favorisierte CO2-Budget entlastet wird.  

Entwicklung der Produktivität

Zur globalen Entwicklung der Arbeitsproduktivität heißt es in einer Analyse des Mckinsey Global Instituts (MGI): „Insgesamt ist das globale Produktivitätswachstum in den vergangenen Jahrzehnten eine Erfolgsgeschichte“. Die Fortschritte der Arbeitsproduktivität treten allerdings in erster Linie in den Schwellenländern auf. „Der Produktivitätsanstieg in vielen Industrieländern ist dagegen ins Stocken geraten,“ stellt das MGI in seiner Analyse fest. So entfallen in dem angegebenen Zeitraum 50 Prozent des Produktivitätsanstiegs auf China und Indien, während Westeuropa mit 7 Prozent am wenigsten zum globalen Anstieg der Produktivität beigetragen hat.

Auch im Vergleich zu den USA schneidet Westeuropa bei der Betrachtung der Arbeitsproduktivität schlecht ab. In den vergangenen 20 Jahren ist die Arbeitsproduktivität pro Stunde in den USA mehr als doppelt so stark gestiegen wie in der Eurozone. Besonders schlecht war die Entwicklung in Deutschland: die Arbeitsproduktivität stieg hier von 1991 bis 2017 (auf Basis des Indexjahr 2015 = 100) nur noch um 22 Punkte. Danach stagnierte sie nahezu: zwischen 2012 und 2019 betrug sie nur noch 0,8%.

Zu einem ähnlichen Ergebnis für Deutschland kommt das Institut für Weltwirtschaft (IfW) Kiel in einem Forschungsgutachten, das für das Ministerium für Wirtschaft und Energie angefertigt wurde.

Danach war das Wachstum der Arbeitsproduktivität, gemessen am BIP je Arbeitsstunde, in dem Zeitraum von 1990 bis 2015 in der Tendenz zwar positiv, die Zuwachsraten schwächten sich jedoch in diesem Zeitraum deutlich ab. Wurden Anfang der 1990er Jahre – aufgrund des Booms nach der deutschen Einheit – noch vergleichsweise hohe Raten von deutlich über 2 % verzeichnet, so stieg die Arbeitsproduktivität in den späteren Jahren nur noch mit rund 0,6 %. Im Zuge der Finanzkrise 2009 brach die Arbeitsproduktivität in Deutschland sogar deutlich ein (-5,7 %). 

Mit Blick auf die sektorale Entwicklung zeigt das Gutachten des IfW, dass insbesondere von den Sektoren „Produzierendes Gewerbe“, „Handel, Verkehr und Gastgewerbe“ (HVG) sowie „Information und Kommunikation“ positive Beiträge zur gesamtwirtschaftlichen Produktivitätsentwicklung in Deutschland ausgehen. Andere Sektoren sind entweder zu klein, um die gesamtwirtschaftliche Produktivität zu beeinflussen (Landwirtschaft), oder weisen eine stagnierende oder sogar rückläufige Produktivität auf (Bauwirtschaft, Finanz- und Versicherungsdienstleister). Das niedrigere Produktivitätswachstum in den vergangenen Jahren ist im Wesentlichen auf eine Verlangsamung des Wachstums im „Produzierenden Gewerbe“ und im „HVG-Sektor“ zurückzuführen.  

Die IfW-Forscher haben im Rahmen ihres Gutachtens unterschiedliche Erklärungen für die im Trend seit Mitte der 1990er Jahre rückläufige Arbeitsproduktivität in Deutschland untersucht und insgesamt fünf maßgebliche Faktoren identifiziert: auslaufende Effekte der deutschen Einheit, den hierzulande eher schwachen Impuls durch die Digitalisierung, die demographische Entwicklung, den sektoralen Strukturwandel und das deutsche „Arbeitsmarktwunder“ infolge der Agenda 2010.

Außer den fünf Ursachen haben die IfW-Forscher keine strukturelle Schwäche des Produktivitätswachstums in Deutschland feststellen können. Der Bundesregierung haben sie aber zur Steigerung der Trendproduktivität folgende Vorschläge gemacht:

  • Eine Förderung der Digitalisierung (vor allem bei KMU)
  • Verstärkte Bildungsanstrengungen (insbesondere auch im Bereich der digitalen Qualifikation)
  • Die weitere Stärkung privater Investitionen
  • Ausweitung der Erwerbsbeteiligung (insbesondere von Frauen)

Investitionen treiben die Arbeitsproduktivität

Der Studie von MGI zufolge sind öffentliche Investitionen in die Infrastruktur und private Investitionen in die Ausrüstung der Betriebe die wichtigsten Triebkräfte für die Verbesserung der Arbeitsproduktivität. Länder mit dem stärksten Anstieg der Arbeitsproduktivität wie z.B. China oder Indien haben anhaltend Investitionen in Höhe von 20 bis 40 Prozent ihres BIP getätigt – in die Urbanisierung, in den Aufbau einer modernen Infrastruktur sowie in Industrieanlagen.

Im internationalen Vergleich sind die Netto-Investitionen in Deutschland ähnlich wie in anderen Industrieländern außerordentlich niedrig. In Deutschland sind sie bereits nach der Dotcom-Blase im Jahr 2000 auf unter 2% des BIP gefallen; seitdem haben sie sich trotz des starken Beschäftigungszuwachses nicht nennenswert erholt. Dies ist nur etwa die Hälfte des Niveaus in den USA oder in Frankreich.

Öffentliche Investitionen in die Infrastruktur und die staatliche Förderung von Forschung und Entwicklung sind wegen ihrer externen Effekte wichtige Treiber der wirtschaftlichen Entwicklung und des technischen Fortschritts. Innerhalb der Europäischen Union gab es im Jahr 2021 nur zwei Länder, deren öffentliche Investitionen in die Infrastruktur - gemessen an ihrem Bruttoinlandsprodukt (BIP) - geringer waren als die Deutschlands – nämlich Portugal und Irland. Der deutsche Staat investierte im Zeitraum von 2011 bis 2021 lediglich eine Summe zwischen 2,10 Prozent (2014) und maximal 2,69 Prozent (2020) des BIP. Zum Vergleich: der EU-27-Schnitt lag 2021 bei 3,25 Prozent. Die in Relation zum BIP höchste Summe investierten Ungarn, Estland, Lettland und Schweden.

Die geringen Investitionen in die Infrastruktur lassen sich weder durch fiskalische noch institutionelle Faktoren erklären – auch nicht durch die Schuldenbremse. So muss man mit den Ökonomen Rösel/Wolffson zu dem Schluss kommen, dass die „deutsche Investitionsschwäche zu einer chronischen Krankheit geworden zu sein scheint, für die andere Faktoren wie langwierige Planungsverfahren und Personalnot verantwortlich sein dürften“.

Neben den öffentlichen Investitionen sind private Investitionen der wichtigste Treiber für die Verbesserung der Produktivität einer Volkswirtschaft und seiner Unternehmen. Als Investoren kommen Privathaushalte, Unternehmen und der Staat mit seinen Staatsunternehmen in Frage. Zu den relevanten Investitionen gehören alle Investitionsarten, also Erweiterungs-, Ersatz- oder Rationalisierungsinvestitionen. Auch die immateriellen Investitionen (Forschung und Entwicklung) rechnen zu den Investitionen.

Die Investitionsquote, d.h. das Verhältnis zwischen Investitionen und BIP, ist ein geeigneter Indikator für die Investitionsfreude und die wirtschaftliche Attraktivität einer Volkswirtschaft und für unternehmerische Standortvergleiche. Für Deutschland gibt die Entwicklung der privaten Investitionsquote leider Anlass zu großer Sorge: Lag die Nettoinvestitionsquote im Jahre 1992 noch bei 9.2 %, so sank sie im Laufe der Jahre stetig bis auf 2.6 %. Verglichen mit den benachbarten Ländern belegte Deutschland mit seiner Investitionsquote immer einen der letzten Plätze. Im Jahr 2022 ist die Nettoanlageinvestitionsquote bei 2.0% gelandet.

Der Einbruch bei den Investitionen in Deutschland geht zu einem großen Teil auf den relativen Abbau der Industrie innerhalb der Volkswirtschaft zurück, die man als „Deindustrialisierung“ bezeichnet. Denn parallel zur Deindustrialisierung sind die Direktinvestitionen deutscher Unternehmen im Inland seit 2019 rückläufig, während sie im Ausland seit 2015 deutlich gestiegen sind. Allein im Jahr 2022 flossen Investitionsmittel von rund 125 Milliarden Euro mehr ins Ausland als hereinkamen. Das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) sieht darin ein deutliches Zeichen, dass Deutschland für die Industrie zunehmend an Attraktivität verliert.

Besonders dramatisch sind die Produktionsrückgänge in den energieintensiven Industrien wie Chemie, Metall, Glas, Papier sowie bei Kokereien und der Mineralölverarbeitung. Gemessen an der Wertschöpfung machen diese Branchen, die besonders unter der teuren Energie in Deutschland leiden, etwa 16 Prozent der Industrie aus. „Wir gehen nicht davon aus, dass die energieintensive Industrie wieder zurückkommt“, sagte Stefan Kooths vom Kieler IfW. „Es ist nicht erkennbar, dass Deutschland in der Energieversorgung gegenüber anderen Weltregionen wieder wettbewerbsfähiger werden kann.“ Bei einer solchen Perspektive sind für diese Unternehmen allenfalls noch Reparaturinvestitionen sinnvoll.

Diese negative Prognose wird durch den klimapolitischen Ehrgeiz der Ampel-Regierung bestärkt. Wirtschaftsminister Robert Habeck hat das Ziel, große Teile des volkswirtschaftlichen Kapitalstocks vor dem Zeitpunkt des technisch notwendigen Abgangs durch CO2 sparende Techniken zu ersetzen. Dadurch entstehen in den Unternehmen zusätzliche Kapitalkosten, denen aber keine zusätzliche Produktion gegenübersteht. Das verschlechtert nicht nur die unternehmerische Rentabilität der betroffenen Betriebe, sondern auch die gesamtwirtschaftliche Produktivität, selbst wenn die Investitionen teilweise von der öffentlichen Hand subventioniert werden.

Gleichzeitig bemüht sich Wirtschaftsminister Robert Habeck zusammen mit den Ländern um die Anwerbung von ausländischen Investoren wie Tesla, Catl, Intel, Infinion, Amazon und TSMC, wobei der Schwerpunkt auf der Chip- und Batterieindustrie liegt. Die Ansiedlung soll vor allem in Ostdeutschland erfolgen, wo es große Gewerbeflächen und genügend erneuerbare Energie gibt. Dabei werden die Akquisitionen von Bund und Ländern mit Subventionen in Milliardenhöhe gefördert.

Der Ökonom David Dorn hält solche Akquisitionen für riskant, weil der Aufbau einer Chip- oder Batteriefabrikation sehr hohe Fixkosten verursacht. Gleichzeitig veralten Chip- und Batterieprodukte sehr schnell, weil die technologische Entwicklung auf diesen Gebieten rasant verläuft. Es besteht also die Gefahr, dass viel Geld in eine Produktionsstätte investiert wird, die schnell wieder verschwinden kann.


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