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Banken- und Finanzkrise : Kampf der EZB gegen die Inflation
06.04.2023 23:37 (780 x gelesen)

Kampf der EZB gegen die Inflation

Im  Kampf gegen die Inflation hat die Europäische Zentralbank (EZB) ihren Leitzins am 16. März 2023 erneut um 0,5 Punkte angehoben – auf nunmehr 3,5 Prozent. Das beschloss der Rat der Notenbank in Frankfurt. Seit der Zinswende im Juli 2022 ist dies die sechste Zinsanhebung in Folge.

Die EZB stand bei ihren Beratungen vor der schwierigen Aufgabe, die Stabilität des Finanzsystems zu sichern und gleichzeitig ihre Glaubwürdigkeit im Kampf gegen die anhaltend hohe Inflation zu bewahren. „Wir sind entschlossen, die Inflation zu bekämpfen. Das sollte nicht angezweifelt werden“, sagte EZB-Präsidentin Christine Lagarde.

Gerald Braunberger attestierte der EZB in der FAZ vom 16.03.2023, im Kampf gegen die Inflation endlich die notwendigen Konsequenzen gezogen zu haben. Die EZB habe damit die „nicht wenigen Neunmalklugen“ widerlegt, die der Ansicht waren, „die EZB könne ihre Leitzinsen nicht ein einziges Mal erhöhen, weil dann die Eurozone wie ein Kartenhaus einstürzen werde“. Die neuerliche Zinserhöhung belege jedoch, dass die EZB ihre Linie gefunden habe. „Diese Linie ist richtig“, so Braunberger. 

Wie weit diese Erwartung trägt, bleibt abzuwarten. Jürgen Stark, ehemaliger Chefvolkswirt der EZB, hat dazu in der FAZ vom 17. März 2023 grundsätzliche Überlegungen angestellt, auf die sich dieser Beitrag stützt.

Zielstellung der EZB

Die EZB hat nach den Europäischen Verträgen zwei Ziele: Ihr vorrangiges Ziel ist es, die Preisstabilität zu gewährleisten. „Soweit dies ohne Beeinträchtigung des Zieles der Preisstabilität möglich ist, unterstützt das ESZB die allgemeine Wirtschaftspolitik in der Union“ ( Artikel 127 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEU).

Die ersten beiden Generationen der EZB-Ratsmitglieder hatten hinsichtlich des Verhältnisses dieser beiden Ziele und der Grenzen der Geldpolitik eine klare Meinung. Für sie war die Sicherung der Preisstabilität der beste Beitrag zur Unterstützung der allgemeinen Wirtschaftspolitik. Das zeigte ordnungspolitische Klarheit und schaffte Vertrauen in die Stabilität der Währung. Zielkonflikte waren deshalb die Ausnahme.

Die derzeitige Generation der EZB-Ratsmitglieder hat das prioritäre Ziel der Preisstabilität dadurch relativiert, dass sie das zweite Ziel, die allgemeine Wirtschaftspolitik der Union zu unterstützen, sehr expansiv auslegt. Dadurch hat  die EZB auch Mitverantwortung für andere Ziele der Europäischen Union übernommen. Die eigentliche Aufgabe der EZB, die Preisstabilität zu sichern, ist dadurch mehr und mehr in den Hintergrund geraten.

Diese Relativierung zeigt sich besonders deutlich an den veränderten Analysen der EZB: Während die Entwicklung der Geldmenge in früheren Analysen der EZB die entscheidende Größe für die Gestaltung der Geldpolitik war, werden heute die monetären Aspekte mit den finanziellen und wirtschaftlichen Entwicklungen verknüpft. Die Veränderungen der Geldmenge als maßgebliche Steuerungsgröße der Geldpolitik spielt demgegenüber nur noch eine nachrangige Rolle.  

Zweifelsohne kann man aus solchen Analysen entscheidungsrelevante Informationen gewinnen. Mittel- und langfristig ist jedoch eine „Inflation ohne Geld“ nicht denkbar. Nach Meinung der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) besteht der Geldmengen-Preis-Zusammenhang weiterhin, auch wenn eine direkte Kausalität nicht gegeben ist. Es ist deshalb überraschend, dass die Deutsche Bundesbank im Januar-Monatsbericht dieses Jahres den Zusammenhang zwischen Geldmenge und Inflation infrage stellt und insoweit der EZB folgt.

Kauf von Staatsanleihen

Spätestens seit der Finanzkrise 2008/9 versteht sich die EZB nicht mehr nur als „Hüter des Geldes“,  sondern de facto auch als Garantin des Zusammenhalts der Eurozone, indem sie durch Ankauf von Staatsanleihen den Staatsbankrott überschuldeter  Eurostaaten verhindert. Nach Meinung der EZB-Führung hat das in den europäischen Verträgen verankerte Verbot der „monetären Staatsfinanzierung“ hinter das Ziel zurückzutreten, das Auseinanderfallen der Eurozone zu verhindern.

Um die Eurozone zusammenzuhalten, hat die EZB unter der Führung des Italieners Mario Draghi (unter dem Motto „whatever it takes“) seit 2015 Staatsanleihen im Wert von etwa 6,7 Billionen Euro erworben, was circa 50 Prozent der Wirtschaftsleistung des Euroraumes entspricht. Der größte Teil davon entfällt auf Italien (3,2 Billionen €) und Griechenland (2,3 Billionen €). Den überschuldeten Eurostaaten wurden gleichzeitig Finanzierungen zu Billigzinsen (bis 2024 bei nahe null Prozent) zugesagt.

Die Anleihekäufe erfolgten in einer Zeit niedriger Inflationsraten und ultralockerer Geldpolitik der EZB. Der plötzliche Inflationsschub seit 2021 infolge der Corona-Pandemie, Lieferschwierigkeiten sowie der gestiegenen Energiepreise traf die EZB deshalb völlig unvorbereitet. Selbst die „intensiver werdenden inflationstreibenden Kräfte ihrer eigenen Politik, die schon vor dem Krieg der Ukraine zu wirken begannen“ (Jürgen Stark), hatte sie  nicht auf dem Radarschirm.

Vor dem Hintergrund der bisherigen Politik stand die EZB plötzlich vor einem Dilemma: Zum einen, weil angesichts der hohen Inflationsraten eine restriktive Geldpolitik und ein Ende der Staatsanleihekäufe angesagt war. Zum anderen, weil EZB-Präsidentin Christine Lagarde in der Manier ihres Vorgängers klipp und klar sagte, dass sie nach wie vor ein Auseinanderfallen der Eurozone verhindern werde. Diese zwei Ziele widersprachen sich: Denn den Kauf von Staatsanleihen zu stoppen und die Zinsen zu erhöhen, um die Inflation in den Griff zu bekommen, bedeutete gleichzeitig die Gefahr des Staatsbankrotts für die überschuldeten Eurostaaten.

So erlitten italienische Staatsanleihen einen massiven Schwächeanfall, als Mitte 2022 bekannt wurde, dass die EZB wegen der drohenden Inflation um erste Zinsschritte nicht herumkäme. Als Retter in höchster Not musste deshalb die EZB einspringen, weil ansonsten die Stabilität des italienischen Staatshaushalts in Gefahr war.

Zinswende der EZB

Bereits im Mai 2022 deuteten führende EZB-Vertreter, wie z.B. die deutsche Vertreterin im Rat der Notenbank, Isabel Schnabel, eine Zinswende an. Auch Lagarde kündigte an, dass die Käufe neuer Wertpapiere "sehr früh" im dritten Quartal enden sollten und danach relativ zügig die Epoche negativer Leitzinsen Geschichte sein würde. Die EZB stand vor einer entscheidenden Wende ihrer bisherigen Geldpolitik.

Die dazu erforderlichen Beschlüsse fasste der EZB-Rat im Juni 2022 auf seiner Sitzung in Amsterdam. Nach vielen Jahren einer ultralockeren Geldpolitik beendete die Europäische Zentralbank (EZB) ihre milliardenschweren Netto-Anleihenkäufe zum 1. Juli und machte damit den Weg frei für die erste Zinserhöhung im Euroraum seit 2011. Die erste Erhöhung der Leitzinsen erfolgte um 0,25 Prozentpunkte, der weitere folgten.

Innerhalb des EZB-Rates gab es keinen grundsätzlichen Widerspruch gegen Lagardes Linie. Denn vieles deutete darauf hin, dass die hohe Inflation sich hartnäckiger als gedacht erweisen würde. Es gab erste Anzeichen einer Lohn-Preisspirale. Hinzu kam eine Reihe von strukturellen Veränderungen, die eine längerfristig höhere Inflationsrate erwarten ließen.

Im Detail gab es aber Debatten: So wurde im Rat das Tempo der Zinsstraffung kontrovers diskutiert. Sogenannte "Falken", also Anhänger einer strafferen Geldpolitik wie der österreichische Zentralbankchef Robert Holzmann, plädierten für eine rasche Straffung mit größeren Zinsschritten. Die eher zurückhaltenden "Tauben" traten wegen der wirtschaftlichen Unsicherheit durch den Ukraine-Krieg für einen "graduellen" Kurs mit kleineren Schritten ein.

EZB-Präsidentin Lagarde dämpfte allerdings die Hoffnung auf einen schnellen Rückgang der Teuerung im Euroraum durch die nun angekündigte Zinswende. "Erwarten wir, dass die Zinserhöhung im Juli unmittelbare Auswirkungen auf die Inflation haben wird? Die Antwort lautet: Nein", sagte sie nach der Sitzung. "Es ist kein Schritt, es ist eine Reise."

Für die ohnehin angeschlagene Konjunktur - die bereits unter den Pandemie-Folgen, dem russischen Krieg gegen die Ukraine und Materialengpässen litt – bedeutete die Zinswende einen weiteren Dämpfer. Teurer wurde auch die Schuldenaufnahme, was vor allem die Haushalte hochverschuldeter Staaten wie Griechenland und Italien belastete.

Verkürzung des EZB-Bilanz

Zugleich mit der Zinswende begann die EZB, ihre Bilanz zu verkürzen, indem sie auslaufende Anleihen aus den Kaufprogrammen APP und PSPP nicht mehr vollständig durch neue ersetzte. Aktuell schrumpfen dadurch die Anleihebestände monatlich um durchschnittlich 15 Milliarden Euro. In einer Studie kritisiert das Forschungsinstitut ZEW in Mannheim, dass die EZB bei dem derzeitigen Tempo des Abbaus der Bestände bis zum Jahr 2042 brauchen wird, um sich von den Anleihebeständen ganz zu trennen.

Außerdem stellte das ZEW fest, dass der Abbau der einzelnen Bestände, wie schon bei ihrem Aufbau, nicht nach dem neutralen Kapitalschlüssel der EZB erfolgte, sondern bestimmte Länder überproportional stark oder schwach berücksichtigt würden. Auch insoweit tritt nach Meinung der ZEW das Ziel der Inflationsbekämpfung hinter das Ziel der Finanzstabilität zurück. „Insgesamt interpretieren wir die Befunde als Indizien, dass die EZB eine geldpolitische Reaktionsfunktion verfolgt, in der auch fiskalische Interessen eine Rolle spielen“, fasst das Forschungsinstitut das Ergebnis seiner Untersuchung zusammen.

Schließlich wurde die Zinswende im Juli 2022 an eine Rückversicherung der EZB zugunsten hoch verschuldeten Eurostaaten geknüpft, indem die EZB das „Transmission Protection Instrument“ (TPI) schuf.  Das TPI erlaubt der EZB weiterhin, Anleihen überschuldeter Eurostaaten aufzukaufen, wenn etwa die Renditeabstände zu deutschen Staatsanleihen als unangemessen hoch eingeschätzt werden.

Formal ist die Aktivierung dieses Programms zwar an bestimmte Bedingungen gebunden. Die Konditionen sind aber völlig substanzlos, sodass die EZB großen Spielraum hat, dieses Instrument anzuwenden. Die EZB kann also weiterhin das Volumen fällig werdender Papiere aus Anleiheankaufprogrammen  in hoch verschuldete Länder reinvestieren. Das ist dem früheren „Whatever it takes“ durchaus vergleichbar (Joachim Starbatty) .

Folgen der Null-Zinspolitik

Das geldpolitische Experimentieren mit Null- und Negativzinsen, also das Ausschalten der Zinssignale sowie die massiven Marktinterventionen der EZB haben zu einer völligen Verzerrung der Finanzmärkte geführt. Der umfangreiche Ankauf von Staatspapieren hat falsche Anreize gesetzt und die hohe öffentliche Verschuldung erst ermöglicht und weiter angetrieben, die nunmehr korrigiert werden soll.

Die niedrigen Zinsen haben schon vor der Pandemie zu einer Zombifizierung von Unternehmen geführt, wie Studien der OECD und der BIZ zeigen: Unternehmen wurden mit niedrigen Zinsen am Leben gehalten, die bei nicht manipulierten Bedingungen aus dem Markt hätten ausscheiden müssen. In einem Umfeld steigender Zinsen sind nun viele kreditfinanzierte Investitionen der vergangenen Jahre nicht mehr rentabel, und die Geschäftsmodelle vieler Unternehmen erweisen sich als fragwürdig. Kredite drohen notleidend zu werden, was die Bankbilanzen zunehmend belasten wird. Auch von dieser Seite kommen plötzlich Risiken für die Finanzstabilität.

Wie konkret diese Risiken sind, zeigt das Beispiel der "BayWa", Deutschlands größter Agrar- und Baustoffhändler, der 2023 sein 100-jähriges Bestehen feierte, dessen Vorstand aber im Juli 2024 ein Sanierungsgutachten in Auftrag geben musste. Das sei die Reaktion "auf eine angespannte Finanzierungslage", teilte das Unternehmen mit. Das Unternehmen war in der Phase niedriger Zinsen mit immer mehr Krediten stark gewachsen und hatte über fünf Miliarden Schulden. So wurde aus dem einstigen Vorzeigeunternehmen auf Grund gestiegener Zinsen plötzlich ein Zombi-Unternehmen.

Diese Probleme treffen gleichzeitig mit den kurzfristig sicher sinnvollen, langfristig aber strukturkonservierenden staatlichen Unternehmenshilfen zusammen, mit denen die Pandemie- und Shutdown-Folgen und seit 2022 auch die Folgen der Energieverteuerung abgemildert werden sollen. Daraus ergibt sich wirtschaftlich eine toxische Gemengelage in einer Phase besonders hoher politischer und wirtschaftlicher Unsicherheiten und Herausforderungen, wie den geoökonomischen Veränderungen, der wirtschaftlichen Transformation und hoher Staatsverschuldung. Das hat negative Auswirkungen auf die gesamtwirtschaftliche Produktivität und das wirtschaftliche Wachstum.

Solche Folgen und Kosten relativieren den "Erfolg" des von manchem Finanzmarktakteur gepriesenen Krisenmanagements der EZB in den vergangenen 15 Jahren erheblich.

Fazit von Jürgen Stark:

„Die Krisen der vergangenen eineinhalb Jahrzehnte haben die Zentralbanken zu überaus mächtigen Akteuren im Krisenmanagement werden lassen. Es wurde viel experimentiert. Man begab sich wiederholt und ohne Not auf unbekanntes Gelände. Sowohl die Fed als auch die EZB veränderten ihren Mandatsschwerpunkt und schufen damit neue Risiken und das Fundament für weitere Krisen. Die Zentralbanken wurden von der hohen Inflation überrascht, die entschiedenes Handeln erforderte. Da zu spät gehandelt wurde, musste umso schärfer eingegriffen werden, mit nicht unerwarteten Folgen für die Finanzmarktteilnehmer und die Märkte. Die Zentralbanken sollten ihren geldpolitischen Kurs dennoch beibehalten, aber die Liquiditätsbereitstellung davon deutlich separieren.“


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