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Wirtschaftspolitik : Renaissance der Industriepolitik?
16.04.2023 16:17 (739 x gelesen)

Renaissance der Industriepolitik?

In Deutschland geht die Angst um, dass das Land nicht nur in eine Rezession rutscht, sondern seine wirtschaftliche Zukunft überhaupt verspielt. Die Rufe nach einem Investitionsprogramm ähnlich dem „US Inflation Reduction Act (IRA)“ in den USA werden immer lauter. Dieses Gesetz stellt in den nächsten zehn Jahren 369 Milliarden Dollar an Subventionen für klimafreundliche Produkte und Technologien wie Elektroautos, Wärmepumpen, Solarzellen und Windräder bis hin zu Kernkraftwerken bereit.

Die Förderung ist teilweise daran gebunden, dass die Güter in den USA oder in Ländern wie Kanada oder Mexiko produziert werden, mit denen die USA Freihandelsabkommen geschlossen haben. Europa gehört nicht dazu. Das benachteiligt Importe aus Europa und schafft Anreize für europäische Unternehmen, Produktionsstandorte nach Amerika zu verlagern. Verhandlungen zwischen den USA und der EU darüber, die Förderung auch für europäische Produkte zu öffnen, sind bisher ohne Ergebnis geblieben.

Mittlerweile haben zahlreiche Unternehmen in Deutschland bekannt gegeben, dass sie zukünftig in den USA auf Grund der dortigen Fördermöglichkeiten und Standortvorteile verstärkt investieren werden. Ein Beispiel ist die RWE, Deutschlands größter Kraftwerksbetreiber: das Unternehmen will bis 2030 aus der Kohle aussteigen und zum globalen Ökostromerzeuger werden. Zu diesem Zweck hat RWE den Solarstromentwickler „Con Edison Clean Energy Businesses“ in den USA für sieben Milliarden Euro erworben und wird dort zu einem der führenden Unternehmen für Erneuerbare Energien.

Vorstandschef Markus Krebber verbindet dieses Investment mit einem Loblied auf die USA, die „einer der attraktivsten und am schnellsten wachsenden Märkte für erneuerbare Energien“ seien. RWE werde dort seine Investitionen definitiv weiter erhöhen, so Krebber. Denn man erwarte eine Reindustrialisierung der USA mit steigendem Energiebedarf.

Die deutsche Bundesregierung und die Europäische Kommission stehen deshalb unter erheblichem Druck, auf die amerikanischen Initiative mit einem vergleichbaren Wachstumsprogramm zu reagieren. Dabei geht es nicht nur um eine Antwort auf das klimapolitische IRA-Programm, sondern vor allem um die Beseitigung der allgemeinen Standortnachteile Deutschlands gegenüber den USA.

Klimapolitische Planwirtschaft

Die Klimapolitik der Bundesregierung beruht auf der Vorstellung, dass nahezu alle gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Bereiche in Richtung Klimaneutralität transformiert werden müssen, um die nahende Klimakatastrophe zu verhindern. Dabei ist man weit über das hinausgegangen, was die klassische Industriepolitik mit ihren Instrumenten unter Wahrung marktwirtschaftlicher Verhältnisse bewirken kann und will.

Der aktuelle Mix klimapolitischer Maßnahmen Interventionen besteht im Wesentlichen

  • aus Verboten für den Betrieb von Atom- und Kohlekraftwerken, 
  • zukünftig auch aus Verboten für fossil betriebene Automobile und Heizungen,
  • aus CO2-Abgaben für den Verbrauch fossiler Energien (Öl und Gas),
  • aus dem europäischen Handel mit kostenpflichtigen CO2-Zertifikaten für Industriebetriebe und Stromerzeuger,
  • aus zahlreichen Vergünstigungen und Subventionen für die Produktion von Öko-Strom (Wind- und Fotovoltaikanlagen, Elektroautos und Wärmepumpen).

Der diesen Interventionen zugrunde liegende Grundgedanke besteht darin, fossile Energien mit Verboten, Grenzwerten, CO2-Zertifikaten und -Abgaben zu bestrafen und aus dem Markt zu drängen, während klimafreundliche Technologien und Energien mit Privilegien, Subventionen und Kaufprämien belohnt werden, um die fossilen Energien zu ersetzen. Im Ergebnis wird dadurch der marktwirtschaftliche Ausleseprozess zwischen den verschiedenen Energieträgern ausgeschaltet und durch ein von politischen und wirtschaftlichen Interessen gesteuertes zentrales Planungssystem ersetzt, das den Vergleich mit der früheren Wirtschaftsplanung in der DDR nicht scheuen muss.

Es kann deshalb nicht überraschen, dass die klima- und industriepolitische Effizienz all dieser Maßnahmen außerordentlich mager ist. Die politisch gesetzten Klimaziele werden regelmäßig verfehlt. Selbst der Aufbau einer nationalen Industrie auf dem Gebiet klimaschonender Technologien ist kläglich gescheitert. Photovoltaikanlagen werden heute nicht in Deutschland, sondern in China produziert. Auch die wenigen Hersteller von Windturbinen überleben nur noch mit Hilfe staatlicher Unterstützung.

Ziele nicht erreicht

Im Übrigen ist es der deutschen Klimapolitik nicht gelungen, die entscheidenden drei Ziele einer guten Energiepolitik in Einklang zu bringen: Bezahlbarkeit, Versorgungssicherheit und Umweltschutz. Von diesen Zielen ist die derzeitige Klimapolitik der Bundesregierung weit entfernt.

Schon heute liegt der deutsche Strompreis international im Spitzenfeld, und er dürfte weiter steigen. Verzweifelt ruft die Industrie nach Hilfe und verlangt einen subventionierten Industriestrompreis, um in Deutschland weiter produzieren zu können. Zugleich fragen sich auch immer mehr Bürger, wie günstig die ihnen staatlich verordnete mit Strom betriebenen Autos und Heizungen wirklich sein werden.

Mit dem unnötigen Ende der Kernkraftwerke macht die Bundesregierung Deutschlands Stromversorgung zudem noch unsicherer. Aktuell decken erneuerbare Energien erst ein Fünftel des deutschen Energiebedarfs. Selbst wenn der Ausbau schneller gelingt, als angesichts überlanger Planungszeiten zu befürchten ist, braucht es Kraftwerke, die einspringen, wenn Wind und Sonne ausfallen; Gaskraftwerke wären dazu technisch geeignet, sind aber unwirtschaftlich und finden deshalb keinen Investor.

Kernkraftwerke sind umweltfreundlich und stoßen kein CO2 aus. In der Bevölkerung hat deshalb längst ein Umdenken stattgefunden, die Mehrheit plädiert für einen Weiterbetrieb der restlichen Atommeiler. Selbst die Union, die „ihre Atomkraft-Fahne seit Jahren nur nach dem grünen Wind hängte“, (Heike Göbel) fordert inzwischen den Weiterbetrieb. Nur Deutschlands Grüne, unterstützt von Linken und SPD, wollen lieber mehr fossile Energien nutzen – dreckige Kohle und teuer importiertes Flüssiggas – als die preiswerte, saubere Kernenergie aus den abgeschriebenen, günstigen und sicheren Meilern.

Neue Ansätze

Angesichts des Scheiterns der bisherigen Klimapolitik hat inzwischen das Suchen nach Alternativen begonnen.

Die SPD-nahe Friedrich-Ebert-Stiftung hat in einer Studie, über die die FAZ berichtete, für die deutsche Klimapolitik einen grundsätzlichen Wechsel in Richtung des amerikanischen Models vorgeschlagen. Während man hierzulande in steigenden CO2-Preisen das zentrale Instrument der Klimapolitik sieht und somit die Bestrafung in den Mittelpunkt der Klimapolitik stellt, werden die fossilen Energien in den USA nicht teurer gemacht, „sondern die grünen Energien und Autos billiger, so dass sie schon in Kürze ganz nüchtern für den Verbraucher die attraktivere Option werden“. Der europäische Ansatz blendet zudem aus, dass steigende CO2-Preise in der Bevölkerung Widerstand hervorrufen und bei den Unternehmen hohe Anpassungskosten verursachen, die es bei dem amerikanischen Ansatz nicht gibt.

Ähnliche Überlegungen gibt es auch in der EU-Kommission. Auch dort wächst die Einsicht, dass das amerikanische Prinzip „Fördern statt Fordern“ dem europäischen Prinzip „Fordern und Bestrafen“ deutlich überlegen ist. Bei den Beihilferegeln der EU soll es deshalb ein „Krisen- und Übergangs-Regelwerk“ geben, das großzügige Hilfen dann erlaubt, wenn künftig 40 Prozent der für die Klimaziele jährlich benötigten grünen Schlüsseltechnik in der EU hergestellt werden.

Gleichzeitig wird auf europäischer Ebene gefordert, als Antwort auf den amerikanischen IRA ein neues Subventionsprogramm aufzulegen, finanziert vorzugsweise durch neue gemeinsame Schulden. Dem ist entgegen zu halten, dass die EU mit dem „Fonds Next Generation EU (NGEU)“ erst kürzlich ein umfangreiches Subventionsprogramm zur digitalen und grünen Transformation aufgelegt hat. Dessen Umfang liegt bei gut 800 Milliarden Euro, die schon bis 2026 ausgegeben werden sollen. Mindestens 37 Prozent dieser Mittel, also 296 Milliarden Euro, fließen in die grüne Transformation.

Im Unterschied zum amerikanischen IRA hat dieses Programm allerdings nicht dazu geführt, dass europäische Unternehmen verstärkt in Europa investieren. Das hat unter anderem damit zu tun, dass die NGEU-Mittel vornehmlich in EU-Staaten mit niedrigerem Einkommensniveau, hoher Arbeitslosigkeit und hohen Schulden fließen. Italien als größter Empfänger erhält aus dem Fonds rund 200 Milliarden Euro, Spanien rund 150 Milliarden Euro.

Was Europa und Deutschland stattdessen benötigen, um für unternehmerische Investitionen attraktiv zu sein, sind deutlich bessere Standortbedingungen. Die Unternehmen investieren in den USA, weil es dort eine preisgünstige und sichere Energieversorgung, geringere Steuern und Abgaben, einen flexiblen Arbeitsmarkt und einen direkten Zugang zum amerikanischen Absatzmarkt gibt.

Europa und Deutschland benötigen deshalb eine „angebotsorientierte Wirtschaftspolitik“, mit der die Standortnachteile gegenüber den USA beseitigt werden. Dazu gehören in erster Linie wettbewerbsfähige Energiekosten, der Abbau investitionshemmender Bürokratie, international wettbewerbsfähige Steuern, die Förderung von Forschung und Bildung und nicht zuletzt Investitionen in die öffentliche Infrastruktur.

Was Europa und Deutschland auf keinen Fall brauchen, ist eine „nationale Industriepolitik“ nach französischem Vorbild, mit der die sektorale Entwicklung der Wirtschaft durch Subventionen, Bildung nationaler Champions, Übernahmeverbote für ausländische Investoren etc. beeinflusst wird. Selbst in Frankreich hat eine solche Industriepolitik nicht verhindern können, dass der französische Industriesektor auf 10 Prozent gesunken ist, verglichen beispielsweise 18 Prozent in Deutschland.


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