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Wirtschaftspolitik : Roland Koch: Habeck läuft mit seiner "Industriepolitik" in die falsche Richtung
14.06.2024 17:54 (361 x gelesen)


 

 ROLAND KOCH, VORSITZENDER DER LUDWIG-ERHARD-STIFTUNG, zu

"Habeck läuft mit seiner „Industriepolitik“ in die falsche Richtung"

Vor wenigen Tagen gab es in Maybrit Illners wöchentlichem ZDF-Talk eine spannende Auseinandersetzung zwischen Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck und CDU-Chef Friedrich Merz. Aus der grünen Community wurde später emsig getwittert, Habeck habe Merz jetzt einmal die Grundsätze moderner Wirtschaftspolitik erklärt. In der Tat hat der Bundeswirtschaftsminister die grüne Wirtschaftsideologie erläutert und diese verdient nähere Betrachtung. 

Einige seiner Sätze am Ende der Sendung sollten wir uns genauer anschauen: „Es gab in der alten Bundesregierung nie Industriepolitik, eine strategische Herangehensweise an die Industrie. Weil man gesagt hat, wir machen nur allgemeine Wirtschaftspolitik. Ich sage, dass das ein Denken der Vergangenheit ist, weil bestimmte Sparten auch bei den besten allgemeinen Bedingungen nicht kommen werden oder abwandern. Andere Länder auf der Welt, wie USA und China, werden sie mit harten Subventionen abziehen... Dann müssen wir aktiv dafür sorgen, dass die Schlüsselindustrien, die wir haben, hier im Land bleiben. …dann zu sagen, das machen wir durch allgemeine Wettbewerbspolitik, wird der Realität nicht gerecht.“

Deutlicher kann man in der Tat den Unterschied zu den klassischen und erfolgreichen Prinzipien der Sozialen Marktwirtschaft Ludwig Erhards nicht beschreiben. Zu Beginn weise ich vorsorglich das Argument zurück, dieses Denken in neuer staatlicher Industriepolitik sei den aktuellen Verwerfungen der Weltwirtschaft geschuldet und deshalb könne man die Maßstäbe Ludwig Erhards nicht mehr anlegen. Der Erfolg der Sozialen Marktwirtschaft entstand jedoch gerade zu Zeiten einer zerklüfteten ökonomischen Welt, weit vor der Zollfreiheit in Europa und im Angesicht des Protektionismus vieler verschlossener Märkte.

 

Habeck folgt den Lehren einer staatsgläubigen Wissenschaftlerin

Die Thesen Habecks sind nicht von ihm selbst entwickelt. Der neue, von der Ampel-Regierung vertretene staatsorientierte Begriff der Marktwirtschaft stammt wesentlich von der von Robert Habeck so oft zitierten international bekannten Wirtschaftswissenschaftlerin Mariana Mazzucatos und aus ihrem grundlegenden Buch „Das Kapital des Staates. Eine andere Geschichte von Innovation und Wachstum“. Dabei handelt es sich um einen durchaus beachteten Beitrag im Ideenkampf um die Rolle des Staates in der Gesellschaft, vor allem um Munition für die Gegner fiskalpolitischer Sparmaßnahmen. Mazzucatos Kernthese ist: Es gebe auch in Europa keinen Grund, die öffentlichen Ausgaben mit Instrumenten wie der Schuldenbremse zu begrenzen. Vielmehr sieht sie – gespickt mit vielen Beispielen aus den USA – im Staat den eigentlichen Unternehmer, ohne den keine wirklichen Innovationen möglich seien. Sie will beweisen, dass es der Staat ist, der vor allem auf neue Technologien setzt und dadurch die Märkte der Zukunft schafft. Sie baut auf eine „Vision des Staates“, die „Begeisterung weckt und neue Horizonte eröffnet“. Habe die breite Öffentlichkeit den Staat einmal als Hauptinnovationsquelle erkannt, werde sie gemäß Mazzucato ein ungerechtfertigtes Zurückfahren öffentlicher Aufgaben nicht befürworten.

Aus dieser Perspektive ist Aufgabe der Politik nicht hauptsächlich die Förderung innovativer unternehmerischer Tätigkeit, sondern das Aufspüren und Bestimmen jener Bereiche, in denen Innovationen zu erwarten sind. Ihr Narrativ ist das eines „selbstbewussten Staates, der fähig und willens war, mit mutigen Visionen die Richtung des Wandels zu definieren und auf der Ebene von Behörden und Ministerien entsprechende institutionelle Strukturen zu schaffen“. Es ist die staatlich gelenkte Wirtschaft in neuem Gewand.

Alle Staatsplaner hoffen auf ihre Allwissenheit

Ludwig Erhard würde sich zu Recht in die Debatten der bundesrepublikanischen Gründungszeit zurückversetzt fühlen. Es geht auf der linken Seite wieder um einen klugen Staat, der weiß, was auf der Welt geschieht und was für die eigene Wirtschaft „notwendig“ ist. Den Anspruch, genau das zu wissen, erhebt Habeck: Wirtschaftliche Entscheidungen werden der Eigendynamik des politischen Prozesses unterworfen. Außerökonomische Kriterien gewinnen an Bedeutung. Verluste werden der Allgemeinheit zugewiesen, wenn etwa die Intel-Chip-Fabrik in Magdeburg trotz 10 Milliarden Euro Staatszuschuss keinen Erfolg hätte. Allerdings ist bei einer Fehleinschätzung auch damit zu rechnen, dass einmal getroffene Entscheidungen zugunsten eines Sektors nachträglich durch die Gewährung weiterer Haushaltsmittel legitimiert werden. Subventionen werden so zu einer Dauereinrichtung.

Zwangsläufig verschiebt diese Industriepolitik das Anreizsystem einer Volkswirtschaft. Unternehmer, deren Aufgabe es nach Schumpeter wäre, neue Ideen zu realisieren und Risiken einzugehen, setzen dann ihre Energie und ihre Ressourcen im politischen Raum ein, um günstige Regelungen für ihren Sektor zu erreichen – aber diese Ressourcen produzieren kein einziges Gut. Die strategische Industriepolitik versandet in der Jagd nach Subventionen. So baut dann eben kein Unternehmen eine Batteriefabrik ohne Staatszuschüsse. Den allwissenden und voraussehenden Staat, der ausschließlich wirklich zukunftsträchtige Sektoren fördert, wird es jedoch auch in Zukunft nicht geben.

Unternehmer mit eigenem Risiko sind jedem Beamten überlegen

Unternehmerische Entdeckungs- und Innovationsfreude fällt dagegen in einer funktionierenden Marktwirtschaft genau dann auf fruchtbaren Boden, wenn – unabhängig von der konkreten Idee – hinreichende Anreize und günstige Bedingungen sie willkommen heißen. Um erfolgreich zu sein, müssen Erfindungen und Produkte bei potenziellen Käufern auf Zustimmung stoßen und begeistern können; sie müssen also einer Nachfrage gerecht werden und damit immer wieder eine neue Anpassung der Verwendung der Produktionsfaktoren bewirken. Technischer Fortschritt allein genügt deshalb nicht, um Erfolg zu haben. Der Erfolg muss am Markt gelingen und Subventionen sowie andere staatliche Privilegien trüben nur den Blick für diese Herausforderung. Dass der Staat normalerweise ein schlechter Unternehmer ist, ist keine Unterstellung von Ökonomen oder politischen Philosophen, sondern eine Tatsache: Die Bedingungen, unter denen der Staat arbeitet, unterscheiden sich radikal von jenen, mit denen private Unternehmer konfrontiert sind. 

Nach Mazzucatos Ansicht gibt es „keinen zuverlässigen Maßstab, um seine [des Staates] Investitionen fair zu beurteilen“, und den brauche es auch nicht. Es werde oft übersehen, dass der Staat in den Fällen, in denen er angeblich versagt habe, etwas viel Schwierigeres versucht habe als viele private Firmen: Entweder wollte er die Glanzzeit einer reifen Industrie ausdehnen oder aktiv einen neuen Technologiesektor auf den Weg bringen. Dies ist der Grund, weshalb Mazzucato annimmt, der Staat könne „neue Produkte und neue Märkte schaffen“. Der Staat brauche nicht auf potenzielle Kapitalrenditen zu schauen und könne deshalb unverrückbar die Stellung halten. Übrigens hat diese Theorie weitere einschneidende Konsequenzen: Wenn der Staat wirklich hinter so vielen Innovationen steckt, die dann von privaten Unternehmen auf den Markt gebracht werden, dann ist es laut Mazzucato nicht zu tolerieren, dass diese privaten Unternehmen Geld verdienen.

Jetzt schon ist zu erkennen, dass diese angeblich „neue Wirtschaftspolitik“, die Habeck Merz erklären wollte, nicht nur grundsätzlich falsch, sondern auch unbezahlbar ist. 

Wenn die Rahmenbedingungen stimmen, kommen die Unternehmen

Es bleibt dabei, dass die allgemeine Umgebung attraktiv sein muss. Vielleicht reicht sie nicht, um allen Branchen und Ideen gerecht werden. Das war auch in der Vergangenheit der Fall, wenn einige Industrien abwanderten. Aber die Summe aus strategischem Standort, guter Rechtsordnung, einem attraktiven Steuersystem, gut ausgebildeten Menschen und einer unternehmensfreundlichen Bürokratie hat nach wie vor alle Chancen, zu überzeugen. Wenn dann noch eine engagierte Unterstützung der Hochschulen, der Grundlagenforschung und der steuerlichen Absetzbarkeit von Unternehmensforschung hinzukommt, dann ist das besser als staatlich gelenkte, unternehmensgenaue Ansiedlungspolitik.

Ich bin überzeugt, auch nach der „Belehrung“ setzt Friedrich Merz mehr auf Ludwig Erhard, der in „Wohlstand für Alle“ schreibt: „Wir sollten darum auch nicht meinen, dass wir endgültig davor bewahrt seien, erneut in staatswirtschaftliche Formen abzugleiten. Die so lebhafte Diskussion über die Vor- und Nachteile einer langfristigen Planung bestätigte diese Skepsis durchaus. Wie viele waren da bereit, falschen Propheten zu folgen und die Marktwirtschaft, um des Traumas einer neuen Heilslehre willen, zu verraten.“


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