Kritik des Bundesrechnungshofs am Bundesschuldenfonds
(Auszug)
Der Bundesrechnungshof hat schon vor dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 15. November 2023 in seinem Prüfungsbericht vom 25. August 2023 an das Bundesministerium für Finanzen zu den Sondervermögen des Bundes folgendes festgestellt:
Sondervermögen gefährden das parlamentarische Budgetrecht und die Wirksamkeit der Schuldenregel. Sondervermögen haben in der Haushaltswirtschaft des Bundes eine große finanzielle Bedeutung. Der Bundesrechnungshof ist der Auffassung, dass an die Errichtung, aber auch die Weiterführung von Sondervermögen als budgetflüchtige Einrichtungen ein restriktiver Maßstab anzulegen ist.
Worum geht es?
Durch das Verlagern von Einnahmen und Ausgaben in Sondervermögen in finanziell erhebli-
chem Umfang wurde der Bundeshaushalt über die Jahre hinweg entkernt. Dies hat seit dem
Jahr 2020 eine bis dahin nicht bekannte Ausweitung und Dynamik erlangt. Die budgetflüchti-
gen Ausgaben und ihre ebenfalls budgetflüchtige Kreditfinanzierung gefährden das parla-
mentarische Budgetrecht und die Wirksamkeit der Schuldenregel.
Was ist zu tun?
Zwecke, die zu den Kernaufgaben des Staates gehören, sind aus dem Kernhaushalt zu finan-
zieren. Bestehende Sondervermögen müssen regelmäßig evaluiert und ihre Fortführung be-
gründungspflichtig sein. Der Bundesrechnungshof unterstützt die Absicht des Bundesminis-
teriums der Finanzen und der Bundesregierung, die Zahl und den finanziellen Umfang von
Sondervermögen zu reduzieren. Die geplanten Maßnahmen reichen aber bei weitem nicht
aus, um den aus den Fugen geratenen Bundeshaushalt wieder zum wahren Ausweis der
Bundesfinanzen zu machen.
Was ist das Ziel?
Um die Folgen der Entkernung des Bundeshaushalts zu beseitigen, müssten vor allem die
großen Sondervermögen, wie insbesondere der Klima- und Transformationsfonds, auf ihre
Eignung und Erforderlichkeit überprüft werden.
Sondervermögen sind eine Ausnahme von den das Budgetrecht des Parlamentes schützenden Haushaltsgrundsätzen der Vollständigkeit und Einheit des Haushaltsplans. Nach Auffassung des Bundesrechnungshofes muss die Finanzierung von Zwecken, die zur Kernaufgabenerfüllung des Staates gehören, auch aus dem Kernhaushalt erfolgen.
Gegenwärtig gibt es beim Bund 29 Sondervermögen mit höchst unterschiedlichen Zwecken. Der Bundesrechnungshof ist der Auffassung, dass an die Errichtung aber auch die Weiterführung von Sondervermögen als budgetflüchtige Einrichtungen ein restriktiver Maßstab angelegt werden sollte. Das BMF verweist auf die Vorzüge von Sondervermögen (Transparenz, Klarheit und Planungssicherheit).
Der Bundesrechnungshof kann die genannten Vorzüge der Veranschlagung in Sondervermögen gegenüber der im Bundeshaushalt nicht erkennen. Das Haushaltsrecht bietet ausreichend Möglichkeiten der überjährigen Finanzierung.
Der finanzielle Umfang der bestehenden größeren Sondervermögen beträgt insgesamt rund 869 Mrd. Euro. Das damit verbundene Ausweichen in eine ausufernde „Topfwirtschaft“ verstellt den klaren Blick auf die tatsächliche Lage der Bundesfinanzen.
Lediglich in einem Umfang von rund 89 Mrd. Euro sind die größeren Sondervermögen werthaltig. Weit überwiegend mit insgesamt rund 780 Mrd. Euro sind diese kreditfinanziert. Das am 31. Dezember 2022 noch vorhandene Verschuldungspotenzial der Sondervermögen lag bei insgesamt rund 522 Mrd. Euro. Das ist das rund fünffache der im Finanzplanungszeitraum 2023 bis 2027 ausgewiesenen Kreditaufnahme. Zutreffender wären diese Sondervermögen als „Sonderschulden“ zu bezeichnen. Das BMF widerspricht der Darstellung und dem Vergleich des Bundesrechnungshofes und verweist auf Finanzierung und Zweck von Sondervermögen. Die Argumente des BMF überzeugen den Bundesrechnungshof nicht.
Im Jahr 2022 betrugen die Ausgaben der 13 Sondervermögen, deren Wirtschaftspläne im Bundeshaushalt ausgewiesen sind, rund 10 % der Ist-Ausgaben im Bundeshaushalt. Im Jahr 2023 betragen die in diesen Sondervermögen zusätzlich veranschlagten Ausgaben sogar rund 36 % der im Bundeshaushaltsplan veranschlagten Soll-Ausgaben. Sondervermögen verzerren damit die vor allem auf den Bundeshaushalt fokussierte Wahrnehmung von Parlament und Öffentlichkeit vom tatsächlichen Umfang der Bundesausgaben.
Das BMF hält den Vergleich für nicht aussagekräftig. Mit Sondervermögen will es Maßnahmen bestimmter Politikfelder mit kurzzeitig und befristet höheren Ausgaben finanzieren. Diese Maßnahmen sind aus Sicht des Bundesrechnungshofes auch im Kernhaushalt abbildbar. Er verdeutlicht mit seiner Darstellung den Umfang der budgetflüchtigen Ausgaben.
Im Jahr 2022 lag die um die Sondervermögen bereinigte Nettokreditaufnahme um mehr als 2/3 höher als im Bundeshaushaltsplan ausgewiesen (Ist). Im Jahr 2023 beträgt sie mehr als das Vierfache des im Bundeshaushaltsplan als Soll ausgewiesenen Betrags. Die Verlagerung von Schulden in Sondervermögen bewirkt daher ein beschönigendes Bild von der tatsächlichen Kreditaufnahme des Bundes. Diese ist aus dem Bundeshaushalt nicht ohne Weiteres ablesbar.
Das BMF widerspricht und verweist auf den Kreditfinanzierungsplan im Bundeshaushalt. Der vom Bundesrechnungshof unter Hinzuziehung weiterer Quellen errechnete Betrag ist jedoch gerade nicht im Kreditfinanzierungsplan ablesbar.
Schuldenregel:
Mit dem 2. Nachtragshaushaltsgesetz 2021 wurde das Verfahren zur Anrechnung von Krediten, die für die Finanzierung von Sondervermögen aufgenommen werden, geändert. Maßgeblich ist seitdem der sich aus der Zuführung von Haushaltsmitteln an ein Sondervermögen buchmäßig ergebende Kreditbetrag und nicht mehr die tatsächliche Kreditaufnahme. Mit dem zeitlichen Auseinanderfallen von gebuchter und tatsächlicher Kreditaufnahme kann nach Auffassung des Bundesrechnungshofes die Schuldenregel nach Artikel 115 Absatz 2 Grundgesetz ausgehebelt werden.
Nach Auffassung des BMF sorge die geänderte Buchungspraxis für mehr Transparenz und stärke die Schuldenregel sogar eher. Hierzu dürfte alsbald das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vorliegen. Verwirft es das neue Verfahren, wird dies erhebliche Auswirkungen auf die bisherige Haushalts- und Finanzplanung haben. Die Bundesregierung ist mit der Änderung der Buchungspraxis ein hohes finanzwirtschaftliches Risiko eingegangen.
Der Bundesrechnungshof unterstützt die Absicht der Bundesregierung, die Zahl und den finanziellen Umfang von Sondervermögen zu reduzieren. Die von der Bundesregierung vorgestellten Pläne, reichen aber bei weitem nicht aus, die aufgezeigten schwerwiegenden Folgen der Entkernung des Bundeshaushaltes durch das Ausweichen in Sondervermögen zu beseitigen. Hierzu müssten vor allem die großen Sondervermögen, wie insbesondere der Klima- und Transformationsfonds in den Blick genommen werden.
Das BMF teilt mit, dass der Bundesrechnungshof mit seinem Bericht generell vermittle, dass Sondervermögen grundsätzlich rechtlich problematisch und politisch fragwürdig seien und das Parlament in seinem Budgetrecht einschränkten. Das BMF will die Auflösung weiterer Sondervermögen prüfen.
Der Bundesrechnungshof bleibt dabei: Sondervermögen beeinträchtigen das Budgetrecht des Parlamentes. Sie können nur errichtet werden, wenn erhebliche Vorteile gegenüber einer Veranschlagung im Bundeshaushalt die Ausgliederung aus dem Bundeshaushaltsplan klar rechtfertigen. Als Haushaltsministerium muss das BMF prüfen, ob die erheblichen Anforderungen für die Errichtung von Sondervermögen vorliegen. Nur dann darf es dem Gesetzgeber die Errichtung eines Sondervermögens vorschlagen. Sondervermögen sollten regelmäßig auf ihre Eignung und Erforderlichkeit überprüft werden. Die bisherigen Schritte zur Reduzierung der Sondervermögen würden das Verschuldungspotenzial nur um weniger als zwei Prozent reduzieren. Dies reicht aus Sicht des Bunderechnungshofes nicht.
Das Grundgesetz geht ausdrücklich von der Möglichkeit der Errichtung von Sondervermögen aus (Artikel 110 Absatz 1 Grundgesetz). Wegen ihrer Ausgliederung aus dem Haushaltsplan stellen Sondervermögen aber eine Ausnahme von den verfassungsrechtlich bestimmten Haushaltsgrundsätzen der Vollständigkeit und Einheit des Haushaltsplans dar. Diese Grundsätze schützen vor allem das Budgetrecht des Parlamentes.
Nach Auffassung des Bundesrechnungshofes muss die Finanzierung von Zwecken, die zur Kernaufgabenerfüllung des Staates gehören, auch aus dem Kernhaushalt erfolgen. Wird der Bundeshaushalt durch Sondervermögen „entkernt“, läuft er Gefahr seine zentrale Funktion einzubüßen.
Sofern Sondervermögen aus Mittelzuweisungen aus dem Bundeshaushalt gespeist werden und dies über ihren im Zuführungsjahr erforderlichen Bedarf hinausgeht, werden durch die praktizierte Rücklagenbildung aus Sicht des Bundesrechnungshofes auch die Haushaltsgrundsätze der Jährlichkeit (Artikel 110 Absatz 2 Grundgesetz), Jährigkeit (zeitliche Bindung; § 45 BHO) und das Fälligkeitsprinzip (§ 11 Absatz 2 BHO) beeinträchtigt. Auch diese Grundsätze schützen das Budgetrecht des Parlamentes. Es soll jedes Jahr neu entscheiden, für welche Zwecke Haushaltsmittel verwendet werden sollen.
Die Schuldenregel des Grundgesetzes (Artikel 115 Absatz 2 Grundgesetz) gebietet, dass Einnahmen und Ausgaben des Bundes im jeweiligen Haushaltsjahr sowohl im „Soll“ als auch im „Ist“ grundsätzlich ohne Einnahmen aus Krediten auszugleichen sind. Diesem Grundsatz ist entsprochen, wenn die Einnahmen aus Krediten 0,35 vom Hundert im Verhältnis zum nominalen Bruttoinlandsprodukt nicht überschreiten (sog. Strukturkomponente). Zusätzlich sind bei einer von der Normallage abweichenden konjunkturellen Entwicklung die Auswirkungen auf den Haushalt im Auf- und Abschwung symmetrisch zu berücksichtigen (sog. Konjunkturkomponente). Im Falle von Naturkatastrophen oder außergewöhnlichen Notsituationen, die sich der Kontrolle des Staates entziehen und die staatliche Finanzlage erheblich beeinträchtigen, können diese Kreditobergrenzen auf Grund eines Beschlusses der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages überschritten werden (Notlagenklausel).
Bis zum Inkrafttreten des 2. Nachtragshaushaltsgesetzes 2021 galt für Sondervermögen ohne eigene Kreditermächtigung: Sie wurden im Zuge der Haushaltsaufstellung bei der Errechnung der zulässigen Kreditobergrenze nach Artikel 115 Grundgesetz mit dem Saldo ihrer Einnahmen und Ausgaben berücksichtigt, der sich im entsprechenden Haushaltsjahr voraussichtlich ergab.
Die Vorgehensweise, nur die tatsächlich für das Sondervermögen aufgenommenen Kreditezu berücksichtigen, entspricht dem für den Bundeshaushalt und nach Auffassung des Bundesrechnungshofes auch für die Schuldenregel geltenden Prinzip der kassenwirksamen Fälligkeit. Dieses Prinzip ist integraler Bestandteil des Verfassungsgrundsatzes der Haushaltswahrheit und hat maßgeblichen Einfluss auf den Wirkmechanismus der Schuldenregel.
Geändertes Verfahren:
Maßgeblich ist nunmehr der sich aus der Zuweisung von Haushaltsmitteln an ein Sondervermögen buchmäßig ergebende Kreditbetrag, ohne dass hierfür tatsächlich in diesem Jahr Kredite aufgenommen werden. Das modifizierte Anrechnungsverfahren hat sich die Bundesregierung vom Deutschen Bundestag mit dem 2. Nachtragshaushaltsgesetz 2021 legitimieren lassen. Dem Sondervermögen KTF wurden über die Notlagenklausel weitere 60 Mrd. Euro zugeführt und im Jahr derZuführung bei der Schuldenregel berücksichtigt.
Nutzt man für die Kreditaufnahme zur Deckung der Zuweisung an das Sondervermögen die „Notlagenklausel“ nach Artikel 115 Absatz 2 Satz 6 Grundgesetz, besteht durch die Änderungder Buchungspraxis die Möglichkeit, einem Sondervermögen „auf einen Schlag“ erhebliche Mittel zuzuführen, ohne dass hierfür die grundsätzlichen Restriktionen der Schuldenregel greifen.
Die Bundesregierung kann so auch in nachfolgenden Haushalten ohne Notlagenindikation Kredite für das Sondervermögen aufnehmen, über die sie „on top“ ohne die Restriktionen der Schuldenregel verfügen kann. Die Schuldenregel wird damit nach Auffassung des Bundesrechnungshofes im Ergebnis ausgehebelt. Ihre klare Intention, Sondervermögen nicht länger als „Fluchtmöglichkeit“ aus den vorgegebenen Kreditgrenzen zuzulassen, wird ad absurdum geführt.
Es ist davon auszugehen, dass sich das Bundesverfassungsgericht im Rahmen der o. a. Normenkontrollklage gegen das 2. Nachtragshaushaltsgesetz 2021 auch zur neuen Buchungspraxis äußern wird. Verwirft es das neue Verfahren, wird dies erhebliche Auswirkungen auf die bisherige Haushaltsplanung der Bundesregierung für das Haushaltsjahr 2024 und die Finanzplanung bis zum Jahr 2027 haben. Die Bundesregierung ist mit der Änderung der Buchungspraxis ein hohes finanzwirtschaftliches Risiko eingegangen.
Fazit:
Durch das Verlagern von Einnahmen und Ausgaben in Sondervermögen in finanziell erheblichem Umfang wurde der Bundeshaushalt über die Jahre hinweg entkernt. Die budgetflüchtigen Ausgaben und ihre ebenfalls budgetflüchtige Kreditfinanzierung gefährden das parlamentarische Budgetrecht und die Wirksamkeit der Schuldenregel. Das Parlament (aber auch die Öffentlichkeit) droht den Überblick und damit auch die Kontrolle zu verlieren.
Der Bundesrechnungshof begrüßt deshalb die Bereitschaft des Bundesministeriums der Finanzen und der Bundesregierung, erste Schritte zur Wiedererlangung von Haushaltsklarheit und -wahrheit zu unternehmen. Sie reichen aber nach Auffassung des Bundesrechnungshofes bei weitem nicht aus, um den aus den Fugen geratenen Bundeshaushalt wieder zum wahren Ausweis der Bundesfinanzen zu machen.