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Reform- und Steuerpolitik : Staatliche Schuldenfonds - ein Problem?
30.11.2023 19:17 (469 x gelesen)

Staatliche Schuldenfonds - ein Problem?

1.

 Missachtung der Rechtslage

Mit Urteil vom 15. November 2023 erklärte das Bundesverfassungsgericht den Nachtragshaushalt 2021 der Ampel-Koalition für nichtig. Damit sollten Kreditermächtigungen, die während der Corona-Pandemie vom Bundestag genehmigt, aber nicht benötigt wurden, rückwirkend auf den „Energie- und Klimafonds“ (EKF) umgelenkt werden. Das Gericht begründete seine Entscheidung folgendermaßen:  

Erstens konnte die Bundesregierung den für die Aussetzung der Schuldenbremse (Art. 115 Abs.2 GG) erforderlichen „Zusammenhang“ zwischen einer Notsituation und der zusätzlichen Kreditaufnahme nicht nachweisen.

Zweitens verstieß der Nachtragshaushalt 2021 gegen geltende   Haushaltsprinzipien wie die Jährlichkeit, Jährigkeit und Fälligkeit, wonach Kreditermächtigungen nicht in Nebenhaushalten gebunkert werden können, sondern grundsätzlich zum Jahresende verfallen.
Und drittens beanstandete das Gericht die mit dem Nachtragshaushalt 2021 erfolgte Änderung der Buchungsregel, wonach es für die buchhalterische Belastung mit dem Kredit nicht auf die tatsächliche Inanspruchnahme des Kredits, sondern auf die Erteilung der Ermächtigung ankommen soll, so dass die Merkel-Regierung damit belastet war.  

Das Bundesverfassungsgericht folgte damit weitgehend der Entscheidung des hessischen Staatsgerichtshofs vom Oktober 2021 zum Corona-Sondervermögen, das die schwarz-grüne Landesregierung in Hessen gebildet hatte. Aus diesem kreditfinanzierten Sondervermögen von zwölf Milliarden Euro konnte sich der hessische Finanzminister bis zum Ende des Jahres 2023 zur Bekämpfung der Pandemie bedienen. Der Staatsgerichtshof in Hessen kam wie das Bundesverfassungsgericht zu dem Ergebnis, dass solche Gestaltungen gegen elementare Haushaltsgrundsätze verstoßen.  
Dass sich die Ampelregierung von dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts überrascht zeigte, ist angesichts des hessischen Vorgangs und der Vorgeschichte kaum nachvollziehbar. Am 27. Oktober 2021, dem Tag der Urteilsverkündung in Wiesbaden, twitterte der FDP-Vorsitzende Christian Lindner: „Das heutige Urteil des hessischen Staatsgerichtshofs verdient Beachtung über Hessen hinaus: Es beschreibt Kriterien für kreditfinanzierte Maßnahmen zur Krisenbewältigung und zeigt der schwarz-grünen Haushaltspolitik damit Grenzen auf.“
Als Bundesfinanzminister missachtete Lindner selbst diese Grenzen nur Wochen später. Das geschah, obgleich es vor und nach dem Amtsbeginn im Ministerium erhebliche Bedenken gegeben hatte, berichtete Lars Feld, Professor für Wirtschaftspolitik und Lindners Berater. Diese Bedenken dürften auf das Urteil des hessischen Staatsgerichtshofes zurückzuführen sein, das über weite Strecken als Blaupause der Karlsruher Entscheidung diente.
Der gleiche Vorwurf trifft Bundeskanzler Olaf Scholz, der als Finanzminister der Merkel-Regierung vom Bundesrechnungshof mehrfach auf die haushaltsrechtliche Problematik von Sondervermögen und die rechtswidrige Buchungspraxis hingewiesen wurde, letztmalig im Prüfungsbericht des Bundesrechnungshofs vom 25. August 2023. Darin heißt es, dass  „Sondervermögen das parlamentarische Budgetrecht und die Wirksamkeit der Schuldenregel gefährden.“
Knapp zwei Wochen nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 15. November 2023, mit dem die Finanzplanung der Ampelregierung für verfassungswidrig erklärt wurde, reagierte Bundeskanzler Scholz mit einer Regierungserklärung. Er gestand ein, dass das Regieren schwerer geworden sei, Antworten auf die zentralen Rechtsfragen und Schlussfolgerungen gab er aber nicht. Worum geht es also?

2.
Problematik des Sondervermögens

Sondervermögen spielen in der Hauswirtschaft des Bundes und auch dere Länder eine große Rolle. Nach gesetzlicher Definition sind Sondervermögen rechtlich unselbständige abgesonderte Teile des Bundesvermögens, die durch Gesetz entstanden und zur Erfüllung einzelner Aufgaben des Bundes oder der Länder bestimmt sind. Sie besitzen eigenständige Wirtschaftspläne und ihre Haushaltswirtschaft ist vom Bundeshaushalt abgetrennt.
Nach Angaben des Bundesrechnungshofs gibt es beim Bund 29 Sondervermögen mit höchst unterschiedlichen Zwecken. Gerade in jüngster Zeit ist die Zahl der Sondervermögen zur Erfüllung von Bundesaufgaben stark gewachsen. Ihre Einrichtung wurde begründet mit
•    akuten, plötzlich auftretenden Krisen (Finanzmarktstabilisierung, Covid-Pandemie, Energiekrise) und/oder
•    langfristigen existentiellen Zukunftsaufgeben (Energie und Klima, äußere Sicherheit).
Nach Auffassung des Bundesrechnungshofes gehören diese Aufgaben zu den Kernaufgaben des Staates, deren Finanzierung dementsprechend aus dem Kernhaushalt erfolgen muss. Wird der Bundeshaushalt durch Sondervermögen „entkernt“, läuft er Gefahr, seine zentrale Funktion als Planungs- und parlamentarisches Kontrollinstrument einzubüßen.
Der finanzielle Umfang der bestehenden größeren Sondervermögen beträgt insgesamt rund 869 Milliarden Euro. Weit überwiegend mit insgesamt rund 780 Milliarden Euro sind sie kreditfinanziert. Lediglich in einem Umfang von rund 89 Milliarden Euro sind sie werthaltig. Es wäre deshalb ehrlicher, diese Sondervermögen als „Sonderschulden“ zu bezeichnen.  
Der Bundesrechnungshof kommt in seinem Prüfungsbericht vom 25. August 2023 zu dem Ergebnis, dass der Bundeshaushalt über Jahre hinweg durch das Verlagern von Einnahmen und Ausgaben entkernt wurde. Seit 2020 hat diese Entwicklung eine bis dahin nicht bekannte Dynamik erlangt. Das parlamentarische Budgetrecht und die Wirksamkeit der Schuldenregel sind also gefährdet, warnt der Bundesrechnungshof.

3.
Der Klima- und Transformationsfonds (KTF)

Diese Gefahr sieht der Bundesrechnungshof insbesondere beim „Klima- und Transformationsfonds (KTF)“, dem wichtigsten Instrument zur Finanzierung der Energiewende und des Klimaschutzes. Mit diesem Sondervermögen unterstützt die Bundesregierung insbesondere die energetische Gebäudesanierung, die Dekarbonisierung der Industrie sowie den Ausbau der Erneuerbaren Energien, der Elektromobilität und der Ladeinfrastruktur.
Auch der Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft sowie ab 2024 die Förderung der Halbleiterproduktion werden zukünftig aus dem KTF gefördert. Die Halbleiterproduktion hat eine hohe Relevanz für klimaneutrale Technologien – und damit für eine erfolgreiche Transformation der deutschen Wirtschaft hin zur Klimaneutralität.
Den Entwurf eines Wirtschaftsplans 2024 und den Finanzplan bis 2027 zum Sondervermögen „Klima- und Transformationsfonds“ (KTF) beschloss die Ampel-Regierung bereits im November 2023 – wiederum im Umlaufverfahren.  Der Wirtschaftsplan des KTF soll als Teil des Bundeshaushalts zusammen mit dem Haushaltsentwurf 2024 in das parlamentarische Verfahren eingebracht werden.
Insgesamt werden für die Aufgaben des KTF zwischen 2024 und 2027 rund 211,8 Milliarden Euro bereitgestellt. Davon sind rund 63,5 Milliarden Euro für die Entlastung von Bürgerinnen und Bürger sowie Unternehmen, rund 60,7 Milliarden Euro für die Gebäudeförderung, rund 18,6 Milliarden Euro für den Aufbau der Wasserstoffindustrie, rund 13,8 Milliarden Euro zur Förderung der Elektromobilität und 12,5 Milliarden Euro für die Eisenbahninfrastruktur vorgesehen.
Der KTF finanziert sich aus eigenen Einnahmen in Höhe von rund 19,1 Milliarden Euro. Dabei handelt es sich um die auf ihn entfallenden Anteile aus den Erlösen des Europäischen Emissionshandels sowie der CO2-Bepreisung im Rahmen des nationalen Emissionshandels.
Geplant ist zudem eine globale Mehreinnahme von 9,3 Milliarden, die sich aus erwarteten Mehreinnahmen und Minderausgaben des Jahres 2023 zusammensetzt. Hinzu kommt eine Rücklage, die sich Anfang 2024 auf rund 70,7 Milliarden Euro belaufen wird. Eine Zuweisung aus dem Bundeshaushalt ist in dem gesamten Finanzplanungszeitraum nicht vorgesehen. Damit ergibt sich eine Finanzierungslücke von 112,7 Milliarden Euro.

4.
Die Reaktion der Ampelregierung

Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts hat Bundesfinanzminister Christian Lindner nun schneller als gedacht mit den Folgen einer solchen verfassungswidrigen Finanzpolitik zu tun. In einigen Sondervermögen hat die Bundesregierung über das zulässige Maß hinaus bereits Geld ausgegeben oder Kredite aufgenommen, weil die Übertragung von Rücklagen oder Kreditermächtigungen nach dem Richterspruch aus Karlsruhe nicht mehr möglich ist. Ob mit dem neuen Nachtragshaushalt 2023 das Problem der Schuldengrenze (Art. 115 Abs.2 GG) gelöst werden kann, hängt davon ab, ob der erforderliche Zusammenhang zwischen der Notsituation und der Kreditobergrenze nachzuweisen ist. Ohne diesen Nachweis bleibt ein Kredittransfer verfassungswidrig.
Mit dem Wissen um solche Probleme beschloss die Ampel-Regierung im Umlaufverfahren – ohne Sitzung im Kanzleramt – Ende November 2023 einen solchen Nachtragshaushalt 2023. Die Kredite aus dem Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF), etwa zur Finanzierung der Energiepreisbremse, wurden damit in den regulären Haushalt verlagert.
Weitaus schwieriger als dieser Nachtragshaushalt wird allerdings das Aufstellen eines verfassungskonformen Haushalts für 2024 werden. Wie es heißt, fehlen dem für die Ampelregierung zentralen Klima- und Transformationsfonds (KTF) auf Grund des Urteils 60 von den 212 Milliarden Euro, die sie in den kommenden vier Jahren als Zuschüsse verteilen wollte (neue Heizungen,  Stahlherstellung mit Wasserstoff und Bau von Chipfabriken pp.).
Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne), machte schon deutlich, dass er zu keinen Abstrichen bereit ist: „Alle Projekte, die wir konzipiert haben, müssen möglich gemacht werden“, sagte er nach einem Krisentreffen mit den Wirtschaftsministern der Länder in Berlin. Durch den KTF habe sich „ein Ökosystem des Aufbruchs“ entwickelt. 60 Milliarden Euro weniger bedeuten 2024 ein „gutes halbes Prozent weniger Wachstum“, warnte Habeck.
Woher das Geld kommen soll, dazu gab es nur Andeutungen. So antwortete Habeck auf die Frage, ob er auch für 2024 die Schuldenbremse durch das Erklären einer außergewöhnlichen Notlage aussetzen wolle: „Ich registriere mit Interesse, dass die Diskussion jetzt da ist, wo sie hingehört.“


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